Aus welchem Grund wenden Machthaber die in Teil 1 des Buches „Ist Lachen wirklich ansteckend?“ geschilderten Kunstgriffe, Recht zu behalten, nach Arthur Schopenhauer an und lehnen fortlaufend die differenzierte Betrachtung verschiedener Gesichtspunkte ab, statt sich inhaltlich damit zu befassen? Sollten sie sich ihrer Auffassung so sicher sein, wie sie vorgeben, dann stünde einem sachlichen Austausch hierzu nichts im Wege. In diesem Fall wäre auch nicht notwendig, die Kritiker über die Anwendung von Schopenhauers Kunstgriffen und anderen Techniken ins Unrecht zu setzen.
Was sind also die Gründe für ein solches Verhalten? Weshalb werden wichtige gesellschaftliche Werte wie Diversität in herausfordernden Zeiten offenkundig weniger geschätzt und Andersdenkende regelrecht ignoriert, wenn nicht gar aktiv unterdrückt? Das aktuelle Vorgehen in Bezug auf Covid-19 stellt den kulturellen Wert der Fürsorge deutlich über den der Freiheit. Damit einhergehende erhebliche Einschränkungen werden billigend in Kauf genommen und jeglicher Widerstand dagegen ignoriert oder kritisiert. Warum wird die Debatte hierzu, sofern sie überhaupt stattfindet, auf ein „entweder oder“ verkürzt, statt ein „sowohl als auch“ zuzulassen? In Teil 2 des Buches „Ist Lachen wirklich ansteckend?“ wird auf mögliche Erklärungsansätze eingegangen.
Haben oder Sein?
Als Basis hierfür dient die Publikation „Haben oder Sein – Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ von Erich Fromm (1). Fromm bezieht sich in seiner Schrift unter anderem auf die Lehren von Karl Marx, Meister Eckhart, Albert Schweitzer und Buddha und deren „… radikale Forderung nach Aufgabe der Orientierung am Haben, ihre antiautoritäre Position und ihr Eintreten für völlige Unabhängigkeit (…) und ihre Forderung nach gesellschaftlicher Aktivität im Geiste der Nächstenliebe und menschlichen Solidarität“ (2). Insbesondere die Modi „Haben und Sein als zwei verschiedene Weisen menschlicher Existenz …“ (3) auf Basis der Marx‘schen Ideen über die Entstehung des neuen Menschen sind wichtiger Bestandteil seines Werkes:
„Der ‚Sinn des Habens‘, von dem Marx hier spricht, ist genau dasselbe wie die ‚Ich-Gebundenheit‘ Eckharts, die Gier nach Dingen und die damit verbundene Selbstsucht“ (4).
Fromm erläutert, dass die in westlichen Kulturen weitverbreitete Existenzweise des Habens mit einer unbewussten Entfremdung von sich selbst und der Schöpfung einhergeht. Dabei bezieht er dieses „Haben“ nicht nur auf klassische materielle Besitztümer, sondern auch auf Gedanken, Gefühle, Religion beziehungsweise den Glauben und so weiter:
„Nehmen wir an, eine Frau eröffnet das Gespräch mit einem Psychoanalytiker folgendermaßen: ‚Herr Doktor, ich habe ein Problem.‘ (…) Der moderne Sprachstil ist ein Indiz für die heutige Entfremdung. (…) Ich habe meine Gefühle in etwas verwandelt, das ich besitze: das Problem. Ein ‚Problem‘ ist ein abstrakter Ausdruck für alle Arten von Schwierigkeiten. Ich kann es nicht haben, da es kein Ding ist, das man besitzen kann, allerdings kann das Problem mich haben; genauer gesagt, habe ich mich dann in ein ‚Problem‘ verwandelt, und meine Schöpfung hat Besitz von mir ergriffen. Diese Art zu sprechen verrät die versteckte unbewußte Entfremdung“ (5).
Weiter postuliert Fromm:
„In der Existenzweise des Habens sind nicht die verschiedenen Objekte des Habens das Entscheidende, sondern die ganze Einstellung. Alles und jedes kann zum Objekt der Begierde werden: Gegenstände des täglichen Lebens, Besitz, Rituale, gute Taten, Wissen und Gedanken. All diese Dinge sind nicht an sich ‚schlecht‘, sie werden schlecht, das heißt, sie blockieren unsere Selbstverwirklichung, wenn wir uns an sie klammern, wenn sie zu Ketten werden, die unsere Freiheit einschränken“ (6).
Fromm geht sogar so weit, „ … daß die von unserem sozioökonomischen System, das heißt von unserer Lebensweise geprägten Charakterzüge pathogen sind …“ (7).
Es zeigt sich, dass die bereits vor über 40 Jahren durch Erich Fromm beschriebenen Grundlagen einer Gesellschaft im Sinne der Existenzweise des Habens mit den entsprechenden Einschränkungen der Freiheit auch heute noch vorherrschend sind ― und dies kann als Erklärungsmodell für den Umgang mit Covid-19 und die in Teil 1 des Buches „Ist Lachen wirklich ansteckend?“ beschriebenen Phänomene herangezogen werden.
Selbstsucht
„Wie ist es möglich, daß der stärkste aller Instinkte, der Selbsterhaltungstrieb, nicht mehr zu funktionieren scheint? Eine der naheliegendsten Erklärungen ist, daß die Politiker mit vielem, was sie tun, vorgeben, wirksame Maßnahmen zur Abwendung der Katastrophe zu ergreifen. (…) Eine andere Erklärung ist, daß die vom System hervorgebrachte Selbstsucht die Politiker veranlaßt, ihren persönlichen Erfolg höher zu bewerten als ihre gesellschaftliche Verantwortung. (…) Gleichzeitig ist der Durchschnittsmensch so selbstsüchtig mit seinen Privatangelegenheiten beschäftigt, daß er allem, was über seinen persönlichen Bereich hinausgeht, wenig Beachtung schenkt“ (8).
Bereits in den 1970er-Jahren kommt Erich Fromm in der Einleitung zu seinem Werk „Haben oder Sein“ zu der Erkenntnis, dass die Politik häufig vorgibt, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um eine Katastrophe abzuwenden ― wie auch im Kontext von Covid-19 beobachtbar. Dabei wird sie nicht vom Streben nach objektiver Wahrheit oder dem Wohlergehen der Menschen geleitet. Viele Politiker scheinen vielmehr an kurzfristigen persönlichen Erfolgen denn an langfristigen positiven Auswirkungen auf die Gesellschaft interessiert zu sein. Dieses von Fromm als selbstsüchtig bezeichnete Verhalten wird im Allgemeinen kaum hinterfragt, da die Mehrheit der Bevölkerung ebenso selbstsüchtig agiert und sich nicht im Detail mit Angelegenheiten befassen möchte, die über ihren privaten Bereich hinausgehen. Folglich opponiert niemand gegen Anordnungen, solange diese vorwiegend andere betreffen und keine erheblichen und nachteiligen Konsequenzen für das eigene Privatleben zu befürchten sind.
Vergleichbares ist gut erkennbar auch im Zusammenhang mit Covid-19, da die Mehrheit der Bevölkerung hier ebenfalls keine tiefe Auseinandersetzung mit den Erlassen der Regierung anzustreben scheint. Nur sehr wenige hinterfragen die Grundlagen für die entsprechenden Verordnungen oder die Sinnhaftigkeit dieser selbst. Die Auflagen werden lediglich hingenommen beziehungsweise befolgt, ohne sich weiter damit zu befassen ― zumindest so lange, wie die Maßnahmen sich nicht negativ auf das direkte persönliche Umfeld auswirken. Oder anders ausgedrückt: Es wird sich nicht dagegen aufgelehnt, sofern die vorgegebene kollektive Fürsorge ein Individuum nicht in dem Maße einschränkt, das dies seine Vorstellung von der eigenen Freiheit limitiert.
Im Folgenden wird sich zeigen, dass diese passive Haltung vieler Bürger nicht allein auf Selbstsucht begründet ist. Sie ist vielmehr ein Zusammenspiel diverser weiterer Variablen, wie einer überhöhten Machtzuschreibung an Autoritäten, einer einseitigen Informationslage, bis hin zu Propaganda, Manipulation und Indoktrination. All diese Phänomene lassen sich am Beispiel von Covid-19 beobachten, worauf in den verschiedenen Kapiteln des zweiten Buchteils von „Ist Lachen wirklich ansteckend?“ eingegangen wird.
Hierarchische Gesellschaftsstruktur und Macht der Autoritäten
Zu der vorstehend beschriebenen Selbstsucht von vielen Politikern aber auch aufseiten der Bevölkerung kommt ein weiteres Phänomen nach Fromm, das den Effekt des Hinnehmens von Regierungsbeschlüssen verstärkt:
„ … es kommt in den meisten größeren und hierarchisch gegliederten Gesellschaften zu einem Prozeß der Entfremdung der Autorität. (…) Wenn die Autorität die richtige Uniform trägt oder mit dem entsprechenden Titel ausgestattet ist, dann ersetzen diese äußeren Zeichen die reale Kompetenz und die Qualitäten, auf denen diese beruht. (…) Daß die Menschen Uniformen und Titel für kompetenzverleihende Qualitäten halten, geschieht nicht ganz von selbst. Die Inhaber der Autorität und jene, die Nutzen daraus ziehen, müssen die Menschen von dieser Fiktion überzeugen und ihr realistisches, das heißt kritisches Denkvermögen einschläfern. Jeder denkende Mensch kennt die Methoden der Propaganda, Methoden, durch die die kritische Urteilskraft zerstört und der Verstand eingelullt wird, bis er sich Klischees unterwirft, die die Menschen verdummen, weil sie sie abhängig machen, und sie der Fähigkeit berauben, ihren Augen und ihrer Urteilskraft zu vertrauen. Diese Fiktion, an die sie glauben, macht sie für die Realität blind“ (9).
Auch dieses Muster der „Obrigkeitshörigkeit“ lässt sich im Kontext von Covid-19 beobachten und trägt dazu bei, dass Anordnungen der Regierenden nur von wenigen hinterfragt werden. Deutschland kann ― wie andere Nationen ebenfalls ― immer noch als Gesellschaft mit relativ hierarchischen Strukturen betrachtet werden, bei der offizielle Amtsträger, Wissenschaftler und andere bekannte Persönlichkeiten Kraft ihres Titels oder Amtes ein hohes Ansehen genießen. Ihnen wird eher Glauben geschenkt und Folge geleistet als anderen, die sich eventuell nicht durch die gleichen Zertifikate oder Posten als vermeintlich glaubhaft ausweisen können ― mögen sie sich auch noch so fundiert mit einem Thema auseinandergesetzt haben.
Nutzen diese Autoritäten dann noch die von Fromm erwähnten Methoden der Propaganda, so ist es für viele umso schwieriger, ein Bewusstsein dafür zu erhalten oder zurückzuerlangen, dass die eigene Sichtweise gegebenenfalls nicht frei gebildet, sondern tatsächlich von außen stark beeinflusst wird.
Komplexität, Verfügbarkeit von Informationen und Manipulation
Den Mangel an tiefer beziehungsweise echter eigener Befassung Einzelner mit politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen begünstigt heutzutage noch, dass die Welt seit der Publikation von Erich Fromm deutlich schnelllebiger geworden ist und es vergleichsweise einen exponentiellen Zuwachs an Informationen gibt. Viele fühlen sich angesichts der heutigen Komplexität überfordert und scheuen daher die detaillierte Auseinandersetzung mit einem Thema. Zusätzlich ist es anstrengend und kostet es einen gewissen Aufwand, sich eingehend mit Geschehnissen wie Covid-19 zu befassen. Der reine Konsum von Inhalten aus den leicht zugänglichen Massenmedien scheint die einfachste Möglichkeit des Kenntniserwerbs zu sein, reicht jedoch bei Weitem nicht aus.
„Wissen bedeutet, durch die Oberfläche zu den Wurzeln und damit zu den Ursachen vorzudringen, die Realität in ihrer Nacktheit zu ‚sehen‘. Wissen bedeutet nicht, im Besitz von Wahrheit zu sein, sondern durch die Oberfläche zu dringen und kritisch und tätig nach immer größerer Annäherung an die Wahrheit zu streben“ (10).
Ein mühsamer, zeitaufwendiger Prozess, den die meisten nicht auf sich nehmen möchten und stattdessen lieber vermeintlichen Autoritäten oder Experten sowie der erhofften Unabhängigkeit der großen Medienorgane vertrauen. Das macht einiges leichter und bewährt sich für viele zumindest so lange, wie es nicht die weiter oben beschriebene Einschränkung der persönlichen Belange zur Folge hat.
Eine wichtige Rolle spielt hierbei auch der Glaube in der Existenzweise des Habens nach Fromm:
„Er besteht aus Formulierungen, die von anderen geschaffen wurden und die man akzeptiert, weil man sich diesen anderen – gewöhnlich einer Bürokratie – unterwirft. Er gibt einem ein Gefühl der Gewißheit aufgrund der realen (oder nur eingebildeten) Macht der Bürokratie. Er ist die Eintrittskarte, mit der man sich die Zugehörigkeit zu einer großen Gruppe von Menschen erkauft, er nimmt einem die schwierige Aufgabe ab, selbst zu denken und Entscheidungen zu treffen“ (11).
In diesem Sinne ist es also nicht nur Bequemlichkeit oder Überforderung, die viele davon abhält, sich eingehend mit einem Thema auseinanderzusetzen. Es ist auch die von Autoritäten ausgeübte Macht, die nicht angezweifelt wird ― vor allem aus der Angst vor Repressalien heraus wie beispielsweise der Sorge, aus einer großen Gruppe ausgeschlossen zu werden und plötzlich einer Minderheit anzugehören oder gar ganz allein dazustehen.
Umgekehrt ist laut Fromm „Glaube in der Existenzweise des Seins (…) nicht in erster Linie ein Glaube an bestimmte Ideen (obwohl er auch das sein kann), sondern eine innere Orientierung, eine Einstellung“ (12).
Fromm zufolge zeigen nach und nach mehr Menschen solch eine Einstellung und werden sich langsam der Tatsache bewusst „… daß unsere Gedanken, Gefühle und unser Geschmack durch den Industrie- und Staatsapparat manipuliert werden, der die Massenmedien beherrscht; …“ (13).
Es kommt also in verschiedenen Teilen der Bevölkerung immer stärkerer Zweifel auf, ob hinter den Maßnahmen einer Regierung tatsächlich das fürsorgliche Streben nach allgemeinem Wohlergehen der Menschheit steht, oder ob diesen vielleicht andere Motive zugrunde liegen. Solcher Zweifel äußert sich am Beispiel von Covid-19 darin, dass einige Menschen nach alternativen Erklärungen und Erkenntnissen suchen, nicht mit allen Beschlüssen des Staatsapparates konform gehen und auch den Massenmedien nicht mehr vertrauen. Ein Phänomen, das Fromm bereits über 40 Jahre zuvor beschrieben hat und welches nicht nur auf Covid-19 beschränkt ist.
Dennoch wirkt es augenscheinlich so, als ob Personen mit einer kritischen Betrachtungsweise hinsichtlich Covid-19 deutlich in der Minderheit sind. Teils könnte dies tatsächlich der Fall sein aus vorgenannt und weiter unten beschriebenen gesellschaftlichen Gründen. Es ist darüber hinaus jedoch auch zu verzeichnen, dass die Kritiker deutlich weniger Beachtung in der Allgemeinheit finden und ihre Position nicht repräsentativ in den breiten Medien aufgegriffen werden. Des Weiteren kommt noch hinzu, dass sich Andersdenkende aufgrund von bereits beschriebenen Diffamierungen bis hin zu Strafandrohung häufig nicht öffentlich zu erkennen geben. Daher ist die absolute Zahl dieser tatsächlich schwer einzuschätzen und vermutlich größer als zurzeit ersichtlich.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Fromm, Erich. Haben oder Sein ― Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. München: dtv, 1976. ISBN: 978-3423342346.
(2) Ebenda, Seite 199.
(3) Ebenda, Seite 191.
(4) Ebenda, Seite 192.
(5) Ebenda, Seite 37.
(6) Ebenda, Seite 83.
(7) Ebenda, Seite 21.
(8) Ebenda, Seite 24, 25.
(9) Ebenda, Seite 56 bis 57.
(10) Ebenda, Seite 57 bis 58.
(11) Ebenda, Seite 59 bis 60.
(12) Ebenda, Seite 61.
(13) Ebenda, Seite 14.
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