Tote Kinder beim Namen nennen

Die New York Times hört endlich damit auf, das Wort „Genozid“zu vermeiden — damit haben die Israel-Apologeten die Debatte verloren.

Die New York Times veröffentlichte den Kommentar eines Genozidforschers, in dem dieser äußert, er habe sich so lange wie möglich geweigert, die Wahrheit dessen anzuerkennen, was Israel in Gaza tut, könne nun jedoch das Offensichtliche nicht länger leugnen. Dies ist ein Eingeständnis, das genauso gut von der New York Times selbst hätte kommen können. In einem Artikel mit dem Titel „Ich bin Völkermordforscher. Ich erkenne einen solchen, wenn ich ihn sehe“ argumentiert Omer Bartov, Professor der Brown University für Holocaust- und Genozidstudien, dass „Israel buchstäblich versucht, die palästinensische Existenz in Gaza auszulöschen“, und verurteilt seine Kollegen aus dem Holocaust-Forschungsbereich dafür, die Wirklichkeit nicht anzuerkennen.

„Ich bin zu dem unausweichlichen Schluss gekommen, dass Israel einen Völkermord an den Palästinensern begeht“, schreibt Bartov.

„Nachdem ich in einer zionistischen Familie aufgewachsen bin, die erste Hälfte meines Lebens in Israel verbracht, als Soldat und Offizier in der israelischen Armee gedient und den Großteil meiner Karriere über Kriegsverbrechen und den Holocaust geforscht und geschrieben habe, war dies eine schmerzhafte Schlussfolgerung, gegen die ich mich so lange wie möglich gesträubt habe. Ich unterrichte jedoch seit einem Vierteljahrhundert über Völkermord. Ich erkenne einen solchen, wenn ich ihn sehe.“

Und gesträubt hatte er sich in der Tat. Im November 2023 schrieb Bartov einen anderen Kommentar für die New York Times, in dem zu lesen war:

„Als Genozidhistoriker bin ich davon überzeugt, dass es keine Beweise für einen gegenwärtig in Gaza stattfindenden Völkermord gibt, wenngleich es sehr wahrscheinlich ist, dass Kriegsverbrechen und sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden.”

Offenbar sieht er nun den Beweis dafür und hat aufgehört, sich gegen das zu wehren, was von Anfang an klar war. Und es scheint, als hätten auch die Redakteure der Gray Lady aufgehört, sich zu sträuben (Anmerkung der Übersetzerin: „Gray Lady“ wird die New York Times aufgrund der stattlichen Erscheinung des Gebäudes und der Autorität und des Einflusses, die sie seit Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend gewonnen hat, genannt).

Die New York Times — bekannt für ihre ausführlich dokumentierte Parteilichkeit für Israel — hat seit Beginn der Angriffe auf Gaza den Gebrauch des G-Wortes („Genozid“) auf ihren Seiten fanatisch vermieden. Selbst in den Meinungs- und Analysebeiträgen hat sich die Overton-Sparte der NYT dagegen gesperrt, die Angelegenheit als komplexes Thema einer harten Debatte darzustellen — Schlagzeilen wie „Des Völkermordes angeklagt, sehen Israelis eine Umkehrung der Wirklichkeit. Palästinenser sehen Gerechtigkeit“ und „Der bittere Kampf um die Bedeutung von ‚Völkermord‘“ kommen der pro-palästinensischen Seite der Debatte noch am nächsten. Gleichzeitig sahen wir in Bezug auf den Sudan Schlagzeilen wie „Aus der glimmenden Asche eines alten Völkermordes entsteht möglicherweise ein neuer“.

In einem internen Memo, das The Intercept letztes Jahr zugespielt wurde, wurden Reporter der New York Times ausdrücklich angewiesen, das Wort „Genozid“ sowie Begriffe wie „ethnische Säuberung“ und „besetztes Gebiet“ zu vermeiden.

„‚Genozid’ ist ein spezifischer Begriff im Völkerrecht“, ist in dem Memo zu lesen.

„Wenn wir es verwenden, sollte dies allgemein nur im Rahmen dieser rechtlichen Parameter geschehen. Auch sollten wir hohe Maßstäbe anlegen, wenn wir anderen erlauben, es — sei es in Zitaten oder nicht — im Sinne einer Anklage zu verwenden, es sei denn, dies erfolgt im Rahmen einer stichhaltigen Argumentation zur rechtlichen Definition.“

Anfang de Jahres zog das American Friends Service Committee seine bezahlte Anzeige in der New York Times, in der ein Ende des Genozids in Gaza gefordert wurde, zurück und erklärte, die Zeitung habe verlangt, das Wort „Genozid“ durch „Krieg“ zu ersetzen, um die Anzeige zu veröffentlichen. Etwas hat sich also signifikant verändert.

Um eines klarzustellen: Diese Analyse von Omer Bartov ist an sich nicht bedeutsam. Er gibt lediglich wieder, was Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, Menschenrechtsexperten der UNO und die überwiegende Mehrheit führender Autoritäten zum Thema Genozid bereits geäußert haben.

Es ist jedoch bedeutsam, dass selbst Experten, die sich aufgrund ihrer Parteilichkeit für Israel dagegen gesträubt haben, die Realität des Genozids in Gaza anzuerkennen, dies nun nicht mehr tun, und dass sich selbst die „herausragenden“ Medien, die sich dem Vertuschen des Völkermords am teuflischsten verschrieben haben, nun verstecken.

Die Israel-Apologeten haben die Debatte verloren. Sie mögen es noch nicht wissen, aber es ist so. Sobald den Menschen die Augen für die tatsächlichen Geschehnisse in Gaza geöffnet wurden, hat sich die öffentliche Meinung endgültig gegen sie gewendet, und anstatt mit dem sinkenden Schiff unterzugehen, entscheiden sich immer mehr Propagandisten dafür, zu retten, was von ihrer angeschlagenen Glaubwürdigkeit noch vorhanden ist.

So langsam beginnt die Wahrheit, sich Gehör zu verschaffen.

Macht weiter. Kämpft weiter. Widersetzt euch weiter.

Es funktioniert.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The New York Times Finally Stops Avoiding The G-Word“ auf dem Blog von Caitlin Johnstone. Er wurde von Gabriele Herb ehrenamtlich übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratteam lektoriert.