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Der würdelose Tod

Der würdelose Tod

Die Isolation der besonders gefährdeten Alten gehört zu jenen Corona-Unfassbarkeiten, die sofort beendet werden müssen.

Von sehr viel größerer Bedeutung ist die juristische Sachlage. Die politischen Anordnungen des Lockdowns müssen in erster Linie den rechtlichen Prüfungen standhalten. Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass die Gefahren für Leib und Leben höher wiegen als die Freiheitsrechte. Damit sind alle derzeit wirkenden Einschränkungen der persönlichen Freiheiten rechtens.

Wie schon eingangs erwähnt, finden wir die weitaus häufigsten Todesfälle bei den alten Menschen mit mehreren Vorerkrankungen. So verwundert es nicht, dass diese Risikogruppe ganz besonders den virologischen und rechtlichen Sachzwängen unterworfen ist. Als Psychotherapeut und Künstler muss ich dies so stehen lassen. Vor allem will ich keine neuen Zahlen heranziehen. Der Kult der Zahlen, Fakten und Beweisführungen hat sich auf eine geradezu groteske Weise selbst entlarvt und darf kommentarlos für sich sprechen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar! Freiheiten können eingeschränkt werden, die Würde nicht. Je nach Alter hat diese Würde einen anderen Inhalt. Die Würde des alten und betagten Menschen betrifft sowohl die Umstände seiner Lebenssituation zuhause im Kreis der Angehörigen oder in einem Alten- und Pflegeheim, als auch der Situation seines Todes.

Es geht um das Recht auf einen würdigen Lebensabschied. Dies mag vielleicht nicht in einer rechtlichen Formel zu finden sein, doch die Gesellschaft praktiziert dazu bis heute uralte Rituale der familiären Begleitung des Sterbenden und des Abschiednehmens der Hinterbliebenen. Diese sind immer noch die notwendigen Inhalte eines Sterbens in Würde, auch wenn wir hier, wie an vielen anderen Stellen, einen stetigen Auflösungsprozess der alten Traditionen feststellen können. Für die Generation der Alten heute besitzen diese Rituale weiterhin ihre Gültigkeit, jedenfalls in den meisten Fällen.

Die, virologischer und rechtlicher Rationalität, geschuldeten Maßnahmen zum Schutz der alten Menschen zwingt diese in eine vom Rest der Gesellschaft getrennte Isolation. Diese Entmündigung soll die alten Menschen vor Ansteckung und Tod bewahren und zugleich verhindern, dass diese den jüngeren Erkrankten die notwendigen Behandlungskapazitäten in den Intensivstationen der Kliniken wegnehmen.

Doch was bedeutet diese Isolation konkret? In den Einrichtungen der Altenpflege reduziert sich die Zuwendung auf reine Versorgungsakte. Ohne unmittelbaren familiären Kontakt, vom Rest der Welt abgeschnitten, breiten sich Leere und Einsamkeit aus, der Nährboden für tiefe Ängste und den Einbruch uralter Traumatisierung. Die Isolation wird zur existentiellen Bedrohung von innen wie außen, und damit zur besten Voraussetzung für den Zusammenbruch des Immunsystems, die dem Virus freie Hand gewährt. Es wartet der einsame Tod im Heim oder die Verlagerung in die Intensivstation mit einem Tod an den Schläuchen oder unter der Atemmaske. Dass allein dieser Tod der Alten die zahlenmäßige Bestätigung liefern kann, dass wir es mit einem Killervirus zu tun haben und nicht mit einem durchschnittlich gefährlichen Virus, zeigt den unfassbaren Irrsinn der Situation.

All das ist den Verantwortlichen der politischen Maßnahmen sicher bekannt, fällt aber in der rationalen Abwägung in die sachliche Nachrangigkeit. Auch wenn es schwer fällt zu sagen: wundern dürfen wir uns nicht und Vorsicht mit der Empörung. Unsere Kultur als Ganzes hat es in den letzten Jahrzehnten erfolgreich geschafft, den Tod als natürlichen Bestandteil des Lebens fast vollständig zu eliminieren, zu tabuisieren. Tod bedeutet Sirenengeheul, Drama, Unglück, Schrecken. Er ist zum größten aller Skandale geworden, zur Zumutung schlechthin.

Der wichtigste Moment im Leben eines Menschen wurde in Leere gehüllt oder dem Aktionismus der Intensivstation überantwortet. Mit anderen Worten, die Gesellschaft als Ganzes verstößt gegen Artikel 1 des Grundgesetzes. Sie hat dem Tod alle Würde geraubt.

Das Bild dazu kennen wir alle, es hat sich tief eingeprägt: die gestapelten Särge, die von italienischen Armeefahrzeugen abtransportiert werden. Italien steht für alle westlichen Industriestaaten. Der einsame Tod ohne Begräbnis ist das kulturelle Desaster unserer gegenwärtigen politischen Wirklichkeit. Es ist der Preis, den wir für unser allgegenwärtiges Kontroll- und Sicherheitsdenken bereit sind zu zahlen.

Der Moment des Todes ist der wichtigste im Leben des Menschen. Sich auf diesen vorzubereiten gehört zu den existentiellen Aufgaben, für die wir aber keine Bilder mehr haben. Fatalerweise schürt genau dieses angesprochene Kontroll- und Sicherheitsdenken die Angst vor dem Verlust von Kontrolle und Sicherheit. Was konfrontiert uns mehr damit als der Tod selbst. Doch nur kurzfristig kann uns die Kontrolle beruhigen, langfristig verstärkt es die Angst, die im Falle des Virus sich hin zur Todesangst steigert. Diese lässt sich nicht durch Zahlen, die Aussicht auf heilende Medikamente oder eine schützende Impfung beruhigen. Sie ist der Inbegriff des Kontrollverlustes, der alle rationalen Akte hinwegfegt.

Das Virus konfrontiert mit zahlreichen Ängsten, Abgründen der Leere und der Verzweiflung. Ich nenne dies das Leiden der Leere des Nichts. Die Kunst bezog ihre Antriebs- und Gestaltungskraft immer schon aus den Abgründen dieses Leidens, die der Künstler in sich trug. Dadurch verfügt er über Erfahrungen und Sichtweisen, die, im Gegensatz zu Psychiatrie und Psychotherapie, weit über den Horizont der Krankheit hinausreichen. Das Leiden ist die schöpferische Kraft, die in Bildern, Klängen, Bewegungen und Geschichten Einsicht und Anleitung für den Umgang mit derartigen Krisen liefert. Der Mensch denkt und handelt in Bildern und Geschichten. Der darin tätige, bildernde Geist fordert Hingabe und Vertrauen, nicht Kontrolle. Persönliche Stärke entsteht ebenfalls nicht aus der Kontrolle, sie erwächst aus den Erfahrungen des schmerzlichen Kontrollverlustes.

Als Künstler und Psychologe leitete mich diese Leere des Nichts, ohne das Virus. Aus diesem Leiden entstand über mehrere Jahrzehnte hinweg ein neues Menschenbild, nicht aus einem intellektuell-philosophischen Erkenntnisinteresse. Die Leere des Nichts, so könnte man sagen, hat dieses neue Menschenbild geschrieben. Deshalb kann es den Weg zeigen, der aus ihr herausführt, der uns den inneren Frieden finden lässt und mit dem Leben versöhnt.

Der wichtigste Moment im Leben ist der des Sterbens. Auf diesen Moment gilt es sich vorzubereiten. Wer zuvor tausendfach gestorben ist, der hat keine Angst vor ihm. Und es schützt vor dem Sog der Angst im Angesicht des Virus, wie er gegenwärtig weltweit die Menschen in Bann hält.


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