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Das Ende der Geduld

Das Ende der Geduld

In Libyen finden weitere Demonstrationen gegen Premier Dabaiba statt — unterdessen kämpfen ausländische Mächte um Einfluss.

Die Bevölkerung in Tripolis begehrt nach Milizenkämpfen auf

Nach der Ermordung des Milizenführers al-Kikli und der Auflösung seines Stability Support Apparatus durch eine mit dem Premierminister Abdulhamid Dabaiba verbündete Miliz, fanden zum dritten Mal in Folge in Tripolis Großdemonstrationen am Märtyrerplatz gegen die Dabaiba-„Regierung“ statt, bei denen deren sofortiger Rücktritt gefordert wurde. Besonders aktiv im Kampf gegen die Dabaiba-„Regierung“ zeigt sich dabei die Bewegung Söhne des Suk al-Dschamaa. Suk al-Dschamaa ist ein bedeutender Stadtteil in Tripolis, in dem der ermordete al-Kikli viele Unterstützer hatte. Das französische Blatt LeMonde stellte fest, dass die Milizenkämpfe in Tripolis, von denen auch Zivilisten und zivile Einrichtungen massiv betroffen waren, den Volkszorn entfachten.

Für Freitag, den 14. Juni 2025, ist die nächste Großkundgebung im Zentrum der Hauptstadt geplant. Die Bewegung Söhne des Suk al-Dschamaa hat dafür Losungen ausgegeben wie:

„Nein zur Milizenherrschaft! Nein zur Herrschaft der Korruption! Nein zu Dabaiba und seinem Clan! Nein zu allen politischen Gremien!“

Die Partei Stimme des Volkes rief zu einem friedlichen „Sit-in“ vor dem Hauptquartier der UN-Mission auf, das so lange andauern soll, bis die UN-Mission ihre Versprechen einlöst, und endlich die seit Jahren geforderten — aber immer wieder verzögerten — Wahlen in Libyen abgehalten werden. Auch die UN-Sondergesandte für Libyen, Hannah Tetteh, scheint erkannt zu haben, dass die Libyer das Vertrauen in die derzeitige politische Klasse verloren haben. Es wird brenzlig.

Abdulhamid Dabaibas Plan zur Auflösung missliebiger Milizen

Premierminister Dabaiba behauptet immer wieder, er wolle die Eliminierung aller Milizen, die die libysche Hauptstadt beherrschen. Dabei verschweigt er, dass gerade in seiner Regierungszeit der Machtzuwachs dieser Milizen durch Geld- und Postenzuweisungen enorm anstieg. Der ermordete Milizenführer al-Kikli scheint dabei etwas zu mächtig und für Dabaiba gefährlich geworden zu sein.

Kiklis Ermordung führte allerdings nicht zum gewünschten Erfolg, sondern zu weiteren Kämpfen in den Straßen von Tripolis, zu anhaltendem Chaos und zur Mobilisierung weiter Teile der westlibyschen Bevölkerung. Dabaiba scheiterte bisher mit seinem Versuch, in Abstimmung mit dem Vorsitzenden des Präsidialrats Mohammed al-Menfi auch die mächtige Deterrence Force von Abdel Rauf Kara auszuschalten.

Milizen, die die Dabaiba-„Regierung“ unterstützen, sind die 444. Kampfbrigade unter dem Kommando von Machmud Hamza sowie der berüchtigte Allgemeine Sicherheitsdienst unter Abdullah at-Trabelsi, einem Bruder des Innenministers der Dabaiba-„Regierung“. Nach Angriffen auf die Deterrence Force und schweren Kämpfen schloss die 444. Kampfbrigade mit der Deterrence Force einen Waffenstillstand, der jedoch in der Nacht auf den 9. Juni vom Allgemeinen Sicherheitsdienst unter at-Trabelsi gebrochen wurde. Die Kämpfe mit der Deterrence Force von Kara flackerten erneut auf.

Augenblicklich soll Dabaiba versuchen, Milizen aus der Stadt Misrata, die bisher nur in den Vorstädten Stellung bezogen haben, zu seiner Unterstützung in die Kämpfe zu involvieren. Dazu wurde am 10. Juni ein gemeinsamer militärischer Operationsraum gebildet. Misrata-Milizen sind in Tripolis verhasst, da sie sich 2016 bei Protesten in der Hauptstadt, als 45 Menschen getötet wurden, besonders brutal zeigten.

Laut dem Journalisten Khalil al-Hassi sei Machmud Hamza, der die 444. Kampfbrigade kommandiert, von der Rada-Miliz zu Dabaiba übergelaufen, weil ihm ausländische Mächte die Ernennung zum Oberbefehlshaber der Armee in der Westregion versprochen hätten. Dabaibas Bewegungsfreiheit in der Hauptstadt Tripolis sei extrem eingeschränkt; so sei es ihm aus Sicherheitsgründen nicht möglich, sich länger als zehn Minuten am Kabinettssitz aufzuhalten.

Sich auf ein militärisches Kräftemessen mit der Deterrence Force einzulassen, birgt für Dabaiba ein enormes Risiko, denn es schließen sich immer mehr Kämpfer der Miliz von Abdul Rauf Kara an, darunter viele Überläufer aus der 444. Kampfbrigade, insbesondere solche, die aus dem Bezirk Suk al-Dschumaa stammen. Auch ist die Zivilbevölkerung von Tripolis alles andere als begeistert, wenn ihre Stadt zum Schauplatz militärischer Auseinandersetzungen wird.

Inzwischen wimmelt es auf den Straßen von Tripolis von militärischen Fahrzeugen aller Art, und in manchen Gegenden ist der Verkehr zum Erliegen gekommen.

Die UN-Mission und ihr Beratungsausschuss

Vor kurzem stellte die UN-Mission die Ergebnisse eines von ihr ins Leben gerufenen politischen Beratungsausschusses vor. Dieser sollte Vorschläge erarbeiten, wie Libyen zu Wahlen geführt werden könne.

Inzwischen gibt es zwei UN-Sonderbeauftragte für Libyen: die neu ernannte Hannah Tetteh und die ehemalige, nun als Tettehs Stellvertreterin fungierende US-Amerikanerin Stephanie Khoury. Beide tingeln durch die Lande, um für die Vorschläge des Beratungsausschusses zu werben, wovon ein auch vom östlichen Parlament favorisierter Plan vorsieht, eine neue, vereinheitlichte Übergangsregierung unter Ausschaltung der bisherigen beiden rivalisierenden Regierungen zu schaffen. Die USA und ihre westlichen Verbündeten dürften eine solche Lösung augenblicklich favorisieren unter der Voraussetzung, die Kontrolle über alle Entwicklungen zu behalten.

Für die UN-Mission scheint Eile geboten, will sie weiterhin die Entwicklungen in Libyen steuern und nicht von den Ereignissen überrollt werden, da inzwischen die Forderung nach einer innerlibyschen Lösung immer lauter wird.

Hannah Tettehs Plan sieht dagegen vor, Mitte Juni mit den Botschaftern der Länder der Berliner Konferenz zusammenzutreffen, um einen kurzfristigen politischen Fahrplan zu erstellen.

Die innerlibysche Lösung

Der Sozialrat der Warfalla-Stämme schlägt vor, alle bestehenden politischen Gremien aufzulösen und die Macht für eine Übergangszeit an den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs zu übertragen.

Libyen sei zu einem besetzten Land geworden, in dem ausländische Geheimdienste bestimmen und die libyschen Machthaber als Befehlsempfänger ausländischer Mächte fungieren.

Die Partei Stimme des Volkes stellte einen detaillierten Fahrplan auf, der zu Präsidentschafts- und Parlamentswahlen führen soll. Das Volk sei die Quelle der Gesetzgebung, und der Gang des Volkes auf die Straße beende jede Einmischung von außen oder innen. Wer die Umsetzung dieses Plans bedrohe oder behindere, mache sich des Landesverrats schuldig.

Die UN-Mission wurde aufgefordert, innerhalb von 72 Stunden das Land zu verlassen, da sie bei der Lösung der libyschen Probleme kläglich versagt habe.

Die Besatzungsmächte

Das NATO-Mitglied Türkei ist immer noch Unterstützer der Dabaiba-„Regierung“ und der türkische Geheimdienstchef besuchte Anfang Juni unter großen Sicherheitsvorkehrungen Tripolis.

Von der Neuausrichtung der US-Außenpolitik unter Trump dürften viele Libyer enttäuscht sein, insbesondere wegen des Versuchs der Trump-Regierung, straffällige Migranten aus den USA nach Libyen abzuschieben oder aus dem Gazastreifen vertriebene Palästinenser in Libyen anzusiedeln. Außerdem scheint Trump die US-Militärpräsenz in Libyen erhöhen zu wollen, um Russlands verstärktem militärischen Engagement im östlichen und südlichen Libyen entgegenzuwirken.

Russland intensivierte seine militärische Zusammenarbeit mit dem östlichen Libyen unter Khalifa Haftar, scheint sich aber durchaus bewusst zu sein, dass Haftar mit seinem US-amerikanischen Pass und als ehemaliger CIA-Mann ein doppeltes Spiel spielt, auch wenn er von Russland hochwertige Waffensysteme geliefert bekommt.

Haftars Macht im Osten erscheint keineswegs unangreifbar, trotz seines brutalen Vorgehens gegen politische Gegner. Haftar ist alt und gesundheitlich angeschlagen, und ob es seinen Söhnen gelingt, sich als seine Nachfolger zu etablieren, erscheint fraglich.

Augenblicklich ließ Haftar Streitkräfte näher an das westliche Libyen, nach Sirte, verlegen, um — sollte die Situation günstig erscheinen — vom Chaos in Tripolis militärisch zu profitieren.

Die Bevölkerung ist mit ihrer Geduld am Ende

Die militärische Lage ist fragil, die beiden konkurrierenden Regierungen im Osten und Westen haben abgewirtschaftet. Alle derzeitigen Machthaber sind hoch korrupt, gehen skrupellos gegen politische Gegner vor und scheuen auch vor militärischer Gewalt nicht zurück, um den eigenen Machterhalt im Auftrag und im Sinne ausländischer Mächte zu sichern.

Derweil taumelt das inzwischen hoch verschuldete Libyen dem wirtschaftlichen Zusammenbruch entgegen.

Die Menschen in Libyen sind mit ihrer Geduld am Ende.


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