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Die Demokratie-Krise

Die Demokratie-Krise

Aus Sicht der Herrschenden muss die Demokratie sowohl vor sich selbst als auch dem Pöbel geschützt werden.

Der Anfang

Nichts ist schwarz-weiß. Nicht einmal Star Wars

In George Lucas‘ Weltraumschlacht tobt seit 1977 mit dem Erscheinen von Krieg der Sterne der Kampf Gut gegen Böse, Jedi gegen Sith, Luke Skywalker gegen Darth Vader und Wookies gegen Sturmtruppen. Der Fall scheint klar: Die einen führen einen verzweifelten Guerillakrieg gegen das übermächtige Imperium und verstecken sich auf Geheimbasen. Die anderen bauen Todessterne und verbreiten Angst und Schrecken.

Aber vielleicht wurden wir auch alle getäuscht. Jonathan Last hat bereits vor einiger Zeit einen Artikel geschrieben mit dem Titel: The Case for the Empire – Everything you think you know about Star Wars is wrong.

Von Anfang an habe George Lucas, diesem Artikel zufolge, gut und böse durcheinandergebracht. Das Imperium sei in Wahrheit eine Kraft für das Gute. Die arroganten Jedis, die ihre Kräfte durch genetische Vererbung erhalten, seien nicht demokratisch legitimiert. Unter dem, wie der Autor einräumt, mit harter Hand regierenden Imperator wurde immerhin eine Meritokratie eingeführt. Also eine Herrschaftsordnung, in der Individuen aufgrund ihrer Befähigung und ihrer Verdienste ihren sozialen und materiellen Status aufwerten können — unabhängig von ihrer Herkunft. So beispielsweise in imperialen Akademien, in denen man militärisch Karriere machen könne. Außerdem sei es das erklärte Ziel des Imperiums, Frieden in der Galaxis zu schaffen und das Gleichgewicht wiederherzustellen. Kriminalität, wie beispielsweise Schmuggel, werde geahndet und bekämpft.

Auch die Zerstörung Alderaans — der Planet, der in Episode VI vom Todesstern zerstört wird — sei kein willkürlicher Terror, sondern Teil des notwendigen „Überlebenskampfes einer Regierung gegen eine gewalttätige Gruppierung von Rebellen, die sie zu zerstören suchen“.

Und zu guter Letzt seien die Rebellen noch der schlimmsten aller Sünden schuldig. In allen Filmen hört man die Aufständischen nicht ein einziges Mal konstruktive Gespräche darüber führen, wie man die Galaxis besser regieren könnte. Immer gehe es nur darum, die bestehende Herrschaftsform um jeden Preis zu stürzen. Damit seien „George Lucas’ Helden“ letzten Endes nur wenig überzeugende anarchistische Adlige, die die Galaxis in Schutt und Asche legen, einzig und allein aus dem selbstsüchtigen Grund, damit Prinzessin Lea ihre Tiara zurückbekommt.

Diese eigenwillige — satirische — Interpretation des Kriegs der Sterne ist in meinen Augen exemplarisch für die Augenwischerei, Propaganda und Indoktrination, der wir tagtäglich ausgesetzt sind. Wenn man eine Lüge nur oft genug wiederholt, wird sie in den Ohren der Zuhörer zur Wahrheit. Die Wahrheit wird verdreht und zwischen all den unterschiedlichen Stimmen fällt es schwer, den Überblick zu bewahren. Das Imperium mit Darth Vader wird hier mehr oder weniger plausibel als eine Kraft für das Gute dargestellt.

In unserer eigenen Galaxie überwiegt die Auffassung, dass der Westen — allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika — trotz seiner Fehler und Schwächen im Großen und Ganzen nach Freiheit und Demokratie strebt und bis zur letzten Patrone für die Menschenrechte kämpft. Zumindest an Patronen herrscht kein Mangel.

Dies ist ein Essay darüber, warum wir einen gesunden Antiamerikanismus, gepaart mit einem akkurateren Politik- und Demokratieverständnis, brauchen. Aber es richtet sich selbstverständlich nicht gegen die Bürger der USA, sondern gegen ihre moralisch bankrotte Scheindemokratie, ihre Institutionen und ihre Oligarchen. Als Weltbürger einer globalisierten Welt dürfen wir uns schließlich alle ein Stück weit als Amerikaner fühlen.

Die Demokratie in der Krise

Wir leben in Deutschland in einer Demokratie. Aber „die beste Demokratie, die man für Geld kaufen kann” gibt es zweifelsohne in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das weiß jeder. Daher versuchen wir auch ständig, von den USA zu lernen. Es gibt viele Interpretationen und Formen von Demokratie. Stark vereinfacht kann man sagen, dass jedem Bürger ein angemessener Anteil an den Entscheidungen zustehen soll, die sein Leben betreffen. In Deutschland und den USA kulminiert dieses Recht alle paar Jahre in Wahlen. Das macht die Demokratie zu einer sogenannten repräsentativen Demokratie. Gewählte Volksvertreter sollen unsere Vorstellungen und Wünsche in aktive Politik umwandeln. Tun sie dies nicht, haben wir nach ein paar Jahren das Recht, sie abzustrafen und eine andere Partei zu wählen, die unsere Vorstellungen und Wünsche dann ebenfalls ignorieren kann. Wem das nicht passt, der ist natürlich herzlich dazu aufgerufen, seine eigene Partei zu gründen oder seinem Abgeordneten zornige Briefe zu schreiben.

Jetzt soll es ja Menschen geben, denen diese Form der „politischen Partizipation“ nicht ausreicht. Diese Menschen gehen auf die Straße und demonstrieren, engagieren sich in gemeinnützigen Verbänden, nehmen an Arbeitskämpfen teil und äußern öffentlich ihren Unmut. Politiker freuen sich in Sonntagsreden über diese „gelebte Demokratie“ und lassen sich vielleicht dazu hinreißen, die eine oder andere Gesetzesvorlage etwas blumiger zu formulieren. Bei Herzensangelegenheiten warten sie einfach ein paar Monate oder Jährchen, bis das Volk sich etwas beruhigt hat und schicken dann ihr Projekt unter anderem Namen erneut ins Rennen. Aber Sarkasmus einmal beiseite: Das ist möglich, weil Protest in der Regel aus Empörung heraus entsteht, und diese Empörung dann so heiß brennt, dass sie nicht allzu lange aufrecht erhalten werden kann. Dazu kommen wirtschaftliche und zeitliche Einschränkungen. Schließlich werden die allermeisten Aktivisten für ihr Engagement — anders als Politiker — ja auch nicht bezahlt.

Wenn man sich die großen politischen Protestbewegungen der vergangenen Jahrzehnte ansieht, bleibt man unweigerlich bei den 1960er Jahren hängen. Obwohl diese auch in anderen Teilen der Welt sowie in Deutschland stürmische Zeiten waren, möchte ich mich gerne auf die Alpha-Demokratie auf der anderen Atlantikseite konzentrieren, die im Fokus dieses Essays steht. Protestbewegungen hatten dort ein solches Ausmaß erreicht, dass die Politik sich gezwungen sah, ihre Politik auch tatsächlich am Volkswillen auszurichten. In der Folge veröffentlichte die Trilaterale Kommission — eine im Juli 1973 auf Initiative von David Rockefeller bei einer Bilderberg-Konferenz gegründete private, politikberatende Denkfabrik — 1975 einen Report mit dem Titel: „The Crisis of Democracy – Report on the Governability of Democracies to the Trilateral Commission“. Darin legten drei hochrangige Akademiker Gründe dar, die aus ihrer Sicht eine Gefahr für die Demokratie in ihrer jeweiligen Weltregion darstellt.

Verantwortlich für den Abschnitt über die USA zeichnete Samuel P. Huntington, distinguierter Akademiker aus New York, der in Yale, der University of Chicago und Harvard studierte und später gelehrt hat und schließlich — nach der Veröffentlichung diverser Bücher zur Politikgestaltung — zum Politikberater des Präsidenten aufstieg. Diese Position erfüllte er als Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates der Vereinigten Staaten bis Ende 1978. Die Lektüre dieses Reports ist äußerst aufschlussreich und daher möchte ich hier einen kleinen — selbstverständlich subjektiven — Einblick geben.

In den 1960er Jahren gab es in den USA, Samuel Huntington zufolge, eine deutliche Steigerung in vielen Formen der politischen Partizipation von Bürgern. In Form von Märschen, Demonstrationen, Protestbewegungen und vielen anderen Ausdrucksformen wollten immer mehr Menschen, darunter auch Schwarze, Indianer, Frauen, weiße Minderheiten und Studenten, ihre gesellschaftliche Teilhabe ausleben (1). Besonders Frauen und Schwarze konnten ihre gesellschaftliche Stellung verbessern und auch ‚White Collar‘ (Angestellte) begannen, sich in Gewerkschaften zu organisieren. Huntington schreibt:

„Vormals passive und unorganisierte Gruppierungen begannen erstmals konzertierte Anstrengungen, um ihre Ansprüche auf Chancen, Positionen, Belohnungen und Privilegien geltend zu machen, von denen sie vorher nicht dachten, dass sie ihnen zustünden“ (1).

Die schönste Zeit in einer Demokratie ist die, in der die Interessen des Volkes mit denen der Herrschenden übereinstimmen. Anstrengend wird es erst, wenn die Bürger anfangen, eigene Wünsche zu hegen und die Autorität der Regierung in Frage zu stellen. So geschehen in den 1960ern:

„Die Menschen verspürten nicht länger den Zwang, denjenigen zu gehorchen, die sie durch Alter, Rang, Status, Expertise, Charakter oder Talent als überlegen ansahen. (…) Jede Gruppe nahm nun das Recht für sich in Anspruch, gleichen — und vielleicht mehr als gleichen — Anteil, an den sie betreffenden Entscheidungen zu nehmen. (…) Autorität, die auf Hierarchie, Expertise und Reichtum basiert, stand diesem demokratischen und egalitären Zeitgeist natürlich entgegen und sah sich dadurch heftiger Kritik ausgesetzt. (…) In der Politik im Allgemeinen wurde die Autorität des Reichtums (im Original: authority of wealth) in Frage gestellt, und erfolgreiche Anstrengungen wurden unternommen, um Reformen einzuführen, die diese aufdecken und einschränken sollten“ (2).

Diese Anstrengungen waren von Erfolg gekrönt:

„Der größte Zuwachs von Staatsausgaben in den 1960ern erfolgte in den Bereichen Bildung, soziale Sicherheit, Versicherungsleistungen, öffentliche Wohlfahrt, dem Bedienen von Staatsschulden, Gesundheit und dem Bau von Krankenhäusern. 1960 gab die US-Regierung auf nationaler Ebene 125 Prozent mehr Geld für Rüstung aus als für Bildung; 1972 waren es nur noch 15 Prozent mehr. 1960 waren die Rüstungsausgaben mehr als viereinhalb Mal so hoch wie die für soziale Sicherheit; 1972 waren sie weniger als zweimal so hoch“ (3).

Die Menschen hatten also angefangen, mehr soziale Maßnahmen und Rechte zu fordern, was Geld kostet und nichts einbringt, und gleichzeitig eine Reduzierung des Militäretats angestrebt, was Geld einspart, aber die Profite der Rüstungsindustrie schmälert. Damit hatten die USA einen Interessenkonflikt zwischen den Mächtigen und dem Volk. Oder anders ausgedrückt: eine „Demokratiekrise“. Dieser Wandel in der öffentlichen Meinung und die neu gefundene „demokratische Vitalität“ erschwerte daher die „Regierbarkeit der Demokratie“ (4). Gleichzeitig wurde deutlich, wie angreifbar das etablierte Parteiensystem zu diesem Zeitpunkt war:

„Die Lektion der 1960er war die, dass die amerikanischen politischen Parteien außerordentlich offene und außerordentlich angreifbare Organisationen sind. Angreifbar in dem Sinne, dass sie von hoch motivierten und gut organisierten Gruppierungen mit einem Ziel und einem Kandidaten leicht durchdrungen und sogar gekapert werden können (5)“. Zu allem Überfluss begannen selbst politische Führungskräfte damit, ihre Rolle in der Regierung kritisch zu hinterfragen: „Auch sie (die politischen Führungskräfte, Anmerkung des Autors) nahmen Anteil am partizipativen und egalitären Zeitgeist und stellten die Legitimation von Hierarchie, Nötigung, Disziplin, Heimlichkeit und Täuschung — alles unvermeidliche Eigenschaften des Regierens — in Frage“ (6).

Huntington suchte in der Folge eine Antwort darauf, wer das Land regiert und wer im Falle eines Notfalls die notwendige Autorität und Durchsetzungsfähigkeit hätte, um entschieden, auch unpopuläre Gegenmaßnahmen einzuleiten:

So hätte in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, meistens

„der Präsident mit der Unterstützung und Kooperation von Schlüsselpersonen und Gruppen aus dem US-Präsidialamt, dem Beamtenapparat, dem Kongress, den wichtigsten Firmen, Banken, Kanzleien, Stiftungen und den Medien, die das private Establishment ausmachen, regiert“ (7). Präsident Harry S. Truman (im Amt von 1945 bis 1953, Anmerkung des Autors) war so in der Lage gewesen, „das Land mit der Kooperation einer relativ kleinen Anzahl von Wall-Street-Juristen und Bankern zu regieren“ (8).

In den 1960ern jedoch hatten sich die Machtpositionen in der Gesellschaft so sehr verschoben, dass dies nicht mehr möglich war. Was war geschehen, dass es zu einem derartigen „Demokratieexzess“ (9) hatte kommen können? Was war verantwortlich, für diesen „drastischen Anstieg des politischen Bewusstseins, der politischen Partizipation und des Bekenntnisses zu egalitären und demokratischen Werten“ (10)? Aus heutiger Sicht vielleicht von Ironie zeugend, identifiziert Huntington als einen der Gründe das Aufkommen des Fernsehens und der Fernsehnachrichten. Nachrichtensprecherlegende Walter Cronkite erklärte sich damals das Ganze folgendermaßen: „Die meisten Fernsehjournalisten (im Original: newsmen) fühlen sich der etablierten Ordnung nicht verpflichtet. Ich denke, sie sind eher geneigt, sich auf die Seite der Menschheit zu stellen als auf die der Herrschaft und Institutionen“ (11). Auch das Aufkommen einer nationalen Presse — zuvor gab es lediglich eine Lokalpresse — mit „wirtschaftlicher Unabhängigkeit“ (11, 12) stellte die Regierungsverantwortlichen vor Probleme.

„In der Tat hatte die Presse eine Führungsrolle innegehabt, in etwas, was keine andere Institution, Gruppe oder Kombination von Institutionen in der amerikanischen Geschichte vorher fertiggebracht hatte: Sie hatte einen Präsidenten aus dem Amt gedrängt (Richard Nixon nach dem Watergate Skandal, Anmerkung des Autors), der keine zwei Jahre vorher mit einer der größten Mehrheiten in der amerikanischen Geschichte gewählt worden war. Kein zukünftiger Präsident kann oder wird diese Tatsache je vergessen“ (11).

Die Medien, insbesondere das Fernsehen, wurden also von Huntington als Teil des Problems identifiziert. Schließlich waren sie mitverantwortlich für diesen Demokratieexzess. Doch wie sah es auf dem Universitätscampus aus? Der Babyboom der Nachkriegszeit führte, Huntington zufolge, zu übervollen Colleges und Universitäten.

Dies wird mit einem „Aufkommen von markant neuen Werten“ in Verbindung gebracht, die sich anschließend erst „unter Studenten und dann jungen Menschen generell ausbreiteten“. Darunter ein „Mentalitätswandel gegenüber Obrigkeiten (im Original: the authority of institutions), wie dem Gesetz, der Polizei, der Regierung und dem Chef. (…) Etwas, was Soziologen ‚deauthorization‘, also eine Verminderung des automatischen Gehorsams gegenüber der etablierten Ordnung nennen“. Dieser neue Mangel an Respekt war Teil weiterer neu gefundener Einstellungen und Werte in Bezug auf Sexualmoral, Religion als einer Quelle für moralisches Verhalten sowie traditionellem Patriotismus und Gehorsam: „Für mein Land — ob richtig oder falsch“ (13, 14).

Ist also die Bildung Schuld an diesem Dilemma der gelebten Demokratie? Samuel Huntington scheint in dieser Frage hin- und hergerissen zu sein und schreibt:

„Die allerwichtigste Variable für politische Partizipation und Einstellungen ist die Bildung. (…) Je gebildeter eine Person ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich an der Politik beteiligt, eine beständige und ideologische Meinung zu politischen Themen vertritt und sich an ‚aufgeklärten‘, ‚liberalen‘ oder ‚wechselorientierten‘ Perspektiven zu sozialen, kulturellen und außenpolitischen Themen orientiert“ (15).

In der Folge führt Huntington jedoch Forschungsergebnisse an, die dieser These widersprechen. Vielmehr sei ein „gewaltiger Zuwachs von schwarzer politischer Beteiligung in diesen Jahren“ für die erhöhte Zahl an politischen Kampagnen verantwortlich. Die überproportionale politische Beteiligung schwarzer Amerikaner liege vorrangig an ihrem Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe (16,17). Nach Einschätzungen von Huntington sollten dieses Zugehörigkeitsgefühl und die damit verbundene politische Beteiligung jedoch abnehmen, sobald die „schwarzen Themen“ nicht mehr in diesem Maße auf der Tagesordnung stünden (18).

Ohnehin gab es aus Sicht der Herrschenden bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Reports, erste Anzeichen für Entwarnung. Die Präsidentschaftswahl 1972 stand viel weniger im Fokus der Öffentlichkeit als noch die vorangegangene im Jahr 1968. Auch hatte die Zahl und Intensität politischer Bürgerkampagnen stark abgenommen (19). Huntington macht dazu folgende Beobachtungen:

  1. Erhöhte politische Partizipation führt zu verstärkter politischer Polarisierung (also Ausgeprägtheit, in der ein politischer Wunsch formuliert ist, Anmerkung des Autors) in der Gesellschaft.
  2. Erhöhte politische Polarisierung führt zu verstärktem Argwohn und dem Gefühl, dass die eigene politische Wirksamkeit als Individuum abnimmt.
  3. Das Gefühl, dass die eigene politische Wirksamkeit abnimmt, führt zu geringerer politischer Partizipation.

Hinzu kommt, dass die hitzigsten Diskussionen und Streitthemen auf der Agenda abgelöst wurden von der

„überwältigenden Sorge über wirtschaftliche Themen, erst Inflation, dann Rezession, dann Arbeitslosigkeit. (…) Inflation und Arbeitslosigkeit sind wie Kriminalität — niemand ist dafür, und wirkliche Unstimmigkeiten dazu kann es nur geben, wenn auch wirklich davon abweichende alternative Programme existieren. Das Zustandekommen solcher Programme passiert jedoch nur schwerfällig. Daher kann die Prominenz wirtschaftlicher Themen zwar zu einem Vertrauensverlust in das politische System an sich führen, aber nicht zu Verstimmungen, die darin begründet liegen, dass die Regierung mit ihrer Politik versagt hat. Solch eine generelle Entfremdung könnte demnach Tendenzen hin zur politischen Passivität verstärken, die durch das Gefühl der verringerten Wirksamkeit ohnehin schon erkennbar erzeugt wurde“ (19).

Diesen komplizierten Passus muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Man lässt also den engagierten und empörten Bürger einfach ein bisschen heißlaufen, konfrontiert ihn anschließend mit seiner eigenen Ohnmacht. Und wenn das nichts hilft, wird er noch von vermeintlichen Experten mit alternativlosen „Wirtschaftsfakten“ eingedeckt, die ihm geduldig erklären, warum seine Rente ihm jetzt doch nicht zum Leben reicht. Schon hat man die Situation ausreichend entschärft.

Wie eingangs erwähnt, soll dieser Essay zu einem akkurateren Politik- und Demokratieverständnis beitragen. Dazu gehört auch, sich in den Kopf eines — ohne Frage — klugen und strategischen Denkers wie Samuel Huntington hineinzudenken. Das ist unumgänglich, will man verstehen, was einen wie ihn — und es gibt viele wie ihn — antreibt. Aus Sicht der Herrschenden ist die Durchsetzungsfähigkeit natürlich unerlässlich. Alles, was diese Durchsetzungsfähigkeit in Frage stellt, bedeutet Gefahr. Dabei spielt auch der Zeitgeist eine Rolle. Der Report ist während des Kalten Krieges entstanden, und deshalb warnt er auch davor, dass eine schwache Regierung „angreifbarer gegenüber wirtschaftlichem und militärischem Druck seitens des Sowjetblocks ist“ (20). Mangelnde Durchsetzungsfähigkeit ist außerdem ein Wettbewerbsnachteil gegenüber Diktaturen — egal ob kommunistische Parteidiktaturen oder vor Öl strotzende Scheichtümer — die sich mit zähen Pflichten, wie dem demokratischen Entscheidungsfindungsprozess, nicht lange aufhalten müssen.

„Dies wirft die Frage auf, ob in der Zukunft, wenn eine neue Bedrohung auftaucht, was unweigerlich passieren wird, die Regierung genügend Durchsetzungskraft besitzt, die Ressourcen zu kontrollieren und die nötigen Opfer zu bringen, um dieser Bedrohung entschieden entgegenzutreten. (…) Eine Abnahme der Regierbarkeit der Demokratie zu Hause, bedeutet eine Abnahme des Einflusses der Demokratie im Ausland“ (21).

Das ist ein zentraler Punkt, den es zu verstehen gilt. Wird eine Supermacht wie die USA — oder irgendeine repräsentative Demokratie — ihr Wohl und Wehe wirklich in die Hände einer, zu großen Teilen bildungsfernen Bevölkerung geben? Oder wird sie mit Hilfe kluger Köpfe wie Samuel Huntington Strukturen schaffen, welche die tatsächliche Entscheidungsgewalt von der vermeintlichen Irrationalität und Wankelmütigkeit des Volkes fernhalten? Das ist auch mit ein Grund, warum einflussreiche Unternehmen immer sowohl den Republikanern als auch den Demokraten Geld spenden. Darunter auch deutsche Unternehmen wie Deutsche Bank, Allianz, Siemens, Bayer, BASF … Es ist ihnen schlicht egal, welche Partei den Präsidenten stellt. Zum einen, weil die wirklich wichtigen Entscheidungen ohnehin auf anderer Ebene getroffen werden, und zum anderen, weil die Parteien sich in den wirtschaftlichen Fragen nicht merklich unterscheiden. Wir erinnern uns: Wirkliche Unstimmigkeiten kann es nur geben, wenn eine im Kern abweichende Alternative existiert! Dies alles ist Teil einer Elitenideologie, die zugegebenermaßen nicht unlogisch ist. Trotzdem ist sie in höchstem Maße problematisch! Mehr dazu später.

Wenn man diese Art zu denken erst einmal verstanden hat, fällt es einem leichter zu erkennen, worauf folgende Argumentation abzielt:

„Eine Universität, in der der Lehrauftrag von der Zustimmung der Studenten abhängig ist, ist zwar eine demokratischere, aber nicht zwangsläufig bessere Universität. In ähnlicher Art und Weise dazu sind Armeen, in denen die Befehle der Offiziere vom kollektiven Vetorecht ihrer Untergebenen abhängig waren, auf dem Schlachtfeld ausnahmslos zerrieben worden. Die Schauplätze, in denen demokratische Prozedere angemessen sind, sind kurzum limitiert. (…) Das effektive Wirken eines demokratischen, politischen Systems benötigt in der Regel ein gewisses Maß an Apathie und Nichteinmischung, seitens einiger Individuen und Gruppen“ (22).

Und weiter:

„Die Verletzlichkeit der demokratischen Regierung der Vereinigten Staaten kommt daher nicht primär von externen Bedrohungen, obwohl diese Bedrohungen existieren, auch nicht von subversiven rechten oder linken Strömungen, obwohl beide Möglichkeiten existieren könnten, sondern stattdessen von der inneren Dynamik der Demokratie in einer hochgebildeten, mobilisierten und teilnehmenden Gesellschaft. (…) Es gibt möglicherweise wünschenswerte Schranken zu einer unbegrenzten Ausweitung der politischen Demokratie. Die Demokratie wird langlebiger sein, wenn sie sich einer ausgewogeneren Existenz erfreut“ (23).

Ich fasse also zusammen: Engagierte und vom Geiste des Egalitarismus beseelte Bürger, die für ihre Rechte einstehen und deren Forderungen sich nicht mit denen der Machteliten decken, stellen für die Demokratie eine Gefahr dar. Schuld daran, dass es solche Bürger überhaupt gibt, sind das Fernsehen, eine wirtschaftlich unabhängige nationale Presse, ein zu gutes Bildungssystem und die Schwarzen, die sich zu gut zu organisieren wissen. Die Devise lautet: Moderation. Man muss die Demokratie vor sich selbst schützen.

Wer sind die Eliten?

Aber wer sind eigentlich diese Eliten oder Machteliten? Eliten sind sehr einflussreich. Dies kann entweder an ihrem Reichtum liegen, der es ihnen ermöglicht, überproportional viel Einfluss zu nehmen oder an ihrem Beruf. Sei es Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, Innenminister, oder CEO bei Goldman Sachs. Eine Elisabeth „Liz“ Mohn, die als de facto Herrscherin der Bertelsmann Stiftung sowie des Bertelsmann Konzerns einen Löwenanteil des deutschen Medienmarktes kontrolliert, steht dabei natürlich über einem Stefan Kornelius, der als Süddeutsche-Zeitung-Journalist zwar Einfluss hat, aber auf diesem Level nicht mehr mithalten kann.

Ich erachte es außerdem als sinnvoll, zwischen sichtbaren und unsichtbaren Eliten zu unterscheiden. Besonders, weil die unsichtbaren Eliten ungleich viel mächtiger sind. Eine Angela Merkel hat natürlich Einfluss, aber als Politikerin kann sie ihre Machtposition nur über einen begrenzten Zeitraum innehaben. Eine Ursula von der Leyen oder ein Joachim Gauck werden vielleicht auch mal zu einer Bilderberg-Konferenz eingeladen, aber die wirkliche Macht liegt dann doch eher bei den Stammgästen.

Denjenigen, die regelmäßig in Davos oder in kleinem Rahmen, wie zum Beispiel die Group of Thirty, in diversen, exklusiven Fünfsternehotels unterwegs sind. Der Chef der Europäischen Zentralbank ist die für uns sichtbare Machtelite, während die Personen, die regelmäßig darüber entscheiden können, wer diese Position als nächstes besetzen wird, hübsch im Hintergrund bleiben. Definitive Aussagen in diesem Bereich sind äußerst schwierig, aber Vermögenswerte sind immer hilfreich. Beispielsweise könnte man annehmen, dass die acht reichsten Männer, die so viel besitzen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung , in der Elitenhierarchie recht weit oben stehen. Erschwert wird diese Taktik jedoch, wenn die tatsächlichen Vermögenswerte von den Allerreichsten — wie in Deutschland der Fall — gar nicht erst erhoben werden.

Auch die Trilaterale Kommission ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern erfreut sich bester Gesundheit. Der deutsche Ableger residiert als „The German Group“ im Allianz Forum am Pariser Platz in Berlin-Mitte. Aktuelle und ehemalige im deutschen Sprachraum bekannte Mitglieder sind unter anderem: Jürgen Fitschen, Klaus-Dieter Frankenberger, Michael Fuchs, Klaus-Peter Müller, Arend Oetker, Josef Ackermann, George H. W. Bush, Bill Clinton, Henry Kissinger, Horst Köhler, Otto Graf Lambsdorff, John McCain, David Rockefeller, John D. Rockefeller III, Edmund Rothschild, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Paul Wolfowitz, Robert Zoellick, Wolfgang Ischinger, Joe Kaeser, David Miliband und Carl Bildt. Vorsitzender ist der ehemalige Europäische Zentralbank-Chef Jean-Claude Trichet. Sein Vorgänger war Mario Monti.

Die Liste ist noch viel länger, und die Trilaterale Kommission ist auch bei Weitem nicht die einzige Denkfabrik dieser Art. Es ist bezeichnend, dass neben einem Haufen von nationalen Politikern, EU-Parlamentariern und Journalisten auch Vertreter so ziemlich aller Großbanken, Großkonzerne und sogar Vertreter von Militär- und Sicherheitsbündnissen hochrangig vertreten sind. Darunter: Deutsche Bank, Commerzbank, JP Morgan, Goldman Sachs, Allianz, Internationaler Währungsfonds, Shell, Daimler AG, EADS, NATO, Citi Group, Bosch, Bundesverband deutscher Banken, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Unilever, McKinsey, Münchner Sicherheitskonferenz, Siemens, HSBC, BMW, UniCredit, der Verband der Automobilindustrie und viele weitere.

Aufgrund der offenkundigen Geheimniskrämerei und Verschwiegenheit wird über den Charakter von Konferenzen wie Bilderberg oder Davos und Vereinigungen wie der Atlantik-Brücke, des Council on Foreign Relations, des European Council on Foreign Relations oder der Trilateralen Kommission spekuliert. Zwar wird bei diesen Treffen von politischen und wirtschaftlichen Eliten hinter verschlossenen Türen von Pressesprechern häufig der informelle, private Charakter solcher Veranstaltungen betont. Hans-Jürgen Krysmanski, emeritierter Professor für Soziologie der Universität Münster hält dem jedoch entgegen, dass derlei Treffen niemals privat sein könnten, da es dort um für die Öffentlichkeit relevante Inhalte, Diskussionen und Entscheidungen gehe.

Nach Ansicht des Soziologen und Volkswirtes Rudolf Stumberger seien zwischen Wirtschaft und Politik alle Schranken verschwunden und wir erlebten derzeit „Tendenzen der Refeudalisierung“. Also, dass neben den den offiziellen, demokratischen Strukturen mehr und mehr die inoffiziellen Strukturen wieder an Gewicht gewinnen würden. Und „diese selbst ernannten Eliten, die oben sitzen, die schotten sich zunehmend ab“.

Das Imperium schlägt zurück

Doch wie konnten all diese Schranken zwischen Politik und Wirtschaft eigentlich verschwinden? Aufschluss darüber gibt vielleicht eine andere Personalie. Einige Jahre vor der Gründung der Trilateralen Kommission hatte noch jemand die Tendenzen und Entwicklungen der Gesellschaft in den 1960ern erkannt. Stützte sich dieses Essay bis hierher auf die akademisch distanzierte Analyse von Samuel Huntington, machen wir jetzt den Sprung zu einer etwas handfesteren Denkschrift mit klaren Handlungsanweisungen. Lewis Powell, Firmenanwalt und Aufsichtsratsmitglied in elf Firmen nicht zu verwechseln mit Colin Powell, schrieb seinem Freund Eugene Sydnor Junior, dem Direktor der amerikanischen Handelskammer, 1971 eine vertrauliche Nachricht mit dem Titel: „Angriff auf das amerikanische System des freien Marktes“ (im Original: free enterprise system), bekannt als Powell Memorandum (24). Es wurde erst später bekannt, als es einem Journalisten zugesteckt wurde, der es in der Folge veröffentlichte. Darin will Powell erkannt haben:

Dass das amerikanische Wirtschaftssystem einer „breit angelegten Attacke ausgesetzt ist. (…) Es handelt sich dabei nicht um sporadische oder isolierte Attacken einer Handvoll Extremisten. (…) Stattdessen wird die Attacke auf das System des freien Marktes von einer breiten Masse getragen und beständig weiterverfolgt. Sie nimmt an Fahrt auf und verändert sich“. Das Beunruhigende daran sei, dass ein Großteil der Kritik von „respektablen Teilen der Gesellschaft ausgehe: dem Universitätscampus, der Kanzel, den Medien, den intellektuellen und literarischen Zeitschriften, den Künsten und Wissenschaften und von Politikern“. Obwohl diese Stimmungen Powells Ansicht nach meist von Minderheiten innerhalb ihrer Gruppen ausgingen, seien diese doch „die sprachgewandtesten, lautstärksten und produktivsten im Sinne von Wort und Schrift“ (24).

Das verblüffendste für Powell sei, dass die freie Wirtschaft ihre eigene Zerstörung dabei „toleriere, wenn nicht gar unterstütze“. Schließlich seien die Universitäten, von denen ein Großteil der Kritik herrühre, mit Steuergeldern und privaten Zuwendungen finanziert, die zum Großteil von amerikanischen Firmen stammen. Außerdem bestünden die Kuratorien fast ausschließlich aus Männern und Frauen, die man getrost als Stützen der Gesellschaft (im Original: leaders of the system), bezeichnen könne. Auch die Medien, einschließlich der nationalen Fernsehsender, seien im Besitz und unterlägen der theoretischen Kontrolle der Konzerne, deren Überleben eng an den Profit und den Erfolg des freien Marktes gekoppelt ist.

Während immer mehr junge Menschen radikalisiert würden, „besteht der größere Anlass zur Sorge in der Feindseligkeit der respektablen Liberalen und Sozialreformer. Es ist die Summe ihrer Ansichten und ihr Einfluss, die das System entscheidend schwächen oder zerstören könnten“. So werde deutlich, wie „die Öffentlichkeit verwirrt und ihr Vertrauen (in das System, Anmerkung des Autors) untergraben werden soll“. Als Beispiel führt Powell an, dass aktuell Steuerreformen im Visier der Kritiker seien, die dann in den Medien als „Schlupflöcher“ und Steuervorteile, die nur den Reichen dienen, dargestellt würden:

„Es ist schockierend, Politiker zu sehen, die argumentieren, dass diese Art der Besteuerung nur dem ‚Business‘ diene und den ‚Armen‘ nichts einbringe. Es ist nur ein schwacher Trost, dass dies entweder auf politische Demagogie oder wirtschaftlichen Analphabetismus zurückzuführen ist. Das Ausspielen der Reichen gegen die Armen, Wirtschaft gegen das Volk ist die billigste und gefährlichste Art, Politik zu machen“ (24).

An dieser Stelle möchte ich einhaken und zum einen deutlich machen, dass diese Art zu denken extrem weit verbreitet ist. Geht es den Reichen gut, geht es allen gut. Das ist die Mär von der Trickle-down-Theorie, bei der Reichtum von oben nach unten rieseln soll, und die nie bewiesen wurde. Spätestens aus heutiger Sicht ist wohl eindeutig zu sehen, dass diese Art der geringen Besteuerung von Unternehmen genau zu den angekündigten Konsequenzen geführt hat. Nämlich zu einer enormen Kluft zwischen Arm und Reich (25), die der Gesellschaft immens schadet. Die versprochenen, durch Steuerersparnisse ermöglichten, erhöhten Investitionen, die dann allen dienen sollten, hat es nie gegeben. Es ist aber andererseits wichtig zu verstehen, dass Powell nicht per se „böse“ ist, sondern die Dinge, die er schreibt, auch von ganzem Herzen glaubt. Das ist eine Eigenschaft der Ideologie. Sie blendet.

Ich denke, Powell ist wirklich der Auffassung, dass auf diese Art und Weise das Leben aller Menschen besser werde. Rückschläge werden zur Kenntnis genommen und wenn die Medizin nicht wirkt, muss man eben die Dosis erhöhen. Es sind auch die Zirkel, in denen sich einer wie Powell bewegt, die dieses Denken prägen. Viele Eliten sind lebensweltlich so weit von der Durchschnittsbevölkerung entfernt, dass die Einschätzungen aus irgendwelchen ‚Wohlstandsberichten‘ plausibel erscheinen. Unterm Strich gehe es doch allen besser. Das Ganze wird dann mit passenden Zahlen und Statistiken unterfüttert.

Eventuelle Zweifel lösen sich im Gespräch und dem permanenten Kontakt mit Gleichgesinnten — anderen Eliten — schnell auf. Wirtschaft wird als Wissenschaft verklärt, und es wird versucht, aus ihr Gesetze und Regelmäßigkeiten abzuleiten. Dabei gleicht Wirtschaft in Wahrheit häufig eher einer Religion, in der Glaube entscheidend ist: Glaube an den freien Markt und die unsichtbare Hand. Der — persönliche — Erfolg gibt einem Recht. Zwei Monate nachdem Lewis Powell dieses Memo verschickt hatte, wurde er unter Präsident Richard Nixon als Richter des Obersten Gerichtshofs vereidigt. Irgendetwas muss er richtig gemacht haben.

Doch was war die Antwort des freien Marktes auf diesen „massiven Angriff auf die Grundfesten der Wirtschaft, ihre Philosophie, ihre Integrität und ihr Recht darauf, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern“(24)? Leider war die Reaktion, Powell zufolge, äußerst dürftig und bestand zumeist aus:

„Beschwichtigung, Unfähigkeit und dem Ignorieren des Problems“. Geschäftsleute seien eben nicht in der Propagandaform der Guerilla Kriegsführung ausgebildet, sondern zu sehr damit beschäftigt: „zu führen, zu produzieren, zu verkaufen, Jobs zu schaffen, Profite zu machen, den Lebensstandard anzuheben, Stützen ihrer Gemeinschaft zu sein, wohltätigen und bildungserzieherischen Gremien vorzusitzen und einfach gute Bürger zu sein. Aufgaben, die sie wirklich sehr gut erfüllen“. Jetzt aber „ist die Zeit gekommen, wenn nicht längst überfällig, um die Weisheit, Genialität und die gebündelten Ressourcen der amerikanischen Wirtschaft zusammenzutrommeln und den Kampf aufzunehmen, gegen die Kräfte, die sie zu zerstören suchen“ (24).

Und weiter:

„Unabhängige und unkoordinierte Einzelaktionen, so wichtig diese auch sind, werden dabei nicht ausreichen. Die Stärke liegt in der Organisation, in der sorgfältigen langfristigen Planung und Ausführung, der Beständigkeit dieser Aktionen über einen unbefristeten Zeitraum, dem Ausmaß der verfügbaren finanziellen Mittel durch gemeinsame Anstrengungen und der politischen Macht, die nur mit vereinten Kräften und nationalen Organisationen erreicht werden kann“ (24).

Die konkreten Ziele, die Powell nennt, sind: die Universitäten, die Schulen, das Fernsehen, andere Medien wie Radio und Presse, akademische Veröffentlichungen, Bücher, Zeitschriften, Werbung, die „politische Arena“, die Gerichte sowie Aktionäre. Über all diese Kanäle soll mittelfristig das „oberflächliche, voreingenommene und unfaire“ Bild von der Wirtschaft zurechtgerückt werden. Dabei müsse jedoch mit äußerster Vorsicht vorgegangen werden:

„Wenige Dinge sind den Amerikanern heiliger als die akademische Freiheit. Es wäre fatal, dieses Prinzip zu verletzen. Aber wenn die akademische Freiheit, ihre Qualitäten der ‚Offenheit‘, ‚Fairness‘ und ‚Balance‘, die essenziell für ihre intellektuelle Bedeutung sind, behalten soll, gibt es einen großen Spielraum für konstruktive Aktionen. Solche Aktionen müssen darauf abzielen, diese genannten Qualitäten im akademischen Bereich wiederherzustellen“ (24).

Das sei nur fair, schließlich hätten in der Vergangenheit auch Bürgerrechtsbewegungen und Gewerkschaften einen großen Einfluss auf den Inhalt von Lehrmaterial an den Schulen und Universitäten genommen. Ein besonderer Fokus müsse dabei auf den Lehrbüchern aus der Wirtschaft, den Politikwissenschaften und der Soziologie liegen, welche in einem fortlaufenden Prozess überarbeitet werden sollten.

„In einer demokratischen Gesellschaft kann dies ein konstruktiver Prozess sein und sollte als Förderung für wahre akademische Freiheit, und nicht als ein Eingriff in diese, verstanden werden. Wenn die Autoren, Verleger und Benutzer von Lehrbüchern erst einmal wissen, dass sie unter der ehrlichen, fairen und gründlichen Kontrolle von bedeutenden Wissenschaftlern stehen. Und zwar Wissenschaftler, die an das amerikanische System glauben, ist zu erwarten, dass eine vernünftige Balance wiederhergestellt werden kann “ (24).

In weniger blumigen Worten ist hier die Rede von „Flak“. Flak beschreibt den gezielten Angriff auf geäußerte oder geschriebene Positionen in den Medien oder anderswo, durch Briefe, Anrufe, Verleumdungsklagen, Drohungen und Beschwerden. Die Kabarettisten von Die Anstalt, die von Josef Joffe und Jochen Bittner von der Wochenzeitung Die Zeit verklagt wurden, wissen, wovon ich rede (26).

Auch die Reputation steht auf dem Spiel. Der Begriff ist in erster Linie auf Medien gemünzt, aber findet auch hier exzellente Anwendung. „Die Fähigkeit, Flak zu produzieren, besonders solches das (für den Adressaten, Anmerkung des Autors) teuer und bedrohlich ist“, ist Noam Chomsky zufolge, „eng mit Macht verknüpft“ (27). Es existieren zahlreiche Organisationen, deren einzige Aufgabe darin besteht, die Quellen unbequemer Positionen und Stellungnahmen mit kostspieligen und langwierigen Klagen zu überziehen. Das dafür nötige Kapital stammt in der Regel von Unternehmen.

Daneben fielen Powell auch noch eine Fülle anderer Maßnahmen zur „Verbesserung der akademischen Freiheit“ ein, die ich hier nicht alle wiedergeben kann. Eine Priorität müsse jedoch darauf liegen, das Gleichgewicht in Personalfragen wiederherzustellen, also Schulen und Universitäten mit systemkonformen Leuten zu füllen. Da hört es aber nicht auf:

„Langfristig wird es entscheidend sein, die Schulen und Universitäten zu erreichen. Kurzfristig ist zunächst einmal das Erreichen der Öffentlichkeit wichtig. Der erste Schritt muss sein, einen Mitarbeiterstab mit bedeutenden Wissenschaftlern, Autoren und Referenten aufzubauen, die denken, schreiben, sprechen und die Analyse durchführen. Genauso wichtig wird es sein, Leute zu beschäftigen, die sich hervorragend mit den Medien und der Öffentlichkeitsarbeit auskennen“ (24).

Offensichtliche Aufgaben, die dann anstünden, seien folgende:

„Die nationalen Fernsehsender sollten, ebenso wie Lehrbücher, einer konstanten Kontrolle und Überwachung unterliegen. Dies gilt nicht nur für sogenannte Bildungsprogramme wie ‚Selling of the Pentagon‘(kritische Dokumentarreihe, Anmerkung des Autors), sondern gerade auch für die tägliche ‚Nachrichtenanalyse‘, die häufig die heimtückischste Kritik am System des freien Marktes übt. (…) Um effektiv zu sein, muss diese Kontrolle regelmäßig die Texte von angemessenen Beispielen überprüfen. Beschwerden gegenüber den Medien und der ‚Federal Communications Commission‘ (Das sind die mit dem Piepton, Anmerkung des Autors) sollten prompt und mit Nachdruck erfolgen, wenn Sendungen unfair oder ungenau sind. (…) Anstrengungen sollten unternommen werden, damit die Sendungen, die eine Plattform bieten (The Today Show, Meet the Press, et cetera), den Unterstützern des amerikanischen Systems mindestens genauso viel Zeit überlassen, wie denen die es attackieren“ (24).

Dasselbe gelte für Radio und die Presse. Wichtig sei auch das Publizieren:

„Der Schlüssel für den Erfolg des liberalen und linken Lehrkörpers war ihre Leidenschaft für die Publikation und das Dozieren. Wir brauchen dieselbe Leidenschaft aufseiten unserer Akademiker. Wir müssen Anreize schaffen, um mehr unabhängige Akademiker, die an das System glauben, zum ‚publizieren‘ zu bewegen. Wir brauchen einen regelmäßigen Fluss an akademischen Artikeln, die über ein breites Spektrum von Magazinen und Zeitschriften verbreitet werden können. Von den zugänglicheren Zeitschriften (Life, Look, Reader’s Digest, et cetera) zu den intellektuelleren (Atlantic, Harper’s, Saturday Review, New York, et cetera) sowie diversen berufsbezogenen Publikationen“.

Ohnehin gäbe es noch viel Luft nach oben. Die Buchhandlungen und Kioske an Flughäfen und sonstwo, seien „gefüllt mit Taschenbüchern und Pamphleten, die alles von Revolution bis erotischer freier Liebe anpreisen. Man findet fast keine ansprechenden, gut geschriebenen Taschenbücher oder Pamphlete von ‚unserer Seite‘“. Solange keine, der Situation angemessenen, Anstrengungen unternommen würden, sei diese „Möglichkeit, die Öffentlichkeit zu erziehen (im Original: educate), unwiederbringlich verloren“ (24).

Eine weitere gute Idee sei es:

„Einen Teil der Hunderte von Millionen von Dollar, die die Industrie jedes Jahr für Werbung ausgibt“, für „anhaltende, bedeutende Bemühungen einzusetzen, um die amerikanische Bevölkerung zu informieren und aufzuklären. Wenn die Industrie nur jährlich zehn Prozent ihres Werbebudgets diesem Zweck widmen würde, wäre dies bereits ein Staatsmännischer Kraftakt“ (24).

Die Wirtschaft sei zu lange der „Prügelknabe“ der Politiker gewesen:

„Es ist noch immer Teil der marxistischen Doktrin, dass die ‚kapitalistischen‘ Länder alle vom big business kontrolliert werden. (…) Dabei weiß jeder Industrieführer, dass wenige Elemente der amerikanischen Gesellschaft so wenig Einfluss besitzen wie der amerikanische Geschäftsmann, das Unternehmen oder die Millionen von Aktionären. (…) Es ist nicht übertrieben, wenn man feststellt, dass in Bezug des politischen Einflusses auf Gesetzgebung und Regierungsentscheidungen die amerikanischen Wirtschaftsführer wahrhaftig der ‚vergessene Mann‘ sind“. Besonders offensichtlich werde diese „fast schon Verachtung“ gegenüber den Nöten der Wirtschaft, wenn es darum gehe, „alles zu unterstützen, was auch nur entfernt mit ‚Konsumerismus‘ oder der ‚Umwelt‘ zu tun hat“ (24).

Und weiter:

„Die vorgeschlagenen Bildungsprogramme sind dazu gedacht, die Öffentlichkeit aufzuklären. Nicht so sehr über den Geschäftsmann an sich und die Rolle, die er spielt, sondern vielmehr über das System, das er verwaltet und das die Waren, Dienstleistungen und Arbeitsplätze bereitstellt, von denen unser Land abhängig ist. Das sollte aber kein Vernachlässigen der direkten politischen Aktion bedeuten, während man den Wandel in der öffentlichen Meinung durch Bildung und Information abwartet. Die Wirtschaft muss die Lektion lernen, die die Gewerkschaften und andere Interessengruppen bereits vor langer Zeit gelernt haben: die Lektion, dass politische Macht notwendig ist, dass sie beharrlich gepflegt werden muss und dass sie, wenn nötig, aggressiv und mit Entschlossenheit eingesetzt werden muss, und zwar ohne die Scham und Zurückhaltung, die bisher so charakteristisch für die amerikanische Wirtschaft waren“ (24).

Abschließend klagt Powell noch über die „liegengelassenen Chancen in den Gerichtssälen“ (als zukünftiger Richter des Obersten Gerichtshofs, Anmerkung des Autors) und die ungenutzte Macht der Aktionäre, die ja, trotz häufig eher bescheidenem Hintergrund, die „wahren Besitzer, Unternehmer und Kapitalisten“ seien. Schließlich sei es ja deren Kapital, welches diejenige Wirtschaft antreibt, die den „höchsten Lebensstandard aller Zeiten“ geschaffen hat. Man könne doch sicherlich eine nationale Organisation für Aktionäre schaffen, die „genügend Muskeln hätte, um Einfluss nehmen zu können“ (24).

Fast poetisch wird es, wenn Powell schreibt:

„Es ist nun an der Zeit für die amerikanische Wirtschaft, die bewiesen hat, dass sie wie keine andere in der Lage ist, Konsumentscheidungen zu erschaffen und zu beeinflussen, ihr großes Talent energisch dem Erhalt dieses Systems zu widmen“ (24).

Die Gefahren der Elitenherrschaft

Wer sich je die Frage gestellt hat, warum man mit Systemkritik häufig auf massiven Widerstand stößt, sieht nach der Lektüre dieses Memorandums möglicherweise etwas klarer. Mit fast einem halben Jahrhundert Abstand kann man — glaube ich — festhalten, dass dieser Aufruf zur Mobilmachung nicht auf taube Ohren gestoßen ist.

John Jay, einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, wusste auch ohne Trilaterale Kommission, was es zu tun gilt: „Diejenigen, denen das Land gehört, sollten es auch regieren“. Zu diesem Zwecke hat sogar die Wirtschaft ihre „charakteristische Scham und Zurückhaltung“ (24) abgelegt und verkauft uns neben Shampoo jetzt also auch das System des freien Marktes. Was sich in den USA bewährt hat, wird dann anderswo — auch in Deutschland — umgesetzt. Der ehemalige The Guardian-Journalist Jonathan Cook hat die Folgen einmal so zusammengefasst:

„Wir können uns keine andere Welt, kein anderes Wirtschaftssystem und keine andere Medienlandschaft mehr vorstellen. Unser intellektueller Horizont wird von den Medienkonglomeraten beschnitten, die unsere Zeitungen und unsere Fernseh- und Radiosender kontrollieren, die bestimmen, welche Filme wir schauen, welche Videospiele wir spielen und welche Musik wir hören. Unsere Fantasie ist derart begrenzt, dass wir die engen Mauern, zwischen denen unser Geist wandeln darf, noch nicht einmal sehen“.

Ich liefere hier keine empirischen Beweise dafür, dass Samuel Huntingtons Beobachtungen akkurat und seine Politikempfehlungen eins zu eins umgesetzt wurden. Oder dafür, dass Lewis Powells „Ruf zu den Waffen“ Anklang gefunden hat. Aber es soll sich jeder selbst ein Bild machen von der Welt, in der wir leben, und anschließend das hier Gelesene zum Mosaik seines Wissens hinzufügen.

Unsere Demokratie endet, wo die Interessen der Eliten anfangen. Um den Anschein der Demokratie aufrechtzuerhalten, werden wir aber dahingehend manipuliert, dass wir glauben, dass deren und unsere Interessen die gleichen seien. Was sie definitiv nicht sind! Alle anderen Gründe einmal beiseite, hat allein der Klimawandel das Potenzial, unsere Art — und viele andere — auszulöschen. Und jetzt soll mir keiner mit Paris und den dort gemachten unverbindlichen Absichtsbekundungen kommen. Wir sitzen in einem goldenen Käfig und begreifen nicht, dass wir den angemessenen Anteil an den Entscheidungen, die unser Leben betreffen, längst verloren haben.

Denn das wird erst sichtbar, wenn man sich den Eliteninteressen aktiv entgegenstellt. Wenn man mit den Entscheidungen im Großen und Ganzen einverstanden ist, wähnt man sein Mitbestimmungsrecht gewahrt. Ich habe geschrieben, dass die Denkweise der Eliten in Bezug auf die Regierbarkeit einer Demokratie einer gewissen Logik nicht entbehrt. Der demokratische Entscheidungsfindungsprozess ist langwierig, besonders in der direkten Konkurrenz zu autoritären Regierungsformen. Wollte man mit diesen autoritären Regierungsformen mithalten und konkurrieren — eine eigenwillige Art zu denken — bräuchte man einen Benevolent Dictator, also etwa einen wohlmeinenden König oder Herrscher, der unkorrumpierbar und kompetent einzig und allein zum Wohle des Volkes durchregiert und keine eigenen Vorteile aus seiner Herrschaft zieht. Leider könnte dieses theoretische Wunschgebilde nicht weiter von der Realität entfernt sein und lässt weitere Fragen darüber offen, ob dies ein anzustrebendes System wäre. Stattdessen wird unsere Welt von Geistesgestörten gelenkt. Diese gewagte Aussage möchte ich gerne näher begründen:

Psychopathie bezeichnet eine schwere Persönlichkeitsstörung, die bei den Betroffenen mit dem weitgehenden oder völligen Fehlen von Empathie, sozialer Verantwortung und Gewissen einhergeht. Psychopathen sind auf den ersten Blick mitunter charmant, sie verstehen es, oberflächliche Beziehungen herzustellen. Dabei können sie sehr manipulativ sein, um ihre Ziele zu erreichen“.

Wie oft haben wir schon gehört, dass Firmen sich an geltende Gesetze hielten, als sie Tausende von Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubten, beim Bau eines weiteren Staudamms oder noch einer Kohlemine. Recht auf Arbeit, auch für Kinder! Währenddessen schreitet die Kommerzialisierung und Ausbeutung aller Aspekte unseres Lebens munter voran. Dabei merken wir gar nicht, wie uns tagtäglich eingeflüstert wird, dass unsere Gefühle, wie Mitleid, Menschlichkeit und Solidarität, Zeichen von Schwäche sind. Der Sozialpsychologe Harald Welzer stellt fest, wie sich der Referenzrahmen der Wahrnehmung und die Deutung von Ereignissen und Situationen oft erstaunlich schnell verändern:

„Alle halten sich auch dann noch für moralisch integer, wenn sie schon längst der Gegenmenschlichkeit zustimmen. Wir nennen das ‚shifting baselines‘, die unbemerkte Verschiebung der normativen Maßstäbe, die man an die Geschehnisse anlegt“.

Ich würde unserer globalen Weltwirtschaft weder Empathie noch soziale Verantwortung noch ein Gewissen bescheinigen. Jean Ziegler, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, stellt dazu fest: „Der deutsche Faschismus brauchte sechs Kriegsjahre, um 56 Millionen Menschen umzubringen — die neoliberale Wirtschaftsordnung schafft das locker in gut einem Jahr“. Das Praktische ist jedoch, dass alle daran Beteiligten die Schuld immer weit von sich und stattdessen auf die Bedürfnisse des Marktes schieben. Jeder ist für sich genommen nur ein kleines Rädchen im großen Uhrwerk und verweist stets auf die nächsthöhere Ebene. Und hinterher will es wieder keiner gewesen sein …

Ein derart abstraktes, schwer zu greifendes System, welches den Einzelnen von individueller Schuld und Verantwortung befreit, wird kein gutes Ende nehmen. Hinzu kommt, dass viele dieser Individuen, wenn es knallt mit einem goldenen Fallschirm in ihre gut bewachten gated communities abspringen und sich hinter dicken Mauern vor dem Krieg, der Dürre und den menschlichen Tragödien, die sich außerhalb davon abspielen, abschirmen. Naomi Klein beschreibt hierzu anschaulich die Situation in der „Green Zone“ , also der Hochsicherheitszone in Bagdad, nach der US Invasion 2003:

„Die Enklave hat ihr eigenes Stromnetz, ihr eigenes Telefon- und Abwassersystem, ihren eigenen Ölvorrat und ihr eigenes hochmodernes Krankenhaus mit makellosen Operationssälen — alles geschützt durch fünf Meter dicke Mauern. Es fühlt sich an wie ein gigantisches, befestigtes Karneval-Kreuzfahrtschiff, das inmitten eines Sees aus Gewalt und Verzweiflung — der Red Zone, zu der der Irak geworden ist — vor Anker liegt. Schafft man es an Bord, gibt es Getränke am Pool, schlechte Hollywood-Filme und Fitnessstudios. Ist man nicht unter den Auserwählten, kann man erschossen werden, weil man zu dicht bei der Mauer steht“ (28).

Wir sitzen eben — um bei dieser Metapher zu bleiben — nicht alle im selben Boot.

In vielen systemkritischen Diskussionen, die ich führe, kommt früher oder später die Frage auf, was denn die Alternative sein soll? Obwohl ich der Ansicht bin, dass es einen schier unendlichen Fundus an alternativen Ideen gibt, ist dieser Essay nicht der richtige Ort, um sie zu diskutieren. Als kleinsten gemeinsamen Nenner könnte man sich jedoch vielleicht darauf einigen, dass jeder Mensch einen angemessen Anteil an den sein Leben betreffenden Entscheidungen haben sollte und das System den Planeten, auf dem wir leben, nicht unbewohnbar macht.

Stattdessen möchte ich die Frage gerne umdrehen: Was ist die Alternative zur Alternative? Was bedeutet nichts tun und zusehen? Was wird geschehen, wenn wir unsere Eliten weiterhin schalten und walten lassen, immer auf der Suche nach neuen Märkten, nach noch mehr Wachstum, umzingelt von immer neuen — imaginären — Feinden. „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen“ (29). Am sichtbarsten wird dies anhand des sogenannten Militärisch-industriellen Komplexes. Geprägt wurde dieser Ausdruck von einem, der es wissen muss. Dwight D. Eisenhower, Generalstabschef der Armee und während des Zweiten Weltkriegs Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte, schließlich, von 1953 bis 1961, Präsident der Vereinigten Staaten. In seiner Abschiedsrede 1961 warnte er eindringlich vor den schädlichen Einflüssen einer immer mächtiger werdenden Rüstungsindustrie, die vom Krieg lebt und diesen daher aktiv fördert und herbeizuführen sucht. Krieg ist profitabel, besonders in Zeiten, in denen die Wirtschaft stagniert.

Selbst Samuel Huntington war dieser inhärente Konflikt der Elitenherrschaft bewusst, auch wenn er der Ansicht war, dass er zu kontrollieren sei. So zitiert er einen der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, James Madison:

„Beim Entwerfen einer Regierung des Menschen über den Menschen liegt die große Schwierigkeit zunächst darin, der Regierung zu ermöglichen, die Regierten zu kontrollieren; um sie anschließend zu verpflichten, sich selbst zu kontrollieren“ (30).

Leider ist Mäßigung unserer Eliten Sache nicht. Die Refeudalisierung ist in vollem Gange. Gleiches gilt für den Klimawandel. Die weltweite Totalüberwachung wird in rasantem Tempo ausgeweitet. Das Bargeld und damit unsere Möglichkeit, den Banken ein Schnippchen zu schlagen, wird sukzessive abgeschafft. Jede Geheimdienstaffäre führt nur zu einer Aufstockung des Budgets, erweiterten Kompetenzen und einer Legalisierung zuvor illegaler Praktiken. Wir rüsten immer mehr auf. Von deutschem Boden werden unschuldige Menschen mit amerikanischen Drohnen heimtückisch ermordet. Europa schottet sich ab und bewaffnet die nordafrikanischen Militärdiktaturen, die uns anschließend die Flüchtlinge vom Hals halten sollen, die den Konsequenzen des Klimawandels zu entfliehen versuchen, den wir nicht willens sind aufzuhalten.

Freihandelsabkommen werden in unserem Namen verhandelt, die unser Essen vergiften, zu einer Privatisierungswelle führen und die Macht der Konzerne noch zusätzlich stärken sollen. Jedes Jahr kommen neue Gesetze hinzu, die den Widerstand dagegen erschweren, die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit einschränken und viele Formen des sozialen Widerstands kriminalisieren. Wer das in Deutschland so noch nicht wahrnimmt, möge den Blick auf den „Branchenprimus“ USA richten. Dort herrscht vielerorts bereits eine Art Bürgerkrieg zwischen marginalisierten Gruppen und einer hochmilitarisierten Polizei, die mit stetig wachsenden Kompetenzen ausgestattet ist.

Die Staatsgewalt, bestehend aus Polizei und Geheimdiensten, ist von Natur aus darauf getrimmt, den Status quo zu bewahren. Auch das passiert nicht zwingend aus böser Absicht. Es ist einfach Teil der Einstellung und Ideologie. Viele der Menschen, die dort arbeiten, wähnen sich auf der richtigen Seite der Geschichte. Patriotismus und Staatsgläubigkeit, gepaart mit sorgfältig geschaffenen Feindbildern, hinterlassen Spuren. Soziale Veränderung wird von staatlicher Seite immer bekämpft. Das war bei den Suffragetten so, die für das Frauenwahlrecht eingetreten sind, bei der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in Amerika und ebenso bei der 68er-Bewegung. Aus Sicht der Eliten — und ich hoffe inständig, dass dies in diesem Essay herauskommt — gilt es, diese Art der Veränderung und Mitbestimmung langfristig und systematisch zu bekämpfen, mit dem Endziel, sie gänzlich zu verhindern.

Wollen wir etwas dagegen tun, müssen wir auf der Hut sein. Die geistigen Kinder Powells haben dazugelernt. Im selben Atemzug finanzieren und kastrieren sie die Organisationen, die für uns kämpfen wollen. Sie erkaufen sich ein Mitspracherecht an den Botschaften, die bei unseren Demonstrationen verbreitet werden und diskreditieren uns in unseren privaten und gebührenfinanzierten Medien. „Astroturfing“ — also das Vortäuschen einer spontanen Graswurzelbewegung mit zentraler Steuerung — hat das Potenzial, wenn es nicht rechtzeitig erkannt wird, noch jeder Bewegung das Genick zu brechen oder sie fehlzuleiten.

Der Schriftsteller Frank Schätzing hat einen seiner Protagonisten, mit Blick auf die Digitalisierung und das Internetzeitalter, einmal prophetisch sagen lassen:

„Die Zukunft wird die Grenze zwischen Realität und Virtualität auflösen, die Medien werden den Zeitbegriff verändern und eine neue Qualität von wahr und unwahr schaffen. (…) Wir werden lernen müssen, damit umzugehen. Aber dafür ist es unerlässlich, ein paar Dinge zu begreifen. Heute besteht die Kunst nicht mehr darin, an Informationen zu gelangen, sondern sich ihr zu entziehen. Den Lauf der Welt wird nicht bestimmen, wer das meiste, sondern wer das richtige weiß. Wenn wir das nicht beherzigen, werden wir verlieren“ (31).

Auch ein Recep Tayyip Erdoğan weiß: „Die Demokratie ist nur ein Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind“. An den Schaltknüppeln unserer Lok sitzt ein Haufen Psychopathen und hält auf einen Abgrund zu. Die Frage ist, ob wir es rechtzeitig schaffen werden, den Kurs zu ändern. Ein Anfang ist gemacht, wenn wir nicht länger an den Lippen derer hängen, die uns glauben machen wollen, dass Darth Vader und das Imperium in Wahrheit die Guten sind.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Michel Crozier, Samuel Huntington, Joji Watanuki: „The Crisis of Democracy - Report on the Governability of Democracies to the Trilateral Commission“, New York University Press, 1973, Seite 61.
(2) Ebenda, Seite 75.
(3) Ebenda, Seite 70.
(4) Ebenda, Seite 76.
(5) Ebenda, Seite 89.
(6) Ebenda, Seite 93.
(7) Ebenda, Seite 92.
(8) Ebenda, Seite 98.
(9) Ebenda, Seite 113.
(10) Ebenda, Seite 107.
(11) Ebenda, Seite 99.
(12) Die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Presse, beziehungsweise deren Nichtexistenz ist zu großen Teilen verantwortlich für das Versagen unserer Medien als wirksame Kontrollinstanz und politischem Antagonisten. Ed Herman und Noam Chomskys „Manufacturing Consent“ ist hier als Standardwerk sehr zu empfehlen.
(13) Samuel Huntington, „The Crisis of Democracy“, Seiten 108 und folgende, mit Zitaten von Yankelovich.
(14) Daniel Yankelovich : „Changing Youth Values in the 70’s: A study of American youth“, New York, 1974, Seite 9, zitiert von Huntington.
(15) Samuel Huntington, „The Crisis of Democracy“, Seite 110.
(16) Ebenda, Seiten 110 und folgende mit Daten von Sidney Verba und Norman H. Nie.
(17) Sidney Verba, Norman H. Nie: „Participation in America. Political Democracy and Social Equality“, University of Chicago Press 1987, Seiten 251 bis 259, paraphrasiert von Huntington.
(18) Samuel Huntington, „The Crisis of Democracy“, Seite 111.
(19) Ebenda, Seiten 84 und folgende.
(20) Ebenda, Seite 105.
(21) Ebenda, Seite 106.
(22) Ebenda, Seite 114.
(23) Ebenda, Seite 115.
(24) Das „Powell Memorandum” von Lewis Powell enthält keine Seitenangaben.
(25) Thomas Piketty, „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, Harvard University Press,2013.
(26) Ein gutes Beispiel ist die Klage von Josef Joffe und Jochen Bittner von „Die Zeit“ gegen die Kabarettisten der Anstalt: https://www.heise.de/tp/news/Realsatiriker-Josef-Joffe-und-Jochen-Bittner-scheitern-auch-am-BGH-3592877.html . Wenn die Anstalt sich dabei nicht auf die Rückendeckung des ZDF hätte verlassen können, wäre die Sache vielleicht anders ausgegangen.
(27) Edward S. Herman und Noam Chomsky, „Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media“, Pantheon Books, 2002, Seite 26.
(28) Naomi Klein: „Disaster Capitalism“, Harper’s Magazine/Oktober 2007.
(29) Jean Jaurés, 1859 bis 1914.
(30) Samuel Huntington, „The Crisis of Democracy“, Seite 63.
(31) Frank Schätzing, „Die Dunkle Seite“, Emons, 2007.


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