Der Humor hat seine Kraft verloren als subversives Mittel gegen die Normen einer spießigen, verklemmten Gesellschaft. Schlicht deswegen, weil große Teile der Gesellschaft und der Politik selbst zu einer Dauerspaßveranstaltung verkommen sind. In ihr werden Ironisierung und humoristische Auflockerung entsprechend nicht mehr als Kontrast wahrgenommen. Auf diesen Umstand weist der ideologiekritische Filmanalyst Wolfgang M. Schmitt in seiner Analyse zu „Ein Minecraft-Film“ hin:
„Es ist ein unerträglicher Blödelhumor, der vor allem deshalb so enervierend ist, weil immer noch so getan wird, als würde man hier Grenzen sprengen, als sei man eigentlich doch ganz subversiv unterwegs. Aber dabei wird immer so getan, als gebe es noch einen großen anderen, der Seriosität verlangt. Genau dies ist aber nicht mehr vorhanden. Die Welt ist genau so, wie diese Blödel-Filme uns das jetzt präsentieren. Es gibt nicht mehr eine Blödel-Gegenwelt zu der seriösen Welt, sondern die seriöse Welt ist abhanden gekommen.“
Dabei ist „Ein Mindcraft-Film“ kein Einzelfall, sondern steht symptomatisch für diesen Zeitgeist. Der Film-Nerd BelYves arbeitete in einem Beitrag detailliert heraus, wie „dummer Humor“ in den letzten zehn Jahren in Hollywood-Filmen Einzug hielt und etablierte Franchises dadurch zerstörte, indem sie der Lächerlichkeit preisgegeben wurden.
Es stellt sich nun die Henne-Ei Frage: Was war zuerst da? Die ironisierte Gesellschaft oder die „Blödel-Filme“? Wer sich schon einmal tiefgehend mit „Predictive Programming“ befasst hat, weiß um die Macht von Spielfilmen, die Realität zu formen und den menschlichen Geist für bestimmte Ideologien und Ereignisse weichzuklopfen. So ist es durchaus im Bereich des Vorstellbaren und Möglichen, dass Gesellschaften durch die Massenkulturindustrie der Fähigkeit zur Ernsthaftigkeit beraubt werden.
So gesund Humor und Lachen auch sind, so sehr lassen sie sich zugleich als Waffe im Sinne der Herrscher und der etablierten Herrschaftsstrukturen missbrauchen.
In seinem Büchlein über die wichtigsten Propagandamethoden schreibt Johannes Mentath über die eingebettete Satire:
„Humor ist ein effektiver Träger politischer Ansichten. Er versetzt in einen heiteren Geisteszustand und führt zur freiwilligen Übernahme der Inhalte“ (1).
Wir wollen im Nachfolgenden betrachten, wie Humor missbraucht wird, um Machtstrukturen zu zementieren und Kritik daran zu unterbinden.
Humor als Macht- und Täterstrategie
„Mein Bruder hatte den Abdruck einer Schuhsohle /
Auf der gebrochenen Nase, weil er zu langsam war /
Und heute lache ich drüber, hahahaha /
Spaß, tu ich nicht, ich hab ’ne Mackе davon /“
(K.I.Z., „Sommer meines Lebens“)
Der inflationäre Gebrauch von Ironie und Humor in der politischen, behördlichen und alltäglichen Kommunikation ist eine tragende Säule der allgegenwärtig zu beobachtenden Infantilisierung. In meinem Beitrag „Der Tanz durch die Institutionen“ wies ich in diesem Zusammenhang, genauer: mit den infantilen Social-Media-Auftritten von Behörden — vornehmlich auf TikTok —, bereits auf eine dahinterliegende Doppelstrategie hin. Nämlich die Verniedlichung der äußeren Schale, bei gleichzeitiger Verhärtung des Kerns. Während sich die Macht und die ihren Willen exekutierenden Behörden und Institutionen nach außen hin immer harmloser, lustiger und nahbarer geben, wird der Kern der Herrschaftsausübung immer brutaler und umbarmherziger. Im besagten Beitrag arbeitete ich mich exemplarisch an tanzenden Beamten eines Finanzministeriums und der Polizei ab. An beiden Beispielen lässt sich diese Doppelstrategie sehr anschaulich nachzeichnen. In der Realität wird etwa die Polizei immer weiter militarisiert, während sie sich auf Social Media immer mehr als spaßiger Kumpel geriert. Und die Finanzministeriumsmitarbeiter, die sich durch ihre verhöhnenden Tanzeinlagen — gegenüber dem Steuergeschröpften — als humorvolle, nahbare „Buddies“ inszenieren, vollstrecken die real immer rigider werdenden und zuweilen existenzbedrohenden Steuergesetzgebungen.
Humor und Ironie als Herrschaftswaffe sind dem Repertoire der Soft-Power-Techniken zuzuordnen. Bei manchen, nicht allen, großen Agenden unserer Zeit wird ebenfalls mit dieser Technik operiert, um „Folgebereitschaft“ herzustellen und/oder zu sedieren. Man denke nur an die „Wahre Helden“-Kampagne der Bundesregierung während der Fake-Pandemie, um den Bürgern mit humoristischen Mitteln die Lockdown-Haft schmackhaft zu machen. Auch auf dem Themenfeld „Krieg und Frieden“ wird mit diesem Mittel gearbeitet. Etwa wenn die deutsche Botschafterin in der Ukraine einen „Kuscheltier-Panzer“ auf twitter/X streichelt. Unweigerlich drängt sich bei diesen Clips und Bildern der Vergleich mit den sogenannten „Feelies“ aus Aldous Huxleys „Brave New World“ auf. Das sind „lustige“ Filmchen, die die Menschen auf einer niedrigen, anspruchslosen Ebene bespaßen, verblöden und damit letztlich ruhig stellen. Insofern hat Huxley bereits in seinem 1932 erschienenen Klassiker den Hauptkatalysator dieser Soft-Power-Technik vorweggenommen: TikTok.
Die Humor-Hegemonie
Bei der erst genannten Agenda, Corona, zeigt sich darüber hinaus ein wesentliches Merkmal des Missbrauchs von Humor und Ironie als Herrschaftsinstrument:
Diese Art von Humor ist eine Einbahnstraße. Die Persiflage wird nur geduldet, wenn sie von oben, von der Herrschaft, nach unten zu den Beherrschten adressiert wird. Umgekehrt darf es nicht verlaufen.
Um es konkret zu machen: In der Zeit der Fake-Pandemie gab es scheinbar keine Grenzen, wenn es darum ging, Corona-Maßnahmen-Kritiker auf infamste Weise zu verspotten. Doch wehe, jene Adressaten wagten es, den Spieß einmal umzudrehen und das auch noch auf eine gemäßigtere Weise. Als mehrere Dutzend Schauspieler die Aktion #allesdichtmachen lancierten, gab es einen riesigen Aufschrei. Empört wurde sich darüber, wie man es denn wagen könne, sich über die Coronapolitik lustig zu machen.
Es bildet sich so etwas wie eine Humor-Hegemonie, die Trennlinien zieht zwischen Themenfeldern, über die gelacht, und solchen, über die nicht gelacht werden darf. Ebenso entsteht eine humoristische Klassengesellschaft, in welcher der einen Klasse das Persiflieren und Lachen gestattet ist und der anderen Lachen kriminalisiert oder geächtet wird.
In dieser Humor-Hegemonie wechselt der Humor zwischen zwei Modi: Entweder drückt er sich in vollkommen unlustigen Rohrkrepierer-Witzen aus, oder aber er mutiert zu purer Gehässigkeit, die unter dem Deckmantel der Satire die adressierten Menschen vollends entwürdigt.
Zum ersten Modus zählt unter anderem die Kommunikationsform von Behörden, die weitestgehend aus konstruierten Wortspielen, krampfhafter Ironie, aufgesetzten Albernheiten und verbrauchtem Zehnerjahre-Internethumor bestehen. Der andere Modus findet beispielhaft seinen Ausdruck, wenn sich Staatsfunk-Agitator Jan Böhmermann über die Opfer von rituellem Missbrauch lustig macht oder wenn AfD-Politikerinnen straffrei als „Nazi-Schlampe“ beschimpft werden dürfen. Gerade beim zweiten Modus kommt die Einbahnstraße noch einmal zum Tragen, denn die Gehässigkeit wird umgekehrt nicht nur nicht geduldet, sondern schon auf einer viel niedrigeren Schwelle geahndet. Wo „Nazi-Schlampe“ als Satire gilt, fällt die Bezeichnung „Schwachkopf“ bereits in den Bereich der Majestätsbeleidigung.
„Worüber man lachen darf, bestimmten wir!“, könnte der Herrschaftsanspruch dieser Hegemonie übersetzt lauten. Auch hierzu merkte Menath passend an, dass „Systemsatire (…) ein (…) Herrschaftsinstrument (ist), das den Meinungspluralismus untergräbt, statt ihn zu fördern. Gleichzeitig können tatsächlich kritische Themen mit moralischer Entrüstung und großem Ernst behandelt werden, bei denen sich niemand traut, darüber auch nur einen Scherz zu machen“ (2).
In dieser Hegemonie gibt es nur noch Flachwitze oder Hasswitze. In Witze verpackte Herrschaftskritik wird hingegen kriminalisiert.
So gibt es neben den beiden Modi dieser Humor-Hegemonie auch ein Gegenextrem, nämlich die absolute Tabuisierung, Ächtung und Kriminalisierung von Humor, was selbstredend mit dem zweiten Modus korrespondiert. Sinnbildlich ist hierfür der in der freien Medienszene mit viel Belustigung rezipierte Beitrag von Justus Bender in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Bender machte sich wirklich die Mühe, alle stenografischen Plenarsitzungsprotokolle des Bundestages im Jahr 2024 auf die Lacher hin zu analysieren. Dabei ermittelte er den „Lachquotienten“, also die Anzahl der Lacher pro Abgeordneten je Bundestagsfraktion. Die Stenografen des Bundestages unterteilen humorvolle Momente in „Heiterkeit“ und „Lachen“. Letzteres fasst Bender als das abwertende Auslachen des politischen Gegners auf. Das Lachen würde hier als politische Waffe eingesetzt, um den Gegner niederzumachen.
Nach dieser Messung ist die AfD mit weitem Abstand Spitzenreiter. Der Tenor der kritischen Rezeption lautete: „Jetzt ist Lachen auch schon rechts(extrem).“ Während die wahrhaft empirische Erforschung von Bundestag-Gelächter irgendwo den Eindruck erweckt, als sei diese Arbeit das traurige Werk eines humorbefreiten Schreiberlings, so ist an der Analyse in weiten Teilen wirklich etwas dran. Das Lachen kann durchaus, wie oben mehrfach beschrieben, als Waffe verwendet werden — in Momenten der Unachtsamkeit auch gegen sich selbst. Man denke hierbei nur an Armin Laschet, der sich in der Humor-Tabuzone des überfluteten Ahrtals seine politische Karriere kaputtgelacht hat.
Natürlich geht Benders Annahme fehl, dass jedes Lachen eines AfD-Abgeordneten gehässiger Natur sei, vergleichbar mit der bösen Lache eines überzeichneten Film-Bösewichts. Davon abgesehen ist in seinem Beitrag jedoch sehr aufschlussreich, dass in der anderen Kategorie, nämlich der Heiterkeit, die Linke und das BSW die Schlusslichter bilden, was uns zu dem nächsten Beispiel einer Humor-Tabuzone führt, der Sphäre der „Links“-Wokeness, denn die ist mustergültig für dieses Gegenextrem. Diese Sphäre ist ein Raum, in welchem jedes Lachen so fehl am Platz ist wie ein Funke neben einem Gasleitungsleck. Hier kann jede noch so harmlose Witzbemerkung Gefühlshämatome auf dem Gemüt der dünnhäutigen Wokeisten hinterlassen. Zu lachen gibt es hier nichts, von Heiterkeit keine Spur. Hier läuft jeder auf wie auf Eiern, wobei allein dieser Begriff für den ein oder anderen zart Besaiteten bereits ein Trigger wäre.
Fassen wir also zusammen: Ironie und Humor als Soft-Power-Herrschaftswaffe bewirken:
- Sedierung
- Verharmlosung und Verschleierung von Machtausübung und entsprechenden Taten
- Schaffung von Sympathie für die Machthaber beziehungsweise ihre Repräsentanten
- Bekämpfung von Opposition durch Persiflage bis hin zu Rufmord.
Die technokratische Steuerung des Lachens
Die Polarisierung zwischen den Extremsphären allgegenwärtiger Ironie und kompletter Humorlosigkeit beseitigt den natürlichen, ungezwungenen Fluss des Humors und installiert an dessen Stelle eine technokratische Steuerung des Lachens. Dieses Humor-Regime stellt eine Erweiterung der von Toningenieur Charles Douglas entwickelten „Laff-Box“ dar. Die Laff-Box beziehungsweise die mit ihr produzierten Laugh-Tracks kennt jeder aus Sitcoms. Mit dieser Erfindung zeichnete Douglas Lacher auf, kategorisierte sie nach Intensität, Geschlecht, Alter und weiteren Parametern, um sie anschließend zu einem organisch klingenden Gelächter zu synthetisieren. Bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts diente die Laff-Box der Steuerung des Lachens. In Live-Situationen entzieht sich das Lachen des Publikums naturgemäß der gänzlichen Kontrolle durch die Regie. Somit wurden die künstlich erzeugten Lacher abgespielt, wenn das Publikum an der gewünschten Stelle gar nicht oder zu spät lachte.
Das oben skizzierte Humor-Regime sperrt die Menschen nun in eine überdimensionierte Laff-Box ein, die das Lachen der Menschen mittels zahlreicher Hebelwirkungen kontrolliert: „Nazi-Schlampe“ und „Bernd“ = lustig. „Schwachkopf“ = nicht lustig und wird strafrechtlich verfolgt. Witze über Corona-Maßnahmengegner = lustig. Witze über Transmenschen = nicht lustig, wird entsprechend sanktioniert. Über X macht man Witze, über Y macht man keine Witze. Stand-up-Comedian X = lustig und bekommt staatliche Preise. Stand-up-Comedian Y = nicht lustig, wird gecancelt.
Das erste Extrem der dauerhaften Ironisierung hat außerdem noch eine Dimension, die über das rein Machtpolitische hinausgeht. Das andauernde Kommunizieren in Ironie und in Späßen führt dazu, dass diejenigen, die darin verhaftet bleiben, die Beziehung zu Trauer, Ernsthaftigkeit und echten Gefühlen verlieren.
Gefangen in der Sitcom-Welt
Die Humor-Matrix, in der alles nur noch ironisch ist, könnte man mit einer Art „Truman Show“ vergleichen. Zu Erinnerung: In dem Werk von Peter Weier aus dem Jahr 1998 lebt der Protagonist Truman Burbank unwissend und zeitlebens in einer Reality-Show, die in Gestalt eines riesigen Studios um ihn herum errichtet worden ist. Millionen Menschen sehen ihn, aber er sieht sie nicht. Die Illusion beginnt sich für ihn aufzulösen, als eines Tages ein Scheinwerfer von der Decke herabfällt. So beginnt er, seine auf ihn zugeschnittene Trugwelt zu erkennen, und macht sich zu den Grenzen des Fernsehstudios auf.
Die „Truman Show“ der Humor-Matrix hingegen wird nicht von einem externen Studio betrieben, sondern von den Menschen selbst. In gewisser Weise wird die ganze Welt zu einer einzigen Sitcom, in der alles darauf ausgelegt ist, einem blöden Gag nach dem anderen nachzujagen. Da haben wir die schon erwähnten Finanzministeriumsmitarbeiter, die durch die Gänge der Behörde tanzen, ebenso Polizisten, Ärzte und Soldaten. Werbeplakate und Instagram-Share-Pictures von Behörden und Institutionen versuchen stets auf Krampf, irgendwelche Wortspiele zu kreieren, im Glauben, dass das — noch — irgendwie lustig sei. Wir haben eine junge Generation Y und Z, innerhalb derer bei vielen Menschen das Gesagte in nahezu jedem zweiten Satz aus Ironie besteht. Einige Vertreter der älteren Generationen ziehen sich beispielsweise Shirts mit aufgedruckten Kalenderwitzsprüchen an, die dem Betrachter nicht mehr als ein müdes Lächeln abringen und beim Träger wiederum den Frust über das Alter und/oder körperliche Zustände humorgefiltert zum Ausdruck bringen. Die Sprüche lauten dann variabel in etwa so: „Ich bin nicht alt, ich bin nur X“ oder „Ich bin nicht dick, ich bin einfach nur Y“.
Das letztgenannte Beispiel offenbart die zentrale Triebfeder hinter der Ironisierung von allem und jedem: Es ist die Verdrängung von Unangenehmem, Traurigem, Schmerzhaftem. Die Träger solcher Shirts — natürlich nicht alle — empfinden manchmal Schmerz und Scham über Alter und körperlicher Verfasstheit. Doch mangels eines Ventils, über welches diese Gefühle ehrlich ausgedrückt und von einem Gegenüber aufgefangen werden können, werden sie durch das Tragen solcher Textilien mit ironischem Aufdruck heruntergespielt.
Dieses Beispiel lässt sich auf so viele weitere Bereiche übertragen.
Das oberflächlich Humoreske breitet sich pandemisch aus, während Teile der Welt immer grauer werden, insbesondere in den westlichen Gesellschaften.
Slum-Bildungen in den Großstädten, immer mehr Rentner, die im Müll nach Pfandflaschen wühlen, Brücken, die einstürzen — und drumherum überall vermeintlich lustige Werbeplakate und Menschen, die sich gesenkten Hauptes zur Seelenbetäubung „lustige“ Reels auf TikTok im Doom-Scrolling reinpfeifen.
Doch ist auch diese Humor-Matrix nicht hermetisch abgeschlossen. Auch in ihr gibt es ein Pendant zum desillusionierenden Scheinwerfer, der von der Decke fällt — dann nämlich, wenn etwas Dramatisches geschieht, bei dem sich jede ironische Kommentierung verbietet: ein Unglück oder eine grausame Tat etwa. Sehr anschaulich lässt sich das auf den Instagram-Profilen von Behörden oder von Verkehrsunternehmen beobachten. Kommt es beispielsweise dazu, dass ein Polizist bei einem Einsatz getötet wird, oder zu einem Unglück innerhalb eines städtisches Verkehrsbundes, dann sticht mit einem Male inmitten der bunten Galerie der Insta-Kacheln eine graue Kachel mit einem Trauer-Post hervor. Eine solche Kachel wirkt inmitten der schrill-fröhlich-ironischen Beiträge wie ein Fremdkörper. Das Lachen bleibt im Halse stecken, und plötzlich sind alle ratlos, wenn sich Ernsthaftigkeit und Tragik unerbittlich Raum verschaffen, wo sonst immer mit Gelächter und Witzen forciert, alles unter den Teppich gekehrt und gedrückt wird.
Trauer-Postings auf den Instagram-Profilen der Polizei Rheinlandpfalz sowie des bayerischen Landeskriminalamts (LKA) nach der Ermordung von Polizisten — deplatziert eingebettet zwischen ulkigen Beiträgen.
Inmitten von Memes und „lustigen“ Share-Pictures der grau gefärbte Trauerpost der MVV-Instagram-Seite anlässlich des S-Bahn-Unglücks Schäftlarn-Ebenhausen.
Unter Flachwitzen begrabene Gefühle
„Die Unfähigkeit zu trauern“ (Alexander Mitscherlich) hat die weiter oben bereits zitierte Hip-Hop-Formation K.I.Z. in ihrem Track „Lächel doch mal“ sehr treffend in eine Kunstform überführt. Grundsätzlich liegt die Stärke von K.I.Z. darin, dass sie wie kaum jemand sonst Phänomene und Stereotype mit Ironie so dermaßen überzeichnen, dass die dahinterliegenden Ideologien sichtbar werden. Kurzum: Die drei Rapper sind so ironisch, dass es wieder ernst wird. Mit ebendieser Herangehensweise schlüpfen sie im besagten Track „Lächel doch mal“ in die Rolle von drei Hedonisten, die ihren depressiven, trauernden und tiefsinnig grübelnden Kumpel dazu ermahnen, die Trauerleier sein zu lassen.
„Doch wenn du (...) jeden Tag ’ne Fresse ziehst /
Lädt dich irgendwann keiner mehr auf seine Party ein /
Selbstmordgedanken? Alter, du musst nicht alles teil'n /
(…) /
Untеr uns, Bruder: Zieh dir ma’ ’n Pulli an /
Muss ja nicht jeder seh’n, die Narben an dei'm Unterarm /
Deine Antwort auf ‚Wie geht’s?‘ war etwas irritierend /
Dass du seit Jahren trocken bist, ist mega inspirierend /
Doch versuch ausnahmsweise mal, die Stimmung nicht zu kill'n /
Hier sind Drinks und ein paar Pill’n“
An das schmerzhafte Dasein jenseits des hedonistischen Betäubungszustandes möchten sie nicht erinnert werden, doch genau das tut ebendieser Kumpel durch seine unverborgene Gefühlstiefe, die Ausdruck dessen ist, dass er im Gegensatz zu den drei Spaßvögeln noch menschlich geblieben ist. Deren Aufforderung, der Spielverderber solle es ihnen mit der Betäubung gleichtun, laufen ins Leere. Am Ende begeht besagter Kumpel Selbstmord. Doch nicht einmal dieses tragische Ereignis vermag es, die drei Hedonisten aus ihrem „Good Vibe“ herauszukatapultieren. In der letzten Strophe wird das Ganze verklärt. Man hätte das ja nicht ahnen können. Zu allem Überfluss wird dann der Tod sogar noch als Anlass für eine weitere Feierlichkeit ausgenutzt.
„Okay, krass, aber konntste nicht riechen /
Lass den Kopf nicht häng’n, er hat jetzt sicherlich sein'n Frieden /
Ey, der chillt da jetzt mit 2Pac, und die stoßen an auf uns /
Komm, ich schmeiß’ ’ne Runde, ein’n aufn Boden für die Jungs“
Erschreckenderweise ist die letzte Strophe gar nicht mal so überzeichnet, denn insbesondere auf X entbrennt derzeit der pietätlose Trend, selbst aus dem Tod von Menschen noch „ironisches Kapital“ zu schlagen. Da werden kurz nach dem Ableben berühmter Persönlichkeiten Tweets mit „R.I.P. XY“ abgesetzt …, allerdings mit dem Bild eines Prominenten, der dem Verstorbenen ähnlich sieht. Diese Text-Bild-Schere soll dann „lustig“ sein. So postete nach dem plötzlich und unerwarteten Versterben des Rappers Xatar der X-User @gesperrtemarces einen R.I.P.-Tweet zu Xatars Tod mit einem Bild von Comedian Serdar Somuncu und der User @Doggo_n0n_grata mit einem Bild von Rapper SSIO. Dass die Tweets bei dieser großen Reichweite in den Kommentaren ob der Geschmacklosigkeit nicht gerügt wurden, lässt tief blicken — im wahrsten Sinne des Wortes. Denn es ist die Tiefe, genauer die Gefühlstiefe die nicht mehr zugelassen werden kann. Das gesamte Gefühlsspektrum beschränkt sich auf einer niedrigen Frequenz, bei der die Amplituden weder weit nach oben noch nach unten große Ausschläge haben.
Das Grundrauschen der Flachwitze erzeugt schließlich nie oder höchst selten ein herzhaftes, sondern nur ein müdes Lachen, welches wiederum dafür sorgt, dass die andere, die negative, Gefühlstiefe nicht gespürt wird.
Der Archetyp des — traurigen — Clowns steht sinnbildlich für die Psychodynamik des Lachens als Schutz- und Abwehrmechanismus vor tiefen, schwer erträglichen Gefühlen. Man denke hierbei nur an das Lachen des von Joaquin Phoenix verkörperten Joker.
Ein Ausbruch aus der Verflachung der Gefühle durch Dauer-Ironisierung kann nur durch das Zulassen der tiefen, negativen, schmerzhaften Gefühle erfolgen. In „Palliativgesellschaft“ stellte Byung-Chul Han in diesem Zusammenhang den Vergleich an mit Bäumen, die nur dann weit in die Höhe wachsen können, wenn sie nach unten hin tief verwurzelt sind. Wird der Grund hingegen permanent — durch Witze — aufgelockert, dann kann daraus nichts erwachsen, was in die Höhe hinausragt. Will heißen, dass die Gefühlsamplituden nur dann große Höhen erreichen können, wenn sie entsprechend auch dazu imstande sind, in die schmerzhaften Tiefen zu gehen (3). Han ist neben der Publizistin Barbara Ehrenreich („Smile or die“ (4)) einer der Philosophen, der wie kaum ein zweiter das Verdrängen und Verbannen alles Negativen bei gleichzeitiger Terrorisierung mit Positivem benannt und angeprangert hat.
Vor vierzig Jahren befand der Medienwissenschaftler Neil Postman, dass wir uns zu Tode amüsieren (5). Heute könnte man sagen, dass wir uns zu Tode lachen.

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Quellen und Anmerkungen:
(1) Siehe Menath, Johannes: „Moderne Propaganda: 80 Methoden der Meinungslenkung“, Höhr-Grenzhausen, 2022, Seite 32.
(2) Ebenda. Seiten 32 folgende.
(3) Vergleiche Han, Byung-Chul: „Palliativgesellschaft“, Berlin, 2022, Matthes & Seitz, Seiten 58 folgende.
(4) Ehrenreich, Barbara: „Smile or die: Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt“, München, 2010, Kunstmann.
(5) Postman, Neil: „Wir amüsieren uns zu Tode“, 1985.