Die Würfel-Wüste

Weltweit wuchert die architektonische Verödung der Städte, sodass Körper, Geist und Seele der Menschen in den monokulturell-modernistischen Tetris-Bauten zu verkümmern drohen — die Suche nach Ursachen und Auswegen ist existenziell. Teil 4.

Die grauen Herren sind auf dem Siegeszug! Die Gestalten aus Michael Endes „Momo“, die den Menschen Zeit, Lebensfreude und letztlich ihre Seele rauben, finden offenkundig ihren Ausdruck in der modernen Architektur — und das fast weltweit. In nahezu jeder Stadt macht sich die Würfel-Wüste breit. Allerorts sprießen neue Siedlungen aus dem Boden, bestehend aus weltweit gleich aussehenden, aalglatten, seelenlosen, ahistorischen und wahrlich hässlichen Quadern. Es ist eine Architektur, die mit ihrer Monotonie global Stadtbilder verpestet. Das zeigt sich im Falle Europas in aller Deutlichkeit, wagt man den Vorher-Nachher-Abgleich mit historischem Bildmaterial. Wo insbesondere in Vorkriegszeiten noch schön verzierte, facettenreiche und detailverliebte Gebäude thronten, wuchern heute im Stadtbild wie bösartige Geschwüre graue Kästen im globalistisch genormten Einheitsstil. Wo hat diese systematische Verödung ihren architektonischen, geistigen, seelischen und ideologischen Ursprung? Warum scheinen sich so wenige Menschen daran zu stören? Selbst dann nicht, wenn sie in genau diesen Häusern leben müssen — oder es sogar freiwillig vorziehen, dort zu leben? Die vorliegende Serie geht diesen Fragen nach. In Essays — sowie in Interviews mit Architekten, Stadtplanern und Visionären — sollen nicht nur die Probleme skizziert, sondern auch wirkliche Lösungen und lebenswürdige Alternativen aufgezeigt werden. Die Frage nach der Rettung der Architektur und der Stadtgestaltung ist dabei alles andere als eine First-World-Problem-Befindlichkeit. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich brachte es einmal trefflich auf den Punkt, als er bereits 1965 schrieb: „Der Mensch wird so, wie die Stadt ihn macht, und umgekehrt; mit fortschreitender Urbanisierung trifft das auf immer mehr Menschen zu.“ Werden also die Häuser immer unpersönlicher, charakterloser und flacher, dann färbt das zwangsläufig früher oder später auf den Menschen ab. Insofern sind diese Fragen und die darauf zu suchenden Antworten von einer existenziellen Tragweite. Die ersten drei, im Oktober veröffentlichten Teile bildeten den Auftakt dieser Reihe und skizzierten in allen Einzelheiten die tiefgreifende Problematik und Dramatik der Stadt-Verödung, sowie die irreführenden Lösungswege. Fortan möchte diese Reihe den Fokus auf realistische Visionen setzen, auf wahrhaftige Lösungsansätze sowie Wegweiser in eine Zukunft, die architektonisch zum Wahren, Guten und Schönen zurückkehren. Bevor sich diese Serie ab Teil 5 zu einer Interview-Reihe wandelt, soll an dieser Stelle eine kurze Bilanz gezogen werden, denn seit den ersten drei Auftakt-Teilen hat sich einiges getan. Die Aufregung rund um das neue Reizwort „Stadtbild“ hat gezeigt, dass in einer Vielzahl von Menschen das Bedürfnis nach einer Rückverschönerung des urbanen Raums schlummert. Jedoch richtete sich das Augenmerk oft auf die falsche Ursache.

Rekapitulieren wir an dieser Stelle die in den ersten drei Teilen vorgenommene Kartierung der Würfel-Wüste:

  • In Teil 1 arbeiteten wir die ideologischen und gesellschaftlichen Ursachen und Grundgedanken der Würfel-Wüste heraus und skizzierten, was die architektonische Verödung mit der menschlichen Seele anrichtet.
  • In Teil 2 wurde dargelegt, dass die Würfel-Wüste das ästhetische und infrastrukturelle Sprungbrett in die Hölle eines 15-Minuten-Smart-City-Freiluftgefängnisses darstellt.
  • In Teil 3 wurden Scheinlösungen als solche entlarvt. Dazu zählte das wortwörtliche Schönfärben hässlicher Gebäude, das an der Veränderung der Substanz vorbeiging. Ebenso wurden vermeintliche Hoffnungsträgerprojekte wie die Freiheitsstädte als das Gegenteil enttarnt, ebenso die als Architekturstil getarnte Ideologie des Parametrismus. Die zwei zentralen Fragen in diesem Beitrag waren zum einen, wer die Stadt macht, wer also der Souverän in ihr ist. Zum anderen ging es um die elementare Frage, welche Rolle jene Menschen spielen, die der urbane Raum naturnotwendig als Verlierer hervorbringt, das heißt Obdachlose und Kleinkriminelle.

„Er hat ‚Stadtbild‘ gesagt!“

In verschiedenartigsten spirituellen Strömungen gibt es die Überzeugung, dass alles, was in das „kollektive Feld“ eingespeist wird, eine Auswirkung auf das Ganze hat — auf den Äther oder das, was C. G. Jung als das „kollektive Unbewusste“ bezeichnete. Vor dem Hintergrund dieser Annahme ist mir eine bemerkenswerte Koinzidenz ins Auge gestochen. Mit der Auftakt-Trilogie dieser Serie wollte ich die Debatte über die architektonische Verschandelung anstoßen, die ich gleichermaßen im Mainstream, wie auch in den freien und alternativen Medien vermisst habe. Der Podcaster Aron Morhoff brachte es einmal gut auf den Punkt, als er sagte:

„Wir müssten eigentlich jeden Tag eine gesellschaftspolitische Debatte über die Hässlichkeit unserer Städte haben.“

Insofern war es mir ein Anliegen, dass die ersten drei Teile direkt hintereinander erscheinen, was dann letztlich am 14., 15. und 16. Oktober auch geschah.

Zeitgleich mit dem Erscheinen des ersten Teils — und das ist im Zusammenhang mit dem „kollektiven Feld“ beziehungsweise dem „kollektiven Unbewussten“ bemerkenswert — entfachte der BlackRock-Kanzler Friedrich Merz am 14. Oktober einen Sturm im politischen Wasserglas, als er im Stadtbild ein nicht näher definiertes Problem ausmachte. Die durch diesen Shitstorm ausgelöste Welle lässt sich auf Google Trends sehr gut nachvollziehen. Während dieser zum Reizwort mutierte Begriff von 2004 bis 2025 in der Google-Suche keine Rolle spielte, war bereits am 16. Oktober — als der dritte Teil der Würfel-Wüste erschien — ein erster Ausschlag zu erkennen. Sechs Tage später, am 22. Oktober erreichte der Begriff, gemessen an der Häufigkeit seiner Google-Suchen, den Höhepunkt. Ebenfalls dominierte er tagelang auf X die Deutschland-Trends.

Was genau er mit seiner Stadtbild-Aussage gemeint hatte, ließ er im Nebulösen und verwies die Fragenden auf die etwaig eigenen Töchter, die man im Zusammenhang mit dem Stadtbild einmal fragen solle, was er damit gemeint haben könnte.

Bis auf wenige Ausnahmen brachte keine Tochter öffentlichkeitswirksam das problematisierte Stadtbild mit der zunehmend hässlicher und unpersönlicher werdenden Architektur in Verbindung.

Im Deutschen Architektenblatt schrieb die junge, angehende Landschaftsarchitektin Luisa Richter-Wolf in Reaktion auf die Stadtbild-Debatte:

„Ich möchte — auch als Tochter — die Frage beantworten: Was wünsche ich mir für unser Stadtbild (von der Landschaftsarchitektur)? Wenn ich an das ‚deutsche Stadtbild‘ denke, fallen mir in erster Linie hässliche Gebäude mit verfärbten Fassaden, sehr breite Straßen mit vollgeparkten Rändern, kränkelnde Straßenbäume sowie zu enge Bürgersteige und Radwege ein. (…) Ich habe also zuerst einige Wünsche an Planende aus der Architektur: Bitte baut für uns alle so, dass wir uns in unseren Städten wohlfühlen. Einzelne Städte sollten individuelle Gesichter haben, nicht jedes Neubaugebiet gleich aussehen.“

Diese eine — und wohl auch noch einige weitere Stimmen, unter anderem bei funk(!) — gingen im Echo der anderslautenden Auslegung der Stadtbild-Aussage unter. Merz habe wohl nicht die architektonische Verödung gemeint, sondern eine bestimmte Gruppe von Menschen, die in und / oder zwischen diesen lebt, beziehungsweise wohnen muss. Genauer gesagt: Migranten.

Ganz abgesehen davon, dass diese Nothing-Burger-Debatte wieder einmal ein Paradebeispiel für ein der Ablenkung dienendes Empörungsmanagement war, offenbarten die von Merz empörten Kommentatoren doch mehrerlei: Zum einen, dass sie selbst nicht in den Gegenden leben, in denen das Stadtbild aus verschiedenen Gründen als problematisch gilt. Daraus lässt sich auf eine gewisse Milieu-Blindheit schließen — wer selbst entweder im begrünten Randbezirk lebt oder in schicken Hip-Vierteln, kann die Würfel-Wüstenbildung ebenso leicht ausblenden wie die mit der Zuwanderung assoziierte Wucherung von Kebab-Buden, Wettbüros, 1-Euro-Shops und die zunehmenden Leerstände.

Die notwendige Debatte über die Verkommenheit des Stadtbildes wurde von der Architektur weg, hin zu bestimmten Menschengruppen gelenkt.

Erinnert sei hierbei an das im Eingangstext erwähnte Zitat von Alexander Mitscherlich:

„Der Mensch wird so, wie die Stadt ihn macht, und umgekehrt; mit fortschreitender Urbanisierung trifft das auf immer mehr Menschen zu.“

In der Stadtbild-Debatte wurde die Henne-Ei-Frage verdreht, genauer gesagt die Abfolge von Ursache und Wirkung auf den Kopf gestellt. Der Eindruck wurde erweckt, gewisse Menschen allein wären die Ursache dafür, dass das Stadtbild verkomme. Und manch Zeitgenosse mag sich sogar daran stoßen, dass die Anzahl der Kopftücher unter den Passanten zu- und die Zahl der sogenannten „Biodeutschen“ abnimmt.

Das allein liefert jedoch keine Erklärung für den Zustand des Stadtbildes.

Wenn wir an der Annahme festhalten, dass die Umgebung den Menschen formt, und uns dann vergegenwärtigen, dass eine Vielzahl von Geflüchteten, die ab 2015 nach Deutschland und Europa kamen, in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht wurden — bestehend aus Wohncontainern und damit prototypischen Würfel-Wüsten, dann kommen wir nicht umhin, festzustellen, dass Millionen Menschen durch diese trostlose Unterbringung geistig und seelisch geprägt wurden.

Der Begriff „Erstaufnahmeeinrichtungen“ ist irreführend, denn tatsächlich war die Unterbringung an diesem Hort der Trostlosigkeit in vielen Fällen keine Zwischenlösung, sondern ein teils monatelang währender Dauerzustand, in dem die Menschen mangels Arbeitserlaubnis zur Untätigkeit verdammt waren. Es verwundert daher nicht, dass über die Jahre ein (Un)Bewusstsein entstanden ist, das der Schönheit eines Stadtbildes nur wenig Bedeutung beimisst und ebenso wenig dessen Erhaltung achtet.

Während sich die gesamte Stadtbild-Debatte nun auf die fremden Menschen verengt, die ab 2015 nach Deutschland kamen, wird die heimische Stadtbild-Entwicklung in Sachen der Architektur und Stadtplanung im identischen Zeitraum vollkommen außer Acht gelassen. Was sich in etwa zeitgleich ereignete, das war das Wuchern dessen, was insbesondere im ersten Teil der Würfel-Wüste als eben solche skizziert wurde: ein überregional einheitlich aussehender, seriell gefertigter Baustil, bestehend aus aalglatten, grauen, unpersönlichen, abweisenden, modernistischen Quaderbauten mit schmalen Fenstern.

Die Synchronizität, mit der diese Bauten aus dem Boden schossen, ist mit Hilfe bestimmter Methoden nicht von der Hand zu weisen. Jeder kann sich über die Zeitleisten-Funktion bei Google Earth selbst ein Bild davon machen. Im (sub)urbanen Raum Deutschlands zu leben bedeutet inzwischen, dass es unmöglich ist, im Umkreis von zwei Kilometern keine Würfel-Wüste zu finden. Wer sich nicht mehr genau erinnern kann, wann diese Tetris-Bauten errichtet wurden, kann mit besagter Zeitstrahl-Funktion bei Google Earth die Bauphase rückwirkend nachvollziehen.

Ganz gleich, an welche Würfel-Wüste man heranzoomt — zuverlässig wird man immer wieder feststellen, dass diese zwischen 2014 und 2023 errichtet wurden. Besonders zur Veranschaulichung geeignet sind in diesem Zusammenhang die Bahnhofsviertel größerer Städte in Deutschland. Man kann, während man mit dem Maus-Cursor den Regler über die Zeitleiste bewegt, sich nicht des Eindrucks verwehren, als wären sämtliche Bahnhofsviertel Deutschlands von einem Franchiseunternehmen aufgekauft und vereinheitlicht worden — McBahnhof, wenn man so möchte.

Wo bis 2014 rund um die Bahnhofsgebäude unbebautes Brachland lag oder noch alte Gebäude standen, thront nun die in Beton gegossene Einförmigkeit. Sie können selbst den Test bei Ihrer eigenen oder der nächstgelegenen Großstadt auf Google Earth durchführen!

Der primär ausschlaggebende Faktor für die Veränderung des Stadtbildes sind nicht die Millionen fremder Menschen, die ab 2015 nach Deutschland kamen, sondern heimische, das heißt deutsche Immobilienunternehmen, die deutsche Städte mit Tetris-Gebäuden zupflasterten und schlussfolgernd zur ästhetischen und seelischen Verkümmerung des Landes beitrugen.

Insofern war eine Stadtbild-Debatte dringend notwendig — allein galt der Fokus dem falschen. Als besonders herausstechendes Beispiel für die fehlgeleitete Debatte kann die nordkoreanisch anmutende ARD-Sendung „Die 100“ vom 8. Dezember betrachtet werden. Die von Merz initiierte Stadtbild-Debatte wurde dabei so aufgegriffen, dass sich die Sendungsproduktions- und Moderationsteams der Sendung bemüßigt fühlten, den zum Meme gewordenen Family Guy Skin Color Chart real zu inszenieren. Bei diesem Chart handelt es sich um eine rassistische Farbtafel zur Hautfarbenbewertung: Helle Hauttöne gelten demnach als „okay“ und dunklere Hauttöne „nicht okay“.

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Der „Family Guy Skin Color Chart“. © Television / Disney

Dieses Meme wurde in der ARD-Sendung nachgestellt, indem zwei Teilnehmer — eine Hellhäutige und ein Dunkelhäutiger — mit dieser Karte abgeglichen wurden, um festzustellen, ob sie den Hautfarbtest bestehen würden. Suggeriert wurde dabei, dass es in Deutschland mittlerweile — wieder — zur Normalität geworden sei, dass Menschen mit dunklerer Hautfarbe in aller Regel von hellhäutigen Mitbürgern diskriminiert und abgewertet werden. Das ist insgesamt noch einmal ein Thema für sich.

Doch wenn im Kontext eines problematisierten Stadtbildes schon über Farben diskutiert wird, dann wäre es doch an der Zeit gewesen, statt über „people of colour“ über „buildings of colourlessness“ zu sprechen! Der in den umgedrehten, gegen Weiße gerichteten Rassismus-Ideologien gern verwendete Begriff der „white fragility“ trifft viel mehr auf die eintönigen, trostlosen Neubauten zu, als auf Menschen.

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Die Debatte, die geführt wurde, versus die Debatte, die eigentlich hätte geführt werden müssen. Screenshot: © ARD / Die 100, vom 8.12.2025 | Bildmontage und Foto: Nicolas Riedl

Doch ganz gleich, welchem Faktor — ob Migration oder Architektur — bei der Verkommenheit des Stadtbildes mehr Bedeutung beigemessen wird: In beiden Fällen hat die Union eine ursächliche und verantwortliche Rolle gespielt, die beim zweiten Faktor umso schwerer wiegt, da Friedrich Merz von 2016 bis 2020 das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden bei BlackRock innehatte. Warum das besonders schwer wiegt? Weil die größten deutschen Wohnungsimmobilienbaufirmen nicht nur verantwortlich für die Würfel-Wüsten in Deutschland sind, sondern sich zugleich mehr oder weniger anteilig in der Hand von BlackRock befinden. Deutsche Wohnen SE mit etwa 0,25 Prozent, TAG Immobilien AG mit rund fünf Prozent, Grand City Properties S.A. mit 1,4 Prozent, Vonovia SE mit 7,7 Prozent und bei LEG Immobilien AG sind es sogar über 10 Prozent, womit BlackRock der größte Anteilseigner ist.

Drei der genannten Immobilienunternehmen zeigen auf ihrer Startseite ganz freimütig, dass die hier beklagten Bausünden — die Würfel-Wüsten — ihre Spezialität sind. Zu bewundern ist dies auf der Homepage von Vonovia, LEG und TAG.

Mit anderen Worten: Niemand hat das Stadtbild so massiv verschandelt wie Friedrich Merz und sein Auftragsgeber BlackRock!

Bauen ohne „Schnickschnack“

Wie dringend die Thematisierung der Hässlichkeit der Städte ist, bewies wenige Wochen nach der Stadtbild-Debatte das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung Bauwesen (BMWSB) sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) in gemeinsam vorgelegten Eckpunkten zur angestrebten „Baupreisbremse und Bauturbo“, wie es BMJV-Ministerin Stefanie Hubig bezeichnete.

Der Heilsbringer für die Wohnungsnot heißt: „Gebäudetyp E“. Diese Bezeichnung kann gewissermaßen als Fachterminus für die Quaderbauten der Würfel-Wüste verstanden werden. Jener Gebäudetyp ist so etwas wie die Pizza Blanco auf der architektonischen Pizza-Speisekarte. Die gesamte Bauweise wird zwecks der Kostenminimierung und Materialeinsparung in allen Belangen lediglich den rechtlichen wie technischen Minimalanforderungen gerecht. Das heißt: dünnere Bodenplatten, geringere Schallschutzdämmung, weniger Steckdosen, Schalter und Heizungen; die Wände werden lediglich verputzt und gestrichen. Dass das Endergebnis zuverlässig potthässlich aussieht, erklärt sich hierbei von selbst.

Verena Hubertz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen erklärte es mit folgenden Worten:

„Wir wollen mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen. Dazu müssen wir anders bauen, und das ist der Gebäudetyp E. Gebäudetyp E heißt: Wir bauen einfacher, schneller und günstiger, ohne an Qualität zu sparen. Das geht, wenn wir uns auf das Wesentliche konzentrieren: kompakte Grundrisse, robuste Materialien und weg von Schnickschnack, der den Bau verteuert.“

An der Stelle sei noch einmal eine hervorgehobene Passage aus dem ersten Teil dieser Serie zitiert:

„Sinnhaftigkeit findet diese Architektur einzig und allein in der Funktionalität und Zuverlässigkeit. Schönheit als Selbstzweck existiert darin nicht, wird als Unsinn deklariert, als unnötiger Kostenpunkt.“

Die für die menschliche Seele notwendige Schönheit als Selbstzweck wird hier wegdiskutiert und zu einem Luxusgut umetikettiert, das man sich vor dem Hintergrund der Wohnungsnot nicht leisten könne. Es wird hier geradezu so getan, als sei die Wohnungsnot vom Himmel gefallen und nicht das Ergebnis politischer Entscheidungen zugunsten der weiter oben schon genannten Immobilienunternehmen und ihrer Besitzer.

Ausbaden müssen das die Bürger, die in — vermeintlich — notgedrungen errichteten Legebatterien, also im Gebäudetyp E „ohne Schnickschnack“, untergebracht werden.

Eine der vielen unbeantworteten Fragen in diesem Zusammenhang ist , wie es denn möglich war, dass im zerbombten und damit regelrecht mittellosen Nachkriegsdeutschland ein nicht unerheblicher Anteil der zerstörten Gebäude in ihrer alten Schönheit wieder errichtet werden konnte, während es heute, im angeblich besten Deutschland aller Zeiten, nicht möglich sein soll, halbwegs schöne Gebäude aus dem Boden zu ziehen? Sicherlich wurden nach dem Zweiten Weltkrieg auch etliche Vertriebenenstädte errichtet, deren primärer Sinn darin bestand, Geflüchteten und Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zu bieten, wobei die Schönheit logischerweise eine dem sozialen Zweck untergeordnete Rolle spielte. Nichtsdestotrotz bezeugen deutsche Altstadtkerne, dass es möglich war, mit kleinen Mitteln, große Schönheit zu errichten — und das quasi aus dem Nichts.

Doch heute, in dem Land, in dem wir angeblich gut und gerne leben, aber wohl nicht gut und gerne wohnen, wird den Bürgern eine architektonische Ramschware in „serieller Bauweise mit schlanken Konstruktionen“ vor die Nase gesetzt. Die politisch Verantwortlichen — die mit Gewissheit in keinem Gebäudetyp E beheimatet sind — besitzen dann auch noch die Dreistigkeit, die offenkundige Qualitätsminderung in orwellscher Manier umzudeklarieren, als sei die Qualität hierbei gleichbleibend.

Unbeantwortet bleibt die Frage, warum dann folglich nicht alle Häuser derart konstruiert werden, wenn trotz Kosten- und Materialeinsparung die Qualität nicht gemindert werde?

Oder gehen sämtliche Kosteneinsparungen auf das zurück, was sich hinter dem nicht näher definierten, einer offiziellen Erklärung unwürdigen und obendrein infantilen Wieselwort „Schnickschnack“ verbirgt? Was ist denn „Schnickschnack“? Laut dem etymologischen Wörterbuch versteht man darunter „unnötiges Beiwerk, nutzloser Zusatz“. Das ist natürlich Definitionssache.

Wer sich eine Gegenüberstellung von konventioneller Bauweise und dem Gebäudetyp E ansieht, der bekommt schnell ein — ungutes — Gefühl, welche Standards des Wohnens – welches etymologisch auch auf die Wonne zurückzuführen ist — in den Schnickschnack-Mülleimer geworfen werden. Legt man etwa Wert auf Schallschutzisolierung, ein gutes Heizsystem, ausreichend Steckdosen, gute Bodenbeläge, Wandverkleidungen, dreifach verglaste Fenster oder vielleicht schlicht der Schönheit willen auf ein Satteldach mit Gaubenkonstruktion, so kommt all dies beim „Bauturbo“ unter die Räder. Hauptsache der Kopf hat ein Dach über sich. Ob die menschliche Seele sich in diesem Wohnbunker beheimatet fühlt, spielt dann keine Rolle, weil... auch das ist wohl nur Schnickschnack.

Die Würfel-Wüste weitet sich aus

Die mainstreamige Debatte rund um das Stadtbild und den Baracken- — pardon! — Gebäudetyp E hat gezeigt, dass die ersten drei Teile dieser Serie einen Nerv getroffen haben. Die Gestaltung urbaner Räume geht alle Menschen etwas an. Menschenunwürdige Legebatterien sind mindestens einmal ein Gefängnis für die menschliche Seele und im schlimmsten Fall sogar eine tödliche Falle für Leib und Leben, wie der multiple Hochhausbrand des Wang Fuk Court in Hongkong tragischerweise gezeigt hat.

Insofern wird diese Serie nächstes Jahr auf eine zu diesem Zeitpunkt noch unbestimmte Anzahl von Teilen weiter anwachsen.