Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Der Faschismus-Coup

Der Faschismus-Coup

Der fingierte Reichstagsbrand von 1933 diente als Vorbild für spätere Aktionen unter falscher Flagge, mit denen die Eliten ihre Gewaltherrschaft zementierten und begründeten.

Lügen haben manchmal ziemlich lange Beine. Seit sechzig Jahren wird nun an Schulen und Universitäten oder in den Medien in die gelehrigen Köpfe eingetrichtert, das ehrwürdige Reichstagsgebäude in Berlin sei im Schicksalsjahr 1933 von dem Anarchisten Marinus van der Lubbe im Alleingang angezündet worden. Die Nazis waren somit über jeden Verdacht erhaben, den Reichstag in Schutt und Asche gelegt zu haben.

Nun fand vor kurzem ein Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung im Archiv des Amtsgerichts der niedersächsischen Hauptstadt die eidesstattliche Aussage des SA-Mannes Hans-Martin Lennings. Lennings sagte am 8. November 1955 bei einem Notar unter Eid aus, dass er am Abend des 27. Februar 1933 den später zum Tode verurteilten, holländischen, obdachlosen Maurergehilfen Marinus van der Lubbe persönlich im Auto zum Reichstagsgebäude gefahren habe: Als er zwischen 20 und 21 Uhr am Reichstag eintrifft, riecht es bereits heftig nach Feuer. Er liefert van der Lubbe bei einer Person im Reichstagsgebäude ab und ist dann eilig wieder weggefahren.

Als Lennings am nächsten Tag in der Zeitung liest, dass van der Lubbe als Brandstifter angeklagt wird, beschwert er sich bei seinen SA-Vorgesetzten. Denn der Holländer saß ja zur Tatzeit in seinem Auto. Er konnte unmöglich der Brandstifter sein (1). Da Lennings nicht lockerlässt, wird er in „Schutzhaft“ genommen. Danach zieht er es vor, lieber erstmal im Ausland unterzutauchen.

Die Behauptung, dass ein einziger Mensch einen gigantischen Gebäudekomplex wie den Reichstag in wenigen Minuten in Schutt und Asche legen kann, ist für den Intellekt eine reichlich unverfrorene Zumutung.

Diesen Unsinn hatte der Verfassungsschutzbeamte Fritz Tobias 1959 bis 1960 in elf Folgen über die Leserschaft des Hamburger Nachrichtenmagazins Der Spiegel herabregnen lassen, mit dem Segen des Herausgebers Rudolf Augstein. Der Historikerpapst Hans Mommsen, Enkel des großen Theodor Mommsen, bescheinigte damals den Tobias-Eingebungen absolute Seriosität. Damit war diese Story zur verbindlichen Lehrmeinung der Historikerzunft geworden. So einfach ist das. Wer es wagte, der Tobias-Story mit vernünftigen Argumenten zu begegnen, wurde von der Tobias-Lobby bedroht und gemobbt. Wir können sicher sein, es gibt noch unzählige andere solche faulen Eier und Fakenews in der amtlichen Geschichtsschreibung.

Der Behinderte und die Brandbeschleuniger

In einer sehenswerten Fernsehdokumentation aus dem Jahre 2003 sagt der Direktor der Berliner Feuerwehr, Albrecht Brömme, dass es einige Stunden dauert, bis aus einem mühsam angefachten Schwelbrand ein Großbrand erwachsen kann, und dass es für diese pyrotechnische Eskalation eines Brandbeschleunigers bedarf wie beispielsweise Benzin. In der Tat fand man in den Brandresten auf den Boden des Plenarsaals geworfene Pappschilder mit Benzinrückständen.

Und der „Alleintäter“ Marinus van der Lubbe? Ein 24-jähriger Obdachloser, der durch Europa stromerte. Er schaute auch mal bei anarchistischen Minigruppen vorbei, wurde aber schnell wieder rausgeworfen, weil ihm Kontakte zu Polizeispitzeln nachgesagt wurden. Also absolut kein Kommunist, wie die Nazis behaupteten. Er war eher einsam und isoliert, leicht geh- und stark sehbehindert — seine Sehkraft betrug noch 15 Prozent. Er war schwer ansprechbar und beinahe autistisch, was sich manchmal in irren Absenzen äußerte.

Beim Prozess in Leipzig im Sommer und Herbst schien er völlig abwesend und sein Kopf hing ungewöhnlich tief. Dies deutet darauf hin, dass er entweder schwer krank oder ein Opfer schwerer Folter war oder unter harten Drogen stand. Dieser Mann war überhaupt nicht verhandlungsfähig. Ein psychologisches Gutachten hätte zunächst einmal van der Lubbes Schuld- und Verhandlungsfähigkeit klären müssen. Stattdessen wurde van der Lubbe zum Tode verurteilt und sein Kopf danach mit einer brandneuen Guillotine vom Rumpf getrennt. Allein dieses Prozedere ist bereits ein humanitärer Skandal. Man könnte fast sagen, der Mord an van der Lubbe war das erste Euthanasieverbrechen der Nazis in Deutschland. Dies interessierte aber damals wie heute niemanden. Obdachlose haben keine Lobby.

Ebenfalls als Brandstifter angeklagt wurden vier Kommunisten: Zum einen der Fraktionsvorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands im Reichstag, Ernst Torgler. Dann drei Kommunisten aus Bulgarien. Der prominenteste unter ihnen war Georgi Dimitroff. Nach einem gescheiterten Revolutionsversuch in Bulgarien war Dimitroff zunächst nach Österreich geflohen, wo ihm die Leitung der österreichischen Kommunistischen Partei anvertraut wurde.

Am 9. März 1933 verhafteten ihn die Nazischergen in Deutschland. Dimitroff wird nun ebenfalls wegen vermeintlicher Brandstiftung in der Causa Reichstag angeklagt. Alle vier Verhafteten stehen im Gefängnis unter äußerstem Stress und ständiger Todesangst, und Dimitroff trägt während der gesamten Haft eiserne Handschellen. Trotzdem eignet er sich autodidaktisch Kenntnisse über das deutsche Strafrecht an. Die bedrohten Kommunisten können weder Strafverteidiger ihrer eigenen Wahl noch Entlastungszeugen selber bestimmen. Neben den glänzenden rhetorischen Leistungen Dimitroffs helfen ihnen auch die weltweiten Solidaritätsbekundungen, diese schlimme Zeit zu überstehen und schließlich den Freispruch für sich zu erwirken. Denn das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ist im Jahre 1933 noch nicht vollständig suspendiert.

Dass die Kommunisten von ihren Nazi-Todfeinden irgendwann unter fadenscheinigen Vorwänden an den Pranger gestellt würden, hatte nun niemanden mehr überrascht, und niemand nahm den Nazis ihre Lügengeschichten wirklich ab.

Bei van der Lubbe wusste keiner so genau, wie man ihn einschätzen sollte. Man war allgemein ein wenig erleichtert, dass die Sache mit van der Lubbes Köpfung und dem Freispruch der Kommunisten ihr Bewendnis hatte. Es war auch vielen Zeitgenossen klar, dass die Nazis selber den Reichstag angezündet hatten.

Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg gab es zahlreiche Gerichtsverfahren und Erlebnisberichte (2), die ein hohes Maß an Übereinstimmung mit dem Tathergang aufweisen: Demzufolge gibt es einen zwei Meter hohen Tunnel, der das Reichstagsgebäude mit dem Amts- und Wohngebäude des Reichstagspräsidenten verbindet. Beide Gebäude hatten damals ein gemeinsames Heizungssystem, deren Rohre durch diesen Tunnel verliefen. Auf diesem Weg dringt an jenem Abend eine SA-Meute unter Führung von Karl Ernst vom Palais des Reichstagspräsidenten quasi durch die Hintertür in den Plenarsaal des Reichstages ein.

Die Brandstifter verstreuen die hinter einem Vorhang deponierten Namensschilder der Reichstagsabgeordneten auf dem Boden, übergießen die Pappe mit Benzin und zünden das Ganze an. In der Schwelbrandphase können die SA-Männer wieder unbemerkt durch den Tunnel entkommen. Zur gleichen Zeit, also zwischen 20 und 21 Uhr, sind alle Türen des Plenarsaales bis auf eine abgeschlossen. Die Security läuft die Flure entlang und bemerkt nichts Verdächtiges. Als die Tür zum Plenarsaal geöffnet wird, gelangt zusätzlicher Sauerstoff in den Saal, und der Schwelbrand mutiert sofort zum Großbrand. Van der Lubbe, von den SA-Leuten durch den Haupteingang ins Foyer geschubst, wird nunmehr vom aufgebrachten Hausinspektor Scranowitz als Brandstifter wahrgenommen und geschlagen. Nun beginnt die Arbeit für die preußische Polizei und die Feuerwehr.

Reichstagsbrand und Geopolitik

Die Frage, ob eine Person oder ein organisiertes Kollektiv den Reichstag in Brand gesetzt hat, ist keineswegs eine akademische Fliegenbeinzählerei, kein Glasperlenspiel für gelangweilte Historiker. Es geht hier um Geopolitik. Der Reichstagsbrand war für die Nazis und ihre Auftraggeber ein ganz entscheidender Coup, um Deutschland außenpolitisch komplett an die westliche Wertegemeinschaft anzugliedern und die Umstellung der deutschen Wirtschaft auf die Kriegsvorbereitung gegen die Sowjetunion energisch in Angriff zu nehmen.

Nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland nur noch bedingt ein souveräner Staat. Seit den Großkrediten des Dawes-Plans im Jahre 1924 waren die Reichsbank, die Reichsbahn und die deutschen Kommunen mit amerikanischen Krediten überschüttet und das Inventar dieser beliehenen Einrichtungen an die amerikanischen Banken unter der Führung der JP Morgan-Bank verpfändet worden. Die zu zahlenden Reparationen schränkten die Manövrierfähigkeit Deutschlands erheblich ein. Um sich ein bisschen Luft zu verschaffen, hatte die Weimarer Republik seit dem Vertrag von Rapallo 1922 eine „heimliche Affäre“ mit der Sowjetunion angefangen. Die Reichswehr baute in der Sowjetunion unter Umgehung des Versailler Vertrags Panzerdivisionen und Flugstaffeln auf. Auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion waren eng.

Auf der anderen Seite halfen US-Konsortien, deutsche Konzerne und Kartelle zusammenzuschustern, wie zum Beispiel den weltweit größten Chemiekonzern IG Farben. Die deutschen Stahlkonzerne wurden in einen weltweiten Kartellverbund eingewoben. 1930 gründeten der amerikanische Banker Owen D. Young, der englische Zentralbankchef Montagu Norman sowie der deutsche Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht die in der Schweiz ansässige Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Zweck dieser neuen Bank sollte die Erleichterung der Reparationszahlungen von Deutschland an die USA, Großbritannien und Frankreich sein. Jedoch bereits 1932, auf der Konferenz von Lausanne, wurden Deutschland alle Reparationszahlungen erlassen. Der damalige deutsche Reichskanzler Franz von Papen revanchierte sich für diesen Schuldenerlass einige Wochen später mit dem so genannten „Preußenschlag“.

Papen setzte mal eben, bar jeder Rechtsgrundlage, die Regierung des Bundesstaates Preußen ab. Dazu muss man wissen, dass Preußen etwa zwei Drittel des Reichsterritoriums ausmachte. Während auf Reichsebene ständig die Regierungen wie die Hemden gewechselt wurden und sich keine Stabilität einstellen wollte, war Preußen in der Weimarer Demokratie ein Fels in der Brandung. Dort herrschten langfristig die Sozialdemokraten und garantierten ein Mindestmaß an bürgerrechtlichen Standards. Die Polizei bestand mehrheitlich aus Sozialdemokraten und sah sich als Wächter der Freiheit, allen gelegentlichen Ausfällen gegen Kommunisten zum Trotz.

Mit dem Preußenschlag war nun der Weg frei für ein diktatorisches Regime.

Im Jahre 1932 verspricht Hitler den Konzernlenkern in Deutschland herrliche Zeiten. Der Weg zur Macht scheint nun frei zu sein für die Nazis. Im November 1932 jedoch kommt es bei der Reichstagswahl zu einer faustdicken Überraschung: Das deutsche Volk denkt gar nicht daran, Hitler eine Regierungsvollmacht auszustellen. Stattdessen verlieren die Nazis zwei Millionen Wählerstimmen und die Kommunisten gewannen 800.000 Stimmen hinzu. General von Schleicher versuchte als neuer Kanzler, den Nazis den Weg nach oben abzuriegeln. Die Nazis können jetzt nur noch mit schmutzigen Tricks ihren Untergang aufhalten.

Am 4. Januar 1933 treffen sich Ex-Kanzler Franz von Papen und Adolf Hitler im Haus des international vernetzten Privatbankiers Kurt von Schröder. Die ehrenwerten Herrschaften verabredeten eine Koalitionsregierung zwischen der NSDAP und der DNVP. Kurt von Schröder ist Teil einer international agierenden Sippe von Privatbankiers, die mit eigenen Dependancen in London und New York gut aufgestellt sind. Privatbankhäuser wie zum Beispiel das transatlantisch aufgestellte Bankhaus Warburg sind in jenen Jahren für die delikaten politischen Geschäfte zuständig, da sie im Gegensatz zu den nicht persönlich haftenden großen Banken ihre Aktivitäten nicht öffentlich dokumentieren mussten.

Mit den Schröder- und Warburg-Banken sind bedeutende Wall Street-Anwaltskanzleien wie Cravath oder Sullivan and Cromwell verbunden, deren Staranwälte Allen und John Foster Dulles oder John McCloy die deutsch-amerikanischen Kartellbildungen organisiert haben. Und so kann man getrost davon ausgehen, dass Baron von Schröder bei dem Kölner Treffen nicht nur seinen Salon sowie Kaffee und Kuchen zu der Runde beigesteuert hat. Baron von Schröder wird später Ehrenmitglied der SS. Hitler soll ihn in Zukunft zu allen wichtigen Fragen seiner Regierungstätigkeit heranziehen und um Rat bitten.

Die Folge des Treffens: Hitler wird am 30. Januar 1933 Reichskanzler, von Papen sein Stellvertreter. Der Nazi Wilhelm Frick übernimmt schon mal das für die weitere Entwicklung kriegsentscheidende Innenministerium. Und Hermann Göring wird Minister ohne Geschäftsbereich sowie kommissarischer Innenminister von Preußen — dank des Preußenschlags befindet sich nun der gesamte bedeutende Polizeiapparat unter direkter Kontrolle der NSDAP! Am 1. Februar wird der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen für den 5. März 1933 anberaumt.

Nun schwimmen die Nazis zwar im Geld. Aufgrund der extremen Korruption geht ihnen das Geld aber immer wieder schnell aus. Also laden der Gründer der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Hjalmar Schacht, und der neue Reichstagspräsident — wiederum Hermann Göring — 27 führende Unternehmer und Konzernherren für den 20. Februar in das Reichstagspalais ein. Die Unternehmer kommen auch, bis auf die Herren Siemens und Bosch, und Hitler hält einen Vortrag, in dem er die Bedeutung des Privateigentums noch einmal hervorhebt und die Bedrohung eben dieses Privateigentums durch den Kommunismus in den grellsten Farben ausmalt und den Unternehmern verspricht, endgültig mit der roten Gefahr aufzuräumen. Dazu müsse man aber nach der nächsten Reichstagswahl eine satte Zweidrittelmehrheit für ein Ermächtigungsgesetz mit der jetzigen Regierungskoalition erlangen.

Göring, der Mann fürs Grobe, wird nun in seinem anschließenden Vortrag deutlicher: Wir Nazis sind pleite! Ich bitte um reichliche Geldspenden, damit wir die Zweidrittelmehrheit erlangen. Im Gegenzug garantieren wir Ihnen, dass es die nächsten zehn Jahre keine Wahlen mehr geben wird — wenn denn überhaupt noch jemals Wahlen stattfinden werden. Dann kommt Hjalmar Schacht mit einem Hut und sagt: Los jetzt, spenden! Es kommen drei Millionen Reichsmark zusammen für Hjalmar Schachts „Sonderkonto Nationale Treuhand“. Das Geld geht an die NSDAP und in bescheidenerem Umfang an die Partner von der DNVP.

Der Reichstagsbrand als Schock-Strategie der Nazis

So ganz sicher sind sich die Nazis denn doch nicht, dass sie am 5. März die Zweidrittelmehrheit für die Ermächtigungsgesetze bekommen. Also wird massiv nachgeholfen mit der Brandlegung im Reichstagsgebäude eine Woche später, am Abend des 27. Februar. Das ist ein Schock für die deutsche Bevölkerung. Der Reichstag ist ja seit den Tagen seiner Erbauung im Jahre 1884 das zentrale Gebäude einer deutschen politischen Identität. Dort hatten die Abgeordneten der konstitutionellen Monarchie nach englischem Vorbild debattiert. Und dort tagten auch die Abgeordneten der Weimarer Republik. Das Symbol der Kontinuität ist vernichtet.

Was sich jetzt abspielt, funktioniert ganz nach der von Naomi Klein (3) beschriebenen Schock-Strategie: Es kommt eine extrem brutale Attacke, mit der die Attackierten schon wegen des Ausmaßes der Brutalität nie gerechnet haben.

Die Attacke bricht mit allen Spielregeln zivilisierter Konfliktaustragung und konfrontiert ihre Opfer mit einem Rückfall in die Steinzeit. Die Angegriffenen sind fassungslos und mental vollkommen paralysiert. Eine kleine, zu allem entschlossene Minderheit überrennt das Feld nahezu widerstandslos.

Noch in der Nacht des Reichstagsbrandes geht der primitive Dschingis-Khan-Terror der zirka vier Millionen Mitglieder starken SA auf die Jagd nach politischen Gegnern und wendet sich gegen die deutsche Bevölkerung im Allgemeinen. Im Laufe der nächsten Tage werden hunderttausende von Wohnungen unbescholtener Bürger aufgebrochen, Menschen in improvisierte Kerker oder Konzentrationslager verschleppt und bestialisch gefoltert. Alleine im Bundesstaat Preußen verschwinden bis Mitte Mai 100.000 Menschen im Orkus der Folterkeller. Der offizielle, früher so seriöse Allgemeine Preußische Pressedienst (APPD) ist dank des Preußenschlags zum Sprachrohr der Nazis geworden und verbreitet die wildesten Fakenews über angebliche Pläne der Kommunisten, unschuldige Kinder und Frauen in Deutschland zu entführen, das Eisenbahnnetz lahmzulegen und die Wirtschaft zu sabotieren. Die Beweise dafür bleibt er — wen wundert’s — allerdings schuldig.

Hitler überreicht dem tatterigen Reichspräsidenten von Hindenburg am 28. Februar, also bereits am Brandmorgen, ein umfangreiches Konvolut von fertig ausformulierten, redigierten und spruchreifen Verordnungen, das der Präsident natürlich sofort unterschreibt. Es handelt sich um die Reichstagsbrandverordnung (4). Mit diesem Gesetzeswerk, das sicherlich nicht in jener Brandnacht verfasst wurde, sind mit einem Schlag alle Bürgerrechte ausgelöscht. Die politischen Gegner der Nazis und ihrer konservativen Komplizen sind ausgeschaltet. SPD und KPD wird die aktive Wahlwerbung untersagt. Die KPD-Politiker verschwinden im KZ. Hitler hat den Unternehmern am 20. Februar nicht zu viel versprochen.

Auch an seine Sponsoren aus der Ölindustrie hat Hitler beim Reichstagsbrand gedacht. Schließlich hat allein der Chef von Royal Dutch Shell, der Holländer Henri Deterding, 55 Millionen Gulden in die Nazi-„Bewegung“ investiert. Die Deutsche Vertriebsgesellschaft für Russische Ölprodukte (DEROP), vermarktet seit dem Rapallo-Vertrag Benzin aus der Sowjetunion in über 2000 deutschen Tankstellen — eine Art Nordstream 2. Im Windschatten des Reichstagsbrandes wird mal eben der Direktor der DEROP in Hamburg ermordet. Sämtliche DEROP-Mitarbeiter, allesamt Kommunisten, verschwinden in KZs. Der Benzinhandel mit der Sowjetunion ist damit gewaltsam beendet.

Die Reichstagswahlen am 5. März sollen nun unter diesen eigens für die Nazis präparierten Bedingungen die Zweidrittelmehrheit für das Ermächtigungsgesetz bringen, oder? In den Wahllokalen stehen doch schließlich breitbeinig SA-Leute und machen nonverbal klar, wen man zu wählen hat. Hundestaffeln, bestehend aus einem Tandem von je einem SA-Mann und einem Polizeibeamten mit deutschem Schäferhund, stolzieren durch die Straßen.

Wenn SA-Bataillone durch die Straßen paradieren, sind die Passanten auf den Bürgersteigen verpflichtet, den Arm zum Hitlergruß zu erheben. Anderenfalls greifen sich die SA-Schläger den Hitlergruß-Verweigerer und schlagen ihn mal eben krankenhausreif. So entstehen die Fotos mit salutierenden Bürgern, die später herhalten müssen als Beleg für die massenhafte Begeisterung der Deutschen für die Nazischergen. Der Wahltag verläuft nicht ganz glatt: 69 Menschen finden an diesem Tag den Tod, Hunderte Verletzte sind zu beklagen.
Doch das alles nützt nichts.

Zwar ist die Wahlbeteiligung höher als im November 1932. Und die Nazis gewinnen Stimmen hinzu und erreichen jetzt 43 Prozent der abgegebenen Stimmen, während ihr Koalitionspartner DNVP — jetzt unter dem Namen Kampffront Schwarz-Weiß-Rot — leicht verliert. Die anderen Parteien verlieren auch Stimmenanteile. Nun ist natürlich auch nicht mehr zu ermitteln, ob es bei den Stimmenauszählungen mit rechten Dingen zugegangen ist. Davon ist eigentlich nicht auszugehen. Es reicht trotzdem hinten und vorne nicht für die den Konzernherren versprochene Zweidrittelmehrheit, die für eine Verfassungsänderung erforderlich ist.

So kommt es, dass die Weimarer Verfassung in den zwölf Jahren der Nazi-Herrschaft nie abgeschafft und durch eine neue Verfassung ersetzt worden ist. Stattdessen verlegen sich die Nazis weiterhin nur auf nackte Gewalt. Eine Woche nach der Wahlfarce vom 5. März verjagen SA-Trupps die demokratisch gewählten Bürgermeister aus den Ratshäusern. Die noch unwilligen Länderregierungen werden durch Reichskommissare ersetzt.

Und noch eine Dienstleistung der Nazis für die großen Konzerne: Am 1. April 1933 werden nicht nur jüdische Geschäfte, Arzt- und Rechtsanwaltspraxen von den Nazis belagert. Nein, auch die Geschäfte der Konsumgenossenschaften werden verbarrikadiert oder gleich demoliert. Am 2. Mai schließlich werden die Gewerkschaften zerschlagen, und deren Führungspersonal verschwindet ebenfalls in den Nazi-Kerkern.

Und dann geopolitisch der Anschluss an die westliche Wertegemeinschaft: Die militärische Zusammenarbeit mit der Sowjetunion wird aufgekündigt. Die letzten Reichswehr-Soldaten verlassen Ende des Jahres 1933 die Sowjetunion. Unter ihnen befindet sich der spätere Wehrmachtsgeneral Heinz Guderian. Sofort werden neue Kooperationen mit britischen und US-amerikanischen Konzernen vereinbart.

Fakenews, Fritz Tobias und der braune BND-Spiegel

Aus dem Gesagten wird sicher klar, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob ein einzelner Wirrkopf das Reichstagsgebäude rein zufällig angezündet hat, oder ob es sich hier um einen von langer Hand veranlassten Schockstoß gegen die Bevölkerung handelt. Um zu verstehen, wie ausgerechnet der Spiegel sich 1959 hergeben kann für den alogischen Unsinn der Alleintätertheorie des Fritz Tobias, müssen wir uns das Hamburger Nachrichtenmagazin einmal genauer ansehen.

Der Spiegel wurde bis zur berühmten Spiegel-Affäre keineswegs als links oder auch nur liberal angesehen. Vielmehr war der Spiegel ein Sammelbecken von schwer belasteten Kriegsverbrechern aus den Reihen der SS oder der Nazi-Geheimdienste.

Um nur ein paar Namen zu nennen: Stellvertretender Chefredakteur des Spiegel war in den 1950er Jahren Georg Wolff. Im Krieg war Wolff Hauptsturmführer der SS. Horst Mahnke war seit 1952 Ressortleiter Ausland beim Spiegel. Seit 1939 war Mahnke im Reichssicherheitshauptamt verantwortlich für „Weltanschauliche Forschung“.

Im Krieg musste Mahnke als Hauptsturmführer Vorkommando Moskau auch selber mit Hand anlegen bei der massenhaften Ermordung von Juden und Kommunisten in der Sowjetunion — er nahm an den Erschießungen von Smolensk teil. Wilfried von Oven berichtete aus Lateinamerika als Korrespondent für den Spiegel. Augstein hatte ihm für die Flucht nach Argentinien extra einen Presseausweis ausgestellt. Oven war schon 1931 in die NSDAP und die SA eingetreten und nahm an den Massakern der berüchtigten Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg teil.

Beim Überfall auf Polen setzte er als Mitglied der Propagandakompanie den deutschen Blitzkrieg ins rechte Licht. Besondere Verdienste erwarb sich Oven, als er beim Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 die Telefonleitung von Hitler zu Goebbels herstellte, was dem Propagandaminister die Gewissheit gab, dass der „Führer“ noch lebte. Damit trug Oven zum Scheitern des Putsches von Stauffenberg bei. Auch Erich Fischer oder Johannes Matthiesen hatten sich im Krieg bei der SS „bewährt“ und waren jetzt in führender Position beim Spiegel beschäftigt.

Die meisten der genannten Leute waren während ihrer Tätigkeit beim Spiegel zugleich informelle Mitarbeiter der Organisation Gehlen, die heute Bundesnachrichtendienst heißt. Und wie wir vom BND-Chronisten Heinz Höhne wissen, trafen sich BND-Agenten und die Redaktionsleiter des Spiegel regelmäßig, um die Anliegen des Geheimdienstes im Spiegel gut platzieren zu können.

Von daher ist es nun überhaupt kein Wunder, dass der Spiegel sich mit der Fritz-Tobias-Kampagne zugunsten der Nazis exponierte. Mit der herbeigequälten Alleintäter-“Theorie“ zum Reichstagsbrand sollten zwei Ziele erreicht werden:

Zum einen sollten die zahlreichen Seilschaften der Altnazis, die den Apparat der jungen Bundesrepublik massenhaft durchsetzten, gedeckt werden. 30.000 nazistische Schwerkriegsverbrecher wurden von Vatikan und US-amerikanischen Geheimdiensten über die so genannte Rattenlinie ins sichere Franco-Spanien oder nach Lateinamerika verschifft. Diese Kriegsverbrecher nahmen aus der Ferne Einfluss auf die Politik in Deutschland. Klaus Barbie, der Schlächter von Lyon, stand sogar auf der Gehaltsliste des BND! Und auch in Deutschland selber gaben die Altnazis im Kalten Krieg dank der massiven Protektion durch die USA schon wieder den Ton an. Allen voran Reinhard Gehlen vom BND oder Hans Globke als graue Eminenz im Kanzleramt. Zugleich arbeiteten wenige mutige Juristen wie der hessische Staatsanwalt Fritz Bauer zäh und unermüdlich an einer Strafverfolgung der Nazischergen.

Zum anderen setzte sich in Deutschland zunehmend die Totalitarismustheorie durch. Neben der wenig substantiierten Behauptung, das Nazisystem und der Sowjetkommunismus seien vom Wesen her identisch, gehörte zu diesem Konstrukt die Grundannahme, das dumme Volk habe den Naziterror selber gewünscht und in der großen Mehrheit regelrecht in die Macht geschubst.

Immer mehr verklumpten sich Ideologeme zu einer nebulösen Kollektivschuld-“Theorie“, die sich in den Anklageschriften der Alliierten Tribunale jedoch nirgendwo findet.

Die Eliten wälzen ihre schwere Schuld am Naziterror auf deren Opfer, die normale Bevölkerung ab. Dieses Konstrukt gerät durch die Entlarvung der Alleintäterschaft van der Lubbes als Fake der einschlägigen braunen Seilschaften natürlich aktuell schwerstens in Gefahr. Das führt den Historiker Sven Felix Kellerhoff im Wochenblatt Die Welt dazu, wütend die eidesstattliche Erklärung des SA-Mannes Hans-Martin Lennings vom November 1955 als längst widerlegten Unsinn hinzustellen. Er fürchtet um den Fortbestand der Kollektivschuldthese:

„(…) Mitte der 1950er-Jahre war der allgemeine Diskurs in Westdeutschland von der Vorstellung geprägt, Hitler und seine Paladine hätten sich an die Macht getrickst. In Wirklichkeit wurde das Dritte Reich nur möglich, weil Millionen NSDAP- und SA-Mitglieder und ein gutes Drittel der Wähler für den Nationalsozialismus Partei ergriffen hatten. Die Behauptung, die Nazis hätten den Reichstag angesteckt und Marinus van der Lubbe sei nur ihr Sündenbock, ist letztlich eine Entlastungsstrategie.“

Was schert es die Eliten-Historiker, dass bereits kurz nach dem Fritz-Tobias-Fake der Historiker Hans Schneider im Auftrag des Münchner Instituts für Zeitgeschichte die Ungereimtheiten in der Tobias-Legende aufgezeigt hatte? Hans Mommsen hatte damals dafür gesorgt, dass die Befunde von Schneider nicht in der Zeitschrift des Münchner Instituts erscheinen durften. Mommsen versuchte, Druck auf Schneider über dessen Vorgesetzte in der Schulbehörde auszuüben.

Das Institut für Zeitgeschichte distanziert sich mittlerweile von allen Tobias-Mommsen-Diskursen und bot dem wiederum von Kellerhoff aktuell diskreditierten Hersh Fischler die Möglichkeit, im Rahmen der Institutszeitschrift seine Gegenargumente vorzutragen. Und im Jahre 2016 forderte der amerikanische Historiker Benjamin Carter Hett in seinem voluminösen Buch (5) die „Wiederaufnahme eines Verfahrens“ zum Reichstagsbrand aufgrund der haarsträubenden Ungereimtheiten im Tobias-Mommsen-Narrativ ein.

Epilog

Es ist vielleicht nicht ganz unerheblich zum Verständnis der Bedeutung des Reichstagsbrandes, dass die Nazis ihre Machtergreifung mit dem so genannten Röhm-Putsch im Jahre 1934 zum Abschluss brachten. Bei diesem Blutbad wurden nicht nur sozialrevolutionäre Elemente in der SA exekutiert. Auch konservative Politiker, die für ein souveränes Deutschland standen, wie zum Beispiel General von Schleicher oder Edgar Jung, wurden aus dem Weg geräumt. Und nicht zu vergessen: Auch Mitwisser und Mittäter der Reichstagsbrandaffäre wurden gleich mit umgebracht. Zum Beispiel der Berliner SA-Führer Karl Ernst. Derselbe Karl Ernst, der die SA-Brandstifter-Meute durch den Tunnel vom Palais des Reichstagspräsidenten in den Plenarsaal geleitete, wo sie sodann ihre Brandbeschleuniger ausbrachte und das Feuer entfachte.


Bild


Quellen und Anmerkungen:

(1) Van der Lubbe soll zwischen 20 und 21 Uhr das Reichstagsgebäude betreten haben. Dann soll er mit „Kohlezünder“ (so Tobias in einer Fernsehsendung) seine Jacke entzündet und damit die Täfelung des Saales angezündet haben. Der erste Feuerwehrnotruf wurde bereits um 21:13 Uhr ausgelöst…
(2) Stellvertretend für viele Darstellungen vor dem Tobias-Diktum sei hier genannt: William L. Shirer: Aufstieg und Fall des Dritten Reiches. Frechen o. Jg. S.188ff. Originalausgabe: The Rise and Fall of the Third Reich. New York 1960.
(3) Naomi Klein: Die Schock-Strategie — Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt/Main 2009.
(4) Exakte Bezeichnung: Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat.
(5) Benjamin Carter Hett: Der Reichstagsbrand — Wiederaufnahme eines Verfahrens. Hamburg 2016.


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.