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Der Renten-Schwindel

Der Renten-Schwindel

Um im Alter in Würde leben zu können, müssen wir uns hier und heute gegen Armut und Ausgrenzung wehren. Exklusivabdruck aus „Rente und Respekt!“.

Keine Angst vorm Älterwerden? Leider haben viele Menschen gute Gründe, sich vor dem Alter zu fürchten. Wird die eigene Rente zum Leben reichen oder werde ich meinen Kindern und Enkeln auf der Tasche liegen? Werde ich eine altengerechte Wohnung finden, wenn ich sie brauche? Wer wird mich pflegen, wenn ich einmal darauf angewiesen bin? Werde ich in einem Heim landen, wo unwürdige Zustände herrschen, weil Pflegekräfte keine Zeit für mich haben? Werde ich überhaupt bis zur Rente durchhalten oder schon vorher körperlich kaputt oder seelisch ausgebrannt sein?

Immer mehr Menschen machen sich darüber Sorgen – und dafür tragen die Regierungen der letzten 20 Jahre die Verantwortung. Mit der Agenda 2010, der Etablierung von Niedriglöhnen, der Absenkung des Rentenniveaus und Anhebung des Renteneintrittsalters haben sie massenhafte Altersarmut vorprogrammiert. Dass die gesetzliche Rente derart kaputt gemacht wurde, ist der größte sozialpolitische Skandal der Nachkriegszeit.

Doch statt den Riester-Schwindel zu beenden und die gesetzliche Rente so zu stärken, dass man – wie in Österreich – davon würdig leben kann, droht ein noch größerer Schwindel. So möchte Friedrich Merz von der CDU eine gesetzliche Pflicht zur privaten Altersvorsorge einführen.

Beschäftigte sollen also gezwungen werden, Aktien zu kaufen und ihre Rente – wenn es schlecht läuft – an der Börse zu verzocken. Das ist zwar im Interesse des Finanzinvestors Blackrock, von dem Merz als Aufsichtsrat ein dickes Gehalt einstreicht. Für die Menschen und die Gesellschaft wäre es aber eine Katastrophe.

Statt uns selbst und unsere Gesellschaft noch stärker unberechenbaren Finanzmärkten auszuliefern, müssten diese Märkte stärker reguliert und gezähmt werden. Statt alle zu Aktionären zu machen, müssten auch Kapitaleinkünfte aus den enorm gewachsenen Aktien- und Immobilienvermögen zur Finanzierung der gesetzlichen Rente herangezogen werden!

Altersarmut wird unterschätzt

Die Union macht nicht nur gruselige Vorschläge in der Rentenpolitik. Auch das Ausmaß der Altersarmut wird von ihr kleingeredet. Dass uns massenhaft Altersarmut drohe, hält CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn beispielsweise für „totalen Quatsch“ – schließlich würden nur drei Prozent der über 65-Jährigen soziale Grundsicherung vom Staat beziehen. Dagegen wären fünfmal so viele Kinder von Hartz-IV-Leistungen abhängig.

Ich finde, es nicht nur schäbig, beim Thema Armut bedürftige Kinder gegen bedürftige Alte auszuspielen. Es führt auch in die Irre, aus der Inanspruchnahme der Grundsicherung auf die Bedürftigkeit zu schließen. Viele alte Menschen – Schätzungen zufolge zwischen 40 und 50 Prozent – scheuen den Gang zum Sozialamt, obwohl sie Anspruch auf Leistungen hätten. Und ist man mit einem monatlichen Einkommen von 840 Euro etwa nicht mehr arm, weil man ab Einkünften von 830 Euro – oder ab einem Vermögen von 5000 Euro, selbstgenutztes Wohneigentum ausgenommen – keinen Anspruch auf Grundsicherung im Alter mehr hat? Wohl kaum. Nach der gängigen EU-Definition liegt die Armutsschwelle bei 60 Prozent des Durchschnittseinkommens. Danach galten im Jahr 2018 alle alleinlebenden Personen mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 1.035 Euro als arm. Die so definierte Armutsquote liegt für Rentner und Pensionäre bei rund 15 Prozent – Tendenz steigend.

Kein Profit mit der Pflege!

Das große Problem der verdeckten Altersarmut verweist darauf: Es geht vielen alten Menschen nicht nur ums Geld. Es geht um die eigene Würde, die manche als verletzt empfinden, wenn man gegenüber Behörden als „Bittsteller“ auftreten muss. Es geht um Selbstbestimmung, um die Wertschätzung von Lebensleistung, um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

„Den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft kann man am Zustand ihrer Gefangenen ablesen“, hat der russische Autor Fjodor Dostojewski einmal geschrieben. Neben einem Blick in die Gefängnisse und Psychiatrien lohnt dabei auch ein Blick in die Pflegeheime, in denen aktuell rund 900.000 Menschen vollstationär versorgt werden.

Dass dort vieles im Argen liegt, ist lange bekannt. Täglich kommt es in deutschen Pflegeheimen zu etwa 340.000 freiheitsentziehenden Maßnahmen (1) – mitunter sind diese nötig, oft aber werden alte Menschen auch mit Medikamenten ruhiggestellt, fixiert oder in Räumen eingesperrt, weil Pflegekräften schlicht die Zeit für menschliche Zuwendung fehlt.

Auch die Ursachen dieser Misere sind lange bekannt: Die Pflegeeinrichtungen beschäftigen zu wenig Personal, nach wie vor ist der Pflegeberuf zu schlecht bezahlt, die Arbeitsbedingungen sind so hart, dass sich nur ein Viertel der Altenpflegerinnen und Altenpfleger überhaupt vorstellen kann, den Beruf bis zur Rente auszuüben. Zwar gibt es inzwischen Bemühungen, den Beruf attraktiver zu machen – doch da die Pflegeversicherung keine Vollversicherung ist, steigen damit die Kosten für die Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen. Und diese sind schon jetzt zu hoch: Wer heute im Pflegeheim lebt, zahlt im Durchschnitt 2.000 Euro monatlich aus eigener Tasche drauf.

Hinzu kommt: Seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 gibt es mehr und mehr private Betreiber von Alten- und Pflegeheimen, ihr Anteil ist von 26 Prozent auf über 40 Prozent gestiegen. Gerade in den letzten Jahren hat sich die Pflege zu einem beliebten Investitionsfeld für Renditejäger, Hegefonds und Immobilienhaie entwickelt – und da Personalkosten 70 Prozent und mehr der Gesamtkosten ausmachen, sind Personalkürzungen ein beliebtes Mittel, um Renditen zu steigern.

Natürlich sind nicht alle privaten Heime schlecht, doch die Vorstellung, dass Marktmechanismen in der Pflege für ein gutes Angebot sorgen würden, ist mehr als naiv. Gerade weil die Nachfrage nach Plätzen das Angebot vielerorts übersteigt, werden selbst Pflegeheime, in denen alte Menschen schlecht versorgt werden, nicht vom Markt gefegt, sondern können auch noch überhöhte Preise durchsetzen.

Die Linke kämpft dafür, diese Zustände zu überwinden. Nötig sind mehr Pflegekräfte, die besser bezahlt werden müssen und deren Arbeitsbelastung reduziert werden muss, damit sich ausreichend Bewerber für diesen Job finden. Gleichzeitig müssen pflegende Angehörige finanziell und organisatorisch sehr viel stärker unterstützt werden, denn sie leisten eine für die Gesellschaft wichtige und unersetzliche Arbeit. Die Pflegeversicherung müsste endlich zu einer Vollversicherung ausgebaut werden, die solidarisch von allen finanziert wird. Und schließlich muss es verboten werden, dass man mit der Pflege alter Menschen Profite erwirtschaften kann, die an irgendwelche Investoren ausgeschüttet werden!

Gemeinsam kämpfen

Was erwartet uns, wenn wir alt sind? Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr Angst kann man bekommen. Doch „wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt“ (Ernst Bloch) –, daher lasst uns auch fragen: Was erwarten wir vom Alter? Warum sollte es keine schöne und produktive Zeit sein, in der wir befreit von Zwängen des Erwerbslebens unsere Erinnerungen und Erfahrungen aufarbeiten und anderen mitteilen? Warum sollte es nicht gelingen, eine solidarische Renten- und Pflegeversicherung durchzusetzen, die einen würdigen Lebensabend für alle sichert? Muss es denn so bleiben, dass viele alte Menschen arm und einsam sind, dass man das Alter mit politischem Stillstand oder Rückständigkeit verbindet, dass „alte weiße Männer“ in Teilen der Linken gar als Feindbild gelten?

Ich wünsche mir eine politische Kultur, in der alte und junge Menschen voneinander lernen und zusammen kämpfen, statt sich nur in eigenen „Szenen“ um sich selbst zu drehen.

Lasst uns das Alter zu einer rebellischen Lebensphase machen, in der wir mit geschärftem Blick für das Wesentliche – und befreit von der Furcht vor negativen beruflichen Konsequenzen – für ein besseres Leben kämpfen – für uns selbst und folgende Generationen!



Quellen und Anmerkungen:

(1) Die Quellenangabe kann dem Buch „Rente und Respekt! Das rot-rote Buch fürs Älterwerden“ entnommen werden.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Rente und Respekt“, herausgegeben von Diether Dehm und Christian Petry, mit Texten von Sahra Wagenknecht, Konstantin Wecker, Bascha Mika, Martin Schulz, Lothar Binding, Ralf Kapschack, Matthias W. Birkwald, Matthias Miersch, Pia Zimmermann, Żaklin Nastić. Das Buch erscheint am 25. Februar 2020 im „Verlag Das Neue Berlin“, einem Imprint der Eulenspiegel Verlagsgruppe.


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