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Der Sieg von Macron wird die Krise der EU vertiefen

Der Sieg von Macron wird die Krise der EU vertiefen

Sieben Irrtümer über den Wahlausgang in Frankreich.

Irrtum 1: "Mit dem Macron-Wahlsieg wurde die extreme Rechte in Frankreich gestoppt"

Macron selbst gab diesem ersten Irrtum Nahrung, als er noch am Wahlabend tönte: „Ich werde alles dafür tun, dass in Zukunft niemand mehr einen Grund hat, Extremisten zu wählen.“

In Wirklichkeit sind 34 Prozent und zehn Millionen Stimmen für eine rechtsextreme, rassistische Kandidatin im zweitgrößten EU-Land ein beängstigendes Ergebnis. Zumal das Ergebnis zustande kam in einer Periode ohne offene wirtschaftliche und soziale Krise. Womit die tiefen Risse in der französischen Gesellschaft, die hohe Arbeitslosigkeit und die nochmals viel höhere Jugendarbeitslosigkeit nicht relativiert werden sollen.

Das Ergebnis für den FN am 7. Mai 2017 war auch bislang Rekord für diese Partei. Frauke Petry von der AfD gratulierte Marine le Pen aus ihrer Sicht zu Recht und sprach von einem „grandiosen Wahlsieg“. Der Front National erzielte ein drei Mal besseres Ergebnis als es die AfD bei der kommenden Bundestagswahl am 24. September erwarten kann.

Überhaupt, was heißt hier „64-Prozent“? Berücksichtigt man die hohe Wahlenthaltung, dann wurde Macron gerade mal von 43 Prozent der Wahlberechtigten gewählt. Von denen wiederum stimmte eine Mehrheit nur deshalb für Macron, weil sie le Pen verhindern wollten. Damit ist es nur ein Fünftel der wahlberechtigten Bevölkerung, die Macron hinter sich weiß.

Irrtum 2: „Mit dem Macron-Sieg hat sich die innenpolitische Lage in Frankreich stabilisiert“

Nichts dergleichen fand statt. Ganz im Gegenteil. In Frankreich wurde im Verlauf von nur sieben Monaten das alte Politsystem mit zwei ähnlich großen Lagern weitgehend zerschmettert. Als Macron am 16. November 2016 seine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl ankündigte, galt er als krasser Außenseiter. Und sehr viel sprach dafür, dass die beiden traditionellen Lager der Konservativen und der Sozialisten erneut das Rennen unter sich ausmachen – und spätestens in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen einer von ihnen Marine Le Pen auf die Plätze verweisen – würden. Nun schaffte im ersten Wahlgang keiner der Kandidaten aus diesen beiden Parteien den Einzug ins Finale. Und nach dem zweiten Wahlgang mit dem rechtsextreme Wahlerfolg und dem Wahlsieg des Außenseiters Emmanuel Macron sind die traditionellen Parteien fast pulverisiert.

Bei den Parlamentswahlen im Juni dürften diese zwar wieder etwas Tritt fassen. Doch grundsätzlich dürfte es bei der qualitativen Schwächung von Sozialisten und Konservativen und bei einem erstarkten Front National und einer neuen puddingartigen (und nun umbenannten) Bewegung „La République en marche“ bleiben.

Parlamentarisch gesehen ist Macron jemand, der keine „echte“ Partei hinter sich hat. Er dürfte auch im zukünftigen Parlament keine solide Mehrheit haben. So gesehen ist der Mann ein Luftikus. Er könnte mit Notverordnung und Ausnahmerecht Politik machen. Aus klassenpolitischer Sicht ist er jedoch ein Schwergewicht: Hinter ihm stehen erstens die französischen Konzerne und Banken, zweitens die deutsche Regierung mit den deutschen Konzerne und Banken und drittens die internationale Finanzwelt, deren Personalisierung er viele Jahre lang war und zu der er weiter enge Bezüge hat.

Vor diesem Hintergrund dürfte sich die soziale Krise in Frankreich gerade unter einem Präsidenten Macron verschärfen. Und diese Krise ist im Kern eine klassenpolitische.

Irrtum 3: "Mit dem Macron-Sieg wurde die EU-Krise beendet oder zumindest beruhigt"

Jean-Claude Juncker jubelte am Wahlabend: „Frankreich hat die europäische Zukunft gewählt“. Und der Buchhändler aus Würselen echote: „Jetzt machen wir Europa besser.“

In Wirklichkeit wurde mit dem Macron-Wahlsieg die akute EU-Krise nur vertagt. Alle Krisen-Faktoren wirken weiter: Die Einheitswährung Euro wird, gerade weil sie zunächst am 7. Mai stabilisiert wurde, die Kluft zwischen dem Zentrum und der Peripherie vergrößern. Das ist der logische Gang der Dinge, wie wir ihn seit der Einführung dieser Währung beobachten können: Wirtschaftlich eher schwache kapitalistische Länder verfügen in Zeiten, in denen die stärkere Konkurrenz sie niederdrückt, nicht mehr über den Abwehrmechanismus der Währungsabwertung. Dass das in den „echten“ Peripherie-Ländern Portugal, Spanien, Italien, Zypern und Griechenland zu dramatischen Leistungsbilanzdefiziten führt, liegt auf der Hand. Dass dies auch auf Frankreich zutrifft, ist weniger bekannt: Frankreich konnte in dem Jahrzehnt vor der Euro-Einführung selbst in schwierigen Jahren ein Plus in der Leistungsbilanz erzielen (1997-1999 jeweils um die 37 Milliarden Euro). Mit der Euro-Einführung wurde dieses Plus zunächst abgeschmolzen. Noch vor der großen Krise gab es das erste Minus (2005: - 6,5 Mrd., 2006: - 10,6 Mrd. Euro). Mit der Krise vervielfachte sich das Minus – mit einem Rekordminus 2012 von knapp 65 Milliarden Euro.

Mit dieser nach dem 7. Mai nicht mehr relevant in Frage gestellten Einheitswährung wird sich die Kluft zwischen dem starken Zentrum, das ökonomisch nur noch Deutschland, Österreich und die Niederlande umfasst, und dem Rest der Eurozone, nochmals verstärken. Auch wird spätestens im Rahmen der kommenden zyklischen Wirtschaftskrise die Krise der Einheitswährung neu aufbrechen. Dann vielleicht abgefedert durch Eurobonds, die Macron propagiert – und denen Merkle IV/Schäuble nach der Bundestagswahl am 24. September unter ganz bestimmten Bedingungen zustimmen dürften.

Dabei ist das desaströse Wirken der Einheitswährung nur ein Faktor der andauernden EU-Krise. Die Staatsschulden steigen überall – außer in Deutschland – deutlich an. Laut Maastricht-Vertrag dürfen die öffentlichen Schulden eines EU-Landes nicht höher sein als 60 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. 2017 haben wir bereits 16 Länder, die über dieser Marge liegen. Sieben Länder haben sogar eine Schuldenquote von (knapp) 100 und mehr Prozent. Es sind dies Griechenland (179%), Italien (132,6), Portugal (130,4%), Zypern (107,8%), Belgien (105,9%), Spanien (99,4%) und just Frankreich mit 96,6%.

Macron verkündete vor seinem Sieg in aller Öffentlichkeit, dass und wie er die soziale Krise verschärfen wird: Er will u.a. den öffentlichen Sektor – und hier auch den Sozialstaat – deutlich abbauen und mehr als 100.000 Stellen streichen. Macron wird, im Verbund mit der Europäischen Kommission und der Regierung in Berlin, für einen Ausbau der Niedriglöhnerei und der Finanzherrschaft in Europa eintreten.

All das sind Faktoren, die in der nächsten zyklischen Wirtschaftskrise, die so sicher wie das Amen in der Kirche kommt, ein explosives Potential bilden.

Irrtum 4: „Macron ist ein Mann der Mitte – ein sozialliberaler Politiker“

All Charakterisierungen von Macron als einem „Sozialliberalen“ sind kompletter Unsinn. Tatsächlich ist der Ex-Investmentbanker Macron in der Substanz ein rechter und gegebenenfalls auch ein brutaler Neoliberaler. Er will die realen Arbeitszeiten in den Betrieben und Büros „flexibilisieren“ und die Arbeit intensivieren. Er will den Sozialstaat „umbauen“ zu einem rein steuerfinanzierten Modell. Er will – unter anderem auf diese Weise - die Gewerkschaften einbinden und mittelfristig entmachten. Er will, durchaus vergleichbar zu Trump, die Unternehmenssteuern drastisch senken, was die Umverteilung von unten nach oben beschleunigen wird. Er hält an der Atomenergie fest. Er will 5000 Extra-Jobs bei Frontex und damit die menschenverachtende Festung Europa ausbauen. Er betrieb maßgeblich das Modell „Cars Macron“, den Ausbau der Fernbus-Verbindungen zum Nachteil des Staatskonzerns SNCF und der Schiene (übrigens auch dies erfolgte nach dem deutschen Vorbild, wo mit einer verschämten „Novellierung“ des Personenbeförderungsgesetzes 2014 vergleichbare Effekte eintraten und die Schiene im Fernverkehr unter einen extremen Druck gesetzt wurde).

Macron will die französische Politik militärischer Interventionen fortsetzen, den Rüstungsetat erhöhen und den gewaltigen französischen militärisch-industriellen Komplex stärken. Er war – neben dem sozialistischen Kandidaten Hamon – im Übrigen der einzige Präsidentschaftskandidat , der für eine uneingeschränkte NATO-Mitgliedschaft Frankreichs warb.

Die Vita von Monsieur Macron spricht auch dafür, dass er sich eng mit der neuen internationalen Finanzklasse verbunden sieht. Macron stieg 2008 bei der Bank Rothschild & Cie. ein. Er erlebte bei diesem Institut einen rasanten Aufstieg dank eines Geschäftsabschlusses im Dienste von Nestlé (der Schweizer Lebensmittelries übernahm für 12 Milliarden US-Dollar die Säuglingsnahrungssparte von Pfizer). Parallel stieg Macron bei Rothschild zum associé-gérant, zu einem „Partner“ der Bank, auf.

Auch in staatlichen Ämtern und Würden agierte Macron im Interesse des Finanzsektors. So war er in seiner Eigenschaft als stellvertretender Generalsekretär des Präsidentenamtes im Élysée-Pallast (bis Juni 2014) und danach 2014/15 als Wirtschaftsminister maßgeblich an dem größten Ausverkauf eines französischen Industrievermögens beteiligt: Damals wurde die industrielle Perle Alstom an den US-amerikanischen Konzern GE (ehemals General Electric) verscherbelt. Details über Macrons zentrale Rolle bei diesem Großdeal wurden erst in den letzten Wochen des Wahlkampfs, im Februar 2017, bekannt.

Bei Aussagen, er befinde sich in großer Nähe zur gierigen Finanz- und Heuschrecken-Welt, pflegt Monsieur Macron zu antworten, er habe doch mit seinem Gang in die Politik bewiesen, dass er „verzichten“ könne. Gegenüber „Le Monde“ äußert er: „Ich kannte diese Leichtigkeit des Umgangs mit Geld. Doch ich bin nicht abhängig davon. Ich habe dieses Leben hinter mir gelassen, in dem ich in den öffentlichen Dienst zurückkehrte.“

Doch gerade deshalb ist die Frage berechtigt: Was sind die Motive des Monsieur Macron? Kaum jemand in Frankreich glaubt, dass der Mann von Idealismus oder Vaterlandsliebe getrieben wird.

Irrtum 5: "Mit Macron als französischem Präsidenten wird die Achse Berlin–Paris gestärkt"

Richtig ist, dass die Achse Paris – Bonn zentral war für die EWG und die EG bzw. dass die Verbindung Berlin – Paris für die EU eine entscheidende Rolle spielt. Und es trifft auch zu, dass fast über ein halbes Jahrhundert hinweg diese Achse relativ rund lief. Seit Abschluss der Römischen Verträge 1956 und bis Anfang des neuen Jahrhunderts war das Bündnis Bonn/Berlin – Paris in der EWG/EG/EU bestimmend. Auch wenn bereits in dieser Periode Westdeutschland bzw. das ab 1990 wieder vereinigte Deutschland zunehmend ein ökonomisches Übergewicht erhielt, so schien dies doch weitgehend ausgeglichen durch das große politische und militärische Gewicht Frankreichs.

Mit der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 hat sich das Verhältnis Berlin-Paris fundamental verändert. Zufällig fällt dies zusammen mit dem Antritt von Nicolas Sarkózy als französischer Präsident im Jahr 2007.

Seit diesem Zeitpunkt, vor allem seit Ausbruch der Krise, ist diese Achse deutlich einseitig deutsch-bestimmt. Bereits das Bündnis Merkel mit Sarkózy war kein gleichberechtigtes mehr. Das Bündnis Merkel mit Hollande war dann absolut ungleichgewichtig. Und es war vor allem die Krise 2008/2009 selbst, die das Verhältnis zwischen den beiden kapitalistischen Staaten qualitativ veränderte. Bis 2007 lagen die Arbeitslosenquoten und die Schuldenquoten in Frankreich und Deutschland weitgehend auf gleichem Niveau. Ein Jahrzehnt später, 2017, jedoch liegt die Arbeitslosenquote in Frankreich doppelt so hoch wie diejenige in Deutschland. Die Schuldenquote – der Anteil der öffentlichen Schulden am Bruttoinlandsprodukt – stieg inzwischen in Frankreich bis Frühjahr 2017 auf rund 100 Prozent. Gleichzeitig sank sie in Deutschland auf inzwischen gut 65 Prozent. Wozu nicht zuletzt die bereits erwähnten französischen Leistungsbilanzdefizite – die finanziert werden müssen und die Zinsen kosten – und die deutschen Überschüsse – die die deutsche Wirtschaft stärken und Zinseieinnahmen bringen – beitrugen.

Und während 40 Jahre lang Frankreich der wichtigste Handelspartner Deutschlands war, ist auch dies Vergangenheit. China ist hier die Nr. 1. Gleichzeitig ist der deutsch-französische Austausch extrem ungleich: 2016 exportierte Deutschland für 36 Milliarden Euro mehr Waren und Dienstleistungen als es aus dem Nachbarland importierte.

Untersucht man die Struktur der jeweiligen Ökonomien, so stellt man fest: Frankreich erlebt seit einigen Jahrzehnten einen kontinuierlichen Prozess der Deindustrialisierung. Der Anteil der Industrie an der Gesamtwirtschat ist extrem gesunken. Im Zeitraum 2000 bis 2016 sank dieser Anteil von 17,7 auf rund 10 Prozent. Dieser Prozess hatte sich vor allem seit Existenz der Einheitswährung Euro, nochmals verstärkt. In Deutschland konnte der Anteil der Industrie in der Gesamtwirtschaft dagegen weitgehend stabil – bei rund 24 Prozent – gehalten werden.
Besonders fatal und bezeichnend für den Prozess der europäischen Nicht-Einigung: In dem gesamten 60-jährigen Zeitraum seit Gründung der EWG gelang es mit einer einzigen Ausnahme nicht, deutsch-französische Unternehmen oder Banken – oder europäische Unternehmen und Banken – aufzubauen und somit eine materielle, kapitalistisch-ökonomische Basis für die EWG/EG/EU zu schaffen. Alle wesentlichen Konzerne und Banken in Europa (mit Ausnahme der zwei historischen Fälle Unilever und Royal Dutch Shell, die beide britisch-niederländisch sind) sind von ihren jeweiligen Nationalstaaten (und Einflüssen des internationalen Finanzkapitals) bestimmt.

Die erwähnte einzige Ausnahme ist Airbus (EADS), ein im wesentliches deutsch-französisches (oder französisch-deutsches) Unternehmen. Bezeichnenderweise handelt es sich um einen Rüstungskonzern. Sieht man vom Sektor Luxuswaren und den Banken ab, dann ist die Rüstungsbranche der einzige Wirtschaftssektor, in dem Frankreich eine führende Rolle auf dem Weltmarkt spielt.

Irrtum 6: „Mit dem Sieg von Macron wird es in der EU einen Neuanfang geben“

Bei der Behauptung, Macron bringe einen Neustart für die EU, handelt es sich um eine Art „versteckten Irrtum“. Wenn damit gemeint ist, dass mit dem neuen französischen Präsidenten die Idee einer EU des Friedens und der Demokratie belegt oder umgesetzt werden würde, so ist diese Erwartung falsch. Die EWG, später die EG und die EU, hatten niemals etwas mit Frieden, Völkerverständigung und Demokratie zu tun. Deshalb war ein Europaparlament auch nie vorgesehen und wurde erst sehr spät und in kastrierter form etabliert. Deshalb widerspricht dieses Parlament auch heute noch elementaren Standards bürgerlicher Demokratie und hat eher Ähnlichkeit mit einem Scheinparlament eines halb-feudalen Gebildes (die Bezahlung der MdEP allerdings befindet sich auf einem erstaunlich respektabel entwickelten Niveau).

An der Wiege der EWG standen demnach nicht hehre Ideale von Frieden und Demokratie, sondern vielmehr die Ex-Rüstungskonzerne und die Schwerindustrie, zusammengeschlossen in der EGKS (der Europäischen Gesellschaft für Kohle und Stahl), und die Atomindustrie (mit der Klammer Euratom). Von Anfang sollte die EWG militärisch aktiv werden; Deutschland sollte unter dem Deckmantel „Europa“ und im Rahmen einer „EVG“ (der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft) die Wiederaufrüstung vollziehen und als Frontstaat im Kalten Krieg hochgerüstet werden. Der tatsächliche Weg verlief dann anders – übrigens vor allem als Resultat des demokratischen Widerstands, den es in der französischen Gesellschaft gegen die Zielsetzung deutsche Wiederaufrüstung und westdeutsche Remilitarisierung gab. Doch wir sollten uns dieser entscheidenden Traditionslinien der EWG, der EG und der EU bewusst sein.

Durchaus möglich allerdings ist, dass es mit dem Macron-Wahlsieg zu einem EU-Neuanfang höchst makabrer, gefährlicher Art kommt. Die vielfach debattierte Gegnerschaft der deutschen Regierungen gegen eine „Weiterentwicklung“ der EU, so gegen die Einführung von Eurobonds oder gegen die Einrichtung eines deutlich vergrößerten EU-Haushalts war nie eine prinzipielle deutsche Position. So wie die deutschen Bundesregierungen lange Zeit für eine Beibehaltung der DM waren und eine Einheitswährung ablehnten – und sich dann zu dem Zeitpunkt für die Einheitswährung aussprachen, als klar war, dass Deutschland stark genug – und die Konkurrenz ausreichend schwach – waren, um mittels des Euro die Dominanz in der EU auszubauen. Wie sagte noch der damalige deutsche Finanzminister Theo Waigel? „Die EZB kommt nach Frankfurt oder aus der Veranstaltung wird nichts.“ Sie kam nach Frankfurt. Und erst auf diese Weise wurde „aus der Veranstaltung“ etwas – im Sinne der deutschen Dominanz.

Eine vergleichbare Situation könnte sich nunmehr, nach dem 7. Mai 2017 auftun. Durchaus denkbar, dass die deutsche Ablehnung von Eurobonds, also die Vergesellschaftung der Schulden in der EU, sich dann in völlig anderem Licht darstellt, wenn die deutsche Regierung zugleich den Eindruck erhält, nunmehr in der gesamten EU das eigene Modell von Austerität durchsetzen zu können.

Wenige Tage vor dem zweiten Wahlgang konnte man in der Süddeutschen Zeitung einen Kommentar des ehemaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer lesen. In diesem heißt es: „Die These sei gewagt: Mit einem ernsthaft ausgetragenen deutsch-französischen Konflikt um Euro-Bonds – also Staatsanleihen, hinter denen alle Staaten der Eurozone stehen und für die damit auch die Bundesrepublik Deutschland haften müsste – stünden die Nationalisten von rechts wie links heute wesentlich schlechter da. Einheit setzt manchmal Konflikt voraus.“
Meinerseits sei die „These gewagt“: Es dürfte zu einem neuen Schwenk in der deutschen Politik kommen – nach der Bundestagswahl vom 24. September, und unabhängig davon, wer unter den dafür in Frage kommenden Parteien daraus als Sieger hervorgeht. Die entscheidenden Strippen ziehen hier ohnehin andere (was nicht heißt, dass ich kruden Verschörungstheorien anhängen und mir zu Hause Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims mit „Marionetten“ anhören würde).

Die dann neue deutsche Bundesregierung wird Macron offiziell hofieren. Faktisch wird sie die besonderen Beziehungen zu Macron jedoch dazu nutzen, die deutsche Hegemonie in Wirtschaft und Politik rücksichtslos auszubauen. Macron soll aus deutscher Sicht den Steigbügelhalter dafür stellen, dass im Europa der Banken und Konzerne die undemokratischen Herrschaftsinstrumente von EU-Kommission, Einheitswährung Euro und Europäische Zentralbank (EZB) erweitert und diese EU umfassend militarisiert wird.

Macron war und ist mit dem deutschen Finanzminister befreundet. Schäuble äußerte vor dem zweiten Wahlgang und in Form eines offenen Affronts gegenüber dem Kandidaten der Schwesterpartei der CDU/CSU: „Als Franzose würde ich wahrscheinlich Macron wählen“. Die deutsche Kanzlerin empfing Macron vor der Präsidentschaftswahl hoch offiziell. Und sie wird ihm in den nächsten Tagen in Berlin einen großen Empfang bereiten. Bereits unter Hollande als Wirtschaftsminister (2015/2016) agierte Macron als gelehriger Schäuble-Schüler. Sein damaliges Programm – das Gesetz mit seinem Namen („Loi Macron“) – orientierte sich erkennbar an der deutschen „Agenda 2010“. Diese Orientierung wird er jetzt verstärken – mit Hilfen aus Berlin.

Eine politisch wiederbelebte Achse Berlin – Paris kann von der deutschen Seite dazu genutzt werden, die Konzeption eines deutsch-beherrschten Europas voranzutreiben. Für dieses Ziel kann ein Ja zu Eurobonds dann durchaus auf der Tagesordnung stehen.

Irrtum 7: „Das ist bei uns nicht möglich“

Bis zum 8. November 2016 galt, dass die Wahl eines polternden Milliardärs, eines vulgären Frauenfeind und eines offenen Rassisten in den USA „nicht möglich“ sei. Groteskerweise schrieb Sinclair Lewis 1934 ein Buch mit eben diesem Titel „Das ist bei uns nicht möglich“, in dem er ein vergleichbares Szenario für sein Land vorzeichnete.

Die EU gilt auch heute noch bei vielen Linken als eine liberale und demokratische Veranstaltung. Das ist sie längst nicht mehr. Es handelt sich um ein bürokratisches, antidemokratisches Monstrum, das sich auf dem Weg der Militarisierung befindet. En marche, gewissermaßen.

Die Kombination Macron als Steigbügelhalter deutscher Kapitalinteressen und der Interessen des internationalen Finanzsektors in Paris und eine Bestätigung und teilweise Stärkung rechter Positionen bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 kann dazu führen, dass es zu einer unheilvollen Verbindung deutscher Hegemonialbestrebungen und damit kompatibler Angebote auf französischer Seite kommt – und dass auf diesem Weg die EU „erneuert“ und noch mehr als bislang von aggressiven deutschen Interessen bestimmt wird. Kurz: Mit dem Macron-Sieg gibt es eine Steilvorlage dafür, dass die EU deutsch-national gekapert und zu einem neuen Kerneuropa-Staat unter deutscher Vorherrschaft ausgebaut und militarisiert wird.

Macron plädiert für eine Stärkung des Euro, für eine „Euro-Regierung“ – also eine informelle oder formalisierte Regierung der Eurozonen-Länder – für ein milliardenschweres Euro-Budget und für einen gewaltigen „Europäischen Verteidigungsfonds“ und gemeinsame europäische Militärausgaben.

Wenn die Bundesregierung ihm materiell ausreichend entgegenkommt – und sie kann sich dies nicht nur politisch leisten, sie verfügt dafür vor allem über ausreichende materielle Mittel – und ihm erste Erfolge ermöglicht, dann könnte diese Rechnung aufgehen. Das Szenario, das sich nur zwei Tage nach der Wahl von Emmanuel Macron zum nächsten französischen Staatspräsidenten bietet, ist ebenso absurd wie aufschlussreich. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel – ein nochmals engerer Freund Macrons als Schäuble – forderte bereits am 8. Mai die „Lockerung der Sparpolitik für Frankreich“, um Macron „Reformen zu erleichtern“. Die deutsche Kanzlerin signalisierte am 9. Mai grundsätzlich ihre Zustimmung, will aber „noch abwarten“ und „das Konzept“ von Macron „prüfen“. Deutlicher lässt sich kaum sagen, wer in der EU die Politik bestimmt und wie lächerlich die Behauptungen sind, es gäbe „feste Prinzipien“ („Sparpolitik“; „Maastricht-Kriterien“) und demokratische (oder zumindest „gemeinsame“) Institutionen, in denen derlei Entscheidungen diskutiert und gefällt werden würden.

Die Entwicklung hin zu einer militarisierten Kerneuropa-EU unter deutscher Kontrolle würde einen weiteren Gefahrenherd in der Weltpolitik darstellen. Damit würden die bestehenden Gefahren für noch weniger Klimaschutz und noch mehr Kriegstreiberei drastisch erhöht werden. Diese Entwicklung kann gebremst und gestoppt werden, wenn sich der Widerstand gegen die sich abzeichnende Politik von Macron in Frankreich neu entwickelt, anknüpfend an die bewundernswerte, große Bewegung „nuits debout“ vom vergangenen Jahr. Die in der Wahlkampagne von Jean-Luc Melanchon aufgebaute Bewegung „La France insoumise“ – etwa „Das unbeugsame Frankreich“ – mit mehr als 200.000 Mitgliedern kann einen wichtigen Beitrag für eine Neubelebung eines demokratischen und sozialistischen Widerstands leisten.
Und es wird nicht zuletzt darauf ankommen, dass wir in Deutschland, dem Zentrum der rechten Bestrebungen zur Kaperung und Militarisierung der EU eine demokratische und solidarische Bewegung entwickeln und europaweit alle Kräfte stärken, die gegen eine EU der Konzerne und Banken und für ein Europa der Demokratie, der Ökologie und der Solidarität eintreten.

Anmerkung: Bitte beachten Sie auch die neue Ausgabe von "FaktenCheck:EUROPA", die ab sofort unter bestellung@faktencheck-europa.de bestellt werden kann.


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