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Der Pawlowsche Mensch

Der Pawlowsche Mensch

Autoritäre Regierungen folgen einer Ideologie, die den Menschen als unbegrenzt steuerbar betrachtet.

Zur Zeit wird weltweit massiv in die Freiheit und Würde der Menschen eingegriffen. Deshalb kann die Frage gestellt werden: Welchem Ideal folgen wir da gerade eigentlich? Denn das der Demokratie scheint es offenkundig nicht zu sein.

Das Verständnis von Demokratie beinhaltet im Idealfall, dass das Interesse einzelner Individuen, die sich in Interessengemeinschaften zusammen finden können, im Fokus der Politik steht. Allerdings liegt der momentan ganz woanders. Breitgemacht hat sich die sonderbare Vorstellung, dass die Gesundheit des Einzelnen und deren Gewährleistung nur durch das Agieren des Staates realisiert werden kann und muss. Dieses Dogma steht unhinterfragbar an oberster Stelle der derzeitigen politischen Diskussion und legitimiert politische Entscheidungen, die vorher undenkbar gewesen sind. Da schließt sich die Frage an: Wessen Ideal folgen wir derzeit?

Die behavioristische Weltanschauung

Die behavioristische Strömung spricht sich für eine zielgerichtete extrinsische Motivation von Individuen aus, um deren Verhalten zu steuern. Sie propagiert Kontrolle und Vorhersagbarkeit des menschlichen Verhaltens. Die Theorie, dass das Verhalten der Menschen gesteuert werden kann und sollte, fand seine Ausformulierung in dem 1948 erschienenen Buch Walden Two. An utopian novel (deutscher Titel: Walden Two — Die Vision einer besseren Gesellschaftsform). Dessen Autor Burrhus Frederic Skinner zählt zu den prominentesten Behavioristen weltweit. Vertreter seiner Theorien gehörten ebenfalls jahrzehntelang zu den einflussreichsten Verhaltensforscher an amerikanischen Universitäten.

In Walden Two stellt Skinner dar, dass „gutes Verhalten“, sich selbst und dem Gemeinwesen gegenüber, sich aus der Enthüllung ergibt. Darunter versteht er die ausgiebige Analyse von menschlichem Verhalten und dessen Folgen. Dass dieser Gedankengang auch heute noch einen entscheidenden Einfluss auf unsere Forschung und Technik hat, lässt sich leicht an Fachrichtungen wie „Community Psychology“ oder „Applied Behavior Analysis“ (vormals „Behavior Modification“) ausmachen. Aber diese Idee lässt sich auch außerhalb der Psychologie finden. Zum Beispiel im Datensammelwahn, um diese anschließend analysieren und menschliches Verhalten enthüllen zu können. Aber auch in den Vorstellungen von Prävention und Sicherheit, die mittels Vorhersagbarkeit und Kontrolle gewährleistet werden soll, lassen sich behavioristische Tendenzen erkennen.

Hannah Arendt vertrat 1955 in ihrem Buch Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft die Meinung, dass der Behaviorismus keinerlei Ideologie für eine totalitäre Bewegung liefere, da diese wissenschaftliche Theorie „immer die menschliche Wohlfahrt als Ziel aller Politik im Auge“ hat (1).

Auch Hoimar von Ditfurth war 1973 in einem Artikel des Spiegel noch der Meinung, dass die Ideologie in dem zwei Jahre vorher erschienenen Buch Skinners Beyond Freedom and Dignity (deutscher Titel: Jenseits von Würde und Freiheit) abstrus sei:

„Das Ganze ist so aberwitzig, daß die Frage gestellt werden könnte, ob es sich denn lohnt, den Skinner'schen Vorschlag und seine theoretischen Voraussetzungen so eingehend unter die Lupe zu nehmen“ (2).

Dennoch wurde es, laut Ditfurth, in den USA zum Bestseller. Auch in Deutschland scheint es sich einer gewissen Beliebtheit zu erfreuen, denn die 1982 erschienene Auflage wurde 2018 neu aufgelegt.

Ob Arendt heute immer noch sagen würde, dass der mittlerweile radikaler gewordene Behaviorismus die menschliche Wohlfahrt als Ziel hat, wage ich zu bezweifeln. Denn diese ist jenseits von Freiheit und Würde schwer vorstellbar. Aber genau durch die Tatsache, dass der Begriff der menschlichen Wohlfahrt im radikalen Behaviorismus so pervertiert wurde, birgt er eine potenzielle Basis für die Ideologie einer totalitären Bewegung.

Tendenz zur totalitären Gesellschaft

Arendt macht in ihrem Buch verschiedene Faktoren aus, die eine totalitäre Bewegung kennzeichnen und ihre Entstehung begünstigen. Diese weisen deutliche Parallelen zu der derzeitigen Entwicklung unserer Gesellschaft auf. Entscheidend für die Entstehung und Entwicklung einer totalitären Bewegung ist für Arendt die Massengesellschaft, die aus unpolitischen und atomisierten Individuen besteht, denen es schwerfällt, sich zu Interessengemeinschaften zusammenzufinden, da die Interessen der Einzelnen zu partikular und dadurch unvereinbar sind. In dieser Masse wird die Ideologie der Bewegung durch Massenmedien propagiert — mit dem Ziel, eine gemeinsame Identität und Weltanschauung zu schaffen, die alle Menschen umfasst.

Je weiter die Individuen und deren Organisation atomisiert, also isoliert und getrennt von einander sind, desto leichter lässt sich ihre Beherrschung realisieren.

Einen weiteren zentralen Faktor für totalitäre Bewegungen und Herrschaft sieht Arendt im Terror, der als die systematische Verbreitung von Angst verstanden werden kann. Und diese soll jeden beherrschen, denn die Gewalt könnte jeden treffen.

Die Massengesellschaft, die Arendt zeichnet, lässt sich auch derzeit finden. Die ohnehin schon bestehende Tendenz wird durch die momentane, gesetzlich legitimierte Trennung der Individuen und ihrer Organisationen in der Gesellschaft befördert. Gleichzeitig wird der Masse gesetzlich „gutes Verhalten“ diktiert. Solidarität und Abstand werden als Gebote der Stunde verkauft: wir gegen das Virus. Das Virus ist der Feind, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt, nur so schützen wir uns vor dem Tod.

Die Weltanschauung, die derzeit propagiert wird und alles umfassen soll, geht davon aus, dass Gesundheit etwas ist, das vom Gemeinwesen definiert und gewährleistet werden muss. Diese hat absolute Priorität, wird nicht öffentlich diskutiert, aber gemeinschaftlich als oberstes Interesse aller Individuen festgelegt und ist mit allen Mitteln sicherzustellen. Dass die restriktiven Maßnahmen derzeit mehr als fragwürdig sind, wird mehrheitlich ignoriert. Die Angst scheint groß genug, der Terror erfolgreich zu sein.

Der Glaube, dass wir in einem nach- oder postideologischen Zeitalter leben, sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns in einer totalitären Bewegung befinden könnten. Bereits Ditfurth äußerte in Bezug auf Skinner klar:

„Daß des Autors Rezept uns gespenstisch erscheint, schließt die Möglichkeit nicht aus, daß sich eines Tages jemand berufen fühlen könnte, es in die Tat umzusetzen“ (3).

Schutz unserer Demokratie vor abstrusen Ideologien

Allerdings wird ja derzeit in den etablierten Medien schnell davon gesprochen, man sei ideologisch, wenn man der Vorgehensweise der Politik kritisch gegenübersteht.

Der deutsche Philosoph Herbert Schnädelbach ist der Meinung, dass die Atomisierung der Individuen und Institutionen unserer Gesellschaft schon so weit fortgeschritten ist, dass wir mittlerweile unfähig sind, die gesellschaftliche Totalität zu durchschauen und damit gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen.

Die Ideologie der Gegenwart sieht er in der vollkommenen Anpassung des menschlichen Bewusstseins und seiner Unfähigkeit, sich Alternativen zum Bestehenden auch nur vorzustellen (4).

Der amerikanische Politikwissenschaftler Sheldon Wolin spricht 2003 sogar schon davon, in Amerika sei die Tendenz zu beobachten, dass die Demokratie abgelöst und von einem invertierten Totalitarismus ersetzt wird. Einen zentralen Unterschied zum klassischen Totalitarismus sieht Wolin darin, dass der Nationalsozialismus ein Mobilisierungsregime gewesen sei, dem es darum ging Bürger zu etwas bestimmten zu bewegen. Während der umgekehrte Totalitarismus auf eine weitreichende Entpolitisierung der Bevölkerung baue und damit auf die Apathie der Masse. Außerdem setze der umgekehrte Totalitarismus zur Überwachung und Steuerung der Bevölkerung auf subtilere, kaum wahrnehmbare Unterdrückungsmechanismen (5).

Auch Vertreter der Kirche, darunter Erzbischof Carlo Maria Viganò, sprechen sich in ihrem expliziten Aufruf vom 7. Mai 2020 unter dem Motto „Die Wahrheit wird euch frei machen“ dafür aus:

„Die Kriminalisierung persönlicher und sozialer Beziehungen muss als inakzeptabler Bestandteil eines Projekts verurteilt werden, mit dem die Isolation der Individuen gefördert werden soll, um sie besser manipulieren und kontrollieren zu können“ (6).

Derzeit zu glauben, dass die Politik dem Ideal der Demokratie folgen würde, ist bestenfalls uninteressiert oder im schlimmsten Fall verblendet. Bei Letzterem kann das angepasste Bewusstsein sich keine Alternative zur Demokratie mehr vorstellen und glaubt sich in Sicherheit.

Daher müssen wir wieder an unserer Fähigkeit arbeiten, gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und zu durchschauen, um uns vor abstrusen Weltanschauungen schützen zu können.

Diese behavioristische Weltanschauung, die sich gerade in der Politik ausbreitet, widerspricht dem Ideal der Demokratie. Die Fähigkeit, die Schnädelbach in einem selbstständigen Geist sieht, würde die Fantasie bereithalten, die uns Alternativen und Ideen für eine echte Demokratie liefern könnte.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Hannah Arendt, Elemente und Ursprung totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus , totale Herrschaft, Piper, München 1955.
(2) Hoimar von Ditfurth über B. F. Skinner: „Jenseits von Freiheit und Würde“: Ein gespenstisches Rezept, Der Spiegel, 11. Juni 1973.
(3) Ebenda.
(4) Herbert Schnädelbach, Was ist Ideologie? Versuch einer Begriffserklärung, http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/Schnadelbach_Ideologie.pdf, erschienen in: Das Argument 50/1969, Seite 11.
(5) Sheldon S. Wolin, Inverted Totalitarianism: A Preface, from Democracy Incorporated, Princeton University Press and reprinted with their permission, 2008, https://www.kettering.org/wp-content/uploads/Wolin-Inverted-Totalitarianism-KREVIEW-2010.pdf
(6) Veritas liberabit vos (Joh 8,32), Ein Aufruf für die Kirche und für die Welt an Katholiken und alle Menschen guten Willens, https://veritasliberabitvos.info/aufruf/, 7. Mai 2020.


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