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Das Recht der Besitzenden

Das Recht der Besitzenden

Die Geschichte der Menschenrechte offenbart, dass mit diesen vor allem das Eigentum des Bürgertums geschützt werden sollte. Exklusivabdruck aus „Sklaverei als Menschenrecht“. Teil 2/4.

Aufklärer für Sklaverei der Schwarzen

Das Jahrhundert der Aufklärung — und des Liberalismus — war das Jahrhundert der raschen Ausbreitung der Sklaverei und des Sklavenhandels. Man sollte meinen, dass die Aufklärer des 18. Jahrhunderts aufgeklärt genug gewesen seien, die Sklaverei grundsätzlich abzulehnen und ihre sofortige Abschaffung zu verlangen. Traten sie nicht für natürliche Rechte aller Menschen ein, für Menschenrechte?

Aber die Aufklärer waren bürgerliche Revolutionäre, deren Ziel der Sturz von Feudalismus und Absolutismus war. Sklaverei und Sklavenhandel waren wesentliche ökonomische Grundlagen der damaligen Bourgeoisie, der Klasse, der die Aufklärer zur politischen Macht verhelfen wollten. Ihre eigene Klasse durch den Kampf gegen die Sklaverei ökonomisch und damit auch politisch zu schwächen, hätte der bürgerlichen Revolution geschadet.

„Die großen Denker des 18. Jahrhunderts (konnten) nicht über die Schranken hinaus, die ihnen ihre eigene Epoche gesetzt hatte“ (1).

Nach Jürgen Osterhammel waren Montesquieu (2), Abbé Raynal (3) und Condorcet (4) „einzelne kritische Stimmen“, die „Anstoß an Sklavenhandel und Sklaverei genommen“ hätten. Er fügt hinzu, dies könne „nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sklaverei mit den moralischen Empfindungen und sogar mit dem Naturrechtsdenken der Aufklärung selten in Widerspruch geriet“.

„Im ‚Zeitalter der Vernunft‘ hatten nur wenige Europäer Anstoß an Sklavenhandel und Sklaverei genommen, die während des 18. Jahrhunderts im atlantischen Raum immer mehr Bedeutung gewann“ (5).

Mit der Formel „keinen Anstoß an Sklaverei“ nehmen, kann man die nüchterne Feststellung umgehen, dass die Aufklärer — die ideologischen Wegbereiter der heutigen bürgerlichen Rechtsstaaten — aktive Verteidiger der Sklaverei waren. Wenn sie „Anstoß an Sklavenhandel und Sklaverei“ nahmen, dann nur an ihren überholten Rechtfertigungen und an ihrer zu brutalen Durchführung.

Kaum ein Kritiker der Sklaverei

In einem Vortrag vor der Siemens-Stiftung im Jahr 2000 hatte Osterhammel noch erklärt, man finde „unter den nennenswerten philosophischen Zeitgenossen der atlantischen Sklaverei bis ins Revolutionszeitalter hinein kaum einen Kritiker des Systems, aber erst recht keinen Verteidiger, sieht man von einigen Bemerkungen John Lockes ab“ (6).

Niemand griff die Sklaverei an und niemand verteidigte sie? Seltsam. Dass es keinen Verteidiger der kolonialen Sklaverei unter den Aufklärern gab, ist völlig falsch. Typisch zum Beispiel für Montesquieu, Raynal und Condorcet ist, dass sie die zu ihren Lebzeiten herrschende Sklaverei verteidigten, indem sie ihre Auswüchse kritisierten. Sie wollten sie nicht abschaffen, sondern durch Reformen stärken. Für sie waren Afrikaner degenerierte Menschen, die nicht aus der Sklaverei entlassen werden konnten, solange die französische Zivilisation sie nicht auf die Stufe der Humanität gehoben hatte (7).

Mulatten, durch ihre partiell weiße Abstammung geadelt, galten eher als geeignet, französische Staatsbürger zu sein und aus dem Kerker des Sklavengesetzes befreit zu werden.

„Rechte, Zivilisation, und ihr Gegensatz wurden eine Funktion und waren bestimmt durch die Farbe und den Ton der Haut“ (8).

Die Zivilisierung der Sklaven sollte von den weißen Sklavenhaltern und ihren ideologischen Vertretern ausgehen. Die Aufklärung legte damit „die ‚wissenschaftliche‘ Grundlage der zivilisatorischen Mission der kolonialen Ideologie“ (9), besser des Kolonialismus, der damals weitgehend auf Sklaverei beruhte.

„Die Aufklärer — Condorcet, Diderot, Montesquieu (…) Raynal, Rousseau, Voltaire — bestanden nie auf seiner (des Code Noir) sofortigen Aufhebung, sondern setzten höchstens bei dem von Buffon entfalteten Hierarchiemodell an, indem sie den Schwarzen zugestanden, sich allmählich aus der ‚Degeneration‘ zur ‚ Vervollkommnung‘ fortentwickeln zu können, um schließlich ihre Würde als freie Menschen zu erwerben“ (10).

Kolonialismus im Namen der Aufklärung

Bei seinem Vordringen in Afrika und Asien entrollte Frankreich also das Banner der Aufklärung. Kolonialminister Albert Sarraut verkündete 1923 in Brüssel:

„Die französische Kolonisierung ist wesentlich eine Schöpfung der Humanität, eine universale Bereicherung. Diese Bereicherung muss verfolgt werden in Verbindung und Zusammenarbeit mit den Rassen, über die der Kolonist herrscht und deren menschlichen Wert er heben muss“ (11).

Schon die Aufklärung hatte sich die Vervollkommnung der Nicht-Weißen auf die Fahnen geschrieben. Der Sozialist Léon Blum, der spätere Ministerpräsident der Volksfrontregierung, schloss sich 1925 an:

„Wir akzeptieren das Recht und sogar die Pflicht überlegener Rassen, diejenigen zu ihnen emporzuziehen, die noch nicht denselben Grad an Kultur erreicht haben, und sie aufzufordern, sich an dem Prozess zu beteiligen, der durch den Fortschritt von Wissenschaft und Industrie erreicht ist“ (12).

Die Arbeit an der Verwandlung der von Imperialisten beherrschten Völker in menschliche Wesen rechtfertigt den Kolonialismus auch nach der Abschaffung der Sklaverei. Man kann sich auf die Aufklärung berufen, für die der weiße Mensch der perfekteste und zivilisierteste Mensch war.

Aufklärer für Sklaverei

Oliver Gliech konstruiert eine „hochgradig paradoxe Situation“, weil zur gleichen Zeit, in der Frankreich zu einer der größten Sklavenhalternationen des Westens wurde, „französische Philosophen führend daran beteiligt (waren), jene humanitären Standards auszuarbeiten, die bis heute das Fundament der westlichen Werteordnung bilden; der Freiheitsbegriff hat dabei einen hohen Stellenwert“ (13).

Wieso Paradox? Der „Freiheitsbegriff“ der westlichen Werteordnung schloss die Freiheit der Sklavenhalter ein, Sklaven zu besitzen, und die Freiheit von Sklavenhändlern, Afrikaner zu rauben und zu verkaufen. Die Aufklärer akzeptierten kein Recht von Sklaven, auf Grund von Prinzipien der westlichen Werteordnung freigelassen zu werden. Das nicht zu verstehen, ist allerdings ebenfalls kein Paradox, sondern Ausdruck des beschränkten Auffassungsvermögens bürgerlicher Wissenschaftler.

Das Grundgesetz der Sklaverei war der Code Noir von 1685. Die Aufklärer griffen dieses monströse Gesetz nicht an. Sie kannten es, und seine Anerkennung war für sie selbstverständlich. Ihre Ideen bewegten sich „innerhalb der Interessen und der Rechte der französischen Metropole, aus den Kolonien maximale Erträge zu ziehen. Mehr Profite konnten wahrscheinlich, fast sicher, erzielt werden, wenn die Leute, die das Land dort kultivierten, einen flüchtigen Blick auf eine hoffnungsvolle Zukunft jenseits ihrer gegenwärtigen katastrophalen Lage werfen konnten“ (14). Die Aufklärer machten also Vorschläge, wie die Ausbeutung der Sklaven im Interesse der kolonialen Ordnung verfeinert werden könnte.

Unter dem Stichwort „Aufklärung“ des Fischer Lexikons Geschichte wird mit keinem Wort erwähnt, dass die Aufklärer die Sklaverei verteidigten. Der Autor rühmt dagegen „das Erbe der Aufklärer, ihr(en) Kampf für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, für Menschenwürde, Gerechtigkeit und Toleranz“ (15). Dass diese ruhmreichen Werte nur für die Bourgeoisie im Verhältnis zur Aristokratie galten, verschweigt er.

Aufklärung über die Aufklärer wird in Deutschland kleingeschrieben, damit die in rosarote Wolken von bourgeoisem Parfüm gehüllte Erinnerung an die Menschenrechte der Französischen Revolution nicht beeinträchtigt wird. Das dazu grundlegende Werk von Louis Sala-Molins aus dem Jahre 1992 (16) ist bis heute nicht ins Deutsche übersetzt, 2006 in den USA allerdings immerhin ins Englische.



Quellen und Anmerkungen:

Die vollständigen Quellenangaben können dem Buch entnommen werden.


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