Bundeskanzlerin Angela Merkel rief die Bürger auf, die Lage ernst zu nehmen: Es käme auf unser gemeinsames solidarisches Handeln an. Was diejenigen leisten, die im Gesundheitswesen an vorderster Linie stünden, sei gewaltig. Aber Kanzlerin Merkel vergaß dabei zu erwähnen, wie schlecht bezahlt Arbeit oft ist und wie stark viele Menschen in ihrer Arbeit durch Sparmaßnahmen überbelastet sind. Stattdessen versprach sie, „so viel wirtschaftliche Tätigkeit wie möglich zu bewahren“ und würdigte auch jene, die an Supermarktkassen sitzen und Regale befüllen: Sie machen einen der „schwersten Jobs, die es zur Zeit gibt" (1).
In ihrer Fernsehansprache am 18. März 2020 „vergaß" die Kanzlerin einige(s).
So vergaß Kanzlerin Merkel beispielsweise, wie schlecht gerade Pflegekräfte im Gesundheitswesen bezahlt werden und wie zunehmend gefährdet die perspektivische Arbeitsplatzsicherheit ihrer Jobs durch Einsparungen und durch die Restriktionen ist. Auch vergaß Kanzlerin Merkel die Schutzsuchenden, die an den Rändern der EU dem Risiko einer existenziellen und schließlich auch tödlichen Krankheit durch die mehrfache Überfüllung ihrer Camps und die unhaltbaren hygienischen und medizinischen Verhältnisse ausgesetzt sind.
Zudem vergaß Kanzlerin Merkel die SoldatInnen, die mit ihrer Situation nicht klar kommen: Während sie zum Beispiel im Mittelmeer beim Marineeinsatz Flüchtlinge an ihrer Flucht hindern sollen, schafft ihr Partner zuhause etwa als Arzt im Dauereinsatz. Ihre Kinder, die betreut werden müssten, weil die Großeltern als Risikogruppe für diese Aufgabe ausfallen, sind dann am Ende die Leidtragenden von mangelnder Betreuung und Fürsorge.
Und Kanzlerin Merkel vergaß die Wohnungslosen, die prekär Beschäftigten; die Dauerarbeitslosen beispielsweise infolge einer körperlichen Beeinträchtigung; die von Altersarmut Betroffenen; diejenigen, die bisher mit mehreren Jobs irgendwie gerade über die Runden kamen und die jetzt nicht mehr von der Hand in den Mund leben können, weil die Hand fast oder ganz leer bleibt. Ähnlich katastrophal verhält es sich mit den Menschen, die von der Tafel abhängig sind.
Regierungsprogramme für die Kapitalseite
Auch das „Maßnahmenpaket zur Abfederung der Auswirkungen des Corona-Virus" (2) des Vizekanzlers Olaf Scholz vergisst die größten Teile der Bevölkerung. Es wird zwar als „Schutzschild für Beschäftigte und Unternehmen" bezeichnet. Aber die „Säulen", auf denen es fußt, stützen vor allem die Unternehmen: Beschlossen ist die Absenkung des Quorums der von Arbeitsausfall betroffenen Beschäftigten im Betrieb auf bis zu 10 statt bisher 33 Prozent, um Unterstützung für Kurzarbeit beantragen zu können.
Neu ist auch, dass Unternehmen für Leiharbeitnehmer Kurzarbeitergeld beantragen können. Daneben werden die Betriebe bei den Beiträgen zur Sozialversicherung unterstützt. Kurzarbeitergeld erhalten Fachkräfte, die kürzer arbeiten. Aber Kurzarbeit ist eine Verringerung der vertraglichen Arbeitszeit in einem Betrieb für eine vorübergehende Zeitperiode. Arbeitet eine Fachkraft nicht mehr, erfüllt sie diese Bedingung nicht.
Zudem erhalten Unternehmen „steuerliche Liquiditätshilfen". Der „Milliarden-Schutzschild für Betriebe und Unternehmen" bedeutet unter anderem, dass der Höchstbetrag für Bürgschaften im sogenannten „Großbürgschaftsprogramm" um 10 Prozent erhöht wird (3).
Während also die Kapitalseite mit Programmen der Regierung weitere Stützung erfährt, werden die vom Lohn Abhängigen in noch größere Unsicherheit geworfen.
Angesichts der Dynamik, die immer mehr Existenzen bedroht, sind befristete Vorschriften gegen Zwangsräumungen wegen Mietschulden durch die Krise und weitere temporäre Hilfen für Bedürftige ein hilfloser Versuch, der nicht wirklich Rettung verheißt. Ein Zusammenbruch großer Teile der Kunstszene droht. Flüchtlinge ohne Papiere können nicht mehr wie bisher zu Ärzten, die ihnen ehrenamtlich helfen wollen. Ein Abschiebestopp muss erfolgen, ebenso ein Ende aller Kriegseinsätze der Bundeswehr.
Probleme des Alltags beginnen schon bei den kleinen Dingen: Es gibt keine klare Regelung für Ausfallzeiten von Beschäftigten, die sich aufgrund der Schließung von Bildungs- und Erziehungseinrichtungen auf noch nicht absehbare Zeit um die Betreuung ihrer Kinder kümmern müssen. Das Fehlen einer finanziellen Kompensation für Familien, die auf das Gehalt beider Elternteile angewiesen sind, steigert deren Unsicherheiten, worunter dann die schwächsten Betroffenen — also die Kinder — am nachhaltigsten leiden.
Seuchengefahr an der EU-Außengrenze
Die Probleme im Land sind noch eher in der Kritik, als die Seuchengefahren, die sich vor oder an den Außengrenzen der EU abzeichnen: Was würde es bedeuten, wenn sich ein Erreger wie Corona in Flüchtlingslagern ausbreitet? Tut er das vielleicht schon?
Die Regierung würde weiterhin den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten.
„Alleine in Damaskus oder Aleppo, wo eine ausgepowerte Bevölkerung in einer kollabierenden Wirtschaft lebt und die Gesundheitsversorgung bestenfalls mangelhaft ist, wäre das schon eine Katastrophe undenkbaren Ausmaßes. (...)Wie lange würde es dauern, Zehntausende wären infiziert, und wie lange bräuchte es, bis Menschen in den Nachbarländern betroffen wären" (4).
Es geht hier nicht alleine um den Coronavirus, dessen Gefährlichkeit unterschiedlich eingeschätzt wird, sondern ganz allgemein um die Gefahr einer hochgefährlichen Seuche. Die Menschen dort in dieser Lage zu belassen, ist erst einmal unterlassene Hilfeleistung. Aber sicher noch schlimmer ist die wissentliche, also absichtliche Verletzung der körperlichen Unversehrtheit derjenigen, die fliehen mussten, weil Waffen — größtenteils aus den Staaten des Westens — Menschen töteten und verletzten sowie Häuser und ganze Gebiete unbewohnbar machten.
Von einer Seuchengefahr statt von der Coronakrise zu sprechen ist vermutlich genauer, denn es kommen mehrere Erreger infrage.
Weder Ausgangssperren noch Kontaktverbot für die Bundeswehr
Ordnen die Herrschenden aufgrund von Corona Ausgangssperren an, dann fällt der Widerspruch auf, der bei der Durchsetzung eines Kontaktverbots einerseits und dem Weiterbestehen des soldatischen Dienstes andererseits ins Auge springt.
Am 5. März 2020 wurde ein Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) in der Adenauer-Kaserne in Köln positiv auf den Coronavirus getestet. Die Aufgaben seiner Dienststelle wurden vorübergehend auf ein Minimum reduziert. „Weitere drei bestätigte Fälle von Corvid-19 traten am 9. März in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg auf. Der Betrieb in den Stadtteilen Olsdorf und Blankenese wurde bis zum 20. März eingestellt und rund 350 Personen vorsorglich in häusliche Isolation geschickt. Bis zum 13. März wurden unter den Verdachtsfällen drei weitere SoldatInnen positiv getestet. Der fünfte bestätigte Infektionsfall wird ebenfalls am 9. März aus dem Bundesamt für Personalmanagement in der Kölner Lüttich-Kaserne gemeldet. Rund 100 Kontaktpersonen werden in häusliche Quarantäne geschickt. Die Kaserne wird für zwei Tage geschlossen.
„Neben weiteren Fällen in Bundeswehreinrichtungen wurde am 9. März der erste Fall unter den MitarbeiterInnen des NATO-Hauptquartiers in Brüssel gemeldet" (5).
Weitere Fälle folgten in mehreren NATO-Staaten.
Mehr noch: Während die Öffentlichkeit mit Nachrichten über Schulschließungen und weitere Eingriffe ins Alltagsleben in Atem gehalten wurde, beschloss der Bundestag am Freitag, den 13. März 2020, die ‚Mandatsverlängerung‘ des NATO-Einsatzes im Mittelmeer unter dem Namen Sea Guardian, der jetzt zudem durch eine EU-Mission erweitert werden kann, außerdem „wurde auch das Mandat für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan verlängert" (6).
Die ‚Verteidiungs'ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bietet die Bundeswehr als Helfer in der Krise an und verlangt zugleich mehr Geld (7). Das ist ein Skandal: Die Hochrüstung verschlingt Milliarden, die im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem fehlen.
Auf NATO-Ebene gilt: Das US-/NATO-Manöver Defender 2020 ist zwar ausgesetzt, aber die Friedensbewegung wird weiter wachsam sein müssen, um derartige Prozesse der Steigerung der Spannung in Europa, der Naturzerstörung und des massenhaften Verbrauchs fossiler Treibstoffe für die Marine, das Heer und die Luftwaffe schon aus ökologischen Gründen als gegen die Zukunftsinteressen dieses Kontinents gerichtet zu geißeln und auf Dauer unmöglich zu machen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975232/1732182/d4af29ba76f62f61f1320c32d39a7383/fernsehansprache-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-data.pdf?download=1
(2) https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/milliardenhilfen-wegen-corono-1730386
(3) https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/schutzschild-fuer-beschaeftigte-und-unternehmen.pdf?__blob=publicationFile&v=14
(4) https://www.mena-watch.com/szenarien-die-man-sich-nicht-ausmalen-moechte/
(5) http://www.imi-online.de/2020/03/17/die-bundeswehr-und-das-virus-i/
(6) Ebenda.
(7) https://newsburger.de/kramp-karrenbauer-bundeswehr-steht-fuer-unterstuetzung-in-corona-krise-bereit-124097.html
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