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Die Geschichtsfälschung

Die Geschichtsfälschung

Das Münchner Abkommen besiegelte das Schicksal der Tschechoslowakei und Europas.

Das war ein Jubel am 30. September auf der Straße vor Downing Street Nummer zehn, dem Domizil des britischen Regierungschefs Neville Chamberlain. Der distinguierte Herr des Hauses winkte euphorisch der jubelnden Menge draußen vor der Tür zu, und immer wieder hielt er ein Dokument triumphierend in der Hand.

Bei dem Dokument handelte es sich um das so genannte Münchner Abkommen. Am Tag zuvor hatte Chamberlain zusammen mit Italiens Diktator Benito Mussolini, Frankreichs Regierungschef Edouard Daladier und Deutschlands Führer Adolf Hitler eine Vereinbarung unterschrieben, die es Deutschland erlaubte, binnen zehn Tagen nach Vertragsabschluss das zur Tschechoslowakei gehörende, vornehmlich von Deutschen bewohnte Sudetenland zu besetzen. Sämtliche Staatsorgane der Tschechoslowakei hatten sich innerhalb dieser Frist aus dem Sudetenland zurückzuziehen.

Eine große Heldentat sei diese Übereinkunft gewesen. Chamberlain, der bei dem Münchner Deal die Feder führte, habe die Menschheit vor einem schrecklichen neuen Weltkrieg bewahrt. Denn Hitler wollte Krieg um jeden Preis. Der englische Premier habe sozusagen den Käfig ein bisschen aufgemacht und dem brüllenden Ungeheuer Hitler mit weißen Glacéhandschuhen das tschechoslowakische Lamm zum Fraß hingeworfen, um Schlimmeres zu verhüten. Er habe den Moloch besänftigt. Schlimmstenfalls könne man Chamberlain vorwerfen, mit dieser Appeasement-Politik geglaubt zu haben, nun sei der Hunger der Bestie gestillt.

Das ist die amtliche Erzählung, die uns in der Schule, im Fernsehen, auf Online-Lexika immer wieder wie ein Mantra vorgebetet wird. Doch mangelt es dieser Legende an inhaltlicher und logischer Schlüssigkeit.

Wenn man weiß, dass Hitler einen Krieg in Richtung Osten vorhat, ist es dann etwa logisch, ihm den Weg dorthin auch noch durch die Beseitigung des tschechoslowakischen Schutzwalls auf der Südseite des Erzgebirges wesentlich zu erleichtern? Hitler damit die Eroberung der restlichen Tschechoslowakei zu einem Spaziergang zu machen, und ihm zusätzlich die leichte Gelegenheit zu verschaffen, sich die relativ gut ausgestattete Waffenkammer des kleinen hochmodernen Staates anzueignen? Sich dazu obendrein die modernen Rüstungsfabriken von Skoda einzuverleiben?

Und wie kommen Großbritannien und Frankreich, die mit Argusaugen darauf achteten, dass die demokratische Weimarer Republik sich nicht wieder erholen konnte, dazu, dem Faschisten Hitler sämtliche Verstöße gegen das damals bereits geltende Völkerrecht, wie die Remilitarisierung des Rheinlandes, die Wiedereingliederung des Saarlandes sowie den Anschluss Österreichs, durchgehen zu lassen?

Nun, dazu muss man wissen, dass Italien, Frankreich und Großbritannien mit der frisch an die Macht geputschten Hitler-Diktatur bereits am 15. Juli 1933 den so genannten „Viererpakt“ abgeschlossen hatten. Es handelte sich also 1938 um jenes Quartett der damals in Westeuropa tonangebenden Mächte, das sich hier über die Tschechoslowakei hermachte.

Dieser kollektiv von allen vier Paktstaaten verübte Bruch des Völkerrechts ermutigte dann Polen und nachfolgend Ungarn, sich ihrerseits Teile aus der niedergestreckten Tschechoslowakei herauszuschneiden. Schließlich wurde noch die Slowakei von Rest-Tschechien abgetrennt und in einen Satellitenstaat der Nazis umgewandelt. Am 15. März verpasste die deutsche Wehrmacht der Rest-Tschechei den finalen Todesschuss.

Am selben 15. März 1939 sitzen im Rheinland die Spitzen der englischen und deutschen Wirtschaft, nämlich die Federation of British Industries und die deutsche Reichsgruppe Industrie, zusammen, um mit dem Düsseldorfer Stahlabkommen die bereits bestehenden Kartellvereinbarungen weiter zu vertiefen.

Das Leid in der Tschechei ist den Gentlemen herzlich egal. Das Düsseldorfer Abkommen ist nur ein kleiner Teil eines größeren Kartells von Konzernen der westlichen Wertegemeinschaft, der damals neunzig Prozent der Weltproduktion abdeckte. Das Bild wird noch dadurch abgerundet, dass die Bank of England jene Goldbarren im Wert von 26 Millionen Dollar, die die tschechoslowakische Zentralbank wohlweislich nach Großbritannien auslagerte, nunmehr an das Nazireich aushändigte. Was der hochverschuldeten Aufrüstung in Deutschland wieder zu neuem Schwung verhalf.

In Deutschland hatte eine durchaus einflussreiche Gruppe von Verschwörern unter Leitung der Wehrmachtsgeneräle Ludwig Beck und Hans Oster gute Chancen, den Kriegstreiber Hitler zu stürzen. Denn Hitlers Glanz war am Verblassen. Mister Chamberlain und seine Freunde Daladier und Mussolini verhalfen mit der kampflosen Eroberung des Sudetenlandes dem deutschen Diktator zu neuer Popularität. Beck, Oster und ihre Mitstreiter konnten ihre Pläne, einen deutschen Aggressionskrieg zu verhindern, ad acta legen.

Neben der Tschechoslowakei war noch ein anderer Staat von den Münchner Verhandlungen ausgeschlossen gewesen, nämlich die Sowjetunion. Die UdSSR hatte einen Beistandspakt mit der Tschechoslowakei abgeschlossen. Ein Bündnispartner der Sowjets wenige Kilometer vor München war den Westmächten ein Dorn im Auge. Für die Sowjetunion wuchs mit der Frontbegradigung zugunsten Hitlers die Wahrscheinlichkeit, von Westen her angegriffen zu werden. Chamberlain hatte nicht Frieden gebracht, sondern den Krieg vor die Grenzen der Sowjetunion vorangeschoben und damit erheblich wahrscheinlicher gemacht. Mit der Zerschlagung der Tschechoslowakei war für Hitler der Weg zum Eroberungskrieg im Osten frei.

Nachbemerkung: Nach dem Zweiten Weltkrieg zerfiel die Tschechoslowakei im Jahre 1993 erneut in Einzelteile. Allerdings war das nicht der Wille der Bevölkerung dieses Landes. Vielmehr hatte das Parlament auf Betreiben des tschechischen Politikers Vaclav Klaus und seines slowakischen Kollegen Vladimir Meciar die gemeinsame Nation einfach aufgelöst in die zwei Teilstaaten Tschechien und Slowakei.

Der Tscheche Klaus ist glühender Verehrer von Maggie Thatcher, Ronald Reagan und Milton Friedman. Deren marktradikale Rezepte wollte er im Schockverfahren seinen Mitbürgern überhelfen. Was wiederum die Slowaken nicht wollten. Handfeste Gründe für eine Teilung gab es eigentlich nicht, wenn man von Streitigkeiten über die politisch korrekte Schreibweise des Staatsnamens absieht.

Doch auch die Slowakei nahm aus Sicht der marktradikalen Wanderprediger endlich Vernunft an, wie Kai-Olaf Lang von der transatlantischen Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik feststellt:

„Durch entschlossene Reformen sicherte sich die Slowakei nicht nur den Beitritt zur Europäischen Union. Beachtliche Investitionen kamen ins Land und die Slowakei wurde zu einer Hochburg der Automobilindustrie. Die Einführung des Euros wurde zudem zum finanzpolitischen Gütesiegel.“ (1)


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.zdf.de/nachrichten/heute/25-jahre-trennung-tschechoslowakei-100.html


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