Regeln der Temperatur
Nach der EnSikuMaV darf im Arbeitsraum in einem öffentlichen Nichtwohngebäude die Lufttemperatur für körperlich leichte und überwiegend sitzende Tätigkeit auf höchstens 19 Grad Celsius geheizt werden. So regelt dies § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung. Aber wer regelt nun tatsächlich die Temperatur? In vielen öffentlichen Gebäuden — vor allem in denen der Verwaltung — sind Modernisierungsarbeiten regelmäßig ausgeblieben. Hohe, unterkellerte Räume ohne digitalisierte Heizungsregler sind eher die Regel als die Ausnahme. Diese Räume speichern zuverlässig Kälte und Feuchte. Es bedarf der Hilfe eines Hausmeisters, um die Zimmertemperatur korrekt abzulesen. Eine Unterschreitung der maximal erlaubten 19 Grad ist keine Seltenheit. Und so frieren nun Büromitarbeiter für die Ukraine. Mit dicken Jacken, Stiefeln, Decken, Heizlüfter und Wärmflaschen behelfen sich die Ausgekühlten. Kann das Sinn machen? Ich meine: Nein — und meine damit die Verordnung!
Auf den ersten Blick erscheinen 19 Grad nicht so schlimm. Kann man schon aushalten, möchte man meinen. Und so argumentieren auch die erbarmungslosen Verfechter dieser Maßnahme. Immerhin — so wird rechtfertigt — fröre der Bauarbeiter auf dem zugigen Bau ja auch. Da soll man mal als Bürosachbearbeiter nicht so verweichlicht sein. Aus ärztlicher Sicht muss ich hier allerdings Bedenken anmelden. Die Bürotätigkeit ist keine schwere körperliche Arbeit. Die Tätigkeit erfolgt überwiegend im Sitzen. Der unbewegte Körper kühlt schnell aus. Zwiebellook kann dagegen helfen, das ist richtig. Trotzdem mag sich bei dauerhaften 19 Grad und den dem Winter immanenten, immer tiefer sinkenden Außentemperaturen keine rechte Betriebstemperatur einstellen. Arbeitsgeschwindigkeit und Arbeitsmoral leiden. Auf den Fluren kann man sich auch nicht mehr aufhalten, denn dort darf gemäß der Verordnung nun gar nicht mehr geheizt werden. Welch ein Malheur.
Wärmflaschen, Heizdecken und Heizlüfter
Dass Büromitarbeiter diese Kälte bei der Arbeit nicht so einfach hinnehmen, war vorhersehbar. Schnell zogen neben Thermoskannen auch Wärmflaschen und Heizlüfter, manchmal sogar Heizdecken in das ausgekühlte Büro ein. Es wird durch die 19-Grad-Regel nun Energie beim Heizen eingespart. In Anbetracht der Selbsthilfemaßnahmen wird die Energiesparrechnung allerdings nicht vollends aufgehen.
Das Erhitzen des Wassers für Wärmflaschen und das Betreiben der Heizlüfter benötigt wiederum Strom. Das wurde wohl nicht bedacht. Der Verordnungsgeber glaubte tatsächlich, dass die Büromitarbeiter aus Solidarität widerstandslos vor sich hin frören.
Man hätte hier einmal eine Verordnung zu Ende denken können, diese Chance wurde verpasst. Es bleibt nur zu hoffen, dass es nicht wie in der Pandemie weitergeht. Damals erließ man eine flankierende Bußgeldverordnung, als erkannt wurde, dass sich nicht das ganze Volk an die — aus heutiger Sicht überzogenen — Maßnahmen hielt. Die EnSikuMaV trat zwar bereits am 1. September 2022 in Kraft, allerdings bemerkten viele erst in den letzten Wochen, dass dieses Jahr die niedrige Raumtemperatur nicht mit der Entlüftung der Heizung sein Ende nimmt, sondern verordnet wurde und somit bleibt.
Täglich etwa acht Stunden bei 19 Grad im zugigen Altbau mit alten Fenstern, aus denen der Kitt bereits bröselt, zu sitzen, ist sicher keine Wohltat. Ja, es gibt Neubauten. Ja, es gibt sanierte und renovierte Altbauten. Es gibt jedoch noch sehr viele alte Gebäude, in denen der oben beschriebene Zustand vorherrscht. Und auch dort müssen nun mal Menschen ihrer Arbeit nachgehen. In Deutschland ist so gut wie alles geregelt. Auch der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Doch hier wird dieser vollkommen außen vor gelassen. Bei 19 Grad im Büro, die übrigens sicher nicht immer erreicht werden, weil sowohl Messung als auch Heizungsregler oft versagen, appelliert man an die Solidarität und bringt dies absurderweise mit der Ukraine in Verbindung.
Erkältungswelle durch Kältewelle
Vor Corona und EnSikuMaV war die Winterzeit auch als Erkältungszeit bekannt und akzeptiert. Niemand hätte dem widersprochen. Mit der Pandemie wurde dem Coronavirus plötzlich die Saisonalität abgesprochen — und folglich dem Winter seine Erkältungszeit. Verfechter der Verordnung argumentieren, dass nicht die Kälte zur Krankheit führen würde. Diesem Argument kann mit einem simplen Beispiel der Wind aus den Segeln genommen werden. Der überzeugte Erkältungsleugner solle bitte — lediglich mit Unterhose bekleidet — für 30 Minuten regungslos auf dem winterlichen Balkon verharren. Ein paar Tage später können wir dann das Experiment auswerten. Natürlich braucht man für jeden Infekt einen Erreger. Doch jeder, der nur annähernd mit dem Thema Medizin zu tun hat, weiß, dass wir von Erregern umgeben sind. Anhaltende Kälte ist ein entscheidender Faktor, eine Erkältung zum Ausbruch zu bringen. Catch a cold — eine Erkältung bekommen. Dieser englischsprachige Ausdruck erklärt es sehr gut. Klar: Wer das nicht hören will, der lehnt diese Tatsache ab.
Das Argument, dass Kälte abhärte, vermag wie blanker Hohn in den Ohren derer klingen, die nun von Berufswegen zum Frieren gezwungen werden. Kurz kalt duschen, ein Kneippscher Guss oder Eisbaden können der Gesundheit zuträglich sein. Diese Kältemaßnahmen verkehren sich jedoch ins Gegenteil, wenn der Körper über längere Zeit komplett auskühlt und kühl bleibt.
Was wird nun passieren? Viele Büromitarbeiter werden sich eine Erkältung holen und krank zu Hause bleiben. Einige werden sich womöglich vorsorglich arbeitsunfähig schreiben lassen, weil es ihnen im Büro zu kalt und die eigene Gesundheit zu wichtig ist. Andere wiederum werden erneut Homeoffice bevorzugen. Womöglich wird der Arbeitgeber selbst wieder vermehrt auf Homeoffice zurückgreifen lassen und es gegebenenfalls anordnen. Vor allem dann, wenn es draußen nun noch kälter werden wird. Denn jeder Mitarbeiter, der von zu Hause aus arbeitet, spart Energie in der Arbeit. Und darauf kommt es ja an. Nein. Nicht auf das Einsparen von Energie an sich. Es kommt darauf an, die Verordnung irgendwie zu erfüllen. Egal wie sinnlos das auch sein mag.
Schimmel(inzidenz)welle durch schlecht beheizte Gebäude
Zu guter Letzt sei hier auf eine Folge hingewiesen, die jedem Mieter oder Vermieter bekannt sein dürfte. Die Vermieter haben Sorge, dass der Mieter aus Sparsamkeit nicht genug heizt oder zu wenig lüftet. Der Mieter hat ein Problem, wenn in seinem Heim der Schimmel an den Wänden Einzug gefunden hat. Auch Bürogebäude sind davor nicht gefeit. Und damit meine ich nicht den Amtsschimmel. Dieser ist nicht gesundheitsgefährdend. Gemeint ist der Schimmelpilz. Dieser findet an Wänden und Decken von feuchten und kalten Gebäuden geeignete Lebensbedingungen. Schimmelsporen in der Luft können eingeatmet werden und stellen ein nicht zu unterschätzendes Gesundheitsrisiko dar.
Hier drängt sich nun die Frage auf, wie es um den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz in Deutschland steht? Mit Blick auf die Drangsalierungen, die am Arbeitsplatz während der Pandemie im Namen des Gesundheitsschutzes erfolgten, mag man antworten wollen, dass dieser sehr hoch sei.
Bei Betrachtung der möglichen gesundheitlichen Auswirkungen der EnSikuMaV bleibt man jedoch fassungslos und grübelnd zurück. Auch ob die Verordnung wie geplant am 28. Februar 2023 außer Kraft tritt, bleibt — mit Blick auf die unzählige Male verlängerten Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen — abzuwarten.
Und was ist nun aus den Lüftungskonzepten, die ihrer Grundidee nach sinnvoll sein können, geworden? Regelmäßiger kurzer Luftaustausch, das sogenannte Stoßlüften, ist förderlich für die Raumluft am Arbeitsplatz und der Gesundheit zuträglich. Die Konzentration der Keime — zum Beispiel Viren und Pilzsporen — in der Raumluft sinkt hierdurch und frischer Sauerstoff wird angereichert.
Wer aber wird nun freiwillig eiskalte Luft in einen kaum beheizten Raum hineinlassen?
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