Sowohl als auch
Klare Statements bringen uns oft Beifall ein — der Wahrheitsfindung und der Persönlichkeitsentwicklung dient es jedoch eher, Gegensätze zu integrieren.
„Eure Rede aber sei: Ja! Ja! Nein! Nein! Was darüber ist, das ist vom Übel.“ So soll es Jesus in der Bergpredigt gesagt haben. Menschen, die sich nicht klar entscheiden können, sehen sich oft dem Spott der „Eindeutigen“ ausgesetzt. Sie gelten als „weder heiß noch kalt“ oder „nicht Fisch, nicht Fleisch“. Gerade unterkomplex Denkende fordern oft bedingungslose Gefolgschaft: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“. Dabei liegen die Dinge manchmal nicht so einfach, liegt die Wahrheit in der Mitte zwischen den Extremen. Wer sich vorschnell auf eine Seite schlägt, spaltet häufig jenen Teil seiner Persönlichkeit ab, der „nicht ins Bild passt“. Sollte man politisch links oder eher rechts sein? Ist es besser, auf sein Herz zu hören oder auf seinen Verstand? Solche Fragen sind oft Gegenstand quälender innerer und äußerer Auseinandersetzungen. Der Zwang, sich entscheiden zu müssen, begrenzt die Wahlmöglichkeit unnötig und führt zu einer Verarmung der Persönlichkeit. Uwe Froschauer ist bekannt dafür, gegenüber unfähigen Politikern klare Kante zu zeigen. In seinen Lebensratgeber-Artikeln lehrt er dagegen die Kunst des Differenzierens. Im dritten Teil der Reihe „Persönliche Entwicklung“ zeigt er, dass es oft weiser ist, die Synthese zwischen verschiedenen Optionen anzustreben.
Werte Leserinnen und Leser,
der erste Teil dieser Beitragsserie handelte von Hinderungsgründen für eine fortschreitende persönliche Entwicklung, der zweite Teil von Haben und Sein. Dieses Kapitel beleuchtet die Vielfältigkeit und Buntheit eines „Sowohl-als-auch-Fühlens und -Denkens“ im Vergleich zu einem trostlosen „Entweder-oder-Denken“ in Schwarz-Weiß.
Folgen eines Entweder-oder-Denkens
Wenn mein hochgeschätzter Bruder Willi und ich als kleine Buben einen Western oder Abenteuerfilm angesehen haben, war es für uns immer wichtig festzustellen, wer denn die Guten und wer die Bösen seien. Wir haben sehr stark in den Kategorien „Entweder/Oder“ gedacht. Es gab meist nur Schwarz oder Weiß. Für kleine Jungs ist das auch okay, wenn sie durch diese duale Denkweise versuchen, etwas Struktur in die Unübersichtlichkeit ihrer reizüberfluteten Welt zu bringen. Als Erwachsener begeben Sie sich jedoch mit dieser Betrachtungsweise in eine Einbahnstraße oder gar in eine Sackgasse. Zwischen Schwarz und Weiß gibt es ein ganzes Spektrum an Farben, und mit dem Leben ist das ebenso. Einseitige Sichtweisen werden der Volatilität, Unsicherheit, Ambiguität und Komplexität der heutigen Zeit in keiner Weise mehr gerecht.
Auch Unternehmen beispielshalber verabschieden sich zunehmend von einem Denken in „Entweder-oder“-Kategorien. So haben beispielsweise Automobilhersteller regen Schlagabtausch auf der Absatzbühne, im Forschungs- und Entwicklungsbereich dagegen kooperieren sie häufig. Das eine schließt das andere nicht aus. Wer „A“ sagt, muss nicht zwangsläufig „B“ sagen.
Natürlich gibt es noch immer ewiggestrige Personen, Personengruppen und Institutionen, wie zum Beispiel Antidemokraten, die vorgeben, die Demokratie zu schützen, indem sie Brandmauern aufbauen. Sie glauben – gefangen in ihrem Narzissmus –, die einzig richtige Weltsicht zu haben. Zu dieser Einstellung gehört meines Erachtens auch eine gehörige Portion Dummheit. Dumme Menschen bezeichnen oftmals die Dinge als dumm, die sie selbst nicht verstehen. Viele Religionen oder Ideologien beziehungsweise einige ihrer Vertreter meinen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, und lassen die Ansichten anderer nicht gelten. Während der Coronadiktatur wurden Andersdenkende diffamiert, diskreditiert und etikettiert und als „Volksschädlinge“ betrachtet, ebenso wie aktuell Pazifisten, zumal die unheilbringenden „Kriegstüchtigen“ in der Mehrzahl sind.
Meinungspluralismus ist der Kern der Demokratie, Dissens ist die Essenz der Wissenschaft.
Die Mehrheit hat historisch gesehen selten recht gehabt. Mit aus der Luft gegriffenen Narrativen der Macht- und Besitzeliten und ihrer politischen, medialen und wissenschaftlichen Handlanger schreitet die Verblendung ferngesteuerter Tagesschaupapageien voran. Ihnen wird beispielsweise aus „berufenem“ Munde verkündet, die Coronamaßnahmen wären alternativlos. In einem Video‑Podcast im April 2021 sagte die seinerzeit amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel:
„So sehr man sich wünschen würde, es gäbe weniger belastende Wege, die dritte Welle zu brechen … — es gibt sie nicht.“
Sie erklärte die „Corona-Notbremse“ als dringend nötig und alternativlos, um die dritte Infektionswelle zu stoppen, und rechtfertigte damit den maßgeblichen Lockdown-bedingten Eingriff in die Grundrechte der Bürger.
Die Folgen dieses „Entweder-oder-Denkens“ sind Ihnen hinreichend bekannt. Aktuell wird uns die den Sozialstaat schädigende und Weltkrieg provozierende Aufrüstung als alternativlos erklärt, weil sonst der böse Russe 2029 — laut Verteidigungsminister Boris Pistorius — vor der Türe stehen könnte.
Was für ein hirnverbrannter Schwachsinn!
Jeder, der behauptet, seine Lösung wäre alternativlos, dem glaube ich nicht. Es gibt immer eine Alternative — im Ukraine-Konflikt sofortige Verhandlungen.
Wie diese Beispiele zeigen, können durch das Entweder-oder-Denken unheilvolle Situationen wie Freiheitsberaubung, Gesundheitsschädigung, unnötige Tote, Auseinandersetzungen und Kriege entstehen, weil man andere Meinungen und Wege nicht zugelassen hat.
Vor circa 2000 Jahren kam einmal ein persönlich höchst entwickelter Mann, ein „Wandercharismatiker“ daher, der meinte, dass man zur Abwechslung ja auch mal nett zueinander sein könnte. Das meinte das zu bekehrende Volk jedoch nicht — und hat ihn kurzerhand ans Kreuz genagelt. In vielen bayerischen Klassenzimmern hängt — gesetzlich verordnet — ein Kreuz, was ich als okay, aber nicht als unabdingbar empfinde. Böse und satirische Zungen behaupten, dass das Kreuz den Schutzbefohlenen auch zeigen soll, was passiert, wenn man die Wahrheit spricht.
Manchmal habe ich den Eindruck, wir hätten uns mental seit dieser Zeit kaum weiterentwickelt. Unsere „wertegeleitete“ Regierung — insbesondere die Union — sieht beispielsweise zu, wie in Gaza Kinder verhungern, und geht erst einmal in die Sommerpause, anstatt heute dafür zu sorgen, dass dieses Morden aufhört.
Ich frage mich, was in diesen weichen Keksen — die Biologen noch als Gehirne bezeichnen mögen — vorgeht. Und warum gibt es so viel Elend auf dieser Welt? Nicht zuletzt deswegen, weil die Regierenden nur in Entweder-oder-Kategorien denken können oder zumindest so tun als ob.
Sowohl-als-auch-Denken und -Fühlen
Eine absolute Wahrheit gibt es nicht, auch wenn engstirnige Menschen dies behaupten. Es gibt gut acht Milliarden Menschen auf der Erde — und damit acht Milliarden Welten und Wahrheiten, weil jeder Mensch die Welt ein wenig anders „wahr“-nimmt. Vergleichen wir doch die Wahrheit mal mit einem Berg. Ein Architekt, der sich auf den Weg zur Bergspitze macht, nimmt vielleicht vermehrt die schönen Berghütten wahr, der Botaniker die herrlichen Pflanzen, und der Zoologe die verschiedenen Tiere, denen er begegnet. Jeder nimmt diesen Berg ein wenig anders wahr — aber es ist derselbe Berg.
Man sollte anderen Menschen ihre Sichtweise lassen und sich an der eigenen „Wahrheit“ erfreuen. Niemand kann sagen, wie die Welt real funktioniert, weil sie auf jeden anders „wirkt“. Das ist der Unterschied zwischen objektiver Realität und subjektiver Wirklichkeit.
In vielen Lebensbereichen macht sich immer mehr ein „Sowohl-als-auch-Denken und -Fühlen“ breit. Durch trennendes Denken kommt man in der persönlichen Entwicklung nur schwer oder gar nicht voran.
Das Spektrum der Möglichkeiten, die Vielfalt der Welt wird durch ein „Entweder-oder-Denken“ verarmt.
Die selbst angelegten Fesseln dieser Denk- und Fühlweise verhindern das Augenöffnen für die Vielfalt der Welt. Durch eine Erweiterung der Sichtweise wird der „graue“ Alltag zu einem „farbigen“ Ereignis mit vielen neuen Erlebnissen und Begegnungen.
Sollte man dieses seit der Kindheit antrainierte trennende, duale Denken in „gut und böse“, in „normal und anormal“, in „richtig und falsch“, in „gläubig und ungläubig“, „stark und schwach“, „ehrlich und unehrlich“, „mutig und ängstlich“ und so weiter nicht langsam einmal ablegen?
Wer möchte sich erheben und ein Urteil fällen, was beispielsweise richtig oder falsch ist? Man kann sagen „gefällt mir“ oder eben nicht, oder „passt mir“ oder eben nicht. Man muss anderen Meinungen ja nicht zustimmen, aber man sollte sie gelten lassen. Ich denke, es wäre viel gewonnen, wenn Menschen zumindest einmal versuchen würden, sich irgendwelchen Sachverhalten möglichst unvoreingenommen zu stellen und sich selbst zu prüfen, wie ihre jeweilige Sichtweise entsteht beziehungsweise entstanden ist.
Handelt es sich vielleicht um ein Gedankengut, das einem in der Kindheit eingetrichtert wurde? Handelt es sich möglicherweise um ein Vorurteil — also um ein Urteil ohne die hierfür notwendige Informationslage — oder um eine Meinung, die sich der Meinende nicht selbst gebildet hat? Ist man womöglich fremdgesteuert? Selbstkritische Menschen stellen sich diese Fragen. Viele Leute rennen jedoch irgendwelchen Meinungsbildnern hinterher, da sie entweder unfähig oder unwillig sind, sich eine eigene Meinung zu bilden. Darauf bauen viele Gruppierungen und Rattenfänger wie aktuell die Kriegstreiber, die nichts Gutes im Sinne haben.
„Der Edle kann eine Sache von allen Seiten ohne Vorurteil betrachten, der kleine Mann ist voll von Vorurteilen und kann eine Sache nur von einer Seite betrachten.“
(Konfuzius)
Das Problem ist, „Kleinheit“ ist sich ihrer Kleinheit nicht bewusst, und wahre Größe zeigt ihre Größe nicht. Kleingeister glauben, alles richtig zu machen, und führen sich letztendlich selbst — und leider auch andere — zur Schlachtbank.
Unerfreulicherweise beginnen auch die Revolutionen des „Teufels“ in den Köpfen der Leute. Ihnen wird ein „teuflisches“ Gedankengut schleichend in ihre Gehirne verpflanzt, das sich ausweitet bis zu der „Erkenntnis“ und Rechtfertigung, dieses Denken sei richtig. Und es dauert nicht lange, bis Bücher Andersdenkender verbrannt, Beiträge im Internet zensiert, Kunstwerke als entartet bezeichnet und vernichtet werden oder sich Ausschreitungen gegen Andersdenkende entwickeln.
Der Mensch ist sowohl ehrlich als auch unehrlich. Es ist nicht schlimm, auch einmal „unehrlich“ zu sein, wenn es beispielsweise der „gute Ton“ gebietet. Wie viele Notlügen gebrauchen wir jeden Tag? „Hat es geschmeckt?“ „Ja, war gut!“ — auch wenn man das Essen nur mit größter Mühe hinuntergebracht hat. Warum soll man den anderen auch beleidigen oder verletzen, nur um immer ehrlich zu sein? Nein, man kann sowohl als auch sein. Manchmal ist es gerade aus altruistischen Gründen besser, nicht ganz die Wahrheit zu sagen.
Man muss nicht immer etepetete und anderen gefällig sein. Nein, man kann auch mal auf den Tisch hauen und seine Wut rauslassen. Ein Gewitter reinigt die Luft! Und wenn man mal eine aggressive Semmel gefrühstückt hat, dann ist das eben so. Es bringt nichts, wenn die angestaute Aggressivität nicht entweichen kann, und man nur äußerlich friedlich bleibt. Das bereitet im wahrsten Sinne des Wortes Kopfzerbrechen, weil die Energie nicht entfliehen kann. Wenn man Wut nicht ab und zu entweichen lässt — wie ich zum Beispiel hin und wieder beim Schreiben oder indem ich einen Sandsack malträtiere —, werden andere, meist kleinmütige Menschen umso mehr ihre Wut an einem auslassen, weil man von diesen Kleingeistern eventuell als „Opfer“ erkannt wird.
An dieser Stelle scheint es angebracht, einen kleinen Exkurs zu den „fünf inneren Antreibern“ zu starten. Vielleicht haben Sie schon einmal von diesen Antreibern gehört, die aus Erfahrungen unserer Kindheit und Jugend stammen. Unser jetziges Verhalten wird sehr stark von diesen meist elterlichen Botschaften, diesen verinnerlichten Lebensregeln geprägt. Das Dumme daran ist nur, dass wir uns dieser Antreiber meist gar nicht bewusst sind und sie deshalb auch nur schwer verändern können. Diese Antreiber gereichen uns nicht nur zum Nachteil. Sie können sich auf unser Verhalten und damit auf unser Leben positiv, aber auch negativ auswirken.
Voilà, hier sind die fünf inneren Antreiber:
1. „Sei perfekt!”
Sollte dieser Antreiber besonders stark wirken, dann fordert er Vollkommenheit von Ihnen, die Sie aber auch von anderen erwarten. Sie wollen alles bis zur Perfektion treiben, was natürlich einen immensen Aufwand verursacht. Wenn Sie mal die 20/80-Regel von Herrn Pareto (italienischer Wirtschaftswissenschaftler) annehmen, würde das bedeuten, dass Sie für die letzten 20 Prozent Exaktheit circa 80 Prozent des gesamten zeitlichen oder auch energetischen Aufwands in Kauf nehmen würden. Eingereiht in die Riege der Überexakten können Sie dann sagen, Sie erledigen alles — was aber aufgrund Zeitmangels nicht viel ist — immer perfekt. Ist das erstrebenswert?
Die inneren Überzeugungen der in den Perfektionismus getriebenen sind: „Ich muss immer noch besser werden” und „Ich bin noch nicht gut genug” oder „Mach bloß keine Fehler“. Tja, da bauen manche Eltern auch ziemlichen Mist, wenn ich das mal so sagen darf, wenn sie genau diese übertriebene Erwartungshaltung bei ihren Kindern aufbauen. Das Kind wird sich nie gut genug fühlen und leidet eventuell irgendwann an Minderwertigkeitskomplexen.
Oftmals sind solchermaßen Getriebene nicht besonders tolerant den weniger Perfekten gegenüber.
Natürlich hat dieser innere Antreiber auch die positive Seite, nämlich, dass so getriebene Menschen keine halben Sachen machen.
Sie können ab und zu mal perfekt sein, aber auch mal fünf gerade sein lassen.
2. „Streng Dich an!”
„Ohne Fleiß kein Preis“, „Gib dein Bestes“, „Gib alles, dann kommt auch was dabei raus“. Wobei hier nicht im Vordergrund steht, dass etwas dabei herauskommt, sondern dass man alles versucht hat. Weniger das Resultat, sondern der Einsatz zählt. Mal auf der Couch liegen und sich gehen lassen, macht einem so Getriebenen schnell mal ein schlechtes Gewissen. Genuss hat da gleich was Anrüchiges. Für in diese Richtung Getriebene ist nur das, was man schwer, im Schweiße seines Angesichts erreicht hat, von Wert.
„Du spürst nicht die Blumen duften,
kennst nur arbeiten und nur schuften.
So gehn sie hin, die schönen Jahre
bis du endlich liegst da auf der Bahre,
und hinter dir, da lacht der Tod:
Kaputtgeackert, Vollidiot!“
Derartig Getriebene werden von der inneren Überzeugung getragen, sie müssten sich noch mehr bemühen und zusammenreißen.
Positiv ist anzumerken, dass diese Art von Getriebenen ein sehr starkes Durchhaltevermögen ihr Eigen nennen.
Man kann sich in vielen Angelegenheiten, die einem vielleicht wichtig sind, anstrengen, aber Dinge auch mal schleifen lassen — und das ohne schlechtes Gewissen!
3. „Sei gefällig!”
Dazu neigen Personen, die nicht Nein sagen können und immer allen alles recht machen wollen! Man will ja nicht egoistisch sein, nicht wahr? Ein „gesunder“ Egoismus scheint jedoch angebracht. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß hat mit folgenden Worten die Problematik des „Gefällig-Seins“ auf den Punkt gebracht:
„Everybody’s darling is everybody’s Depp.“
Derart Getriebene versuchen durch Gefälligkeit und Anpassung einer möglichen Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Ich denke, „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“ ist auf längere Sicht der bessere Lebens- beziehungsweise Glaubenssatz. Wenn jemand durch diesen inneren Antreiber dominiert wird, ist er zwar einigermaßen beliebt, wird aber oftmals ausgenutzt, nicht ernst genommen und als „Weichei“, „Hascherl“ oder „leere Hose“ wahrgenommen und bezeichnet. So Getriebene befürchten, dass sie keine Zuwendung mehr erfahren, wenn sie Nein sagen.
Als positiv ist anzumerken, dass diese Spezies sehr sensibel, sozialverantwortlich und achtsam ist.
Wo liegt das Problem, auch mal Nein zu sagen? Sowohl „Ja“ als auch mal „Nein“ ist okay! Ständige Neinsager nerven ebenso wie fortwährende Jasager.
4. „Sei stark!”
Sprüche wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, „Sei keine Sissi“ oder „Du Weichei“ kennt so ziemlich jeder männliche Zeitgenosse. Folgen des Antreibers „Sei stark“ sind bei Jungs des Öfteren schwachsinnige Aktionen wie beispielsweise Mutproben, die ja nicht immer glimpflich verlaufen. Aber ist halt so, da muss man durch als Junge, und wer sich eine Blöße gibt oder Gefühle wie Angst oder zumindest Zweifel zulässt, ist bei den Ober-Rabauken gleich unten durch. Ich war ja ebenso bescheuert. Innerlich glauben diese Getriebenen, keine Schwäche zeigen und keine Hilfe annehmen zu dürfen.
„Du bist stark, du darfst aber auch schwach sein. Sonst zwingt dich das Leben in die Schwäche — nicht weil es dich bestrafen möchte, sondern weil es sein Gesetz ist.“ So oder so ähnlich hat es Autor und Coach Robert Betz in einer Rede zum Weltfrauentag verlauten lassen.
Die positive Seite des „Starkseins“ ist natürlich die Festigung des Selbstbewusstseins durch diesen Antrieb, zumindest solange man „stark“ ist.
Dieser Antreiber trägt zu einem großen Teil zur Unfähigkeit beziehungsweise zum Unwillen der Männer bei, ihre Gefühle zu zeigen oder darüber zu reden. Die meisten Männer empfinden es als Schwäche und Verweichlichung, als Abkehr von der Männlichkeit, wenn sie sich zu ihren Gefühlen bekennen sollen. Das besonders „männliche“ Umfeld, die besonders „harten Kerle“ werden auch nicht zögern, den Abtrünnigen mit Worten wie „Pussy“ oder „Sissi“ wieder auf den harten Weg der „Männlichkeit“ zurückzuführen. Ja, das sind eben Supermänner, die im Grunde nur Angst haben, nicht mehr als Mann erkannt zu werden — also Angsthasen.
Man kann sowohl stark und man darf ab und zu auch schwach sein. Wenn ein Mensch versucht, immer alles unter Kontrolle zu halten, immer nur stark zu sein, wenn er seine Verletzlichkeit nicht offenbart, wird das Leben ihn zur Schwäche zwingen.
Zudem ist die Umwelt des „Starken“ ja nicht blind und taub.
5. „Beeil dich!”
Dieser Antreiber „verstärkt“ die Wirkung der anderen vier Antreiber. Alles soll immer so schnell wie möglich gehen. „Trödel nicht“, „Was träumst denn schon wieder“, „Mach mal hinne“, „Nicht dass du einschläfst …“
Derartig Getriebene stehen ständig unter dem Druck, immer alles schnell erledigen zu müssen — sie dürfen keine Zeit vergeuden.
Der Weise kennt keine Eile, und der Eilende ist nicht weise. Der Weise ist sich darüber im Klaren, dass durch Hast Fehler passieren. Deshalb: „Eile mit Weile“, wie ein treffendes deutsches Sprichwort sagt.
Positiv wirkt sich bei diesem Antreiber die zügige Arbeitsweise der Betroffenen aus.
Beim Autofahren wünsche ich mir manchmal, dass mein Vordermann, der schon seit fünf Minuten die linke Spur auf der Autobahn mit 100 km/h blockiert, diesen inneren Antreiber sein Eigen nennen könnte.
Wie dem auch sei, Sie müssen sich nicht immer beeilen. Sie können Dinge auch mal gemächlich angehen, sonst kommen Sie nicht zur Ruhe.
Haben Sie Ihre inneren Antreiber und deren Auswirkung auf Ihr Leben erkannt? Gefahr erkannt, Gefahr gebannt, wie es so schön heißt. Die inneren Antreiber bestimmen einen Großteil Ihrer Handlungen. Wenn Sie sich dieser Antreiber bewusst sind, können Sie diese auch besser steuern. Sie müssen nicht immer stark, perfekt, gefällig, fleißig und schnell sein. Diese Erwartungshaltung sollten Sie sich selbst gegenüber nicht hegen. Ihnen sollte bewusstwerden, nicht entweder so oder so sein zu müssen. Sie können sowohl als auch sein.
Hör auf deinen Bauch und benutze deinen Verstand
Jeder von uns trifft tagtäglich Entscheidungen, egal ob es sich um solche mit kurzfristiger Auswirkung handelt — wie zum Beispiel „Was zieh ich heute an?“, „Kauf ich mir den grünen oder den blauen Pulli?“ — oder um Entscheidungen mit langfristiger Auswirkung, wie zum Beispiel: Kinder ja oder nein, Heiraten ja oder nein, eigene vier Wände ja oder nein, alter oder neuer Job, und so weiter. Einerlei um welche Art von Entscheidung es sich dreht, bei unserer Willensbindung sind immer Kopf und Bauch beteiligt.
Die Frage ist natürlich, mit welchem Auswahlsystem — Kopf oder Bauch — treffen wir die besseren Entscheidungen? Ein ziemlich schwieriges Thema und eine subjektive Angelegenheit, da „Kopfmenschen“ ihrem Verstand den Vorzug geben, und „Bauchmenschen“ eher auf ihre Intuition bauen. Zudem kommt es auch auf die Art der Entscheidung in der jeweiligen Situation an, wie viel Kopf beziehungsweise Bauch beteiligt sein sollte. Eine strategische Entscheidung wie beispielsweise einen Jobwechsel werden Sie wohl mehr durchdenken als eine operative, wie beispielshalber: „Was esse ich heute, Spaghetti oder Fitness-Salat?“
„Das Schwierigste im Leben ist, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten. In meinem Fall verkehren sie noch nicht mal auf freundschaftlicher Basis.“
Woody Allen
Durch eine Gemeinschaftsarbeit von Vernunft und Intuition kommt man vermutlich zu ausgewogeneren Entscheidungen. „Verkopfte“ Menschen sollten vielleicht mehr auf ihren Bauch hören, wenn er ihnen ein ungutes Gefühl bei der Entscheidungsfindung signalisiert. Unser Bauchgefühl ist meist ein guter und auch schneller Wegweiser, da man Dinge nicht in der Tiefe durchdenken muss, sondern dem Gefühl nur nachzugeben braucht.
Oliver, Claus und ich hatten im Dschungel in Sulawesi einmal das Problem eines defekten Kompasses (GPS gab es noch nicht). Wir standen oftmals vor der Entscheidung, diesem oder jenem Trampelpfad zu folgen. Wir orientierten uns bei Gelegenheit auch an der Sonne, wenn wir überlegten, welchen Weg wir wählen sollten. Letztendlich haben wir aber meist auf unseren Bauch gehört und sind immer — wenn auch ab und zu auf Umwegen — am Ziel angekommen.
Es wäre dennoch nicht richtig zu sagen, die Intuition sei prinzipiell der bessere Ratgeber. Die Mischung macht‘s!
Dennoch, wenn man sich nur an der rationalen Komponente bei seinen Entscheidungen orientiert, dürfte sich die Lebensqualität erheblich verschlechtern, da eigene Bedürfnisse unterdrückt werden. Macht Ihnen beispielsweise der Job absolut keinen Spaß mehr, das Gehirn trichtert Ihnen jedoch unablässig ein: „Hier hast du ein geregeltes Einkommen, mit dieser Arbeit kannst du die Existenz deiner Familie sichern, hier bist du wer …“, und so weiter, werfen Sie letztendlich einen erheblichen Teil Ihrer Lebenszeit in den Orkus. Sie opfern die so wichtige Lebensqualität Ihrem Lebensstandard. Andererseits besteht bei reinen Bauchentscheidungen natürlich die Gefahr, wichtige Aspekte einer Entscheidung nicht ausreichend zu berücksichtigen; beispielsweise, dass der neue Job eventuell einen Umzug zur Folge hätte, wodurch Sie, Ihr Partner und die möglicherweise vorhandenen Kinder Ihre vertraute Umgebung aufgeben müssten und von Ihren Freunden „distanziert“ würden, und so weiter.
Selbstverständlich ist dieses wichtige Thema auch wissenschaftlich des Öfteren erforscht worden. Ein paar gewonnene Erkenntnisse möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:
António Damásio, ein portugiesischer Neurologe, hat sich mit den untrennbaren rationalen und emotionalen Vorgängen, die Denk-, Entscheidungs- und Handlungsprozesse beeinflussen, auseinandergesetzt. Damásio zufolge helfen bei Entscheidungen sogenannte „somatische Marker“, die — auf Erfahrungen beruhende — Informationen mit möglichen Handlungen verbinden. Ehemalige emotionale Ereignisse helfen demnach bei der Interpretation der Entscheidungssituation und letztendlich bei der Entscheidung. Waren die für die Entwicklung der somatischen Marker zuständigen Gehirnregionen bei den Versuchsteilnehmern geschädigt, hatten die betroffenen Personen ernsthafte Probleme mit ihrem Entscheidungsverhalten.
„Bauch sagt zu Kopf ja, doch Kopf sagt zu Bauch nein, und zwischen den beiden steh ich…“, wie es ein Lied von Mark Forster ausdrückt, beschreibt diese zwei Komponenten des Entscheidungsverhaltens recht gut. Beide Teile können konkurrieren, aber auch kooperieren. Manchmal entsteht eben ein richtiger Wettstreit zwischen den beiden wesentlichen Bestimmungsgrößen unseres Entscheidungssystems.
Gerade in Herzensangelegenheiten sollte man doch lieber dem Bauch, also dem Herzen den Vorzug geben, da man sonst Gefahr läuft, emotional zu vereinsamen.
Ein Patentrezept, wie die Mischung zwischen Bauch und Kopf bei Entscheidungen genau aussehen sollte, gibt es natürlich nicht. Vielmehr ist es ein auf Erfahrung beruhender Lernprozess, wann man besser auf seinen Bauch hören und in welcher Situation der Kopf verstärkt zum Einsatz kommen sollte.
Ende März und Anfang April 2025 wurden meine beiden Bücher
„Die Friedensuntüchtigen“ und „Im Taumel des Niedergangs“ veröffentlicht.
Rezension zu diesem Buch: Manova
Rezension zu diesem Buch: Wassersaege