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Das Elitenprojekt

Das Elitenprojekt

Die Europäische Union ist ein bürokratisches Monster, das die Klassengesellschaft absichern will.

An den Beginn dieses Artikels sei ein Jahrzehnte altes Zitat des französischen Politikers Robert Schuman gestellt:

„Die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion wird sofort die Schaffung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung sichern — die erste Etappe der europäischen Föderation — und die Bestimmung jener Gebiete ändern, die lange Zeit der Herstellung von Waffen gewidmet waren, deren sicherste Opfer sie gewesen sind. Die Solidarität der Produktion, die so geschaffen wird, wird bekunden, dass jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich ist“ (1).

Inwieweit Schuman Ideologe oder Missbrauchter oder auch eine Mischung aus beidem war, lassen wir an dieser Stelle außen vor. Fakt ist, dass er eine von Macht getriebene Entscheidung in einen Mantel von Ethik und Moral hüllte, um der Bevölkerung ein Projekt, das niemals das ihre war, als scheinbar eben das zu verkaufen. Schuman setzte fort:

„Die Schaffung dieser mächtigen Produktionsgemeinschaft, die allen Ländern offen steht, die daran teilnehmen wollen, mit dem Zweck, allen Ländern, die sie umfasst, die notwendigen Grundstoffe für ihre industrielle Produktion zu gleichen Bedingungen zu liefern, wird die realen Fundamente zu ihrer wirtschaftlichen Vereinigung legen. Diese Produktion wird der gesamten Welt ohne Unterschied und Ausnahme zur Verfügung gestellt werden, um zur Hebung des Lebensstandards und zur Förderung der Werke des Friedens beizutragen. Europa wird dann mit vermehrten Mitteln die Verwirklichung einer seiner wesentlichsten Aufgaben verfolgen können: die Entwicklung des afrikanischen Erdteils“ (2).

Der Zitierte preist an dieser Stelle nichts anderes als das System, das Europa zuvor in zwei fürchterliche Kriege gestürzt hatte. Das für mich Frappierendste an dem Zitat ist jedoch, dass der koloniale Anspruch des europäischen Imperialismus — mit Frankreich an der Spitze — auf Afrika schon damals klar und deutlich postuliert, ja konsequent weitergeführt wurde. Und damals wie heute wurde es in eine verzerrende, lügende Sprache gepackt, im Zitat: „die Entwicklung des afrikanischen Erdteils“!

Das Zitat stammt aus einer Rede Robert Schumans vom 9. Mai 1950. Diese Rede wird heute — symbolisch — als die Geburtsurkunde der Europäischen Union bezeichnet. Schuman überlebte faszinierenderweise seit dem Kriegsende ein Dutzend Regierungen als Ministerpräsident, Finanz- und Außenminister Frankreichs. 1958 wurde er schließlich zum ersten Präsidenten der Europäischen Union gewählt (3). In seiner denkwürdigen Rede vernahm man des Weiteren:

„Die Ein- und Ausfuhr von Kohle und Stahl zwischen den Teilnehmerländern wird sofort von aller Zollpflicht befreit und darf nicht nach verschiedenen Frachttarifen behandelt werden. Nach und nach werden sich so die Bedingungen herausbilden, die dann von selbst die rationellste Verteilung der Produktion auf dem höchsten Leistungsniveau gewährleisten. Im Gegensatz zu einem internationalen Kartell, das nach einer Aufteilung und Ausbeutung der nationalen Märkte durch einschränkende Praktiken die Aufrechterhaltung hoher Profite anstrebt, wird die geplante Organisation die Verschmelzung der Märkte und die Ausdehnung der Produktion gewährleisten“ (4).

Das Konzept ist verblüffend simpel — bis heute und es heißt: Kappung aller Hindernisse für einen grenzenlos freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen.

Doch auf dieses Konzept — und das gilt heute in gleicher Weise — musste eine Marke, die den Menschen das Gefühl (!) vermittelte, dass ein solches Konzept gut für uns alle, gut für die Gesellschaft ist. Zur gleichen Zeit führte Frankreich eine Reihe kolonialer Feldzüge in Indochina und Nordafrika. Das sei erwähnt, um den Lesern das Groteske der wohlfeilen Worte bewusst zu machen. B-Geschichten gibt es, seit es Macht gibt — also seit Menschengedenken.

Immer waren es Vertreter der Wirtschaft, die die Politik veranlassten, die Strukturen der EU weiter zu formen. Die EU ist nie etwas anderes als ein Projekt des Geldes gewesen und die heutige Praxis zeigt das fortwährend. Natürlich muss man in der Lage sein, hinter die Fassade des Projekts zu schauen. Vor der ernüchternden Wirklichkeit ist nämlich ein gewaltiger Popanz aufgebaut, der uns Bürgern suggeriert, dass wir es gewesen wären, welche die europäische Einigung — in Form eben dieser Institution EU — gefordert und bewusst mitgetrieben hätten.

Das ist einfach nicht wahr.

Weil die EU ein Projekt von Wirtschafts- und Finanzeliten ist, so wie das auch für die Politik der Nationalstaaten, also der Mitglieder der EU — und natürlich auch darüber hinaus — gilt, sitzen an den entscheidenden Schalthebeln dieses supranationalen Gebildes Leute aus der Wirtschaft.

Die EU wird organisiert und gesteuert von Konzernvertretern und von Bankern. Von diesen im wahrsten Sinne des Wortes beauftragte Politiker sowie ins Leben gerufene und finanzierte Organisationen wurden als neue Ebene eingezogen und lassen die monopolartigen Strukturen dahinter verschwimmen.

Es gibt keine unabhängigen Entscheider in der EU. Wir finden keine Menschen, die einer tatsächlichen Graswurzelbewegung entstammen und bodenständig geblieben sind. Menschen, die damit ihrem Gewissen und dem Auftrag ihrer Wähler folgen könnten. Auch kleine Unternehmer und tatsächlich von Wirtschaft und Politik unabhängige Organisationen haben im Moloch EU nichts zu melden.

Dieses Gebilde ist genau dafür da, am großen Rad zu drehen. Kleinteiligkeit ist da nicht gewünscht und aufgrund der Struktur auch gar nicht anwendbar. Denn solche großen Strukturen ersticken auch in ihrem eigenen bürokratischen Sumpf, wobei sie zehntausenden Menschen ein recht einträgliches Auskommen bescheren. Die EU bedient also auch ohne Zweifel unseren Opportunismus.

Auf der ersten Seite und im ersten Abschnitt eines Grundsatzdokuments der Europäischen Kommission ist Folgendes zu lesen:

„Das Alleinstellungsmerkmal der EU ist, dass alle diese Staaten souverän und unabhängig bleiben, aber einige ihrer hoheitlichen Befugnisse in Bereichen bündeln, in denen eine Zusammenarbeit sinnvoll ist“ (5).

Nur um anzudeuten, wie viel Schein in diesen wohlklingenden Sätzen steckt, die sich durch das ganze Dokument ziehen: Griechenland kann ein Lied davon singen, wie „souverän“ es noch als EU-Mitglied ist. Souverän ist der Beherrschende, nicht der Beherrschte. Bei den Beherrschten finden sich dann immer noch genug Opportunisten, die für den eigenen kleinen oder auch größeren Gewinn, das System der Herrschenden stützen. Auch das zeigt Griechenland deutlich.

Das oben erwähnte Papier gibt sich die Überschrift: „Die Europäische Union — Was sie ist und was sie tut“. Der ganz oben stehende Punkt ihres Tuns im Bereich Wirtschaft und Finanzen lautet:

„Förderung von Wachstum und Beschäftigung“ (6).

Wenn Sie diese Pille — selbstredend unterbewusst — akzeptiert und geschluckt haben, werden Sie alles Weitere aus der damit gebildeten Matrix begreifen und hinnehmen.

Dabei ist das Mantra vom (ewigen) Wachstum genauso irrsinnig, wie das von Beschäftigung. Doch alles andere ordnet sich diesem Irrsinn — das ist gelebte Praxis der EU-Politik — konsequent unter.

Mit solch einem Grundsatz ist für mich ein auf die Natur und die Menschen hier und anderswo ausgerichtetes Denken und Handeln schlicht unvereinbar. Das, was die menschliche Zivilisation mit Sicherheit an ihr selbstgemachtes Ende führen wird, ist auch noch als eherner Grundsatz festgeschrieben.

Ähnliches las ich in Grundsatzdokumenten der Vereinten Nationen, zum Beispiel in der Agenda 2030:

„Wir sind außerdem entschlossen, die Bedingungen für ein nachhaltiges, inklusives und dauerhaftes Wirtschaftswachstum, geteilten Wohlstand und menschenwürdige Arbeit für alle zu schaffen, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Entwicklungsstufen und Kapazitäten der einzelnen Länder“ (7).

Den Vereinten Nationen — ebenso wie die EU ein Elitenprojekt und eine supranationale Organisation — ist es ernst. Sie wiederholt ihre Agenda:

„Wir sehen eine Welt vor uns, in der jedes Land ein dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum genießt und es menschenwürdige Arbeit für alle gibt“ (8).

17-mal taucht „nachhaltiges Wirtschaftswachstum“ im Dokument auf, bis hin zu konkreten Vorgaben wie das in allen (!) Staaten der Weltgemeinschaft umzusetzen ist (9). Denken wir immer wieder daran: So wie die Europäische Union sind auch die Vereinten Nationen ein Elitenprojekt. Volkes Wille hat bei der Gründung beider Organisationen keine Rolle gespielt. Beide haben sich den Kapitalismus als alternativlos zu eigen gemacht, weil das schließlich auch der konkrete Auftrag für sie war.

Wenn sich Politik an diese ehernen Grundsätze erzkapitalistischen Wirtschaftens hält, dann müssen solche Dinge zwangsläufig kommen:

Was denken Sie, liebe Leser, wie groß Ihr Einfluss auf Prozesse ist, die vom Räderwerk der EU angestoßen werden?

Wurden wir jemals wirklich gefragt? Oder wurden wir einfach nur informiert?

Die Rolle des Parlamentarismus in Nationalstaaten ist die einer Fassade, die uns die Illusion von Mitbestimmung verschafft.

Je weiter wir in der Machtvertikale nach oben gehen, desto größer die Fassade, desto geringer unser politischer Einfluss. Was auf lokaler, kommunaler Ebene noch hinreichend funktionieren kann, wird spätestens im Bundestag zur Farce. Im supranationalen Gebilde der Europäischen Union wird es schlicht zum Witz.

Die Kampagne — so wie sie durch die EU vor deren Parlamentswahlen im Mai 2019 geführt wurde — ist daher auch in keiner Weise konkret. Sie spielt(e) nur noch mit emotional gefärbten Parolen, die man früher der Sparte „Es droht der Untergang des Abendlandes“ zuordnete. Heute muss das Gespenst des Populismus und „russischer Beeinflussung“ herhalten, um die Menschen vor den Karren des neoliberalen, kriegsstiftenden Projekts EU zu spannen. Dafür — nicht aber für eine wirkliche sachbezogene Diskussion zum Auftrag und praktischen Tun der EU — geben sich die tonangebenden Medien gern her (10).

Was bleibt?

Nicht dass ich nun dazu auffordere, die Europäische Union zu bekämpfen. Doch lehne ich sie für mich — als Instrument politischer Teilhabe — schlicht ab. Die EU spaltet und normiert, ihre Agenda ist aggressiv über den Kontinent hinaus, sie trägt den Krieg in sich. Dabei hat sie den Namen Europa für sich gekapert. Sie spielt im Wortgebrauch mit Werten, um die Bevölkerung vor ihren Karren zu spannen und in der Praxis ist sie schlicht eine Wirtschaftsunion unter deutscher Führung.

Die EU ist eine notwendige Institution, um den Irrsinn unserer Marktwirtschaft, der tatsächlich gelebten Ideologie, noch ein paar Jahrzehnte weitertreiben zu können.

Ein Projekt, dass dafür entwickelt und geformt wurde, wirtschaftliche Macht zu zementieren, auszubauen und das dafür ausgerüstet ist, diese Ziele mit den umfassenden Mitteln des Krieges zu erreichen, kann kein Projekt sein, mit dem ich mich in irgendeiner Art und Weise identifizieren will. Einem solchen Projekt werde ich auch nicht mit meiner Stimme seine weitere Existenz legitimieren. Europa aber ist viel, viel mehr, als das beschränkte und moralisch aufgepeppte Kapitalismus-Projekt, das sich mit dem Namen Europäische Union schmückt.

Bitte bleiben Sie schön aufmerksam.


Quellen und Anmerkungen:

(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung — Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden.
(1, 2, 4) https://www.robert-schuman.eu/en/declaration-of-9-may-1950/de; abgerufen: 18.5.2019
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Schuman#Nachkriegszeit; abgerufen: 18.5.2019, 11:35 Uhr
(5-7) https://hla21.de/wp-content/uploads/2016/12/NAX_2030-AgendafuerNachhaltigeEntwicklung150918-1.pdf; S. 3, S. 4, S. 21; abgerufen: 18.5.2019
(8) Grundsatzpapier der Europäischen Kommission; https://publications.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/715cfcc8-fa70-11e7-b8f5-01aa75ed71a1; 2018; ISBN 978-92-79-63384-3; im Weiteren GPEUK; S. 7
(9) GPEUK; S. 14
(10) 8.3.2019, 16:59 Uhr; https://www.mdr.de/sachsen/leipzig/leipzig-leipzig-land/mdr-europakonferenz-leipzig-zweiter-tag-oettinger-100.html


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