Der Präsident der „Volksrepublik Donezk“ (DNR) starb am Freitagabend infolge eines Bomben-Anschlags auf dem Weg ins Krankenhaus. Auch ein Leibwächter des Präsidenten starb, zwölf Personen wurden verletzt
Als der Sarg mit dem Leichnam des Präsidenten aus dem Opern-Theater getragen wurde, riefen die Menschen „Danke! Danke!“ und applaudierten. Ein Mann sagte dem Fernsehkanal Rossiya 24, er verehre Sachartschenko, weil der sich auch um einfache Leute wie ihn gekümmert habe. Er habe sich mit einem persönlichen Problem an den Präsidenten wenden können und ihm sei geholfen worden. Eine ältere Frau sagte: „Er war ein großer Mensch, ein Gründer. Wir nannten ihn Vater der Stadt Donezk. Was werden wir ohne ihn machen?“. Eine Frau mittleren Alters meinte: „Er war ein Optimist, er hat neues Leben geschaffen.“
Die offiziell angegebenen Teilnehmerzahlen der Trauerveranstaltung schwanken zwischen 120.000 und 200.000 Menschen. Sie kamen mit roten Nelken und Rosen, die sie am Sarg niederlegten. Immer wieder mussten Berge von Blumen weggetragen werden.
Foto: Das Restaurant Separ vor dem Anschlag
Wie der Donezker Journalist Andrei Babitsky berichtete, nahmen an der Trauerveranstaltung am Sonntag auch Menschen teil, welche keine Anhänger von Sachartschenko waren. „Ein großer Teil der Menschen nahm teil, um Achtung vor dem Verstorbenen auszudrücken.“ Für einen Teil der Teilnehmer aber war die Trauerveranstaltung so etwas „wie ein Protest-Meeting.“
Werden die Bürger der Volksrepublik nach diesem Mord nun den Mut verlieren? Immerhin hat der Ermordete die Volksrepublik Donezk an führender Stelle mit aufgebaut. Aleksandr Kasakow, der Sachartschenko die letzten Jahre als Berater begleitete, meinte in einem Interview: „In normalen Ländern scheitern die Pläne von Terroristen. Statt Chaos, das sie stiften wollen, konsolidiert sich die Gesellschaft.“ Mit dem Anschlag auf Sachartschenko habe Kiew einen Fehler gemacht. „Sie schufen ein Symbol.“ Die Soldaten der DNR würden nun mit noch mehr Mut kämpfen.
Mit 765.000 Stimmen zum Oberhaupt der „Volksrepublik“ gewählt
Aleksandr Sachartschenko war Sohn eines Bergmanns. Er wurde 42 Jahre alt. Der Ermordete arbeitete als Elektromechaniker in einem Bergwerk. Mitte der 2000er Jahre leitete er in Donezk ein Handelshaus. Im April 2014 – zwei Monate nach dem Staatsstreich in Kiew – beteiligte er sich an der Besetzung der Stadtverwaltung von Donezk. Im November 2014 wurde Sachartschenko mit 765.000 Stimmen zum Oberhaupt der Volksrepublik Donezk gewählt.
Als der DNR-Präsident am späten Nachmittag des 31. August das Restaurant „Separ“, Kurzform von „Separatist“, im Zentrum von Donezk betrat, explodierte eine Bombe, die in einem Leuchter deponiert und telefonisch gezündet worden war. Der DNR-Präsident und sein Leibwächter wurden durch das ausgelöste Feuer und die Druckwelle getötet. Die dritte Person, welche das Restaurant betrat, war Aleksandr Timofejew, DNR-Minister für Steuern und Einnahmen. Timofejew wurde schwer verletzt, aber den Ärzten gelang es, seinen Gesundheitszustand zu stabilisieren.
Gezielte Jagd auf populäre Kommandeure
In den letzten vier Jahren wurden über zehn bekannte Feldkommandeure in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk getötet. Alle waren ausnahmslos sehr populäre und kampferfahrene Personen. Einige von ihnen – wie Michail Tolstych, mit dem Kampfnamen Givi, und Arseni Pawlow, auch Motorola genannt – hatten keine spezielle militärische Ausbildung. Zu militärischen Führern hatten sie sich erst in der spontanen Revolte im Osten der Ukraine entwickelt, an der sich Bergarbeiter und Menschen aus allen Schichten beteiligten. Alle diese Ermordeten trugen dazu bei, dass die von Kiew befohlene „antiterroristische Operation“ steckenblieb und sich zwei „Volksrepubliken“ bilden konnten, die zwar jetzt finanziell von russischer Unterstützung abhängig sind, sich im Zuge der Wiederinbetriebnahme der Fabriken aber wieder zu wirtschaftlichen Faktoren entwickeln.
Als ich Sachartschenko während eines Interviews im Juni fragte, was er angesichts der auf ihn verübten Anschläge und der erfolgreichen Anschläge auf Givi und Motorola für seine eigene Sicherheit tue, antwortet er salopp: „Den Rekord von Fidel Castro habe ich noch nicht gebrochen.“ Seinem Schicksal könne man nicht ausweichen. „Sterben will natürlich niemand. Nur Deppen sagen, ich habe keine Angst vor dem Tod. Alle haben Angst. Sterben will keiner. Aber dem Schicksal kann man nicht entfliehen. Wie dein Geburtsmal, so auch dein Schicksal. Es gibt so ein Sprichwort. Komme was wolle, ändern kannst Du es nicht. Wer im Feuer umkommen soll, wird schon nicht ertrinken.“
Sachartschenko-Berater: „Täter waren Mitglieder eines ukrainischen Spezialkommandos“
Einen Tag nach dem Mord gaben die Sicherheitskräfte in Donezk bekannt, dass man mehrere Personen festgenommen habe, die an dem Anschlag beteiligt waren. Einige hätten bereits gestanden. Wie der Sachartschenko-Berater Aleksandr Kasakow mitteilte, wurde der Mord von Angehörigen der Gruppe „Kräfte für Spezialoperationen der Ukraine“ ausgeführt.
Dass der ukrainische Geheimdienst bei dem Anschlag auf Sachartschenko ganze Arbeit geleistet hat, ist für die Freunde der „Volksrepubliken“ im russischsprachigen Internet ausgemachte Sache. Viele Kader des SBU kämen aus dem früheren KGB und hätten dort eine gute Ausbildung erhalten, kommentieren einige User.
Der Sprecher der DNR-Armee, Eduard Basurin, erklärte unmittelbar nach dem Anschlag auf den DNR-Präsidenten, das Attentat sei vom ukrainischen Geheimdienst und dem CIA geplant worden.
Foto: Stadtzentrum von Donezk
Gleich nach dem Anschlag wurde die Volksrepublik abgeriegelt. Auch Journalisten waren von den verstärkten Sicherheitsbestimmungen betroffen. Wie ein Reporter des russischen Fernseh-Kanals Rossija 24 berichtete, habe er am Morgen nach dem Anschlag am Grenzkontrollpunkt Uspenka Probleme gehabt, überhaupt in die Volksrepublik einzureisen. Die Ausreise sei sogar verboten, berichtete der Korrespondent. So wollten die Sicherheitsbehörden offenbar verhindern, dass die Täter und ihre Helfer die DNR unerkannt verlassen können.
Am Dienstag wurde bekannt, dass der russische Geheimdienst FSB Experten zur Untersuchung des Sachartschenko-Mordes in die Volksrepublik Donezk schicken will. Außerdem wurde bekannt, dass Russland in der Minsker-Kontaktgruppe eine internationale Untersuchung zum Mord an dem DNR-Präsidenten fordern wird.
Julia Timoschenko hat Verständnis für den Mord
Julia Timoschenko, die zurzeit populärste ukrainische Politikerin, erklärte nach dem Mord-Anschlag, wer andere Menschen umbringe, müsse sich nicht wundern, wenn er selbst sterbe.
Der rechtsradikale Rada-Abgeordnete Igor Moijsitschuk erklärte im Kiewer Fernsehkanal 112, die Ukraine solle öffentlich eingestehen, dass sie hinter dem Anschlag auf Sachartschenko steht. Man habe „das Recht, Terroristen zu töten“. Auch die früheren Anschläge auf Sachartschenko seien vom ukrainischen Geheimdienst organisiert worden.
Der Chef des ukrainischen Geheimdienstes (SBU), Wasili Grizak, erklärte, der SBU habe „keine Angaben“ darüber, wer den Anschlag auf Sachartschenko durchführte. Grizak präsentierte zwei Mord-Versionen: Es gäbe in Donezk unzufriedene Personen, die enteignet wurden. Außerdem gäbe es den Versuch, „Zeugen zu beseitigen“, die daran beteiligt waren, der russischen Armee 2014 „den Zugang zu Donezk zu ermöglichen“.
Sicherheits-Experte: „Maulwürfe“ in der Präsidenten-Leibwache
Ein kurzer Rückblick: Mein Interview mit Aleksandr Sachartschenko führte ich am 5. Juni 2018. Es war ein schöner Sommertag. Ich wartete zusammen mit einem Kollegen vor dem Amtssitz des DNR-Präsidenten, einem mehrstöckigen Bürogebäude. Während wir warteten, dass man uns zum vereinbarten Interview einlässt, spielte sich vor unseren Augen eine eindrucksvolle Szene ab. Auf der komplett gesperrten Straße vor dem Bürogebäude rasten vier schwarze Jeeps in einem Höllentempo heran. Die Wagen stoppten und wurden in Sekundenschnelle rückwärts eingeparkt.
Junge Männer in grünen Kampfanzügen ohne Rangabzeichen und mit einem Funk-Hörgerät im Ohr sprangen aus den Jeeps, die Kalaschnikows im Anschlag. Dann stieg ein hochgewachsener, kräftiger Mann mittleren Alters aus. Er trug ebenfalls keine Rangabzeichen. Unter dem Kampfanzug trug er das blau-weiß gestreifte Telnjaschka, ein T-Shirt, welches die Marineinfanteristen zu Sowjetzeiten trugen.
Ich erkannte den Mann. Es war Aleksandr Timofejew. Der 47-Jährige ist seit 2014 Minister für Steuern und Einnahmen der Volksrepublik Donezk. Als er unsere erstaunten Gesichter sah, lächelte Timofejew uns zu. In großen Schritten eilte er, begleitet von seinen Leibwächtern, in das Gebäude, vor dem wir warteten.
Die professionelle Bewachung des Ministers beeindruckte mich. Und wenn ich mich jetzt daran erinnere, frage ich mich: Wurde wirklich alles getan, um Sachartschenko zu schützen? Oder war der ermordete Präsident, was die Leibwache betraf, nachlässig? Nahm er sie nicht so in Anspruch, wie er es hätte tun müssen? Eine Andeutung in diese Richtung machte sein Berater, Aleksandr Kasakow.
Am Dienstag äußerte Wladimir Anochin, Vize-Präsident der Russischen Akademie für geopolitische Probleme, in einer Experten-Runde im Fernsehkanal Rossija 24 jedoch eine andere Vermutung: In der Leibwache von Sachartschenko gäbe es einen oder mehrere „Kroty“ (Maulwürfe). Einer der Präsidenten-Leibwächter sei verschwunden.
Beim Anschlag verletzter Minister nimmt an Trauerfeier teil
Am Sonntag bei der Trauerzeremonie im Opern-Theater von Donezk gab es eine Überraschung. Der Minister für Steuern, Aleksandr Timofejew, nahm – trotz seiner Verletzungen –mit verbranntem Gesicht sowie Verbänden am Kopf und Hals an der Trauerfeier für den DNR-Präsidenten teil.
Für die Bürger in Donezk war die Teilnahme des verletzten Ministers wichtig. Die Menschen brauchen das Gefühl, dass es weiter geht, dass die unter Sachartschenko aufgebaute soziale Infrastruktur weiter existiert und die Republik sich wie bisher gegen die Angriffe der ukrainischen Armee schützen kann.
Die Amtsgeschäfte des Präsidenten führt jetzt der 37-jährige Dmitri Trapesnikow. Doch es scheint, Trapesnikow, der 2012 in Donezk ein Handelshaus leitete, wird das Amt nicht lange ausüben. Timofejew sei der fähigere Leiter und er sei jetzt als Nachfolger von Sachartschenko im Gespräch, schrieb der Donezker Journalist Andrej Babitsky.
Babitsky hatte mir im Juni während eines längeren Gesprächs erklärt, die Volksrepublik brauche jetzt neue Kräfte in der Führung, Personen, die Erfahrung nicht als Militärs, sondern als Wirtschaftsexperten haben. Neue Kader seien nötig, um die Wirtschaft der Republik wieder in Schwung zu bringen und der Jugend, die plant, nach Russland oder die Ukraine auszuwandern, eine Perspektive zu geben.
Der Minister für Steuern, Timofejew, hat viel Erfahrung. Er begann 1989 im usbekischen Taschkent eine Ausbildung in der örtlichen Militärakademie, von daher sein Spitzname „Taschkent“. Mitte der 1990er Jahre arbeitete Timofejew vier Jahr lang als Leiter des Sicherheitsdienstes in einer Diamanten-Fabrik in der fernöstlichen Stadt Jakutsk. 1997 gründete er die erste Firma für Kabelfernsehen in Donezk
Foto: Wohnhaus in Donezk mit Weg-Anzeige zum Luftschutzkeller
Lawrow: Treffen im Normandie-Format wäre „Schändung“ des Toten
Eine Friedenslösung für den Donbass rückt mit dem Mord an Sachartschenko in weite Ferne. Es ist offensichtlich, dass Kiew mit Anschlägen auf führende Kommandeure und Politiker der Volksrepubliken das Leben in diesen Gebieten unmöglich machen und die Bevölkerung demoralisieren will. Für eine Einnahme von großen Städten in den Volksrepubliken ist die ukrainische Armee zu schwach, meint Andrej Babitsky. Außerdem wisse Kiew, dass Russland der DNR bei einem Angriff zu Hilfe kommen würde.
Doch Moskau wird sich hüten, auf Provokationen, die Kiew einfädelt, mit militärischen Schritten zu reagieren. Viele Menschen in den Volksrepubliken, aber auch viele Menschen in Russland, hoffen, dass der Kreml sich wenigstens zu einer offiziellen Anerkennung der Volksrepubliken durchringt. Doch auch dieser Schritt ist derzeit unwahrscheinlich, weil Moskau damit das Ende des Minsker Abkommens besiegeln und international sofort am Pranger stehen würde.
So begnügt sich Russland erstmal mit kleinen, aber wirkungsvollen Schritten. Russlands Außenminister Sergej Lawrow kritisierte am Dienstag, dass die westlichen Staaten das Mord-Attentat auf Sachartschenko nicht verurteilten. Solange dies nicht geschehe, sei ein Treffen im Rahmen des Normandie-Formats eine „Schändung“ des Ermordeten. Die momentane Situation sei „sehr ernst“ und sie bedürfe einer Neubewertung, erklärte der russische Außenminister. Der Mord an Sachartschenko sei auf den Bruch des Minsker Abkommens gerichtet gewesen. Das Abkommen sei von der Ukraine aber faktisch schon außer Kraft gesetzt worden.
Unterdessen berichten Vertreter der Volksrepublik Donezk, dass sich die Ukraine auf einen größeren Angriff vorbereite. An die Soldaten der DNR habe die ukrainische Armee Kurznachrichten verschickt, mit der Aufforderung, die Waffen niederzulegen. Wenn sich die Situation zuspitze, werde man Mobilisierungs-Versammlungen für Reservisten durchführen, erklärte der Sprecher der DNR-Streitkräfte, Eduard Basurin.
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