Ohne Reißleine ins Bodenlose
Der kürzlich verstorbene und polarisierende Extremsportler Felix Baumgartner sprang zeitlebens in die tiefsten Abgründe — nach seinem Ableben tut sich auf Social Media und in den Leitmedien ein weiterer Abgrund auf, ein menschlicher.
Auf Schulhöfen und bei Kneipenschlägereien galt früher noch ein Ehrenkodex: Liegt jemand am Boden, so tritt man nicht mehr auf ihn ein. Die Zeiten, da selbst bei diesen primitiven Formen der Konfliktaustragung gewisse Formen von Restanstand bewahrt wurden, sind lange vorbei. Dass der „Gegner“ am Boden liegt, ist für so einige heute kein Grund mehr, abzulassen – selbst dann nicht, wenn jemand mit voller Wucht auf diesem aufschlägt. So etwa der Extremsportler Felix Baumgartner. Der 2012 für seinen Stratosphärensprung weltbekannt gewordene Adrenalinjunkie verunglückte am 17. Juli 2025 beim Flug mit einem Motorschirm im italienischen Porto Sant'Elpidio. Die Totenruhe wird ihm jedoch von etlichen Redakteuren und Usern im Netz nicht gewährt. Der Grund: Baumgartner hatte sich zeitlebens auf verschiedenen Themenfeldern vom rechten Weg des Mainstreams entfernt. Er hatte Äußerungen getätigt, die abseitig des leitmedial gezimmerten Meinungskorridors zu verorten sind. Das Spektrum des artikulierten Dissenses reichte von berechtigter und notwendiger Herrschaftskritik bis hin zu wirklich kruden Aussagen. Doch unabhängig von der Bewertung seiner Statements und Positionen zu Lebzeiten gebieten es der Anstand und die Menschlichkeit, einem Menschen nach dessen Ableben die Würde und die Totenruhe zu gewähren. Sollte man meinen. Ein Blick auf Plattformen wie X und Bluesky, aber auch in den leitmedialen Blätterwald zeigen in erschreckendem Maße, dass solche Gepflogenheiten durch die vielerorts beobachtbare Abstumpfung und Verrohung mittlerweile vollends abgeraspelt wurden. Die Klientel jener, die zum Teil wohl keiner einzigen Demo gegen „Hass und Hetze“ (Trademark) fernbleiben, äußert sich in menschenverachtender Gehässigkeit und mit pietätlosem Spott über den Tod eines Menschen, der als politischer Gegner, gar als Faschist ausgemacht wurde. Wie ist die (Online-)Gesellschaft dorthin abgedriftet? Und was lässt sich aus dem heutigen Zustand für die zukünftige Entwicklung des menschlichen Miteinanders vorausahnen?
Der schwindende Restrespekt vor Andersdenkenden – gerade nach ihrem Ableben – hat sich seit Jahren abgezeichnet. Schon 2019 – und damit vor der Corona-PsyOp (!) – stellte ich mir bereits in einem Beitrag folgende Fragen:
„Ein ‚Verschwörungstheoretiker‘ stirbt unerwartet! Stellen wir uns das vor. Ein prominentes Gesicht aus den Kreisen, die von der Mainstream-Presse als ‚verschwörungstheoretisch‘ betitelt werden, segnet unerwartet das Zeitliche. Wie würden die großen Pressehäuser, die ARD, das ZDF, aber auch Denunzianten-Plattformen wie Psiram oder Facebook-Seiten wie Friedensdemo-Watch reagieren? Sportlich und fair? Darüber berichten, dass XY unerwartet verstorben ist, der in der Vergangenheit zu Themen wie 9/11 oder dem Migrationspakt vom Mainstream abweichende Standpunkte vertrat? Und angesichts seines Todes über diese Differenzen hinwegsehen und den Hinterbliebenen viel Kraft in diesen schweren Zeiten wünschen? Oder würden diese Medien wie bei den beiden kürzlich verstorbenen George H. W. Bush und John McCain reagieren — nur umgekehrt: So wie man Bush und McCain aller Gräueltaten zuwider einen Heiligenschein ausstellte, würden dem ‚Verschwörungstheoretiker‘ stattdessen Teufelshörner aufgesetzt und alle humanistischen Ansätze ausgeblendet werden? Ließe man die Vita des verstorbenen ‚Verschwörungstheoretikers‘ so negativ Revue passieren, wie es die verbliebenen Sitten gerade noch so zulassen? Die zweite Variante klingt wesentlich realistischer. Und hier müssen wir der Frage nachgehen: Wie weit ist die Entmenschlichung dieser Personen im öffentlichen Diskurs bereits vorangeschritten?“
...Und sechs Jahre später kann diese Frage aus meinem fast schon prophetischen Text damit beantwortet werden, dass die Entmenschlichung politischer Gegner sehr weit gediehen ist, was die Reaktionen auf den kürzlich verstorbenen Extremsportler Felix Baumgartner exemplarisch zeigen.
Das X vom Kruzifix
Das der Vergrößerung dienende Brennglas ist hierbei die Plattform X, aber auch Bluesky. Weil Baumgartner mit seinen vom Mainstream abweichenden Positionen nicht hinterm Berg hielt, erntet er nach seinem tragischen Unglück zahlreich Spott und Hähme von seinen „Hatern“. Mustergültige Beispiele finden sich hier, hier, hier, hier, hier und hier. Auf dem Boden dieses Abgrundes befindet sich Treibsand, der in Sachen der Unmenschlichkeit in noch tiefere Ebenen führt, namentlich Bluesky. Dort tummeln sich fast noch abscheulichere Exemplare vorgetragener Pietätlosigkeit und Verrohung der vermeintlich Guten (Trademark). Beispiele finden sich hier, hier, hier und hier.
Dieser „blue sky“ ist kein Himmel, in dem man als Toter ruhen möchte. Mal wird auf den genannten Plattformen im Kontext seines tödlichen Sportflug-Unglücks zynisch auf den Slogan von Baumgartners Hauptsponsor RedBull rekurriert – „RedBull verleiht Flüüügel“ –, oder es werden – weil Baumgartner in einen Pool stürzte – Szenen von popkulturell bekannten „Pool-Stürzen“ „memetisch“ mit seinem Tod verknüpft.
Andere geben sich auch gar keine Mühe, das humoristisch zu verknüpfen, sondern freuen sich schlicht darüber, dass ein in ihren Augen als „Fascho“ klassifizierter Menschen – am gleichen Tag wie Udo Voigt – verstorben ist. Manche fieberten gar darauf hin – da schließlich aller „guten“ Dinge drei sind – dass es an diesem Tag noch einen Fascho erwischen möge. Es ist davon auszugehen, dass die Koinzidenz von Baumgartners Geburtstag am 20. April ebenfalls irgendwo in den Untiefen des Netzes ausgeschlachtet wird. Des Weiteren wuchert ein Trend, den ich bereits in meinem kürzlich erschienenden Beitrag „Totgelacht“ beschrieb:
„ (I)nsbesondere auf X entbrennt derzeit der pietätlose Trend, selbst aus dem Tod von Menschen noch ‚ironisches Kapital‘ zu schlagen. Da werden kurz nach dem Ableben berühmter Persönlichkeiten Tweets mit ‚R.I.P. XY‘ abgesetzt …, allerdings mit dem Bild eines Prominenten, der dem Verstorbenen ähnlich sieht. Diese Text-Bild-Schere soll dann ‚lustig‘ sein. So postete nach dem plötzlich und unerwarteten Versterben des Rappers Xatar der X-User @gesperrtemarces einen R.I.P.-Tweet zu Xatars Tod mit einem Bild von Comedian Serdar Somuncu und der User @Doggo_n0n_grata mit einem Bild von Rapper SSIO. Dass die Tweets bei dieser großen Reichweite in den Kommentaren ob der Geschmacklosigkeit nicht gerügt wurden, lässt tief blicken — im wahrsten Sinne des Wortes. Denn es ist die Tiefe, genauer die Gefühlstiefe die nicht mehr zugelassen werden kann.“
So gab es auch nach dem Todessturz Baumgartners diese Bild-Text-Scheren, diesmal allerdings nicht mit optischen Selbstähnlichkeiten, sondern mit erkennbar politischer und gehässiger Absicht, etwa mit den Gesichtern von Jörg Haider, Martin Sellner und zur Veredelung der Geschmacklosigkeit auch noch eines mit Josef Fritzl.
Offenkundig scheint manchen Menschen, wenn es um „das Gute“ (Trademark) geht, nichts mehr heilig zu sein. Politische Differenzen machen nicht einmal mehr vor dem Tod halt, sodass selbst der Kampf gegen verstorbene Gegner es heiligt, dass die Totenruhe gestört und das Grabmal digital geschändet wird.
Diese offen zur Schau getragene Boshaftigkeit im Namen des Guten lässt sich leider nicht als digitales Randphänomen verbuchen. Das allein wäre schon verstörend und besorgniserregend genug. Doch selbst die Leitmedien waren sich nicht zu schade, keine 24 Stunden nach Baumgartners Tod, dessen politisch nicht genehme Abweichung erneut durchzudeklinieren. Während Stephan Löwenstein bei der FAZ noch den Restanstand besaß, die Kontroversen ganz unten zu behandeln – wobei das natürlich den Leser mit einem schlechten Eindruck entlässt – hat der Stern mittlerweile jede Scham verloren. Bereits im Untertitel wetterte Christian Ewers noch vor dem Eintritt von Baumgartners Leichenstarre gegen selbigen, als er schrieb:
„Er hätte ein Held sein können. Doch er erging sich in rechtsnationalen Schwurbeleien und verzwergte sich selbst.“
Ein X-User kommentierte das sehr trefflich mit den Worten: „Er sprang aus dem All – und der Stern wirft mit Dreck.“ Und auch in den Kommentaren unter dem X-Post von besagtem Stern-Beitrag ergoss sich ein Schwall an heftiger Kritik, was insofern hoffnungsvoll stimmt, als dass ein gewichtiger Teil der Menschen noch über Anstand verfügt und den Schwund selbigen erkennt und anprangert.
Konsequenzen zog der Stern aus diesem Fauxpas nicht, sondern trat noch einmal nach, indem er darauf hinwies, dass ein Großteil der Kondolenz aus dem rechten Lager käme. Darüber hinaus versuchte die unlängst am Eisberg der Bedeutungslosigkeit zerschellte Titanic, mit einem geschmacklosen Post auf sich aufmerksam zu machen. Des Weiteren ließ es sich auch ein mit GEZ-Zwangsgebühren finanzierte „Comedian“ nicht nehmen, das Grab zu schänden.
Enthemmung
Bei den Menschen hinter den oben aufgelisteten und verlinkten Beispielen kann man sich einer Sache gewiss sein: Allesamt werden sie zuhause keinen Bademantel haben und diesen auch nicht benötigen. Von Aktionstagen gegen „Hass und Hetze“ (Trademark) werden diese Menschen erst im Nachgang erfahren und nicht dadurch, dass sie in ihrer Wohnung um 6 Uhr morgens live dabei sind. Denn als „Hass und Hetze“ (Trademark) klassifiziert wird all das, was sich gegen die herrschenden Narrative richtet. Alles, was die herrschenden Narrative stützt, kann inzwischen noch so unmenschlich sein – es wird nie, oder nur ganz selten derart geahndet, wie das Reposten eines Schwachkopf-Memes oder das Teilen eines Schlumpfvideos auf TikTok durch eine Schülerin. Wenngleich derartige Pietätlosigkeit – noch – eine Welle der Empörung auslöst, so führt dieser weitere Riss in der Dammmauer zu einer Gewöhnung an derartige Unmenschlichkeit, die vor weniger als zehn Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Es ist schwer abschätzbar, welchen prozentualen Bevölkerungsanteil jene Menschen ausmachen, die derartige Boshaftigkeiten in den digitalen Äther ätzen. Der hoffnungsvolle Gedanke, dass sich dahinter überwiegend Bots befinden, hat im Lichte einer realistischen Einschätzung kaum Bestand.
Es muss also davon ausgegangen werden, dass es eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen in diesem Land gibt, denen das Leben politisch Andersdenkender nichts gilt. Wer keine Hemmung hat, sich über den Tod eines Menschen lustig zu machen und den Tod ähnlich gestrickter Menschen erhofft – so jemand wird potenziell auch keine Hemmung kennen, wenn es darum geht, den Tod eines Menschen herbeizuführen.
Es ist eine brandgefährliche Dynamik, die in Deutschland immer weiter um sich greift und die den Stoff bildet, aus dem Bürgerkriege gemacht sind. Die Entmenschlichung politisch Andersdenkender schreitet immer weiter voran – so weit, dass im Öffentlich-Rechtlichen bereits konservatives Denken pseudowissenschaftlich mit neurologischen Anomalien erklärt wird. Zwar löschte das dafür zuständige ZAPP-Magazin den Beitrag, nachdem zahlreiche Nutzer empört auf historische Parallelen hinwiesen, aber das Overton-Fenster war dann schon verschoben. Die Opposition zwischen „wir, die Guten“ und „die, die Bösen, Rechten, Nazis, et cetera“ wird jetzt zusätzlich (pseudo)wissenschaftlich und biologistisch unterfüttert, was die Entmenschlichung weiter anheizt.
Die Ursachen dieser Verrohrung sind sicherlich vielfältig und Erklärungsansätze können nur einen Teil des Ursprungs beleuchten. Mit Gewissheit ist ein Bärenanteil für diesen Verlust an Menschlichkeit der Zeit zuzurechnen, in der die Menschen während der Fake-Pandemie in — digitaler — Einsamkeit isoliert und durch Masken entmenschlicht in der Fähigkeit des sozialen Miteinanders entwicklungstechnisch weit zurückgeworfen wurden. Diese echten (!) Hass-Postings müssen begriffen werden als die aufgehende Saat der „asozialisierenden“ Wirkung der unmenschlichen Lockdowns auf die Menschen.
Sollte es, wie bei den bisherigen Sprüngen von Felix Baumgartner, für diese Entwicklung eine Reißleine geben, dann sollte sie möglichst schnell gefunden und gezogen werden, denn rasend schnell bewegt sich das soziale Miteinander in Deutschland im Sturzflug auf den Boden zu.