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Der heimliche Krieg

Der heimliche Krieg

Der US-Wirtschaftskrieg gegen Russland gefährdet die EU-Energieversorgung. Und die EU lässt das zu.

Nach dem US-Repräsentantenhaus stimmte am 28. Juli auch der US-Senat nahezu einstimmig für erweiterte Sanktionen gegen Russland. Sie werden mit der angeblichen 'Annexion' der Krim, der „anhaltenden russischen Aggression in Syrien“ sowie der unbewiesenen Behauptung legitimiert, Russland habe in den US-Wahlkampf eingegriffen.

Sanktionen drohen u. a. Personen und Unternehmen, die in den Bereichen Aufklärung, Verteidigung, Bergbau, Infrastruktur (Schiffbau und Eisenbahnen) sowie in Bau, Modernisierung oder Instandhaltung von russischen Exportpipelines mit Investitionssummen von mehr als 1 – 5 Millionen (sic!) USD beteiligt sind. Inhalt und Stoßrichtung der Sanktionen weisen auf einen Wirtschaftskrieg der USA nicht nur gegen Russland und seine geostrategischen Verbündeten wie Iran, sondern auch die EU und insbesondere Deutschland hin.

Seit Kurzem schwappt eine Welle der Entrüstung in das politisch-mediale Sommerloch, von wirtschaftsnahen, national-konservativen Blättern wie dem Fokus, der FAZ oder den Deutschen Wirtschaftsnachrichten bis hin zu Bundesaußenminister Gabriel, der EU-Kommission oder Kanzlerin Merkels Bierzeltrede.

Die jetzigen Beschlüsse sind ein radikalisierter Höhepunkt einer seit Jahrzehnten geübten Praxis, über die Exterritorialisierung der US-Rechtsetzung wirtschaftliche und geopolitische Vorteile zu erzielen bzw. den wachsenden Bedeutungsverlust der USA aufzuhalten und dafür vermeintliche Verbündete zu opfern. Die EU ist allerdings nicht nur Opfer der US-Willkür, sondern auch eigenständiger Akteur sowie freiwilliger Vasall einer von der geostrategischen Agenda der USA geforderten russlandfeindlichen Außen-, Wirtschafts- und Energiepolitik.

Der folgende Beitrag beleuchtet die EU-Energiepolitik im Kontext der US-Sanktionen im 'neuen' Kalten Krieg.

EU-Energiepolitik zwischen Global-Europe-Träumen und Vasallentum

Im Februar 2016 veröffentlichte die EU-Kommission zwei Vorhaben zur Energiepolitik der EU: eine Rahmenstrategie für eine Energieunion einschließlich Klimaschutzstrategie und eine Strategie zu Flüssiggas und Gasspeicherung.

Als Ziele der energiepolitischen Strategien werden angegeben:

  1. die Versorgungssicherheit in der EU zu gewährleisten;
  2. die Energiepreise niedrig zu halten;
  3. die Liberalisierung des Energiemarktes und den Wettbewerb zu garantieren;
  4. einen EU-Energiebinnenmarkt zu schaffen;
  5. Energiepolitische Entscheidungen von der nationalen auf die EU-Ebene zu verlagern, um „unkoordinierte nationale Strategien“ zu beenden;
  6. die globale Führungsrolle von EU-Konzernen im Technologie-Sektor bzgl. Energieeffizienz und erneuerbarer Energien zu erhalten;
  7. Klimaschutzziele einzuhalten.

Hintergrund dieser Vorstöße sind vordergründig die hohe Abhängigkeit von Energieimporten, Preisdifferenzen im Vergleich zu den USA, die einen Wettbewerbsnachteil darstellten, der Rückgang bei der Öl- und Gasförderung aus europäischen Quellen (Großbritannien, Norwegen, Niederlande). Die Versorgungssicherheit, d. h. „jederzeit Zugang zu erschwinglicher Energie zu wettbewerbsbasierten Preisen“, soll gewährleistet werden durch „die Diversifizierung von Energiequellen, Lieferanten und Versorgungswegen“. Dazu gibt es in den Kommissionspapieren – neben Energieeinsparungen - folgende wesentliche Ansatzpunkte:

  • Gaslieferungen aus dem Nahen Osten, Afrika sowie zentralasiatischen Ländern, v. a. aus dem mit den USA verbündeten Aserbaidschan über den „Südlichen Gaskorridor“ via Türkei. (Die Begriffe hierzu sind Transadria Pipeline TAP als Verlängerung der TANAP vom Kaspischen Meer über die Türkei nach Europa )
  • Die Flüssiggasstrategie („eine umfassende LNG-Strategie“): 1. Errichtung von Flüssiggasterminals in Nord-, Mittel- und Osteuropa sowie im Mittelmeerraum und daran angeschlossene Pipelines; 2. Die Aufnahme des Energiesektors in internationale Handelsvereinbarungen, die den Zugang zu Ressourcen sowie die Beseitigung von Hindernissen für LNG-Importe aus den USA und anderen Ländern zur Folge haben sollen.
  • Schiefergasförderung in Europa, „sofern mit Fragen der öffentlichen Akzeptanz und der Umweltauswirkungen angemessen umgegangen wird“.
  • Ein integrierter Binnenmarkt mit grenzüberschreitender Infrastruktur

Die unausgesprochene Prämisse des Kommissions-Papiers ist, dass die Versorgungssicherheit durch Russland gefährdet sei. In nicht näher definierter Zukunft will die Kommission eine „Neudefinition“ der energiepolitischen Beziehungen zu Russland „prüfen“.

Die Politik des wirtschaftlichen Imperialismus zeigt sich in der „grundsätzlich“ verfolgten „aktive(n) Handels- und Investitionsagenda im Energiebereich“, um EU-Konzernen „Zugang zu ausländischen Märkten für europäische Energietechnologien und -dienstleistungen“ zu verschaffen. Dazu erwartet die Kommission von Nicht-EU-Ländern in der Nachbarschaft „die effektive [...] Umsetzung“ des EU-Rechts (Aquis Communautaire) in den Bereichen Energie, Umwelt und Wettbewerb, dehnt also ihre eigene Rechtsetzung über ihre eigenen Grenzen aus.

Das Ziel der Zentralisierung energiepolitischer Entscheidungen wird unter dem Titel „Mehr Transparenz in der Gasversorgung“ formuliert und darf so verstanden werden, Alleingänge von Mitgliedstaaten z. B. in der Kooperation mit Russland als Hauptgasversorger, zu unterbinden. Auf Linie gebracht bzw. gehalten werden sollen dabei – ohne die Ländernamen zu nennen – Deutschland (Nord-Stream-II), Bulgarien (South Stream bzw. Turkish Stream), Italien und Griechenland (Poseidon, Turkish Stream).

Die Kommission beansprucht unter Berufung auf das EU-Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht sowie die Versorgungssicherheit, in Zukunft „über die Aushandlung von zwischenstaatlichen Abkommen von einem frühen Zeitpunkt an unterrichtet (zu) werden“ oder am besten direkt an der Vertragsaushandlung beteiligt zu werden.

EU und USA geeint gegen Putin

Die vorliegenden Kommissionspapiere sind von Inkonsistenz, Widersprüchlichkeit und auffallenden Leerstellen geprägt. Obwohl die Energieversorgung möglichst preisgünstig erfolgen soll, wird mit der LNG-Strategie auf eine Energieform gesetzt, die deutlich teurer ist als Pipelinegas und eine teure, neue Infrastruktur erforderlich macht.

Dies widerspricht der sonst so gerne von Kommissionsseite vorgetragenen marktwirtschaftlichen Betrachtung. Zweitens verfolgt die Kommission Klimaschutzziele, blendet in ihrer Flüssiggasstrategie jedoch die Umwelt- und Klimaverträglichkeit der Förderung und des Transportes aus. Denn bei dem Flüssiggas handelt es sich vorzugsweise um Gas aus der US-Fracking-Förderung, das durch Kühlung verflüssigt werden muss, bevor es über Tanker transportiert wird und anschließend in speziellen Terminals regasifiziert wird. Drittens behauptet sie, die Versorgungssicherheit zum Ziel zu haben, berücksichtigt aber mögliche neue Öl- und Gasfundstellen der EU – im östlichen Mittelmeer auf dem Hoheitsgebiet von Zypern und Griechenland ebenso wenig wie die begrenzten Fördermengen bei Flüssiggas aus Fracking.

Zudem ist die Erdgasversorgung über russische Pipelines sicherer als Tanker, da sie nicht anfällig ist für externe Transportblockaden. Viertens betreibt sie unter dem Vorwand der Diversifizierung langfristig das Strangulieren der EU von ihrem sichersten Gasversorger, von Russland. Obwohl die UdSSR selbst im Kalten Krieg die Gaslieferungen Richtung Westen nie gestoppt hat und die zeitweiligen Lieferengpässe der letzten Jahre bei russischem Gas – abgesehen von witterungsbedingten Gründen im Winter 2012 - vom Gasdiebstahl und von Gasschulden der Ukraine (als Transitland) verursacht wurden, wird Russland unterstellt, die Abhängigkeit der EU ausnutzen zu wollen und den Rohstoff als „Waffe“ einzusetzen. Dagegen argumentiert Christoph Eisenring in der Neuen Zürcher Zeitung:

"Jüngst hat die BASF-Tochter Wintershall den Erdgashandel sowie einige Gasspeicher an Gazprom verkauft. Damit ist der russische Konzern mit einem Marktanteil von einem Fünftel in Deutschland zu einem wichtigen Lieferanten der Stadtwerke geworden. Im Gegenzug erhielt Wintershall 25% an zwei sibirischen Erdgasfeldern. […] E.On ist ebenfalls mit 25% am Gasfeld Juschno Russkoje beteiligt. Deutsche Firmen erhalten also lukrative Förderrechte in Russland und verschaffen im Gegenzug Gazprom Zugang zu deutschen Kunden und deutscher Technologie. Durch diese Verflechtung dürfte die Energiesicherheit eher gestiegen sein, da jeder auf dem Boden des anderen Landes Anlagen stehen hat."

Es fällt auf, dass in den vergangenen 10 Jahren alle neuen Pipeline-Projekte zwischen Russland und EU-Ländern von Seiten der EU-Kommission torpediert wurden. Das betrifft insbesondere South-Stream, nach dessen vorläufigem Ende das Alternativ-Projekt Turkish Stream / TurkStream sowie den Ausbau von Nord Stream (Gaspipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland). Das South-Stream-Projekt gründet in Vereinbarungen zwischen der russischen Gazprom und der italienischen ENI aus dem Jahr 2006.

Die Pipeline unter dem Schwarzen Meer sollte auf einer Bodenstrecke durch Bulgarien, Serbien, Ungarn, Slowenien und Italien fortgeführt werden. Die EU-Kommission unter ihrem damaligen Präsidenten Jose Manuel Barroso, heute Berater bei der US-Großbank Goldman-Sachs, drohte mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Bulgarien wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht. Hier wird das Dritte Energie Paket angeführt, wonach Drittanbietern Zugang zum Leitungsnetz gewährt werden müsse und Gasförderunternehmen und Pipeline-Betreiber nicht in einer Hand liegen dürften, was bei der russischen GAZPROM als integriertem Konzern der Fall sei. Mittlerweile bemüht sich Bulgarien darum, dass das Nachfolgeprojekt Turkish Stream einen Pipelineanschluss nach Bulgarien erhält. Die neue Pipeline werde den EU-Vorgaben gerecht, betonte kürzlich Premierminister Borissow.

Statt russische Vorhaben zu unterstützen, beim Gastransport den unsicheren Kantonisten und – mit tätiger Unterstützung von EU und USA zugerichteten – Failed State Ukraine zu umgehen, werden gerade solche Pläne blockiert – und zwar nicht nur von EU-Seite, sondern bemerkenswerter Weise auch von US-Seite!

US-Energiepolitik als Kampffeld im Kalten Krieg auf dem eurasischen Schachbrett

Es intervenierten 2014 bei der bulgarischen Regierung sowohl US-Senatoren (wie John McCain) als auch die US-Botschafterin in Bulgarien. Bulgarien wurde von den USA unter Druck gesetzt, weil es für den Pipelinebau Aufträge an ein Konsortium vergeben hatte, an dem auch ein russisches Unternehmen beteiligt war, das unter US-Sanktionen steht.

Diese Wirtschaftssanktionen gründen jedoch nicht in einem Beschluss des UN-Sicherheitsrates, sondern werden durch Präsidentenerlass vom Office of Foreign Assets Control (OFAC) verhängt zur „Gefahrenabwehr“, wenn die nationale Sicherheit der USA, die Ziele ihrer Außenpolitik oder ihres internationalen Handels betroffen sind. Ein Hinweis vom Bundesanzeigerverlag vom April 2016 warnt:

„Im Zuge der Ukraine-Krise passt OFAC Sanktionen gegen Personen und Organisationen in Russland fast schon im Monatsrhythmus an die aktuellen Entwicklungen an. Zu dem aktualisiert und erweitert die Behörde ständig die Exportkontrollvorschriften.“

Die Sanktionspraxis entpuppt sich als willkürliches Instrument der finanziellen, wirtschaftlichen und geopolitischen Kriegführung der USA.

Unmittelbar nach einem Besuch von John McCain und weiteren US-Senatoren beim bulgarischen Regierungschef wurde das South-Stream-Projekt von bulgarischer Seite 2014 aufgekündigt. Was den damaligen Regierungschef Oresharski konkret zu diesem Schritt, der sowohl wirtschaftlichen als auch energiepolitischen Interessen Bulgariens zuwider läuft, bewogen hat, ist mir nicht bekannt, aber es müssen sehr schwerwiegende „Argumente“ gewesen sein.

Sowohl beim South-Stream-Projekt als auch beim Alternativ-Projekt Turkish Stream besteht die Möglichkeit, einen Abzweig nach Griechenland zu verlegen. Die US-Seite hat mindestens seit 2007 vielfach auf Griechenland Druck ausgeübt, um die griechische Kooperation mit dem russischen South-Stream-Pipeline-Projekt zu verhindern, die Griechenland zu einem Hub zur Verteilung des Gases Richtung Italien und anderen EU-Ländern gemacht hätte. Im Sommer 2011 besuchte die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton mit ihren Rohstoff- und Regime-Change-Experten Richard Morningstar und Mathew Byrza Griechenland.

Mathew Byrza verlangte schon im Juni 2007 in der griechischen Zeitung „To Vima“, der griechische Premierminister Karamanlis solle vom Pipeline-Projekt mit Russland Abstand halten. Deutlicher wurde seine Angetraute, Zeyno Baran, in einem Artikel in der konservativen „National Review“ im März 2007. Baran arbeitete für verschiedene US-Think tanks, teilweise in leitender Funktion (Hudson Insitute, Nixon Institute, Center for Strategic and International Studies).

Sie empfiehlt der griechischen Regierung, die 'weise und souveräne' Entscheidung zu treffen, sich der Turkey-Greece-Italy-Pipeline (TAP in Fortsetzung der TANAP), d. h. entlang der NATO-Süd-Ost-Flanke, anzuschließen, die politisch schwieriger sei, aber zur Energiesicherheit der EU beitrage. Griechenland wird moralisch unter Druck gesetzt (es gefährde die „Solidarität“ in der EU, sich gemeinsam gegen Russland zur Wehr zu setzen) und es wird indirekt ein Eingreifen der NATO angedroht.

Vor diesem Hintergrund sind die Geschehnisse um den damaligen griechischen Ministerpräsidenten der Nea Dimokratia, Karamanlis, bemerkenswert. 2007 schließt er mit Präsident Putin einen Kooperationsvertrag zur South-Stream-Pipeline. 2008/2009 berichtet der russische Geheimdienst FSB an den griechischen Geheimdienst, ein westlicher Geheimdienst sei dabei, Griechenland zu destabilisieren und betreibe den Sturz von Karamanlis.

Vor der Wahl 2009 wurde auf Karamanlis ein Bombenattentat verübt. Diese Vorgänge veranlassten die Staatsanwaltschaft 2012 Anklage gegen Unbekannt zu erheben wegen Hochverrats, versuchtem Staatsstreich und Mordversuchs an Karamanlis.

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Die USA pushen den südlichen Pipeline-Korridor vom Kaspischen Becken (Aserbaidschan) über die Türkei, den sich die EU-Kommission in ihrem Papier zur Energieunion nun auch zu Eigen macht, seit Jelzins Präsidentschaft in Russland. Eine der wichtigsten Figuren in diesem Kontext ist Richard Morningstar. Er war seit Mitte der 1990er Jahre in verschiedenen Funktionen Sonderberater des US-Präsidenten und US-Außenministers für Energiefragen im Kaspischen Becken, um die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen der US-Regierung in diesem Gebiet nach dem Zerfall der Sowjetunion zu vertreten.

Dazwischen war er Botschafter in der GUS, der EU, in Azerbaidschan. 2014 war er Gründungsdirektor des „Global Energy Center at the Atlantic Council“, einem der wichtigsten transatlantischen Think tanks. Der Experte für Energie- und Geopolitik, F. William Engdahl, bezeichnet Morningstar als einflussreichen „Wirtschaftskrieger“.

Im Interview mit naturalgaseurope vom 24.12.2015 hebt Morningstar die Bedeutung des südlichen Gaskorridors für die EU und ihre Versorgungssicherheit hervor und die 'diplomatische' Rolle, die die USA dabei spielen. Amos Hochstein, als Sonderbeauftragter für internationale Energiefragen als Teil der nationalen Sicherheit der USA Nachfolger von Richard Morningstar, war Anfang Mai 2015 in Griechenland. Hochstein überbrachte die Verärgerung der US-Regierung über eine griechische Verlängerung der – damals noch in Planung befindlichen – russisch-türkischen Turkish Stream und schwor die neue griechische Syriza-Anel-Regierung auf die Trans Adriatic Pipeline TAP sowie die Versorgung durch Flüssigerdgas LNG ein.

Dies in einer Situation, in der das überschuldete und durch Troika-Auflagen geknebelte und ausgepresste Griechenland dringend eine finanzielle Perspektive brauchte, die die Beteiligung am Turkish-Stream-Projekt eröffnen würde.

Im Mai 2016 beugte sich der griechische Premier Alexis Tsipras dem US-Druck. Das Memorandum of Understanding für das Projekt „Poseidon“ mit Gazprom und Italien, das im Februar 2016 vom griechischen Energieversorger DEPA unterzeichnet worden war, wurde aufgekündigt und stattdessen die Beteiligung an TAP unterzeichnet.

Bei Vertragsunterzeichnung waren die US-Freunde ebenfalls wieder anwesend. Die TAP-Pipeline soll Gas vom aserbaidschanischen Shah Deniz II-Feld liefern, das von BP ausgebeutet wird, und vom Umid Gasfeld von SOCAR and Nobel Oil. Sowohl von den projektierten (dreifachen) Kosten als auch von der Liefermenge (ein Sechstel der Menge von South Stream / Turkish Stream) macht TANAP/TAP laut F. William Engdahl ökonomisch und energiepolitisch keinen Sinn.

Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, warnt in einem Gastbeitrag für das Wallstreet-Journal vor den unberechenbaren Folgen der neuen Sanktionen für die EU-Energieversorgung und nennt folgendes Beispiel:

„Die Präsenz des russischen Energiekonzerns Lukoil in Aserbaidschan könnte in diesem Fall dazu führen, dass die Amerikaner das Shah-Deniz-Gasfeld mit Sanktionen belegen. Die kaspischen Gaslieferungen nach Europa über den südlichen Korridor wären dann gefährdet.“

Neben Eigenmächtigkeiten an der Nato-Süd-Ost-Flanke sind den US-Strategen direkte Kooperationen zwischen Deutschland und Russland ein Dorn im Auge, weshalb es seit Jahren Interventionen gegen Nord-Stream-II gibt. Der schon erwähnte Richard Morningstar betont die Bedeutung des Dritten EU-Energie-Pakets, das eine Trennung von Förderung und Vertrieb verlangt, als Instrument, um Nord-Stream-II zu verhindern.

Den US-Interessen kommt dabei die Russophobie der baltischen Staaten und Polens zugute, die eine eigenständige, konsistente EU-Energiepolitik verhindern. Der Atlantic Council forciert, gefolgt von US-Präsident Trump, die Three-Seas-Initiative, die die EU-Anrainer von Ostsee, Schwarzem Meer und Adria durch Infrastruktur für Flüssiggas verbinden und das russische Gas vom Markt der mittel-ost-europäischen EU-Mitglieder fernhalten soll. Polen und Kroatien sollen zu Drehkreuzen für US-Flüssiggas werden. Wie lange werden diese Machtphantasien ihnen den Blick auf die Realität der überhöhten Kosten und Lieferunsicherheit verstellen?

Nachdem sich die EU-Kommission mit Nord Stream II abgefunden hat, versucht im Frühjahr 2016 die stellvertretende US-Energieministerin, Elizabeth Sherwood-Randall, den Ausbau der Pipeline noch zu torpedieren. Obwohl laut Aussagen des luxemburgischen EU-Parlamentsabgeordneten Claude Turmes ein Anruf von Bundeskanzlerin Merkel beim Kabinettschef des EU-Kommissionspräsidenten Juncker, Martin Sedlmayer, die Zustimmung zu Nord Stream II erreicht habe, stellt Sherwood-Randall dies in Frage.

Hier ein Auszug aus einem Interview mit euractiv vom 1.4.2016:

"Wir machen uns Sorgen um Nord Stream 2. Die Gründe […] beziehen sich auf die Diversifizierungszusagen der G7-Staaten, die ich anfangs erwähnt habe. Bei Nord Stream 2 will man die Leitung eines Energiezulieferers verdoppeln, anstatt mehrere Routen unterschiedlicher Quellen über das Territorium zu spannen. So schafft man, denke ich, keine zusätzliche Energiesicherheit in Europa. Natürlich entzieht das Projekt der Ukraine auch einen Großteil der wichtigen Transiteinnahmen. Diese sind angesichts der ukrainischen Haushaltsprobleme aber dringend notwendig. […]
Man hört seit Kurzem, dass die EU-Kommission Nord Stream 2 – wenn auch widerwillig – grünes Licht geben wird.
Ist das so?
Ich habe es nicht aus einem direkten Gespräch erfahren, aber von einem Kollegen mit exzellenten Kontakten.
Das ist interessant. Wahrscheinlich müssen sie das alles ganz genau und mit viel Bedacht untersuchen. Wir (sic! E.S.) haben einen Gesetzesvorschlag, der einen bedeutenden Schritt nach vorn darstellen würde. Diesem zufolge müsste alle privaten Gespräche oder bilateralen Abkommensverhandlungen aus Sicht der EU-Energiesicherheit abgesegnet werden. Das muss dem Parlament vorgelegt werden."

Es fällt auf, dass sowohl Morningstar als auch Sherwood-Randall sich in dreister Selbstverständlichkeit in diese Vertragspläne bis hin zu EU-Gesetzgebungsprozessen einmischen bzw. der Anspruch erhoben wird, das US-Energieministerium könne einen Gesetzesvorschlag zur Entmachtung der nationalen Souveränität in Energiefragen verordnen.

Die oben angeführten Belege zeigen, dass der Wirtschaftskrieg und geostrategische Kalte Krieg auf europäischem Boden von US-Seite seit vielen Jahren geführt und von EU-Seite geduldet wurde. Der neueste Sanktionskatalog bedroht die an Nord Stream II und der Erschließung russischer Öl- und Gasfelder beteiligten Energiekonzerne der EU – wie Wintershall, E.on, OMV, in der Substanz, wenn sie entweder von geschlossenen Verträgen zurücktreten oder mit maßlosen Strafzahlungen konfrontiert sein werden.

Exkurs: The German Question – The Question of Europe

Der Gründer und Vorsitzende des führenden privaten US-amerikanischen Think Tanks STRATFOR (Abkürzung für Stategic Forecasting Inc.) George Friedman nannte in einem Vortrag für The Chicago Council on Global Affairs 2015 als ein Hauptziel der US-Politik, ein Bündnis zwischen Russland und Deutschland zu verhindern. Die größte Angst der USA bestehe in einer Kombination von deutscher Technologie und deutschem Kapital mit russischen Ressourcen:

"German technology and German capital, Russian natural resources, Russian manpower, as the only combination that has for centuries scared the hell out of the United States. So, how does this play out? Well, the US has already put its cards on the table – it is the line from the Baltics to the Black sea. For the Russians, their cards have always been on the table. They must have at least a neutral Ukraine, not a pro-western Ukraine. [...] Now, whoever can tell me what the Germans are going to do, is going to tell me about the next 20 years of history. But unfortunately the Germans have not made up their mind. This is the problem of Germany always. Enormously economically powerful, geopolitically very fragile, and never quite knowing how to reconcile the two. Ever since 1871 this has been the German question, the question of Europe. Think about the German question, because now it's coming up again. That is the next question that we have to address. And we don't know how to address it. We don't know what they are going to do." (George Friedman, "Europe: Destined for Conflict?", unter: https://www.youtube.com/watch?v=QeLu_yyz3tc)

Sichere Gasversorgung in der EU durch US-Flüssiggas?

Seit ein paar Jahren werden die USA aufgrund des durch Fracking gewonnenen Öls und Gases als neues Saudi-Arabien gefeiert. Die USA könnten sich für 100 Jahre selbst versorgen und im großen Stil Öl und Gas exportieren. Der angenommene Zeitraum von 100 Jahren basiert jedoch auf illusorischen Annahmen, bei denen nicht nur wahrscheinliche und mögliche, sondern auch spekulative Vorkommen erfasst werden.

Als eine geopolitische Zielrichtung des Frackings formulierten US-Mitglieder im nationalen Sicherheitsrat unter George W. Bush in einem Artikel in der Zeitschrift des einflussreichen Council on Foreign Relations, „Foreign Affairs“, explizit, mittels der US-Schiefergasförderung die Preise zu drücken, Russlands Einnahmen zu schwächen, so das Land zu destabilisieren und sich mittelfristig Putins zu entledigen (vgl. Energie als Kampfmittel. German Foreign Policy 31.03.2014).

Dass bei dem Vorantreiben der LNG-Strategie politische Gründe im Vordergrund stehen, lässt sich auch aus den Kosten für die erforderliche Infrastruktur ableiten. Auch die Exportländer müssen neue Terminals einrichten, die noch teurer sind als Import-Terminals. Das Argument, die EU müsse ihre Versorgungssicherheit durch LNG-Importe erhöhen, erscheint zudem vorgeschoben, wenn man die in den letzten Jahren importierten Mengen betrachtet: Die LNG-Nachfrage in Europa sank bis 2015 auf weniger als die Hälfte der Menge von 2010.

Bis 2019 soll die Kapazität der Exportterminals in den USA groß genug sein, um der russischen GAZPROM in der EU spürbar Konkurrenz zu machen ( http://www.top-energy-news.de/lng-fuer-europa-aus-den-usa-zum-winter/ ). Das Versprechen von US-Gasexporten zu profitieren, steht jedoch laut F. William Engdahl nicht nur wegen der höheren Kosten für Flüssiggas auf tönernen Füßen:

"There’s only one thing wrong with all the predictions of a revitalized United States energy superpower flooding the world with its shale oil and shale gas. It’s based on a bubble, on hype from the usual Wall Street spin doctors. In reality it is becoming increasingly clear that the shale revolution is a short-term flash in the energy pan, a new Ponzi fraud, carefully built with the aid of the same Wall Street banks and their “market analyst” friends, many of whom brought us the 2000 “dot.com” bubble and, more spectacularly, the 2002-2007 US real estate securitization bubble."

Schiefergasvorkommen sind wegen ihrer geologischen Besonderheiten sehr schnell erschöpft. Innerhalb von wenigen Jahren sind 80 bis 95 % des Vorkommens ausgebeutet. Um die Fördermenge zu erhalten oder zu steigern, ist die immer schnellere Erschließung neuer Bohrlöcher erforderlich. Selbst die ergiebigsten Schiefergasfelder in den USA haben ihre maximale Förderquote (Peak) erreicht. (Siehe das eindrückliche Diagramm hier). Auch die Entwicklung der Anzahl der aktiven Gas-Bohrtürme seit 1987, die der Blog für Wirtschafts- und Finanzdaten „Querschuesse“ monatlich veröffentlicht, weckt Zweifel an der Rede von der Energiesupermacht USA:

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Noch immer sind die USA trotz eigener forcierter Förderung ein Nettoimporteur von Gas, wie die bei Querschüsse dokumentierten offiziellen Daten zeigen!

„Angesichts der Daten mutet es bizarr an, dass Trump Polen und den Ländern der Drei-Meeres-Initiative (12 Mittel- und Ostmitteleuropäischen Staaten) Energielieferungen von Gas und Öl anbot um deren Abhängigkeit von Russland zu senken. Nicht nur das Gas- und Öllieferungen aus den USA viel teurer sein dürften, gerade Flüssiggaslieferungen, die USA hat auch gar keine Nettoexportmengen, könnte also bestenfalls als Zwischenhändler agieren, was es den Ostmitteleuropäischen Staaten die Sache weiter verteuern dürfte, ….ein immenser Preis für Russophopie oder eine neue Form an freiwilligen Tribut an den Hegemon.“

Das knappe Fracking-Gas wird von Trump nicht nur den Osteuropäern angeboten, sondern auch China! Es sieht so aus, als würde das sprichwörtliche Fell schon mehrfach versprochen, bevor der Bär erlegt ist.

Der Brandstifter als Retter? Fazit und Ausblick

Die USA schaffen sich mit dem Argument der EU-Versorgungsanfälligkeit, zu der sie selbst wo immer möglich beitragen, einen abhängigen Vasall und bieten sich dann als vermeintlichen Retter an.

Die EU lässt sich vor den geopolitischen Karren der USA spannen. Indem sie sich gegen Russland in Stellung bringen lässt, gefährdet sie massiv ihre zukünftige Energieversorgung. Denn der bestehende Transit-Vertrag über die Ukraine in die EU läuft 2019 aus und Gazprom will den Vertrag nicht verlängern.

Bis dahin sollten alternative Routen im Interesse der EU liegen. Immerhin „fliesst die Hälfte des Erdgases, das nach Europa und in die Türkei gelangt, durch die ehemalige Sowjetrepublik“ Ukraine. Das TAP/TANAP-Projekt wird die erforderliche Gasmenge nicht liefern können, und Flüssiggas wird die Versorgungslücke nicht schließen, schon gar nicht zu den bisherigen Preisen. Zudem könnte diese Lieferquelle versiegen, wenn sie den Sanktionen zum Opfer fällt.

Ein über Jahrzehnte bewährter zuverlässiger Energielieferant soll durch einen in jeder Hinsicht willkürlich und gewalttätig agierenden Kantonisten ersetzt werden? Welchen Hebel würden die USA bei der Wiederaufnahme der Verhandlungen über das TTIP-Freihandelsabkommen ansetzen können, wenn die EU energiepolitisch vom Goodwill der USA abhängig ist?

Geht das US-Kalkül auf, wird eine Strategie realisiert, die im Jahr 2000 auf einer außenpolitischen Konferenz in Bratislava besprochen wurde und von der ehemalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Willy Wimmer, als Teilnehmer berichtet.

Die Bratislava-Konferenz war eine Wehrtagung des US-Außenministeriums und des American Enterprise Institutes unter dem Thema: „Is Euro-Atlantic Integration Still on Track? Opportunities and Obstacles“. Teilnehmer waren Ministerpräsidenten, Außenminister, Verteidigungsminister und der persönliche Beauftragte des NATO-Oberbefehlshabers. Darin wurde u. a. als Ziel der US-Außenpolitik genannt, eine Linie von den Baltischen Staaten über Odessa bis ins türkische Diyarbakir zu ziehen. Für das Gebiet westlich dieser Linie beanspruchen die USA die Kontrolle, inklusive der Ausdehnung ihrer Rechtsordnung (Willy Wimmer im Vortrag an der TU Braunschweig, https://www.youtube.com/watch?v=zQju9_PjtI4 ).

Russland findet problemlos andere Abnehmer für sein Gas. Russland und China haben im Vorfeld des G-20-Gipfels ein über 30 Jahre laufendes Energieabkommen abgeschlossen. Der russische Präsident Putin plädiert für eine Integration des chinesischen Projekts Neue Seidenstraße mit der eurasischen Union. Die Absicht, Russland über Sanktionen wirtschaftlich und politisch in die Knie zu zwingen, hat sich im Laufe der letzten drei Jahre ins Gegenteil verkehrt.

Während die eurasische Kooperation Richtung Osten sich von Monat zu Monat vertieft und sich vom US-Erpressungspotential Schritt für Schritt unabhängiger macht, flattern EU-Politiker – abgesehen von Rumsfelds neuem Europa, das sich dem US-Empire zu jeden Bedingungen andient und das mit Freiheit verwechselt – wie vom Fuchs aufgescheuchte Hühner hilflos herum.

Ob die EU mehrheitlich ihrem Vasallentum gegenüber den USA treu bleibt und den daraus folgenden eigenen politischen wie wirtschaftlichen Niedergang noch beschwichtigen wird, oder wie viel widerständige Substanz die Empörung und Androhung von Gegensanktionen von politischer Seite hat, wird sich in naher Zukunft zeigen. Noch nicht erkennbar ist der entschiedene Wille, aus dem wirtschaftlichen und währungspolitischen Schwitzkasten des US-Imperiums auszubrechen und - der Vision Gorbatschows folgend -, ein Wirtschafts- und Sicherheitsbündnis von Lissabon bis Wladiwostok zu schaffen sowie der Neuen Seidenstraße von Westen entgegen zu kommen.


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