„Eine Frau wird schwanger, und es ist, als hätte sie ein Glas Wasser getrunken.“
Pier Paolo Pasolini, aus: Herz, 1965
Die Empörung der Rechten entwickelte sich zögerlich, nahm aber schließlich Fahrt auf. Selbst so mancher Christdemokrat wurde aus seiner koalitionären Lethargie gerissen.
Vorneweg marschierten — ausgerechnet — Vertreter der katholischen Kirche mit ihren selbsternannten „Lebensbewahrern“. Sie empörten sich, wie schon so oft, trotz aller katholischen Wokeness darüber, dass die bislang in der Bundesrepublik Deutschland geltende „Fristenregelung unter Vorbehalt“ — also eine Regelung, nach der der Schwangerschaftsabbruch zwar straffrei, aber weiterhin rechtswidrig ist — endlich abschließend geregelt werden sollte.
Zu vermuten ist sogar, dass der Entwurf deshalb für Aufruhr sorgte, weil er der deutlich liberaleren Fristenregelung ähnelte, die 1972 in der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft getreten war. Nach dieser konnten sich Frauen repressionsfrei „innerhalb der ersten zwölf Wochen selbstbestimmt für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden“ (2).
Der „Aufreger“ in der Stellungnahme der Professorin
Für Aufregung sorgte vor allem ein Satz in der Stellungnahme von Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf zum Gesetzentwurf. Ihrer Meinung nach „sprechen gute Gründe dafür, dass das verfassungsrechtliche Lebensrecht pränatal (vorgeburtlich; Anmerkung des Autors) mit einem geringeren Schutzstandard gilt als für den geborenen Menschen“ (3).
Natürlich ist es verlockend, eine solche Aussage misszuverstehen. Neben der politischen Rechten warf auch eine deutlich liberalere Kritikerin wie Anne Burger der Professorin vor:
„Abtreibung soll aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden und — zumindest für die Schwangeren selbst — komplett straffrei bleiben. Diese Forderung unterstützt auch die als Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagene Frauke Brosius-Gersdorf: Straffreiheit bis zum Einsetzen der Wehen.“ (4)
Mit Verlaub, Anne Burger hat zwar recht, dass eine etwaige Gewährung von „Straffreiheit bis zum Einsetzen der Wehen“ höchst problematisch ist — um es gelinde auszudrücken. Dies ist aber ihre Interpretation des inkriminierten Satzes, die sich keineswegs mit dem Standpunkt der Frau Professorin deckt!
Im Gegenteil: Brosius-Gersdorf steht fest auf dem Boden der Fristenregelung, indem sie in ihrem Gutachten unmissverständlich feststellt:
„Nach dem Ende der zwölften Woche (entspricht zwölf Wochen und einen Tag nach der Empfängnis) bleibt der Schwangerschaftsabbruch wie bislang grundsätzlich rechtswidrig und strafbar.“
Und sie fährt fort:
„Den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Schwangeren in der Frühphase der Schwangerschaft — nach der zwölften Woche nach der Empfängnis — rechtmäßig statt wie bislang rechtswidrig zu stellen (Paragraph 12 Absatz 2 des neuen Schwangerschaftskontrollgesetzes),“ (5)
Punkt!
Der Fötus ohne eine Garantie der Menschenwürde
Trotzdem ist die Frage berechtigt, warum sich Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf in ihrem Gutachten auf verfassungsrechtliche Spekulationen darüber einlässt, dem vorgeburtlichen menschlichen Leben — also ab der zwölften beziehungsweise fünfzehnten Woche — einen geringeren Schutzstatus zuzubilligen als dem geborenen Menschen.
Dafür gebe es „gute Gründe“, meint sie. Denn:
„Ob dem Embryo/Fetus der Schutz der Menschenwürdegarantie — Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes — zugutekommt, ist umstritten.“ (6)
Sie jedenfalls hat sich bereits festgelegt:
„Anders als der geborene Mensch ist das Ungeborene nicht allein lebensfähig, sondern bis zur Lebensfähigkeit ex utero beziehungsweise bis zur Geburt existenziell abhängig vom Organismus der Schwangeren, das heißt vom weiteren Austragen der Schwangerschaft. (...) Diese existenzielle Abhängigkeit des Ungeborenen vom Körper der Schwangeren legt es nahe, dass das Lebensrecht pränatal mit geringerem Schutz zum Tragen kommt als für den geborenen Menschen.“ (7)
Vor diesem Hintergrund wiegt der Einspruch einer weiteren Kritikerin der Stellungnahme umso schwerer. Die Journalistin Dagmar Henn weist in ihrem Artikel darauf hin, dass „inzwischen (...) Frühgeburten bereits ab der 21. Schwangerschaftswoche überleben“ (8) können.
Eine Tatsache, die das Diktum der Professorin fundamental infrage stellt. Allerdings räumt Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf in ihrer Stellungnahme ein einziges Mal ein:
„Ab extrauteriner (außerhalb der Gebärmutter; Anmerkung des Autors) Lebensfähigkeit des Fetus, jedenfalls aber ab Geburt, gilt das Lebensrecht des Artikels 2, Absatz 2, Satz 1 des Grundgesetzes („Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“) mit vollwertigem Schutz.“ (9)
Eine Bemerkung eher aus Verlegenheit?
Es klingt allzu halbherzig, was sie von sich gibt. Warum betont sie den vollwertigen Schutz des Fetus aufgrund „extrauteriner Lebensfähigkeit“ nicht stärker, sondern versteckt den Gedanken geradezu in einem leicht zu überlesenden, nachgelagerten Satzteil? Warum wird ausgerechnet der erste Teil des Satzes durch die Kombination von Adverb und Konjunktion „jedenfalls aber“ deutlich abgeschwächt? Die Antwort liefert der weitere Verlauf des Gutachtens, in dem sie sich wiederholt und erneut festhält:
„Ob dem Embryo/Fetus der Schutz der Menschenwürdegarantie (Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes) zugutekommt, ist umstritten. Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“ (10)
Eklatanter Widerspruch in der Stellungnahme
Dieses Beharrungsvermögen von Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf ist irritierend. Obwohl sie eine extrauterine Lebensfähigkeit des Fetus zugibt und ihm damit einen vollen Schutz seiner Menschenwürde einräumt, versteift sie sich dennoch darauf, „dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt“.
Ein eklatanter Widerspruch, der nicht nur all jenen radikalen (bürgerlichen) Feministinnen eine Steilvorlage liefert, die maximalistische, moralisch unverantwortliche Forderungen stellen: So etwa die Wiederbelebung der traditionellen Forderung der Frauenbewegung seit den 1970er Jahren nach einer vollständigen Streichung des Paragraph 218 aus dem Strafgesetzbuch.
Wer eine solche Forderung stellt, sollte sich eines klar machen: Eine Straffreiheit über die legale Fristenregelung hinaus zu fordern — also nach der zwölften Woche, bei medizinischen und kriminologischen Indikationen nach der fünfzehnten Woche — stellt sich in ein moralisches Abseits und öffnet posthumanistischen Bestrebungen der Herrschenden Tür und Tor. Dieser Widerspruch in dem Gutachten erklärt auch, warum Anne Burger in ihrer Polemik gegen radikale feministische Positionen für den Verbleib des Paragraph 218 im Strafgesetzbuch plädiert. Sie verweist auf die Abtreibungs-Exzesse im in jeder Hinsicht verwahrlosten Großbritannien:
„England hat es vorgemacht: Dort dürfen Frauen nun bis zum Einsetzen der Wehen straffrei abtreiben. Und das ganz unbürokratisch. Stellt die Frau eine Schwangerschaft fest, so kann sie beim Nationalen Gesundheitsdienst eins, zwei, drei per Post eine Abtreibungspille bestellen. Ein Arztbesuch oder eine Beratung ist weder nötig noch vorgesehen.“
Und sie fährt aufgebracht fort:
„Aber hey, wenn man halt in der fünfunddreißigsten Woche feststellt, dass man selbst oder der Partner jetzt doch kein Kind mehr will: Pille einschmeißen und vor dem Verbluten ins Krankenhaus. Die helfen einem dann weiter. Oder doch die klassische Ausschabung – wenn es sein muss auch bei einem Baby, das schon in der Lage ist, die Stimme der Mutter zu erkennen, am Daumen zu lutschen und zu träumen. Legal. Auf Kosten des Gesundheitsdienstes. Die allerdings nicht hoch sind — Abtreibungspillen gibt es für einen Appel und ein Ei.“ (11)
Schwangerschaftsabbruch und Eugenik
Wie nennt man so etwas? Staatlich sanktionierte Tötung? Großbritannien als Heimatland der Eugenik ist prädestiniert für ein solches Experiment am Menschen — ebenso wie manche seiner kolonialen Anhängsel wie Kanada oder Neuseeland, die sich seit einigen Jahren in fortgeschrittener Euthanasie üben.
Unausgesprochenes Ziel ist die Bevölkerungsreduktion à la World Economic Forum (WEF). Die auffälligen, weil unübersehbaren Geburtenrückgänge seit Anwendung der gentherapeutischen Spritzen während des Corona-Komplotts sollten nachdenklich stimmen.
Auch in Deutschland werden die Grenzen des Machbaren inzwischen ausgelotet. So hält eine der einflussreichsten Organisationen für Sexualberatung und Familienplanung, Pro Familia, in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vom 4. Februar 2025 „eine Regelung ohne Rückgriff auf Fristen und Indikationen, mindestens aber die Anhebung der Frist für die Beendigung einer Schwangerschaft auf Verlangen der Schwangeren auf das Ende der zweiundzwanzigsten Woche der Schwangerschaft für sinnvoller als die geltende Regelung“ (12).
Einer solchen Empfehlung hält Anne Burger wiederum entgegen:
„Frauen können heute de facto straffrei abtreiben.“
Mit einer Verabschiedung des unspektakulären Gesetzentwurfs vom Februar dieses Jahres hätte eine endgültig legale Regelung längst in trockenen Tüchern sein können.
Was will die Nichtregierungsorganisation (NGO) also? Ein Verdacht drängt sich auf, den Anne Burger in ihrer Kritik an dem irrlaufenden Satz im Gutachten von Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf deutlich äußert:
„Geht es darum, Spätabtreibungen möglich zu machen?“ (13)
Schaut man sich die honorige NGO etwas genauer an — was sie war und was sie ist — kommt man schwer ins Grübeln. Pro Familia ist Mitglied der weltweit agierenden „Organisation Planned Parenthood, zu Deutsch: ‚Geplante Elternschaft‘.
„Das 1921 von Margaret Sanger in den USA gegründete Netzwerk war tief in der Ideologie der Eugenik verwurzelt und richtete sich zunächst primär gegen die schwarze Bevölkerung“, kommentiert Ines Taraschonnek im Schweizer „kontrafunk“.
Und sie fährt fort:
„Im Dritten Reich wurde Sanger, die enge Kontakte zum Ku-Klux-Klan pflegte, von den deutschen Nazis als ‚beste Nationalsozialistin der USA‘ gefeiert. (...) Nach wie vor ist auch die deutsche Pro Familia Mitglied der International Planned Parenthood Federation. Erster Vorsitzender von Pro Familia und deren Ehrenpräsident bis 1984 war übrigens Hans Harmsen. 1970 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, gehörte dieser in der Zeit des Nationalsozialismus zu den führenden deutschen Rassenhygienikern und zu Sangers Freundeskreis. Fast ist man versucht, es als ‚stimmig‘ zu bezeichnen, dass Pro Familia im vergangenen Jahr eine Ausweitung der zulässigen Frist für Schwangerschaftsabbrüche über zwölf Wochen hinaus gefordert hat.“ (14)
Kein Respekt vor entstehendem Leben?
Diese verantwortungslose Leichtfertigkeit — oder sollte man sagen „(Fahr-)Lässigkeit“ – im Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch macht ihn letztlich zu einer Bagatelle. Und lässt die radikalen feministischen Vertreterinnen, die eine vollständige Streichung des Paragraph 218 aus dem Strafgesetzbuch fordern, in einem zweifelhaften, überaus woken Licht erscheinen:
„Wenn Frauen ernsthaft argumentieren wollen, dass es für Mütter straffrei sein soll, ein Baby im neunten Monat abzutreiben, nur weil das allgemein mehr Freiheit für Frauen bedeutet, dann gerät viel ins Wanken“, so Anne Burger. (15)
Dies wirft die Frage auf, welcher politischen Agenda und welchem Menschenbild sie folgen. Sicher nicht mehr dem der traditionellen, geerdeten Linken.
Wer sich in seinem Leben für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden musste beziehungsweise muss, wird wissen, wovon hier die Rede ist.
Dieser Weg — wenn er denn gegangen werden soll oder wird — ist ein äußerst ernsthafter, hochemotional aufgeladener Prozess, voller Zweifel und moralischer Skrupel. Die Entscheidung für oder gegen einen Abbruch stellt viele Betroffene — nicht nur Frauen, sondern auch Männer — vor eine schwer zu treffende Gewissensentscheidung.
Und wir reden in diesem Zusammenhang ausschließlich über die Fristenlösung. Wer könnte es aber über sich bringen, ein Frühchen (16) oder ein Kind im achten oder neunten Monat, das von der Mutter unabhängig lebensfähig wäre und selbst nach Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf unter dem Schutz der Menschenwürdegarantie steht, aufgrund von situativen Befindlichkeiten abzutreiben?
Abtreibung nach Gusto
Diese Bagatellisierung ist aber kein Alleinstellungsmerkmal der Gegenwart. Sie reicht zurück bis in die 1970er Jahre. Tatsächlich war es in — im weitesten Sinne — promiskuitiven Milieus in dieser Zeit nicht selten, mehrere Male abgetrieben zu haben. So what! Man sah dies locker. Die Paarung erfolgte oft ohne Rücksicht auf Verluste oder auf die unerwünschten Folgen. Abtreibung wurde in manchen dieser Kreise als Verhütung im Nachhinein, begriffen.
Damit wird, so Anne Burger, „(...) die Fruchtbarkeit einer Frau in eine Sache (verwandelt), die man nach Belieben an- und ausschalten kann und die völlig steril, ohne Beteiligung der Seele, stattfindet“ (17)
Eine Einstellung, die bereits in dieser Zeit einen enormen Entfremdungsprozess widerspiegelte: Die „sexuelle Befreiung“ führte zur Abtrennung der Sexualität von ihrem eigentlichen Zweck, nämlich der Reproduktion, und wurde nur noch, um es zugespitzt zu formulieren, spaßeshalber betrieben. Ein typisches Konsumverhalten.
Der linke italienische Filmemacher und Schriftsteller Pier Paolo Pasolini machte als Zeitzeuge diesen „konsumistischen Hedonismus“ der westlichen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften für diese Entwicklung verantwortlich:
„Heute ist die sexuelle Freiheit der Mehrheit in Wirklichkeit eine allgemeine Norm (...), ein unverzichtbarer Bestandteil der Lebensqualität des Konsumenten.“ (18)
Indem Pasolini die postfaschistische Gesellschaft Italiens als „konsumistisch und permissiv“ (19) kritisierte, meinte er zugleich den westlichen Kapitalismus insgesamt. Die Konsumgesellschaft als „neuer, scheintoleranter Herrschaftstyp“ habe „kein Interesse an einem Paar, das Nachkommen erzeugt (...), er braucht das Paar, das konsumiert (...). Dieses Paar hat die Idee einer Legalisierung der Abtreibung schon in petto (ebenso wie die Idee der Ehescheidung).“ (20)
Legalisierung von Tötung?
Also noch einmal: Frauen oder Paaren steht bereits jetzt mit der noch endgültig zu regelnden „Fristenregelung unter Vorbehalt“ die Möglichkeit offen, innerhalb eines begrenzten Zeitraums eine Schwangerschaft frühzeitig und straffrei — aber noch immer nicht legal — zu unterbrechen.
Aber wie sollen Handlungen, die darüber hinaus gehen, juristisch und ethisch eingeordnet werden? Zumindest als fahrlässige Tötung? Pasolini, keinesfalls verdächtig, einen Rechtsdrall zu haben, und bekennender Kommunist (!), war da in der Hochzeit der Abtreibungsdebatte in den 1970er Jahren ganz streng und hatte eine eindeutige Antwort, die nicht jedem schmecken muss. Er schrieb 1975:
„(...) der Gedanke an eine Legalisierung der Abtreibung (schockiert mich), denn wie viele andere sehe ich das als eine Legalisierung von Tötung“ (21).
Ein Standpunkt, mit dem er sich in den 1970er Jahren in der Linken keine Freunde machte.
Paradox ist, dass die Forderung des radikalen Feminismus nach einer vollständigen Löschung des Paragraph 218 im Strafgesetzbuch auf den sich selbst reproduzierenden Menschen setzt — will sagen auf die sich selbstreproduzierende Frau. Damit wird die Mitverantwortung des männlichen Miterzeugers für die fürsorgliche Erziehung des Nachwuchses komplett ausgeblendet. Bequem für nicht wenige Männer.
„Für den Mann ist die Abtreibung zu einem Symbol seiner Befreiung geworden“, meinte Pasolini voller Sarkasmus. (22)
Deshalb, so Anne Burger,„(...) bleibt (so lange der Paragraph 218 steht) eine ungewollte Schwangerschaft auch die Angelegenheit des Mannes“ (23).
Werden die Männer aus ihrer Mitverantwortung entlassen, zahlen die Frauen die Zeche. Für viele emotional und sozial eine einzige Katastrophe. Sie werden nicht nur mit ihrem „Problem“ alleine gelassen, sondern geraten als Alleinerziehende in eine soziale Abwärtsspirale.
Warum kein Recht auf Mutterschaft?
Tatsächlich spielte die soziale Dimension — und damit vielfach die Ursache eines Schwangerschaftsabbruchs — weder in der Stellungnahme der gut dotierten und finanziell abgesicherten Professorin noch in der Debatte um ihre Begutachtung des Gesetzentwurfs eine Rolle. Warum auch? Geht es doch ausschließlich um einen Abbruch und nicht darum, ihn möglicherweise zu verhindern.
Paare, die sich Nachwuchs wünschen, sich aber aufgrund ihrer sozialen Situation dagegen entscheiden (müssen), wird die Abtreibung neben der Babyklappe als einzige Alternative angeboten. Die Reste der traditionellen Linken sollten aufgrund dessen vielmehr das Recht auf Reproduktion auf einer angemessenen sozialen Basis fordern.
Dieser Aspekt wird von Dagmar Henn zu Recht in ihrem Artikel hervorgehoben. Ihrer Ansicht nach „muss es möglich sein, Kinder aufzuziehen, nicht nur als Paar, sondern auch alleine, ohne unter beständiger Armut zu leiden. Genau an diesem Punkt ist alles völlig aus dem Gleichgewicht geraten, und selbst die Kirchen empören sich jetzt vielleicht über die Aussagen von Brosius-Gersdorf, aber haben längst vergessen, sich zum sozialen Aspekt der ganzen Frage auch nur zu äußern.
Während also die Regelung seit 1993 unverändert ist, haben sich die Voraussetzungen für eine Entscheidung für ein Kind massiv verschlechtert, und während ein Schaukampf ausgefochten wird, in dem es um ein ‚Recht auf Abtreibung‘ geht, müsste längst ein Recht auf Mutterschaft verteidigt werden.“ (24)
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Quellen und Anmerkungen:
(2) Der Paragraf 218 im Ost-West-Vergleich, www.deutschlandfunkkultur.de, 6. Dezember 2021 (https://www.deutschlandfunkkultur.de/paragraf-218-ungewollt-schwanger-und-jetzt-100.html).
Der nicht mehr verhandelte Gesetzentwurf vom Februar 2025 „sah unter anderem vor, Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche nach der Befruchtung zu legalisieren, die verpflichtende Wartezeit abzuschaffen und sie nicht mehr innerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln“. Er orientierte sich an der Kritik des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau an der gesetzlichen Regelung von Schwangerschaftsunterbrechungen in Deutschland: „Das UN-Gremium kritisiert nicht nur die verpflichtende Beratung und die anschließende dreitägige Wartezeit. Auch die Tatsache, dass die Kosten für die Abtreibung in der Regel selbst getragen werden müssen, sieht der Ausschuss sehr kritisch.“ (https://www.amnesty.de/schwangerschaftsabbruch-deutschland)
(3) Stellungnahme Brosius-Gersdorf vom 10. Februar 2025 (https://www.bundestag.de/resource/blob/1049772/Stellungnahme-Brosius-Gersdorf.pdf)
(4) Anne Burger, Ein unterschätztes Gesetz, www.manova.news, 16. Juli 2025 (https://www.manova.news/artikel/ein-unterschatztes-gesetz)
(5) Stellungnahme Brosius-Gersdorf, a.a.O.
(6) Ebd.
Zur begrifflichen Unterscheidung von Embryo und Fetus und ihrer zeitlichen Abfolge siehe „Frauenärzte im Netz“ (https://www.frauenaerzte-im-netz.de/glossar/begriff/fetus/): „Bei der Bezeichnung von ungeborenen Kindern unterscheidet man nach dem Zeitpunkt in der Schwangerschaft. Bis zur 9. Woche nach dem Zeitpunkt der Befruchtung (entspricht der 11. Schwangerschaftswoche), also bis zur Anlage und Ausbildung aller Organe, bezeichnet man das Ungeborene als Embryo. Danach wird es bis zum Ende der Schwangerschaft Fetus genannt.“
(7) Ebd.
(8) Dagmar Henn, Abtreibung à la Brosius-Gersdorf: Scheindebatten und schwindende Menschlichkeit, de.rt.com, 27. Juli 2025 (Abtreibung à la Brosius-Gersdorf – WELTEXPRESS) )
(9) Stellungnahme Brosius-Gersdorf, a.a.O.
(10) Ebd.
(11) Anne Burger, a.a.O.
(12) Pro Familia, Bundesverband, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf „Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ (BT‐Drucksache 20/13775), 04.02.2025 (https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/2024_2-4_Stellungnahme_Gesetzentwurf_Gruppenantrag_Schwangerschaftsabbruch.pdf)
(13) Anne Burger, a.a.O.
(14) Ines Taraschonnek, Gegen das Leben, Kontrafunk aktuell, 21. April 2025 (https://kontrafunk.radio/de/sendung-nachhoeren/politik-und-zeitgeschehen/kontrafunk-aktuell/kontrafunk-aktuell-vom-21-april-2025).
(15) Anne Burger, a.a.O.
(16) Überlebenswunder und ihre Schattenseiten, deutschlandfunkkultur.de, 16. August 2025 (https://www.deutschlandfunkkultur.de/fruehgeburt-fruehchen-ueberleben-medizin-ethik-eltern-kind-gesellschaft-100.html), siehe auch: Frühgeburt an der Lebensgrenze, fruehgeborene.de (https://www.fruehgeborene.de/aktuelles/neuigkeiten/fruehgeburt-an-der-lebensgrenze.htm): „Etwa 45 Prozent der in der 22. Schwangerschaftswoche geborenen Frühchen überleben inzwischen. Allerdings ist das Risiko für Beeinträchtigungen hoch, wissen Experten. In 20 bis 30 Prozent der Fälle seien die Beeinträchtigungen schwerwiegend, in 30 bis 40 Prozent eher moderat, so Alexander Rakow vom schwedischen Karolinska Institut Stockholm. Ähnlich sehe es bei Frühchen aus, die in der 23. Schwangerschaftswoche geboren werden, auch wenn ihre Überlebenschancen besser seien. Erst ab der 24. und 25. Schwangerschaftswoche besserten sich die Prognosen signifikant.“
(17) Anne Burger, a.a.O.
(18) Pier Paolo Pasolini, Der Koitus, die Abtreibung, die Schein-Toleranz der Herrschenden, der Konformismus der Progressiven. In: Ders., Freibeuterschriften. Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft, Hrsg. von Peter Kammerer, Berlin 1998, S. 90.
(19) Ders., Herz. In: Ders., Freibeuterschriften. A.a.O., S. 98.
(20) Ders., Der Koitus, die Abtreibung, die Schein-Toleranz der Herrschenden, der Konformismus der Progressiven. In: Ders., Freibeuterschriften. A.a.O. S. 94f.
(21) Pier Paolo Pasolini, Der Koitus, die Abtreibung, die Schein-Toleranz der Herrschenden, der Konformismus der Progressiven. A.a.O., S. 89.
(22) Ders., Herz. A.a.O., S. 98.
(23) Anne Burger, a.a.O.
(24) Dagmar Henn, a.a.O.



