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Deutschland - ein besetztes Land

Deutschland - ein besetztes Land

Merkels Deutschland, Merkels Europa – ein lauer deutscher Sommerabend und eine spontane Diskussion an einem Stammtisch in Köln-Ehrenfeld.

Eine Gruppe junger Frauen und Männer saß in der Nähe des Fensters um einen runden Tisch. Einer erkannte mich und rief – wir hatten schon ein paarmal kurz diskutiert, in meiner Stammkneipe in der Nachbarstraße: „He, komm doch rein! Du kennst dich doch aus! Die Merkel erzählt doch Unsinn! Das ist doch die mächtigste Arschkriecherin Europas, stimmts oder hab ich recht?“

Ich setzte mich zu den jungen Leuten, die mir freundlich einen Stuhl beizogen. „Mächtigste Arschkriecherin Europas? Wie kommt Ihr darauf?“ fragte ich. Eine junge Frau warf sofort ein: „Das hat der Jörg gesagt. Ich finde aber, dass die Merkel recht hat. Wir Europäer müssen uns endlich von den Amis selbständig machen, jedenfalls wenn sie von diesem Trumpel regiert werden.“

Ich ergriff gern die Gelegenheit und begann der aufmerksamen Runde meine angesammelten Kenntnisse in meiner rein sachlichen Weise auszubreiten. Ich begann damit etwas zwinkernd oberlehrerhaft, was aber scheinbar nicht schlecht ankam: „Ihr wisst ja, dass Deutschland Mitglied der NATO und der wichtigste Freund der USA in Europa ist, oder?“ Alle nickten ungeduldig. „Ok“, fuhr ich fort, „dann wisst Ihr auch, dass die USA in Deutschland mehr militärische Stützpunkte betreiben als in jedem anderen Staat der Welt.“ Da blickten sie ungläubig. „Also dann ratet mal, wieviel und was für Militärstützpunkte die USA in Deutschland betreiben“, gab ich in die Runde. Sie blickten sich fragend an. „Ja, in Ramstein“, antwortete einer, der türkisch aussah, „da haben die einen Flugplatz und ein großes Krankenhaus. Ich glaube, das liegt in der Eifel. Truppen- und Materialtransporte nach Afghanistan, in den Irak undsoweiter.“ „Und Drohnen-Station“, rief ein anderer. Ich fragte nach: „Und was haben wir da noch?“ Da gebe es vielleicht noch ein paar Standorte, die nach dem letzten Krieg hier eingerichtet wurden und noch nicht abgezogen sind, wurde vermutet. „Um es kurz zu machen“, erklärte ich, „die USA haben in Deutschland ungefähr zwei Dutzend Militärstandorte. Da hat die Bundesregierung nichts zu sagen. Die werden laufend modernisiert. Dazu gehört die Lagerung von Atomsprengköpfen. Dazu gehören auch ganz neue Standorte wie AFRICOM bei Stuttgart, von wo aus Afrika überwacht wird und Drohnen gelenkt werden. Dazu gehören europäische Kommandozentralen für das US-Militär und auch für die NATO. Dazu gehört der Rüstungskonzern General Dynamics, der in Kaiserslautern produziert und dessen Produkte nicht der deutschen Exportkontrolle unterliegen, undsoweiter.“

Ich brach die Aufzählung ab. Eine junge Frau fragte zögernd: „Dann sind wir ja ein besetztes Land, wenn das stimmt? Wieso sagt die Merkel nichts dazu?“ Da fühlte sich der junge Mann bestätigt, der mich gerufen hatte: „Genau, sag ichs doch: Die Merkel ist die mächtigste Arschkriecherin Europas, die Amis haben kein Land so im Griff wie Deutschland. Ich sage nur: Edward Snowden! NSA! Merkel-Handy!“

Der laue Sommerabend in der offenen Kneipe wurde noch lang, da wurde noch einiges an Fritz Kola, Wasser, Rosé und auch ein bisschen Kölsch getrunken. Eine freundliche junge Frau mit dunklen lockigen Haaren bediente uns. Wie sich rausstellte, hatten doch alle irgendwas gehört, jeder und jede erzählte was: Die schon von Obama angeordnete Aufrüstung der europäischen NATO-Staaten und der Aufmarsch an der russischen Grenze. Die CIA-Folterungen in osteuropäischen Gefängnissen, jedenfalls vor ein paar Jahren. Die US-Militärstadt Bondsteel im Kosovo. Die vielen neuen NATO-Mitglieder in Osteuropa und auf dem Balkan. Aus einem jungen Mann mit kleinen Eisenringen an beiden Ohrläppchen, der bisher nichts gesagt hatte, brach es plötzlich heraus: Die USA hätten den von Merkel geförderten Anwärter auf das Präsidentenamt in der Ukraine, den Boxer Klitschko - den hätten die USA einfach beiseitegeschoben und ihren eigenen Favoriten durchgeboxt! Und diese Frau, diese Abteilungsleiterin aus dem amerikanischen Außenministerium hätte doch „Fuck Europe!“ gerufen!

Eine junge Frau, die an der Kölner Uni Politik studiert – mit kurzem Blick auf mich fügte sie das hinzu -, warf die Frage auf: Bricht denn unsere Bundeskanzlerin nicht das Grundgesetz und ihren Amtseid? Sie lässt doch zu, dass die von US-Präsidenten ohne Gerichtsverfahren angeordneten Drohnen-Tötungen über eine deutsche Relaisstation geleitet werden! Ein junger Mann, eifriger Verfasser von Wikipedia-Einträgen, behauptete: Deutschlands und Europas Bürger und Regierungen und Unternehmen und öffentliche Einrichtungen werden nicht nur von US-Geheimdiensten ausgespäht, sondern auch von den US-Internetgiganten Google, Facebook, Microsoft, Uber undsoweiter. Ein stiller Teilnehmer der Runde, der als einziger Kölsch trank, fügte plötzlich hinzu: „Und die müssen ihre Daten auch dem US-Heimatschutz-Ministerium zur Verfügung stellen, das habe ich irgendwo gelesen.“

Die Runde redete sich immer tiefer hinein. Es drohte chaotisch zu werden. Der Abend war leicht und lau, die Fenster standen offen. Von den Tischen auf der Straße schwirrten gedämpfte Gesprächsfetzen herein. Einzelgänger, Gruppen und Paare schlenderten vorbei. Es war friedlich. Unvermeidlich wurde der Kampf gegen den Terrorismus gestreift und dass die USA seit Jahrzehnten islamistische Terrorgruppen ausbilden. Der Zwischenruf „Aber Putin ist doch auch böse“ blieb freundlich ohne Resonanz, ich wunderte mich.

Nach Mitternacht waren noch ganz neue Stichworte aufgetaucht. Einer meinte: McKinsey sitzt im Verteidigungsministerium, in den Jobcentern, und McKinsey berät das Migrationsamt, wie Flüchtlinge möglichst schnell und kostengünstig abgeschoben werden. Eine andere Teilnehmerin unseres Stammtisches glaubte sich zu erinnern, irgendwo im Internet aufgeschnappt zu haben: In der Commerzbank, bei Daimler und jetzt auch in VW sitzen Beamte des FBI mitten in den Vorstandsbüros und müssen an das US-Justizministerium melden, was ihnen auffällt. Ich konnte mir gar nicht alles merken, was da noch alles durcheinander erzählt wurde.

Der Stammtisch, der durch Merkels Bierzelt-Auftritt zustande gekommen war, kam zu dem Beschluss: Da ist noch einiges zu klären! Der Agitator, der mich gerufen hatte, trank im Aufstehen sein Glas aus und wiederholte: „Die Merkel ist die mächtigste Arschkriecherin Europas, das ist doch wohl klar, oder?“ Ich machte der Runde den Vorschlag, über eine mehr sachliche Kennzeichnung der deutschen Bundeskanzlerin nachzudenken, zum Beispiel „populistisches Vasallentum“. Das schien nicht so gut anzukommen. Aber man war sowieso schon im Aufbruch.

Wir waren schon alle aufgestanden, wir waren fast die letzten Gäste. Der Pächter hatte draußen die Stühle und Tische verkettet, damit sie nicht geklaut werden - da kam die junge Griechin zu unserem Tisch, die uns den Abend über bedient hatte. Sie hatte ihre Schicht beendet und ihre Schürze abgelegt. Sie sprudelte los, als würde sie eine vorbereitete Wahlkampfrede halten. „Ich habe ja mitgekriegt, was Ihr da die ganze Zeit diskutiert habt. Merkel will Europa stärken. Scheiße dieses starke Europa! Ich bin ausgewandert, weil ich in Griechenland nach dem Studium keine Arbeit gefunden habe. Bei uns regieren die Oligarchen, der Internationale Währungsfonds und die Deutsche Bank! In Slowenien, in Kroatien, im Kosovo sieht es noch schlimmer aus. Reiche Oligarchen und Investoren, Auswanderung, Verarmung. Das ist euer Merkel-Europa. Das solltet Ihr auch mal bedenken!“

Die Runde blickte sich etwas müde, aber interessiert an. „Wann treffen wir uns das nächste Mal?“ fragte einer. „Wann sind denn deine Schichten?“ fragte die Politikstudentin die griechische Bedienung.

Weiterlesen:

  • Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Göttingen 2012
  • Christoph Franceschini u.a.: Spionage unter Freunden, Berlin 2017
  • Werner Rügemer: Der Blackrock-Kapitalismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2016
  • Werner Rügemer: Ratingagenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart, Bielfeld 2012
  • Werner Rügemer: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet. Transatlantische Sittenbilder, Köln 2017


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