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Abkehr von der Freiheit

Abkehr von der Freiheit

Ein Leser kündigte sein Abo bei der Neuen Zürcher Zeitung, weil diese ihre eigenen ursprünglichen Grundsätze verraten hat.

von Jens Winkler

Liebe NZZ,

Sie haben mir die Entscheidung, ob ich mein digitales Abo verlängern soll, dieser Tage abgenommen, und zwar letztlich mit kürzlich bei Ihnen erschienenen Artikeln.

Auf Massendemonstrationen nur böse Menschen

Zum einen wäre da Ihre Berichterstattung über die Massendemonstrationen in Österreich gegen die Corona-Maßnahmen.

Sie schreiben dort von einer „Parallelwelt“, in der sich die Demonstranten befänden, und gleichzeitig von einer „angeblichen Diskriminierung“, die es gebe. Da muss man sich doch fragen, wer sich hier in einer Parallelwelt befindet? Die erstmalige Einteilung der Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg in (West-)Europa in zwei Klassen mit weitgehendem Grundrechtsentzug ist bei Ihnen eine „angebliche Diskriminierung“?

Ich weiß sehr wohl, was Framing ist, und ich werde nicht der Einzige sein. Ist es wirklich die schlaueste Idee, als Zeitung die eigenen Leser für dumm zu verkaufen?

Das gibt es leider des Öfteren in der Corona-Krise. Gute Medien beleuchten auch die Gegenseite, kritisieren in relevantem Maß die Regierung. Bei der NZZ sehe ich das immer weniger. Fühlen Sie sich nicht angeblich selbst sehr der Freiheit verpflichtet? Deswegen habe ich auch mal ein Abo der NZZ abgeschlossen, obwohl ich politisch überwiegend links eingestellt bin.

Ich erkenne sehr wohl, dass von einflussreichen Medien stets suggeriert wird, dass auf Demos gegen Corona-Maßnahmen überwiegend Neonazis auftauchen, was aber kaum mit der Realität übereinstimmen kann.

Ich bezweifle nicht, dass es nicht auch rechte Idioten oder auch Leute, die völlig Absurdes glauben, dort gegeben haben kann, aber Ihr Framing ist irreführend. Den Fokus einer Berichterstattung so zu verschieben ist unredlich.

Ich möchte auf einen Vergleich hinweisen: Als der furchtbare (islamistische) Anschlag auf Charlie Hebdo war, hatten in Paris Hunderttausende gegen Terror protestiert. Glauben Sie nicht, dass da auch in gewisser Anzahl rechtsextreme Franzosen oder Menschen, die den Islam und Moslems hassen, dabei waren?

Wurde in dieser Form, dass dies dort alles Rechtsextreme seien, in Medien, insbesondere auch bei Ihnen, damals berichtet? Natürlich nicht, das wäre unredlich.

Bei jeglicher Demo gegen die Corona-Politik wird aber anscheinend so verfahren, egal wie fraglich, grundrechtsraubend oder gesellschaftsspaltend die Maßnahmen sind.

In Österreich — und vielen anderen Staaten Europas — wird ein Teil der Bevölkerung weitgehend entrechtet, die wirtschaftliche Existenz entzogen, und dazu wird diese Bevölkerungsgruppe auch noch zum Sündenbock für alles erklärt. Wenn dann die Menschen auf die Straße gehen, müssen das aber natürlich Rechtsextreme sein.

Ungeimpfte wirklich an Weihnachten einladen?

Ich möchte noch einen anderen Text, einen noch unverfroreneren, aus Ihrem Hause benennen. Eine Kolumne, bei der gefragt wird, ob man denn ungeimpfte Familienmitglieder zu Weihnachten wirklich einladen soll. Die Fragestellung an sich ist bereits ein weitreichender Moralverlust.

Kleine Hilfe: Wenn man bei den geplanten Weihnachtsfeiern Sorge vor dem Corona-Virus hat, dann bittet man alle um einen Test. Eine Unterscheidung nach Impfstatus verbietet sich moralisch und auch epidemiologisch, da Geimpfte in ebenso relevantem Maße das Virus weitertragen können. Nicht so in Ihrer Kolumne, dort steht der Impfstatus über allem.

Der Artikel greift zwar auf, dass man alle testen könnte. Aber Ungeimpfte werden implizit als notorisch unkooperative — ja, im Prinzip als böse — Menschen skizziert, für die man „sanft den Zwang“ erhöhen müsste, etwa um diese zum Testen zu bewegen. Offen mit seiner Familie reden, Sorgen äußern, Verständnis für den anderen zeigen, zuhören? Unmöglich.

Man könnte sich vielleicht auch fragen, warum genau denn nun der geimpfte Teil der Familie in Sorge ist? Wenn dieser so viel auf den Schutz der Impfung hält, warum sollte man dann gleichzeitig Angst vor den Ungeimpften haben? Ich kann mir sehr wohl einige Konstellationen vorstellen, bei denen man gut für die Testung aller argumentieren kann, aber auch diese Frage gänzlich außen vor zu lassen, ist doch wenig nachvollziehbar.

Mit Ungeimpften kann man ja auch gar nicht reden, ganz vergessen. Letztlich — so der weise Schluss der Kolumne — bliebe einem wohl übrig, Ungeimpfte auszuladen und den „Bruch zu riskieren“, oder der „Rest der Familie gibt nach“. Da ist sie: die implizite Unterstellung der — von Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery eingeführten — Tyrannei. Ungeimpfte tyrannisieren. Entweder muss man dem nachgeben oder diese ausschließen.

Ich glaube, man hat in Europa, sogar in der Schweiz, den Bezug zu dem verloren, was man meist „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ nennt.

Entweder man ordnet sich allem unter oder man ist an der Gesamtsituation schuld beziehungsweise rechtsextrem. Ein bisschen Verständnis für alle, zuhören, auch Rückbesinnung auf Grundrechte, wie wäre das? Den Menschen als Menschen sehen und nicht als potentielle Biowaffe oder Impfstatusinhaber, täte uns das nicht gerade sehr gut? Vor allem als Empfehlung an alle für Weihnachten?

Sorgen über die Politik sind unbegründet, oder doch nicht?

Wenn Sie wissen möchten, in welche Richtung das alles geht oder gehen könnte, schauen Sie doch mal nach Australien.

In Australien verfolgt man eine unmenschlich harte Corona-Politik, über die auch in jüngerer Vergangenheit schon in größerer medialer Breite berichtet wurde, wie zum Beispiel bei Telepolis und sogar bei der Tagesschau. Australien hat sich in Zeiten von Corona wohl auf seine Vergangenheit besonnen — auf die als Gefängnisinsel.

Und als ob das noch nicht genug wäre, werden dort nun Quarantänelager gebaut und Menschen dorthin gebracht. Alles für die Gesundheit und Sicherheit, Lager sind ja auch eine prima Idee. Wer da auf die Idee kommt, dass das schlecht enden könnte, ist bestimmt faschistisch eingestellt.

Wenn Sie diesen Vergleich ungehörig finden und eventuell meinen, dass es so weit in Europa aber — noch — nicht sei: Ja. Gott sei Dank. Aber wäre das nicht Grund genug, allgemein skeptischer zu sein? Und können wir uns sicher sein, dass das so bleibt? Was ist mit dem Prinzip „Wehret den Anfängen“? War nicht einmal die aktuell diskutierte Impfpflicht eine „üble Verschwörungstheorie“ — laut Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer? Ist es nicht schon insgesamt weit genug gekommen?

Denken Sie doch mal an das Jahr 2019 zurück. Hätten Sie zu dieser Zeit nicht Staaten verurteilt, die solcherlei Maßnahmen ergreifen, wie Sie zurzeit „normal“ sind? Maßnahmen wie die Unterteilung der Menschen in zwei Klassen, die Teilnahme am öffentlichen Leben nur unter der Voraussetzung, dass man sich einer medizinischen Behandlung unterzieht und dann ein digitales Zertifikat vorzeigt, die massive Schuldzuweisung und sogar zunehmende Entmenschlichung.

Missbrauch(spotenzial) der COVID-Zertifikate

Glauben Sie, dass man die digitalen COVID-Zertifikate der EU nicht zur Überwachung und Kontrolle der Menschen nutzen kann? Nun, ich möchte in dem Fall ein paar Hinweise geben: Die digitalen Zertifikate sind eine üble Einrichtung, mit einem sich schon aufdrängenden Missbrauchspotenzial. Und diese werden bereits jetzt missbräuchlich eingesetzt.

Das Zertifikat wurde mit der Verordnung (EU) 2021/953 eingeführt, der technische Standard und die Verordnung gilt auch — zumindest de facto — für die Schweiz. So stellt Art 10 Abs. 2 der Verordnung Folgendes klar:

„Die personenbezogenen Daten, die in den gemäß dieser Verordnung ausgestellten Zertifikaten enthalten sind, dürfen für die Zwecke dieser Verordnung ausschließlich zum Zwecke des Abrufs und der Überprüfung der im Zertifikat enthaltenen Informationen verarbeitet werden, um die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der Union während der COVID-19-Pandemie zu erleichtern. Nach dem Ende der Geltungsdauer dieser Verordnung findet keine weitere Verarbeitung mehr statt.“

Die Eindeutigkeit, dass diese Zertifikate für nichts anderes missbraucht werden dürfen, ist sogar noch ausdrücklicher in Erwägungsgrund 14 dieser Verordnung unterstrichen:

„Es ist nicht so zu verstehen, als würden durch sie (die Verordnung) Beschränkungen der Freizügigkeit oder Beschränkungen anderer Grundrechte infolge der COVID-19-Pandemie erleichtert oder gefördert.“

Da muss man sich schon fragen, wie eine derartig autoritäre Politik, welche zu wesentlichen Teilen mithilfe dieser Zertifikate umgesetzt wird, noch konform mit dem tatsächlichen Zweck sein kann? Warum berichtet darüber eigentlich niemand?

Die Daten der Zertifikate sind auch nicht verschlüsselt, sondern frei auslesbar — sie sind nur kryptographisch signiert, das ist etwas völlig anderes. Wer den QR-Code hat beziehungsweise ausliest, hat die Daten. Das Zertifikat hat auch eine Zertifikat-ID, das ist aus IT-Sicht besonders praktisch zur Kontrolle und Überwachung. Die Schweiz hat erst kürzlich gegen eine eindeutige Bürger-ID gestimmt? Kein Problem, mit den IDs der digitalen Impfzertifikate hat dann jetzt doch — bald — jeder eine. Und das ist eine, die man überall vorzeigen muss. Datenschutzrechtlich ist das vollkommen unhaltbar, es scheint aber kaum jemanden zu interessieren.

Ist es unrealistisch anzunehmen, dass bald die Zertifikate an entsprechenden Terminals — und nicht mehr nur von Menschen — gescannt werden? Dann hätte man eine Überwachung und Erfassung aller Menschen in weitreichenden Bereichen des Lebens, und zwar solchen, die bisher noch nicht von der allgemeinen Überwachung abgedeckt waren.

Mit erheblichem Ausbaupotenzial. Was wäre etwa, wenn sich die Bedingungen für ein gültiges Zertifikat ändern? Diese Frage betrifft nicht nur geforderte Booster-Impfungen, technisch gesehen könnte man auch ganz andere Bedingungen, auch weit ab von Impfstoffen, leicht umsetzen.

Die Infrastruktur für die Zertifikate stellt übrigens in Deutschland IBM, ein großes amerikanisches Privatunternehmen, zur Verfügung. Ein Glück, die haben ja nur das Allgemeinwohl im Sinn.

Werden wir nicht ständig von hochrangigen Politikern dazu aufgefordert, Demokratie und Freiheit zu verteidigen?

So etwas wie Faschismus kann nicht nur vom rechten — oder linken — politischen Rand her entstehen, das haben viele anscheinend noch nicht verstanden.

Edward Snowden hat bereits früh gesagt, dass seine größte Sorge darin bestehe, dass die Menschen seine Geheimdienst-Veröffentlichungen nicht ernst genug nehmen, und dann in Zukunft ein unumkehrbarer, alles umfassender Überwachungsstaat entstehe. Nehmen wir das besser ernst.

Mein Abo verlängere ich natürlich nicht.

Viele Grüße
J. Winkler

Nachtrag:

Ich möchte nicht ausschließen, dass die Vorwürfe gegenüber der allgemeinen Berichterstattung, die sich hier eben an die NZZ richten, doch vergleichsweise zu streng gegenüber der Zeitung sind. Nicht zuletzt aufgrund kritischer Artikel in den letzten Tagen, wie hier und hier. Aber es ist auch so, dass die NZZ ihren eigenen Anspruch stark unterstreicht, gerade auch bezüglich Freiheit. Wenn man das macht, dann muss man eben auch damit rechnen, dass Leser Entsprechendes erwarten. Der Text ist als Enttäuschung darüber entstanden, dass dies in unzureichendem Maße geschieht.


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