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Das unbeachtete Leid

Das unbeachtete Leid

Enorme Subventionen — auch von der EU — halten die Stierkampfindustrie künstlich am Leben. Friedensbewegte Menschen protestierten in Portugal gegen eine dieser Veranstaltungen.

Die politische Partei PAN (Pessoas — Animais — Natureza, deutsch: Menschen — Tiere — Natur) in Portugal hat eine Gesetzesinitiative von Bürgern zur Abschaffung des Stierkampfes gestartet und fordert die Regierung auf, „auf der richtigen Seite der Geschichte“ zu stehen und „die Misshandlung von Tieren“ nicht zuzulassen.

Diese Initiative mit dem Titel „Schluss mit dem Stierkampf, bitte“ („Fim à tauromaquia, por favor!“) wurde vor der Stierkampfarena Campo Pequeno in Lissabon bei einer Veranstaltung ins Leben gerufen. Ziel ist es, „diese anachronistische Aktivität zu beenden, die im 21. Jahrhundert nicht mehr existieren sollte“, erklärte die Sprecherin der Partei, Inês de Sousa Real. In ihrem Begleittext schreiben sie:

„In Portugal sind Stierkämpfe erlaubt, obwohl es heute unausweichliche wissenschaftliche Beweise dafür gibt, dass Tiere, genau wie Menschen, ebenfalls Gefühle und somit Leiden empfinden können.

Dies steht im Widerspruch zum Tierschutzgesetz, das festlegt, dass ‚jede ungerechtfertigte Gewalt gegen Tiere verboten ist, wobei Handlungen als solche betrachtet werden, die darin bestehen, einem Tier unnötigerweise den Tod, grausames und lang anhaltendes Leiden oder schwere Verletzungen zuzufügen‘.“

Dieses Prinzip steht in klarem Widerspruch zum Ritual des Tierkampfs bei Stierkampfvorführungen, bei dem die Tiere schrittweise und mit verschiedenen Arten tödlicher Waffen angegriffen werden, wodurch sie Schmerzen, tiefe Wunden und Blutungen bis fast zum Tode erleiden.

In Portugal war der für den Stier tödliche Teil des Kampfes seit 1928 verboten. Im August 2002 wurde das Verbot für Barrancos, eine Stadt an der spanischen Grenze, wieder aufgehoben.

Mit dem Kurs „Building community as a Key to Peacework“, der vom 5. August bis zum 1. September 2024 in Tamera in Südportugal stattfindet, nehmen wir an der Protestaktion gegen die wieder eingeführten Stierkämpfe in Vila Nova de Milfontes teil.

Der Protest fand parallel zur zweiten Stierkampfveranstaltung — nach 9 Jahren ohne diese schrecklichen Veranstaltungen — in dem touristischen Ferienort am Meer statt. Das Besondere bei der Veranstaltung war eine weitere zugefügte Verdrehung der Werte:

Sechs Wochen zuvor gab es eine Explosion in einer Wohnung in der Nähe von Milfontes, dabei sind Mutter, Vater und Tochter einer Familie ums Leben gekommen; am Leben geblieben ist ein Junge, 13 Jahre alt, er liebt Tiere. Er lebt heute mit seiner Tante. Von den Veranstaltern wurde gesagt, dass dieser Stierkampf eine Wohltätigkeitsveranstaltung sei, das Geld der Eintritte sei für den Jungen, um ihm eine finanzielle Basis für sein Leben zu geben.

Ich bin sicher, dass viele deswegen hingegangen sind, weil ihnen das Schicksal des Kindes ans Herz ging. Der Junge „war eingeladen“, zur Veranstaltung zu kommen. Er gehe da nicht gerne hin, er wolle nicht, dass Tieren Schmerz zugefügt wird, hörte man im Vorfeld. Er ging dann aber hin, da seiner Tante und ihm bei der Veranstaltung öffentlich das Geld überreicht werden sollte.

Was geht in der Seele eine solchen Jungen vor, was für ein Bruch mit der Erwachsenenwelt muss das sein? Sie geben mir Geld und Hilfe, wenn ich das tue, was ich nicht will!

Wir haben uns selbst vorbereitet mit der Frage: Wie wollen wir teilnehmen? Wie können wir unsere Parteinahme bezeugen, die Initiative unterstützen? Welche Haltung können wir in uns aufbauen, um nicht Kampf, Hass und Gegnerschaft zu fördern, sondern echte Anteilnahme, auch hinter den Rollen, mit denen wir nicht einverstanden sind? Wie können wir selber verankert bleiben in unserer Liebe zum Leben?

Wir haben uns aufgeteilt in zwei Gruppen: eine Gruppe, die gesagt hat, wir können am besten helfen, indem wir hingehen und präsent sind, und eine andere Gruppe, deren Ziel es war, in Tamera zu bleiben und die Aktion in Meditation und im Gebet zu begleiten. Diese Kombination von politischer Aktion und spirituellem Bewusstsein ist für uns eine Basis geworden für politische Aktion im Allgemeinen.

Es bestärkt uns, bei dem inneren Bewusstsein zu bleiben, dass wir Partei beziehen für das Leben — und wenn das Leben siegt, gibt es keine Verlierer. Eine Möglichkeit, auszusteigen aus der Denkgewohnheit der Gegnerschaft, ohne die eigene Parteinahme zu verleugnen.

Die Szenerie vor Ort war grell. Die Arena, abgesperrte Bereiche, wo — wie wir später herausfanden — die Tiere standen, die Bullen und die Pferde. Die Straße, die zur Arena führte, die Demonstranten links und rechts der Straße. In den Autos Besucherinnen und Besucher des Stierkampfes, die Arena hatte 2.500 Plätze.

Barbara Kovats bei der Demonstration gegen den Stierkampf, im Hintergrund die Polizei, Foto: Henry Sperling



Neben den Demonstranten eine kleine Bühne, auf der Musikanten spielten, als Unterstützung für den Protest. Hinter der Bühne direkt eine Fläche, ausgeleuchtet mit grell blinkenden Lichterketten, befahren von Autoscootern und daneben weitere kirmesartige „Vergnügungen“. Eis, Bier, scheinbar sorgloses Schlendern an einem kühlen Abend nach einem heißen Tag. Und daneben Tierquälerei — und ein klein anmutender Protest.

Es war wie eine geballte Konzentration der heutigen Gesellschaft und ihrer Konsumgewohnheiten, auf deren Kehrseite Elend, Ausbeutung und Zerstörung kleben. In diesem Szenario bei sich zu bleiben ist eine hohe Kunst, so viel Ablenkung, so viel Licht, Lärm — und so viel innere Tumulte, Trauer und Entsetzen.

Einige von etwa 80 Demonstranten in Milfontes, Foto: Henry Sperling



Jetzt nicht in die Ohnmacht fallen. Jetzt mit einem anteilnehmenden Herzen in die Gesichter schauen, die — wie so viele von uns so oft — mit Gleichgültigkeit auf die Situation reagieren. Sich der Situation der Pferde bewusst sein, die auf der anderen Seite der Arena stehen, die Ohren verschlossen, die Augen abgedeckt, quälend eng aufgezäumt, oft mit scharfen Sporen angetrieben, sodass sie bluten — anders lassen diese auf Flucht ausgerichtete Wesen sich nicht in eine solche Situation hineinzwingen.

Jetzt sich innerlich mit den neun Stieren verbinden, die im Lastwagen standen, in Boxen, dem Eingang zur Arena zugewendet. Die Verbindung finden zu den jungen Männern, die vom Pferd aus gegen die Stiere kämpfen werden, die Stiere verletzen werden, so lange, bis der Stier seinen Kopf nicht mehr halten kann, der Stier dann verletzt, blutend aus der Arena getrieben wird und oft Tage warten muss, bis er noch einmal in einen Transporter geladen, zum Schlachthaus gefahren und dort geschlachtet wird.

Heute ist Sonntag. Seit Freitagabend stehen wahrscheinlich dort in der Nähe die verletzten Tiere, ohne Begleitung, und werden höchstwahrscheinlich morgen zum Schlachthof gefahren. Wir als Gruppe bleiben in Anteil nehmender Verbindung.

Schilder der Demonstranten bei der Demo gegen Stierkämpfe in Milfontes, Foto: Henry Sperling


Was geschieht nach der Veranstaltung mit den Tieren?

Den stark blutenden Stieren werden die Spieße ohne Betäubung herausgeschnitten. Oft „behandelt“ man ihre Wunden mit Salz und Essig, um die Blutungen zu stillen. Sie werden in den seltensten Fällen medizinisch versorgt, höchstens wenn sie als Zuchtbullen dienen sollen. Die übrigen Tiere warten, durchaus ein paar Tage, auf die Abholung durch den Metzger. Dieses Vorgehen wurde uns von einem ehemaligen Forcado geschildert.

Gegen Ende unserer Aktion, es ist mittlerweile fast 11 Uhr nachts, der Stierkampf läuft wohl noch bis Mitternacht, fragen wir, ob wir in der Nähe der Bullen, die immer noch warten, singen dürfen. Die Polizei sagt nein. Wir beschließen, dass wir uns auf unseren Heimweg machen, dabei langsam um die ganze Arena herumlaufen und singen. Wir singen für die Stiere, für die Pferde, für Francisco, den Jungen, für alle Beteiligten.

Ein Lied, das vier Zeilen des hawaiianische Vergebungsrituals Ho’oponopono besingt, was so viel wie „etwas in Ordnung bringen“ oder „Fehler wieder gut machen“ bedeutet und in der hawaiianischen Kultur schon lange Tradition hat:

„I am sorry
Please forgive me
I love you
and thank you“

Wir gehen langsam auch an der Arena vorbei, oben sehen wir die Silhouetten von Menschen, die in den letzten Rängen sitzen; ein Junge dreht sich um und legt seinen Zeigefinger auf seine Lippen und sagt „pst“ — wer weiß, vielleicht ist unser Gesang einen kurzen Moment selbst in der Arena zu hören.

Die Teilnahme an dieser Aktion war eine Parteinahme für das Leben — und es war eine intensive Schulung dazu, was es dafür braucht. Wir alle waren froh, nicht alleine bei der Aktion zu sein, uns gegenseitig unterstützen zu können und zu wissen, dass zu Hause eine Gruppe für uns den Raum des Lebens selbst hält. Wir bleiben bei unserer Parteinahme!

„Building community as a Key to Peacework“-Gruppe in Milfontes bei der Demo, Foto: Henry Sperling


Enorme Subventionen halten die Stierkampfindustrie am Leben

Aufgrund des sinkenden Interesses am Stierkampf kann sich das sadistische Spektakel nicht mehr allein aus Eintrittsgeldern finanzieren. Enorme Subventionen — auch von der EU — halten die Stierkampfindustrie künstlich am Leben. LandwirtInnen, die Stiere für den Stierkampf züchten, erhalten von der EU Agrarsubventionen für ihre landwirtschaftlichen Nutzflächen. Über diese EU-Fördermittel gelangt auch das Geld deutscher SteuerzahlerInnen in die Stierkampfindustrie.

Laut einem spanischen Parlamentsabgeordneten fließen jedes Jahr rund 130 Millionen Euro von der EU an spanische KampfstierzüchterInnen. Davon stammen rund 31 Millionen Euro aus Deutschland, denn aufgrund seiner Wirtschaftskraft finanziert das Land etwa 24 Prozent des EU-Haushaltes.

Einer Schätzung der „Plataforma Basta de Touradas“ (deutsch etwa: Plattform Ende der Stierkämpfe) zufolge werden in Portugal jährlich fast 17 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln für Stierkampfaktivitäten ausgegeben. Damit könnten wir die laufenden Kosten des Friedensforschungsprojektes Tamera für etwa 15 Jahr finanzieren! Es nimmt einem manchmal den Atem, in was für verschiedenen Größenordnungen die Matrix der Gewalt und die Erforschung des Friedens — noch — arbeiten.

Professor Menezes Cordeiro sagt:

„Es gibt einen ethisch-humanistischen Hintergrund, der sich auf alle Lebensformen erstreckt, insbesondere auf fühlendes Leben. Der Mensch weiß, dass das Tier leiden kann; er weiß, wie er es leiden lassen kann; er weiß, wie er es vermeiden kann. Weisheit gibt einem Verantwortung.“

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