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Das biopolitische Menetekel

Das biopolitische Menetekel

Dass der Staat gegenüber unseren Körpern immer übergriffiger wird, hat politisch eine lange Vorgeschichte.

Warum scheinen verfassungsrechtliche Bedenken in der momentanen Politik eigentlich gar keine Rolle mehr zu spielen? Wie sind wir eigentlich in diesen merkwürdigen Zustand hineingeraten? Antworten können mithilfe des Philosophen Giorgio Agamben gefunden werden.

Allgemeine Impfpflicht — das biopolitische Menetekel

Die Diskussion um die Allgemeine Impfpflicht mit den — experimentellen — Corona-Impfstoffen ist die neueste und größte Eskalationsstufe aus Berlin, ein Menetekel einer neuen Zeit. Wie konnte es eigentlich so weit kommen, wo uns allen doch stets und immer wieder versichert wurde, eine solche würde es niemals geben? Nicht zuletzt dürfte eine fast unter dem Radar der Öffentlichkeit stattgefundene polit-tektonische Plattenverschiebung des Berliner Politikbetriebes der Auslöser dafür gewesen sein. In welchem schwer fassbaren Zustand sich das Land befindet, soll mithilfe der Überlegungen des italienischen Philosophen Giorgio Agamben versucht werden zu beschreiben.

Aus dem Duden:

Menetekel, das (Substantiv, Neutrum): geheimnisvolles Anzeichen eines drohenden Unheils; Warnung.

Eine Allgemeine Impfpflicht mit experimentellen Vakzinen: vor Jahren absolut undenkbar, noch vor wenigen Wochen kategorisch ausgeschlossen, ist sie heute Gegenstand der öffentlichen „Diskussion“. Wenn man das noch so nennen darf, wo doch Gegenstimmen bestenfalls nur ganz am Rande stattfinden, kaum mehr als ein Feigenblatt öffentlich-rechtlicher Medien und der Zeitungen des Juste Milieu.

Wenn man sich bei allen Umwälzungen auf eines im Berliner Politikbetrieb verlassen kann, dann darauf: Es gilt das gebrochene Wort.

Die Verschiebung des Raums des Sagbaren in diese Richtung fiel nicht vom Himmel, sondern war für den aufmerksamen Beobachter schon länger absehbar. Die Verfassung scheint seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. November 2021 zur Rechtmäßigkeit der Lockdown-Maßnahmen nur noch lästige Makulatur zu sein, solange man ihre Außerkraftsetzung nur mit einer ausreichend großen Gefahr rechtfertigt. Was sagt das aber über den Stand der Gesellschaft aus?

Biopolitik: Totale Herrschaft in neuem Gewand

Der 1942 geborene italienische Philosoph Giorgio Agamben analysierte schon vor über zwanzig Jahren den Zustand insbesondere der westlichen Demokratien aus einem sehr kritischen Blickwinkel. An dieser Stelle ist ein kurzer Abriss seines Denkens sicher dienlich: Im Kern vertritt er die These, dass es sich bei den meisten Staaten des Westens stets nur oberflächlich um Demokratien handelt, die aber stets eine innere Drift zum Totalitarismus in sich trügen. Dies zeige sich in Form der Biopolitik, also der totalen Durchdringung des menschlichen Körpers durch die staatliche Macht.

Im biopolitischen Zeitalter gehört der Körper nicht dem Individuum, sondern dem Kollektiv, ergo dem Staat. Er ist es, der die letzte Verfügungsgewalt über den physischen Körper des Individuums habe.

Damit bezieht Agamben sich wiederum auf Theorien des Franzosen Michel Foucault, der in den 1970er-Jahren das Konstrukt der „Biopolitik“ aufs philosophische Tableau hob. Biopolitik ist also stets eine kollektivistische, totalitäre Art von Politik.

Was zunächst nach einem sehr abstrakten Gedankengebäude klingt — zugegeben, so erschien es mir auch, als ich 2015 das erste Mal Agamben und Foucault las —, gewinnt heute mit jeder weiteren Woche an Relevanz für das alltägliche Leben. Einst galt, dass der Staat sich vom und besonders aus dem Körper seines Bürgers herauszuhalten habe. Diesen Gedanken kannten wir bisher beispielsweise als das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Daraus folgt, dass der Staat niemanden zu medizinischen Eingriffen nötigen darf und schon gar nicht die individuellen Grundrechte davon abhängen.

Das hat sich nun grundlegend gewandelt: Zutritt zum Einzelhandel nur nach Vorlage eines Impfnachweises, Glühwein in der Vorweihnachtszeit nur mit dem richtigen Serum im Blut, selbst die berufliche und wirtschaftliche Existenz ist vom experimentellen Vakzin in absehbarer Zeit abhängig. Innerhalb von nicht ganz zwei Jahren ist der Impfpass wichtiger geworden als der Personalausweis — oft genug dient letzterer bestenfalls noch zur Legitimation des ersten. Möglich wurde dies durch die mehr oder weniger explizite Ausrufung des Ausnahmezustandes.

Der Ausnahmezustand — Herrschaftstechnik der Moderne

Der streitbare Staatsrechtler und Philosoph Carl Schmitt prägte das oft zitierte Bonmot: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Konkret bedeutet es, der eigentliche Souverän ist, wer darüber bestimmt, ob das Recht — sprich: letztlich die Verfassung — überhaupt noch gilt oder außer Kraft gesetzt wird. Diesem Ausnahmezustand widmet Giorgio Agamben ein 2004 auf Deutsch erschienenes gleichnamiges Buch. Besonders im Lichte der derzeitigen Ereignisse ist es von erschreckender Relevanz.

Der Ausnahmezustand war gemäß Agamben früher ein Mittel für Zeiten des Krieges oder der Belagerung. Vor diesem Hintergrund emanzipierte es sich zusehends, bis es mehr und mehr in die übliche Praxis der Politik einsickerte. Man brauchte nur noch eine ausreichend große Bedrohung — man denke an den „War on Terror“, die „Klimakrise“ oder eben die Corona-Krise. Es war sogleich die passende Legitimation zur Hand, weswegen grundlegende Bürgerrechte nun eben mal nicht gelten können — selbstredend nur „vorübergehend“. Hier liegt allerdings schon ein großer Haken, denn wie Agamben bemerkt:

„…dass Not, weit davon entfernt, sich als ein objektiv Gegebenes zu verstehen, ganz offensichtlich ein subjektives Urteil enthält und dass nur solche Umstände nötigend sind und Ausnahmecharakter haben, die dazu erklärt worden sind“ (1).

In diesem Sinne fungiert heute das Auftreten eines saisonalen Krankheitserregers als ausreichender Grund, die Verfassung vermittels des Ausnahmezustandes in toto zu suspendieren. Ein in der bundesrepublikanischen Geschichte einmaliger Vorgang, der vom einst ehrwürdigen Bundesverfassungsgericht auch noch mit dem Urteil vom 30. November 2021 abgesegnet wurde. Der Bundesregierung wurde nicht weniger als ein Blankoscheck ausgestellt, mit dem sie freie Hand bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie erhält — berechtigt darf man hier fragen:

Geht es überhaupt noch um Gesundheit oder soll vielmehr eine mittlerweile aus Sicht der Berliner Hochwohlgeborenen lästig gewordene Verfassung ins Wachkoma gesetzt werden?

Verzeihen Sie die rhetorische Frage, die Antwort liegt auf der Hand.

Staatliche Parallelstrukturen oder: Was nicht passt, wird passend gemacht

Der Ausnahmezustand bedeutet überdies nicht automatisch das Entstehen einer Diktatur — wenngleich sie aus ihm erwachsen kann —, sondern vielmehr die Leere und Stillstand des Rechts sowie der Verfassung eines Staates.

Nun sollte man sich nicht dazu verleiten lassen, diesen Status als weniger schlimm wahrzunehmen. Eigentlich ist er noch viel gefährlicher, da sich die Regierung immer noch darauf berufen kann, dass niemand die Verfassung offiziell außer Kraft gesetzt habe.

Agamben weist darauf hin, dass die großen Diktatoren des 20. Jahrhunderts jeweils die geltenden Verfassungen in Kraft ließen und stattdessen eine Parallelstruktur, gleichsam einen „Parallelstaat“ errichteten.

Ein wichtiger Faktor, den man auch heute am Fallbeispiel Deutschland analysieren kann: Die Geschicke des Landes werden spätestens seit der Selbstentmachtung des Parlamentes im Herbst 2020 weniger von den eigentlich gewählten Volksvertretern als vielmehr von der Bundesregierung, ihren ausgesuchten Hof-Virologen samt deren willfährigen Modellierern und vielen medialen Einpeitschern gelenkt. Man kann es zudem auch nicht oft genug betonen: Im Sinne der vertikalen Gewaltenteilung sahen die Mütter und Väter des Grundgesetzes wohlwissend kein Gremium namens „Bund-Länder-Runde“ vor.

Unterm Strich wurden in einem gegen die Verfassung verstoßenden Gremium Gesetze beschlossen, welche das Grundgesetz umgehen, aushebeln, neutralisieren. Die auf breiter Front ausbleibende Kritik daran ist nur eine weitere Verfallserscheinung der politischen Kultur in Deutschland und dem Rest der westlichen Welt.

Das jüngste beschämende Urteil aus Karlsruhe ist die Kapitulation der Judikative vor der Exekutive. Nur folgerichtig lässt Bundeskanzler Olaf Scholz verlauten, dass es nun keine roten Linien mehr gäbe.

Und am Horizont die nächsten Krisen …

Und wenn die Zeit des hygienebedingten Ausnahmezustandes vorbei ist, dann wartet schon die Politik darauf, die „Klimakatastrophe“ durch Aushebelungen demokratischer Prozesse in Angriff zu nehmen. Exemplarisch sei hier die schon im Jahre 2011 vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, in der Studie: „Welt Im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation.“ (2) geforderte Nachhaltigkeitsprüfung für alle Gesetzesvorhaben genannt. Auch hier wäre das Parlament nur noch Staffage, da die eigentlichen Entscheider in einem von niemandem gewählten Expertengremium säßen. Eine ähnliche Forderung, mithin nicht weniger als ein Schatten-Kanzleramt, formulierten die Grünen im diesjährigen Wahlkampf. An Begründungen, das Grundgesetz kaltzustellen, mangelt es bei den etablierten Parteien nicht. Die Bundesrepublik Deutschland ist es nur noch dem Namen nach, de facto ist sie im Ausnahmezustand.

Die Würfel sind nicht gefallen

Diese kurze Analyse vom Standpunkt des Agamben’schen Denkens aus ist zunächst alles andere als aufbauend. Doch letztlich beginnen positive Veränderungen damit, die Tatsachen als solche zu erkennen. Es bleibt vorerst zu konstatieren, dass es kein Zurück in die Vor-Corona-Zeit geben wird. Sich das zu vergegenwärtigen, riet jüngst Thomas Eisinger in seinem brillanten Beitrag „Realität akzeptieren“. Insofern ist die Allgemeine Impfpflicht tatsächlich das eingangs erwähnte Menetekel: Die Berliner Eliten möchten das Land in das biopolitische Zeitalter führen, in dem Grundrechte nur noch qua Bindung an alle sechs Monate vorzunehmende medizinische Eingriffe gelten sollen — und damit abgeschafft sind —, aber auch die neue außerparlamentarische Opposition hegt in großen Teilen ebenso kein Interesse an einer gemeinsamen Sache mit dem polit-medial-pharmazeutischen Komplex.

Es gibt also von den relevanten Akteuren in dieser Konstellation eigentlich kein Interesse am status quo ante coronae. Damit gilt es gleichzeitig festzuhalten:

Die Würfel sind längst nicht gefallen, das Spielfeld ist offen: Vielen Menschen wird diese Schwellenzeit bewusst, sie vernetzen sich und schaffen eine Gegenöffentlichkeit.

Das wäre ohne den Druck der Regierung(en) und dem daraus entstehenden Gegendruck kaum denkbar. Hier ist ein Potenzial, von dem man erst rückblickend wird sagen können, worin es sich manifestierte und ob sich der Einsatz dafür lohnte.

Aber darin kann wiederum eine große Hoffnung liegen — und Freiheit gab es sowieso noch nie geschenkt.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Agamben, Giorgio: Ausnahmezustand. Frankfurt 2004. S. 39.
(2) Schellnhuber, Hans Joachim et al.: Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Berlin 2011. S. 10


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