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Der Kampf um Neurussland

Der Kampf um Neurussland

Mit jeder weiteren Zuspitzung zwischen West und Ost wird der Weg in Richtung eines Dritten Weltkrieges geebnet.

Moskau ist Mitte März mit seinem Versuch, gewaltsam einen Regimewechsel in Kiew herbeizuführen, kolossal gescheitert. Nun tobt der Krieg, den der Kreml euphemistisch „Sonderoperation“ nennt, um Neurussland. Dieses Gebiet nahm der russische Zar nach der Zurückdrängung des Osmanischen Reichs und der Auflösung des Krimkhanats im 18. Jahrhundert unter seine Fittiche. Neben dem im Zuge des einrückenden Adels angesiedelten Russen kamen auch deutsche und griechische Kolonisten ins Land. Im postsowjetischen Diskurs kam der Begriff Neurussland wieder vermehrt in Gebrauch und zeugt nun vom Erstarken nationaler statt multiethnischer und/oder sowjetischer Identität in der russischen Gesellschaft.

Dass diese Nationalisierung der Identitätsbildung Anfang der 1990er-Jahre zuallererst von den baltischen Eliten — mit kräftiger Unterstützung Deutschlands — ausging, daran muss an dieser Stelle erinnert werden; und auch daran, dass die radikalen nationalen Elemente von den baltischen Parteien bis hin zur ersten, 1989 gegründeten ukrainischen Oppositionspartei „Ruch“ („Volksbewegung“) ihren Nationalismus mit starkem antirussischem Rassismus unterfütterten. Dem Autor dieser Zeilen sind bereits Anfang der 1990er-Jahre immer wieder Menschen zwischen Lwow/Lwiw und Tallinn begegnet, die einem hinter vorgehaltener Hand erzählt haben, dass Russen eigentlich keine „uns“ vergleichbaren Menschen seien.

30 Jahre später haben die transatlantischen Staatenlenker eben jene antirussischen Stereotypen bis hin zum blanken Rassismus als ideologisches Beiwerk in Gebrauch genommen, um ihrer Kriegsbegeisterung auf Seiten der Ukraine die nötige „moralische“ Rechtfertigung zu geben. Mit Waffenlieferungen, Ausbildung, logistischer Unterstützung, Milliardenkrediten und verlorenen Zuschüssen an Kiew sowie beispiellosen Sanktionen gegen Russland und „die Russen“ befinden sich Washington und EU-Brüssel mitten im Krieg — und streiten diesen Tatbestand ebenso ab wie es ihr Feind, Russland, tut. Offiziell sieht sich Ende Juni 2022 einzig die Ukraine im Kriegszustand.

Nachdem vor allem US-Präsident Joe Biden und seine Entourage Moskau den Waffengang durch Gesprächsverweigerung zu den russischen Kernforderungen — Schluss mit der Nato-Osterweiterung und militärische Neutralisierung der Ukraine — als alternativlos erscheinen ließ, mithin Moskau in die Falle eines Krieges geradezu gelockt hat, zeigen sich nun im Westen die dunkelsten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte in aller Öffentlichkeit. Sie hetzen die Ukraine in den Einsatz von immer mehr und immer reichweitenstärkeren Waffen.

Schritt für Schritt taumeln die Führer der Nato und der EU in den dritten Weltkrieg. Unterschiedliche Akteure haben daran unterschiedliche Interessen.

Hochkonjunktur bei den Waffenschmieden

Da sind zum einen die deutschen, US-amerikanischen, britischen, französischen und andere westliche Waffenschmieden zu nennen. Sie handeln im Dienste ihrer Eigentümer.

Noch vor Jahresfrist hätten sie sich nicht träumen lassen, Megaprofite wie jene, die Big Pharma im Zuge der staatlichen Test- und Impfkampagnen einfahren konnte, nun auch in ihren Geschäftsbüchern verbuchen zu können.

Den Altbestand an Panzern und anderem militärischen Gerät an die Ukraine liefern und die Auftragsbücher mit neuen Bestellungen füllen: besser könnte das Jahr 2022 und absehbar die folgenden Jahre nicht laufen. Krieg bietet dem militärisch-industriellen Komplex, das war schon immer so, die schnellste Verwertung von Kapital. Einmal abgeschossen, ist die Munition verbraucht, muss eine neue gekauft werden; und wenn dadurch der Feind ein Kriegsgerät verliert, läuft das Geschäft umso gewinnträchtiger. Die Bauwirtschaft als nachgeordnete Branche darf dann später mit neuen Aufträgen rechnen.

Die vom transatlantischen Raum betriebene Sanktionspolitik, insbesondere gegen russisches Gas, hat zur Folge — und wohl auch den Sinn —, Erdgas als weltmarktfähiges Produkt überhaupt erst zu positionieren. Bisher war Gas über bestimmte Streckenführungen an Leitungen gebunden und konnte nicht an beliebigen Orten verkauft werden. Erdgas war als Produkt am Weltmarkt nicht handelbar, hatte auch keinen durch ihn sich ergebenden allgemeinen Preis. Mit dem Fracking und der dadurch möglich gewordenen Verschiffbarkeit von Erdgas ist es — vorerst noch nicht überall praktisch umsetzbar — allgemeines Handelsgut geworden. Durch das politisch erzwungene Aus für Nord Stream 2 und die weiteren Embargomaßnahmen gegen russisches Gas werden neue Bezugswege und damit auch neue Anbieter auf den (Welt)Markt gepusht. Kriegsökonomie, und mit nichts anderem haben wir es hier zu tun, folgt immer einem politischen Primat. Ihr Zwangscharakter öffnet neuen Anbietern die Märkte.

Die Kriegsteilnahme des Westens an der Seite der Ukraine gegen Russland offenbart einmal mehr die geopolitische Abhängigkeit der Europäischen Union von den USA. Insbesondere die Nichtinbetriebnahme der fertig gebauten Gaspipeline Nord Stream 2 hat erneut vor Augen geführt, dass Deutschland kein souveräner Staat ist, der eigenen Interessen folgen kann, wenn sich diese von denen der USA signifikant unterscheiden. Dementsprechend ist das politische Personal, wenn es darauf ankommt, mehr transatlantisch als deutsch orientiert. Das wiederum führt zu Widersprüchen innerhalb der EU, wo Länder wie Frankreich, Italien oder Ungarn nur mit viel Druck von einem eigenständigeren Agieren abgehalten werden können. Wie lange dies gelingt, bleibt eine offene Frage.

Grottenschlechtes Personal

Apropos Personal: dass sich die Grünen als die lautesten Kriegshetzer etabliert haben und es ausgerechnet die Grünen-Chefin Annalena Baerbock war, die vor Kriegsmüdigkeit gewarnt hat, ist mehreren Faktoren geschuldet. Sozioökonomisch betrachtet, ist es eine Partei des neuen, gut situierten Mittelstandes. Ihre Klientel gehört mutmaßlich zu den letzten, die von einer gesellschaftlichen Verelendung, wie sie durch die Sanktionspolitik gegen Russland nochmals angeschoben wird, etwas bemerken. Sie leben in relativ blasenartigen städtischen Wohlstandszonen und Speckgürteln; viele von ihnen gehören der Erbengeneration an, deren Eltern in den 1960er- und 1970er-Jahren es zu passablem Reichtum gebracht haben, weil Erbschaften nicht oder nur in sehr geringem Ausmaß besteuert wurden. Dazu kommt, dass sie politisches Engagement mit einem moralischen Impetus betreiben. Dieser fußt auf der Überzeugung, die Entwicklungsgeschichte der eigenen, im Wohlstand aufgewachsenen Generation mit ihren spezifischen Problemen auf die Welt übertragen zu müssen.

Sie fühlen sich zur Durchsetzung von individueller Identitätspolitik und gesellschaftlicher Diversität verpflichtet. Dass es dann ausgerechnet der ukrainische Nationalismus mit seiner blau-gelben Fahne ist, der damit bricht, ist eigentlich nur mit einem tiefsitzenden Antirussismus zu erklären. Er speist sich aus derselben moralischen Überheblichkeit.

Um diese wirkmächtig zu machen, ist man letztlich bereit, in den Krieg zu ziehen und Menschenleben zu opfern, freilich nicht sein eigenes.

Noch ein Wort zum Personal. Das Zombie-hafte Auftreten von Joe Biden mag lustig anzusehen sein, im Kontext des Krieges mit Russland läuft es einem allerdings kalt den Rücken hinunter, wenn man bei einem unbeabsichtigen Schnappschuss auf sein Redemanuskript für den G7-Gipfel die Zeilen lesen kann, dass er sich am Ende verabschieden soll. Schockierend war auch der Auftritt von Deutschlands wichtigster Person in Kriegszeiten: Ministerin Christine Lamprecht.

Im Bundestag erklärte die 57-Jährige kürzlich, dass es sich beim Gepard um keinen Panzer handeln würde, und fuchtelte vor den Abgeordneten herum, indem sie ihre beiden Hände zu einem Panzerrohr formte und erklärte, dass der Gepard „mit diesem Rohr in die Luft schießt und dort sehr weit Objekte eben auch erfassen kann. (…) Das kann der Panzer nicht. (…) Natürlich ist beides schwer“, ging es bei der höchsten Landesverteidigerin weiter, „und beides hat große Rohre. Aber es ist eben kein Panzer.“ Da muss einem Angst und Bange werden.

Die Sanktionspolitik des Westens bringt fossile Energieträger wie Kohle wieder auf den Markt. Damit entpuppt sich das Gerede von den CO2-Einsparungen als dem selbst gesteckten Kriegsziel nachgeordnet. Und das, obwohl sich bis zu Redaktionsschluss dieses Beitrages kein einziger EU-Staat, auch nicht Deutschland und schon gar nicht das neutrale Österreich, offiziell im Krieg mit Russland befindet. Im Wirtschaftskrieg befinden sie sich dennoch allesamt, mit der tendenziellen Ausnahme Ungarn und — möglicherweise demnächst — Bulgarien.

Die ohnedies fälschlicherweise auf die CO2-Frage reduzierte Umweltpolitik hält dem Feindbild Russland nicht stand, zu dessen Pflege und Verschärfung alle früheren Versprechen in Sachen Energiepolitik mit einem Schlag vergessen sind.

Das damit weiter untergrabene Vertrauen in die politische Elite muss diese in Zukunft wohl durch noch mehr autoritären Staat kompensieren.

Die Sanktionspolitik des Westens gegen Russland führt direkt zur Verelendung weiter Teile der Bevölkerung in den Kernländern der Europäischen Union. Schon die Weltwirtschaftskrise 2008 mit ihrem staatlich verordneten Bail-Out maroder Banken ließ Reiche reicher und Arme ärmer werden. Mit den extrem teuren — und sinnlosen — Maßnahmen im Kampf gegen das Corona-Virus, wie Testkits und Impfdosen, war dann der Grundstein für eine hohe Inflation gelegt. Diese nimmt nun enorm Fahrt auf, weil Brüssel und fast alle EU-europäischen Nationalstaaten ihre Energiepolitik ohne Not geopolitischer, anti-russischer Irrationalität unterwerfen. Das führt zwangsläufig zu starker Kostensteigerung, die die Inflation antreibt.

Hohe Inflation ist gleichbedeutend mit der Enteignung all jener, die über nichts anderes als Arbeitskraft und Sparbuch verfügen. Damit verlieren auch die Gesellschaften in den westlichen Zentralräumen Europas ihre tragende Säule, den Mittelstand. Europa stehen heftige soziale Auseinandersetzungen bevor. Die Elite baut offensichtlich darauf, dafür einem Außenfeind, Russland, die Schuld zuschieben zu können.

Sollte das medial und politisch verbreitete Kriegsgeheul diesen Zweck nicht erfüllen, stünde als nächstes die Möglichkeit einer Kriegserklärung gegen Moskau offen. Mit dem dann verhängten Kriegsrecht könnten auch soziale Unruhen im Inneren militärisch niedergeschlagen werden.

An Propaganda statt Berichterstatter haben sich der EU-Bürger und die EU-Bürgerin in den vergangenen Jahren ohnedies schon gewöhnen müssen. Die „Feindsender“ RTdeutsch und Sputnik wurden in Deutschland ja vorsorglich bereits am 2. Februar 2022 verboten — also drei Wochen, bevor Russland in die Ukraine einmarschiert ist.

Den Weg in den dritten Weltkrieg zeigen zwei kleine Nato-Staaten vor: Litauen und Norwegen. Mit der Sperre der sogenannten Suwalki-Lücke zwischen Belarus und dem Kaliningrader Gebiet durch die Regierung in Vilnius hat das kleine baltische Land — ohne Zweifel mit Zustimmung der Nato-Führung — die Lage extrem eskaliert. Über den Suwalki-Korridor wird Kaliningrad mit Gütern aus Russland und Belarus versorgt, wobei ein internationaler Vertrag das Offenhalten des Transits regelt. Die Blockade der Bahn- und Straßenverbindung für alle Waren, die auf der EU-Sanktionsliste stehen, soll Moskau — anders kann diese Art der Politik nicht gelesen werden — weiter provozieren und zu einer kriegerischen Handlung auf Nato-Territorium verleiten.

Ähnlich verhält es sich mit der norwegischen Blockade auf Spitzbergen. Dort ist seit 1920 ein Vertrag zwischen der Sowjetunion und Norwegen in Kraft, der das Gebiet Norwegen zuspricht, alle dort lebenden Bürger der Sowjetunion, also: Russlands, allerdings per Sonderstatus den Norwegern gleichstellt. Oslo hat Mitte Juni 2022 diesen Vertrag gebrochen und eine Blockade für die russischen Bewohner verhängt, die dort großteils in Forschungseinrichtungen tätig sind. Auch hier ergibt die Handlung des Nato-Landes Norwegen nur Sinn, wenn sie als Provokation zu weiterem militärischem Vorgehen geplant ist.

Was gegen den Krieg und seine Ausweitung getan werden müsste, liegt auf der Hand:
Waffenstillstand, sofortiger Stopp der Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet und Ende der seit 2014 betriebenen Sanktionspolitik gegen Russland. Erst dann kann über die Anerkennung der beiden Donbass-Republiken Lugank/Luhansk und Donezk verhandelt werden, wobei international überwachte Referenden über ihre Territorialität entscheiden könnten.


Von Hannes Hofbauer ist zum Thema in 7. Auflage erschienen: „Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung“.


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