Ein neues Kapitel der Geschichte
Der systemische Wandel unserer Gesellschaften ist weder eine Utopie noch eine Option, sondern eine unumgängliche Notwendigkeit.
Vom 6. bis 13. September 2025 war Sri Lanka Gastgeber des dritten Globalen Nyéléni-Forums für Ernährungssouveränität, eine der weltweit größten Zusammenkünfte sozialer Bewegungen und Graswurzelorganisationen. Nyéléni ist in einer malischen Legende der Name einer Bäuerin, die als Symbol für Ernährungssouveränität gilt. 2007 fand das erste Nyéléni-Forum in Mali statt, organisiert vorwiegend von der weltweiten Bewegung der Kleinbauern „La Vía Campesina“. 2011 folgte ein Nyéléni-Europe-Forum in Österreich, auf dem die Rolle der Ernährungssouveränität im europäischen Kontext im Fokus stand. Nach diesen zwei früheren Tagungen befasste sich das diesjährige Treffen von über 700 Menschen verschiedener Bewegungen aus über 100 Ländern mit einem sektorübergreifenden Ansatz und konzentrierte sich auf die Umsetzung einer „systemischen Transformation“. Ein Beitrag zu unserem „Nahrung“-Spezial.
Die Ernährungssouveränität, die La Vía Campesina bereits 1996 auf dem Welternährungsgipfel in Rom vorstellte, bekräftigt das Recht der Völker, ihre Agrar- und Ernährungspolitik entsprechend ihren Bedürfnissen, Kulturen und Territorien zu gestalten.
Im Jahr 2007 gab das erste Globale Nyéléni-Forum in Mali dieser Vision Gestalt, indem es mehr als 500 Delegierte aus 80 Ländern zusammenbrachte. Der beispiellose Prozess, der auf der Beteiligung von Bauern, Fischern, Viehzüchtern und Arbeitern — insbesondere Frauen und Jugendliche — beruhte, wurde zum Rückgrat der internationalen Mobilisierung der Bauern.
Das dritte Globale Nyéléni-Forum im September 2025 knüpft an diese Kontinuität an und steht für einen systemischen Wandel vor dem Hintergrund von Klimakrisen, Konflikten und Nahrungsmittelabhängigkeit.
Über 700 Abgesandte aus über 100 Ländern, die Hunderte Millionen Menschen vertreten, kamen in der Stadt Kandy im zentralen Hochland Sri Lankas zusammen, um eine gemeinsame Gewissheit zu bekräftigen: Der systemische Wandel unserer Gesellschaften ist weder eine Utopie noch eine Option, sondern eine unumgängliche Notwendigkeit. In einer Zeit, die durch den Aufstieg des Neofaschismus, Kriege und multidimensionale systemische Krisen geprägt ist, hat das Forum gezeigt, dass Graswurzelbewegungen in der Lage sind, sich für gemeinsame Ziele zusammenzuschließen.
Vertreter von Bauernorganisationen, handwerklichen Fischereibetrieben, indigenen Völkern, Nomaden- und Hirtengemeinschaften, Gewerkschaften, Organisationen für Klimagerechtigkeit, Jugendkollektiven und zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie engagierte Wissenschaftler und viele mehr erschufen eine beispiellose Vielfalt und formten sich zu einer „Bewegung der Bewegungen“.
Die nach Abschluss der Veranstaltung verabschiedete Erklärung von Kandy enthält eine eindringliche Diagnose der Lage der Welt:
- die zunehmende Kommerzialisierung von Gemeingütern,
- die illegitime Aneignung von Land- und Meeresflächen, zuvorderst Agrarflächen oder landwirtschaftlich nutzbaren Flächen, durch wirtschaftlich oder politisch durchsetzungsstarke Akteure,
- die Ausbeutung der Arbeiterklasse,
- das Erstarken des Patriarchats und der Diskriminierung,
- die Digitalisierung und Finanzialisierung, die neue Formen der Unterdrückung schaffen, sowie
- Völkermord, Einflussnahme auf Konflikte und Kriege als tragische Beispiele für die Kollusion zwischen Imperialismus, transnationalen Unternehmen und korrupten Staatsmächten.
Angesichts dieser Situation betonten die Teilnehmer des Forums, dass Ernährungs- und Energiesouveränität, Frieden und Solidarität zwischen den Völkern, Geschlechtergleichheit und soziale Gerechtigkeit keine Optionen sind, sondern unverzichtbare Voraussetzungen für das Überleben der Menschheit.
Über die gemeinsame Analyse der globalen Krisen hinaus einigten sich die Vertreter der verschiedenen Bewegungen auf dem dritten Globalen Nyéléni-Forum auf eine Reihe koordinierter Schritte:
- Ab 2026 soll ein weltweiter Aktionstag gegen Imperialismus, Kriege und den Einsatz von Hunger als Waffe sowie ein jährlicher Nyéléni-Tag stattfinden, um die in diesem Jahr begonnene Dynamik der Annäherung aufrechtzuerhalten.
- Die Erschaffung politischer Bildungsprogramme zu den Themen Ernährungssouveränität, Antirassismus und Feminismus.
- Die Stärkung der Beziehungen zu den Gewerkschaften als wichtiger strategischer Schwerpunkt, um einen Dialog zwischen den beiden wichtigsten politischen Akteuren des Wandels herzustellen: den ländlichen und städtischen Arbeiterklassen in all ihrer Vielfalt.
Die Delegierten einigten sich also vorwiegend auf Kampagnen
- gegen die Privatisierung des Gesundheitswesens, gegen Landraub und industrielle Aquakultur,
- gegen die Straffreiheit multinationaler Unternehmen und für deren rechtliche Regulierung,
- für einen neuen internationalen Handelsrahmen auf Grundlage der Ernährungssouveränität und
- für die Streichung illegitimer Schulden, die die Länder des Südens erdrücken.
Am Ende machte eine Podiumsdiskussion deutlich, dass der Zusammenschluss der verschiedenen Bewegungen weltweit und sektorübergreifend eine politische Priorität darstellt. Ziel ist es, konkrete politische Prozesse ins Leben zu rufen, die von einer gemeinsamen Strategie getragen werden und dazu beitragen, den Kampf für einen systemischen Wandel aus der Perspektive der Bevölkerung voranzutreiben.
Zum Abschluss des dritten Forums bekräftigten die in Kandy versammelten Bewegungen laut und deutlich, dass der systemische Wandel „jetzt und für immer“ stattfindet. Die Herausforderungen sind immens, doch die gemeinschaftliche Stärke, die gelebte länderübergreifende Solidarität und die gemeinsamen Erfahrungen während dieses Treffens machten das diesjährige Nyéléni-Forum zu einem historischen Meilenstein. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit diese „Bewegung der Bewegungen“ eine neue Perspektive durchsetzen kann.
Dorgelait Marvel Moukala, 34 Jahre alt, Unternehmer im Bereich der Verarbeitung von Agrar- und Lebensmittelprodukten (Brei und Konfitüren) ist Präsident des Jugendkollegiums der Nationalen Konzertierungsplattform der Bauern- und Erzeugerorganisationen des Kongo, Vizepräsident des Jugendkollegiums der regionalen Plattform der Bauernorganisationen Zentralafrikas und Mitglied des Internationalen Koordinierungskomitees von Nyéléni. In einem Video erläutert er auf Französisch (mit automatischen deutschen Untertiteln) seine Ziele für dieses Forum, insbesondere die Bedeutung einer gemeinsamen globalen Vision, die aus verschiedenen behandelten Themenbereichen hervorgeht und der afrikanischen Jugend Hoffnung gibt. Foto: Screenshot YouTube-Video, Quelle: Web-Dokumentation des dritten Nyéléni-Forums durch die französische NGO Inter-Réseaux.
Massa Koné, ein Bauer, der Jurist wurde, gehört zu denen, die die Anerkennung der Gewohnheitsrechte im malischen Bodenrecht durchgesetzt haben. Der Menschenrechtsaktivist und Sprecher der Convergence Globale des Luttes pour la Terre, l’Eau en Afrique de l’Ouest (Globale Konvergenz der Kämpfe für Land und Wasser in Westafrika) ist außerdem Mitglied des Internationalen Komitees des Weltsozialforums, das vom 4. bis 8. August 2026 in Cotonou, Benin, stattfinden wird. Als Teilnehmer des Globalen Nyéléni-Forums erklärt er in einem Video (auf Französisch mit automatischen deutschen Untertiteln) die Auswirkungen dieser Treffen auf globaler Ebene und die Agenda der bevorstehenden sozialen und bäuerlichen Kämpfe. Screenshot YouTube-Video, Quelle: Web-Dokumentation des dritten Nyéléni-Forums durch die französische NGO Inter-Réseaux.