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Die drei Säulen

Die drei Säulen

Aus den negativen Erscheinungen des Kapitalismus — Betrug, Ungerechtigkeit und Zerstörung — kann man rückschließen, wie eine lebenswerte Zukunft aussehen muß.

Nach meiner Auffassung ist es möglich, sämtliche Übel des Kapitalismus unter drei Sammelbegriffen zusammenzufassen: Betrug, Ungerechtigkeit und Zerstörung. Über die Methodik, die mich zu diesen drei spezifischen Begriffen geführt haben, berichte ich später.

Zunächst werde ich diese drei Übel nun kurz beschreiben.

Was ist mit Betrug gemeint?

Ich behaupte, dass Kapitalismus nur durch Betrug funktionieren kann. Kinder lernen schon früh durch Werbung, dass Betrug gesellschaftlich nicht nur geduldet, sondern gefördert wird und dass sich in der heutigen Gesellschaft Ehrlichkeit nicht lohnt.

Es wird gelogen, um Gegenstände zu verkaufen und das Image von Personen zu vermarkten, um soziale Missstände zu vertuschen, um Kriege zu schüren.

Da die kapitalistische Gesellschaftsordnung im Grunde auf dem darwinistischen Modell beruht, nämlich dem Überleben des Stärkeren, muss jedes Mitglied einer solchen Gesellschaft — sprich jeder Mensch — alle Mittel anwenden, darunter auch geduldete Täuschung, um sein eigenes Überleben zu gewährleisten.

Unter dem Begriff Betrug wird nicht nur das reine Lügen, sondern auch das Vorenthalten von Informationen, vorsätzliche Über- oder Untertreibungen und andere Formen der Täuschung erfasst. Geheimniskrämerei in der Wirtschaft und der Politik sind auch eine Art des Betrugs, nämlich das Vorenthalten von Informationen, um eine falsche Darstellung der Realität zu fördern. Das pauschale Schlagwort „Lügenpresse“ fasst das Vorgenannte zu kurz. Man sollte eher von einer „Lügengesellschaft“ sprechen. Denn Lügen und Täuschung gehören heute zur Praxis aller gesellschaftlichen Institutionen — darunter Politik, Medien, Justiz, Kirche und akademisches Umfeld.

Was ist mit Ungerechtigkeit gemeint?

Mit Ungerechtigkeit ist nicht nur die perverse Einkommens- und Vermögenskluft zwischen den Superreichen und der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung gemeint, sondern auch die Korruption der Justiz im Inneren und eine ungerechte internationale politische und wirtschaftliche Ordnung. Auch Kriegsführung sollte dem Begriff der Ungerechtigkeit zugeordnet werden, denn unschuldige Menschen zu töten oder ihren Besitz zu zerstören, ist ja selbstverständlich ungerecht.

Das Streben nach Frieden ist aber kein Grundwert, sondern wird vom Grundwert Gerechtigkeit abgeleitet. Zu diesem Schluss kam vor vielen Jahren schon der Prophet Jesaja, als er sprach: „Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein“ (Jesaja, 32:17). Frieden bietet keine Gewähr für Gerechtigkeit, denn der friedlichste Ort auf Erden ist der Friedhof!

Unterdrücker und Ausbeuter lieben gesellschaftlichen Frieden, weil er den sozialen Status quo aufrechterhält, während Unterdrückte und Ausgebeutete die Gerechtigkeit dem Frieden vorziehen, auch wenn der Frieden vorübergehend verletzt wird.

Was ist mit Zerstörung gemeint?

Mit Zerstörung ist nicht nur die materielle Zerstörung durch Kriege oder die geplante (Produkt-)Obsoleszenz gemeint, sondern auch die schleichende Zerstörung der Natur, des kulturellen Erbes der Völker, der menschlichen Fertigkeiten und Beziehungen sowie der Gesundheit. Zwischen Kapitalismus und Zerstörung besteht ein kausaler Zusammenhang: Kleine Betriebe werden im sogenannten freien Wettbewerb von mächtigen Konzernen aufgekauft — damit werden Arbeitsplätze und eine menschenwürdige Existenz zerstört, die aufgezwungene Globalisierung führt zu Massenmigration und damit zu Verwüstungen von sozialen Ökosystemen, menschliche Fertigkeiten, die ihnen eine erhebliche Autonomie ermöglichen, werden durch kommerzielle Produkte ersetzt.

Warum ist der Kampf gegen die Übel des Kapitalismus wirkungslos?

Tausende Vereinigungen und Gruppierungen kämpfen heute gegen die Übel der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Für deren Zersplitterung und Wirkungslosigkeit mache ich zuerst einmal die begriffliche Verwirrung verantwortlich. So versteht sich die traditionelle Friedensbewegung, um nur ein Beispiel zu nennen, nicht als Teil des Kampfes für Gerechtigkeit, obwohl Krieg die übelste Ungerechtigkeit überhaupt ist. Der Begriff Ungerechtigkeit könnte eigentlich als gemeinsamer Nenner für die Friedensbewegung und die Kämpfer für soziale Rechte dienen und damit ihre gesellschaftliche Potenz stärken. Es gibt nur eine Gesellschaftsgruppe, die zum Thema Gerechtigkeit nicht angesprochen werden kann: Jene Menschen, die durch Gerechtigkeit ihre Macht verlieren würden.

Der zweite Grund des wirkungslosen Kampfes gegen den Kapitalismus ist — aus meiner Sicht — das Fehlen einer positiven Zukunftsvision.

Zwar wird hier und da über eine Zukunftsgesellschaft diskutiert. Oft bleiben die Debatten aber in einem zu engen Pragmatismus stecken. Ihnen fehlen weitgehend ethische Grundlagen, die das Suchen nach Zukunftsmodellen leiten. In Deutschland ist der Fokus der öffentlichen Debatte größtenteils auf das Ringen um ein Verhältnis zur DDR gerichtet. Politische oder wirtschaftliche Effizienz — gemessen in Produktivität oder Nationaleinkommen — garantiert nicht die Einhaltung grundsätzlicher ethischer Werte. Diskussionen über Zentralisation beziehungsweise Dezentralisation der Produktion oder der Institutionen sind verfrüht, wenn sie nicht auf einem ethischen Konsens beruhen.

Ich empfehle nun, Gegensätze aus den drei Hauptübeln des Kapitalismus herauszuarbeiten. Stichwortartig fasse ich diese als drei ethische Grundbegriffe zusammen: Wahrheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Diese sollten eine zukünftige postkapitalistische Gesellschaftsordnung prägen.

Was ist unter dem Begriff „Wahrheit“ zu verstehen?

Der Begriff Wahrheit soll hier nicht philosophisch, sondern sozial-politisch verstanden werden.

Erstens sollen alle Personen, die eine gesellschaftliche Verantwortung tragen, ob in der Politik, der Verwaltung, der Wirtschaft, der Justiz oder den Medien, zur Wahrheitsfindung und der Wahrheitseinhaltung gesetzlich verpflichtet werden. Eine vorsätzliche Täuschung der Öffentlichkeit seitens Verantwortungsträger sollte nicht geduldet werden.

Zweitens soll eine weitgehende Transparenz des öffentlichen Lebens gewährleistet sein. Der Bürger sollte das Recht genießen, grundsätzlich in alle Akten des gesellschaftlichen Lebens Einsicht zu erhalten. Ausnahmen von dem Grundsatz der Transparenz — zum Beispiel zum Schutz der Privatsphäre oder der öffentlichen Sicherheit — müssen demokratisch legitimiert werden und dürften nicht willkürlich als Behinderung des Zugangs an Informationen herangezogen werden, wie es heute mehrheitlich der Fall ist.

Was ist mit Gerechtigkeit gemeint?

Mit Gerechtigkeit ist nicht nur soziale Gerechtigkeit gemeint, zum Beispiel in Bezug auf Einkünfte und Vermögen, Arbeit, Wohnung, Sozialversicherung und dergleichen, sondern sämtliche Menschenrechte, darunter das Recht auf Privatsphäre und persönliche Autonomie, das Recht auf eine faire Justiz und Rechte, die noch zu erkämpfen sind. Anzumerken ist, dass Gerechtigkeit historisch nicht für alle Ewigkeit definiert ist. Was gerecht ist, mag sich je nach Entwicklungsgrad der Gesellschaft ändern.

Darüber hinaus ist eine absolute Gerechtigkeit — schon wegen der normalen Unterschiede zwischen den Menschen hinsichtlich körperlicher Konstitution, Alters, Geschlechts, Anlage, Erziehung, Bedürfnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und so weiter — nicht möglich. Rechte der einen müssen oft mit den Rechten der anderen abgewogen werden. Der Grundsatz der Gerechtigkeit ist dennoch ein Leitfaden, der politische, wirtschaftliche und rechtliche Entscheidungen immer begleiten und prägen sollte. Entscheidungsträger sollten daher verpflichtet sein, die Folgen ihrer Entscheidungen auf der Grundlage der Gerechtigkeit zu prüfen.

Was ist mit Nachhaltigkeit gemeint?

Der Begriff Nachhaltigkeit soll umfassend verstanden werden. Damit ist nicht nur ein nachhaltiger Naturschutz gemeint, sondern auch der Respekt gegenüber der Vielfalt der Kulturen und Sprachen, der Pflege der menschlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, der Förderung des gesunden Lebens und der Fürsorge für zukünftige Generationen.

Wie könnte man sich die Umsetzung der ethischen Grundsätze in der Praxis vorstellen?

Ich möchte hier nur stichwortartig einige Beispiele als Anregung nennen:

Man könnte sich vorstellen, dass wichtige Entscheidungen der Parlamente, Regierungen, Verwaltungen und wirtschaftlicher Instanzen von drei permanenten Ausschüssen — hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts, ihrer Gerechtigkeit und ihrer Nachhaltigkeit — überprüft werden.

Darüber hinaus könnte die Gesetzordnung die Transparenz der Institutionen effektiv gewährleisten, was heute nicht der Fall ist. Journalisten sollten zur Wahrheitstreue verpflichtet sein und ihre Quellen stets angeben müssen. Ungerechte Maßnahmen — wie das Schüren von Krieg und Wirtschaftssanktionen — sollten verboten werden. Und um Gerechtigkeit sicherzustellen, müsste jedenfalls ein Dach über das Maximalvermögen von Privatpersonen gesetzt werden.

Die Vision einer postkapitalistischen Gesellschaft zu entwerfen, ist weder utopisch noch verfrüht. Diese existiert bereits als Negativum in der immer größeren Ablehnung des Kapitalismus. Nun bleibt den Menschen die spannende Aufgabe, diese Vision durch eine kleine Anzahl unumstrittener ethischer Werte aufzubauen.

Eine solche kann die Hoffnung auf eine bessere Zukunft wieder beleben. Die Debatte über die Grundlagen dieser Vision ist hiermit geöffnet.


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