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Die kulinarische Kriegsführung

Die kulinarische Kriegsführung

Im Krieg fallen Nahrungsmittel aus dem jeweiligen „Feindesland“ einer politisch korrekten Umbenennung zum Opfer — am Kriegsgeschehen ändert dies herzlich wenig.

Weniger in Deutschland, aber international galt das „Chicken Kiev“ als klassisches Restaurantgericht. Es besteht aus einer Roulade aus Hühnerbrust, die in Kräuterbutter gerollt und dann paniert und gebraten wird. Viele Restaurants bieten es nun auf der Speisekarte als „Chicken Kyiv“ an. Die in Deutschland übernommene russische Schreibweise von Киев als Kiew wird sicher auch ohne das Hühnergericht schnell dem Zeitgeist weichen. Die Medien sind damit schnell bei der Hand, aber den Krieg wird das nicht zu beenden helfen.

Auch der russische Präsident kommt nicht überall ungeschoren davon. Seit den 1950er Jahren hat sich von der Französisch sprechenden Provinz Quebec ausgehend ein populäres Fast Food-Gericht über ganz Kanada ausgebreitet, das aus mit Käsebruch überbackenen Pommes Frites und einer braunen Sauce besteht, genannt „Poutine“ — wie die französische Schreibweise des Präsidenten. Die Herkunft des Namens ist umstritten, hat aber mit Putin offenbar nichts zu tun. Trotzdem fangen die Restaurants an, die Kalorienbombe in „Fry Cheese Gravy“ umzubenennen.

Neu sind solche Namensänderungen allerdings ganz und gar nicht. Im Ersten Weltkrieg wurden die scherzhaft „Krauts“ genannten Deutschen in den USA sehr schnell unpopulär und mit ihnen ihre vermeintliche Lieblingsspeise, das politisch völlig unverdächtige Sauerkraut. Es wurde zu „Liberty Cabbage“ umgetauft, und Millionen von Deutsch-Amerikanern assimilierten sich so schnell wie möglich zu unauffälligen, echten Amerikanern. Die Sauerkrautproduzenten, deren Umsätze schrumpften, unterstützten die Umbenennung und warben in den Medien für Hilfen der Regierung.

Gleichzeitig geschah Ähnliches mit den Deutschen in Australien. So wie der Krieg den Amerikanern das Sauerkraut verleidet hatte, verleidete er den Australiern die „Berliner Donuts“. Teile Australiens hatten zu dieser Zeit viele deutsche Einwanderer, so dass die Berliner alltäglich geworden waren. Doch mit der antideutschen Stimmung während des Krieges änderte die Gewerkschaft der Konditoren den Namen in „Kitchener Bun“. Der britische Feldmarschall Lord Kitchener war zu Beginn des Ersten Weltkriegs auch Kriegsminister, also schon von Amts wegen gegen alles Deutsche. Damit bekamen die unschuldigen Berliner Pfannkuchen den undeutschesten Namen, den das traditionelle Gebäck nur bekommen konnte. Kanada hat während des Krieges etwas Ähnliches getan. Es gab eine Stadt in Ontario, die hauptsächlich von Deutschen besiedelt war und den Namen Berlin trug. Um sich vom Krieg zu distanzieren, wurde die Stadt 1916 nach einem Referendum in „Kitchener“ umbenannt und hat diesen Namen bis heute beibehalten.

Auch der mit der Hansestadt Hamburg sprachlich verbundene Fast-Food-Champion „Hamburger“ konnte seinem politischen Schicksal nicht entkommen. Nach neuesten Forschungen wurde das Gericht von Hamburger Kaufleuten beim Handel mit den Tartaren entdeckt, deshalb auch „Beefsteak Tartar“ genannt.

Es kam dann als reines Fleischgericht in die Neue Welt und wurde dort erst mit Brot oder Brötchen ummantelt und später mit weiteren Zutaten verfeinert. Aber Hamburg lag schließlich im feindlichen Deutschland, so wurde auch der Hamburger im Ersten Weltkrieg als „Liberty Sandwich“ politisch entschärft.

Russland hat ebenfalls seine eigenen Benennungsprobleme. Ein „Americano-Kaffee“ wird aus Espresso und Wasser hergestellt, also sparsam mit Kaffeepulver und ziemlich verdünnt, aber die Leute scheinen ihn zu mögen, und man findet ihn auf Speisekarten in der ganzen Welt. Aber nicht mehr so sehr in Russland. Im Jahr 2014 benannten einige Kaffeehäuser im Land „Americano-Kaffee“ in „Russiano-Kaffee“ um, nachdem der russische Premierminister einen Witz darüber gemacht hatte, dass „Americano“ politisch nicht korrekt sei, und ein armenischer Politiker daraufhin „Russiano“ vorschlug.

Wahrscheinlich ließe sich diese Liste noch erheblich erweitern, etwa durch die faktisch nicht bestehenden Unterschiede zwischen griechischem und türkischem Kaffee. Griechenland war von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zu seiner Unabhängigkeit 1821 unter ottomanisch-türkischer Herrschaft, will davon aber verständlicherweise nichts mehr wissen. Die Spannungen zwischen den beiden Ländern flammen immer wieder auf, aber jede Nation trinkt mit Stolz ihren nationalen Kaffee aus den gleichen Töpfchen und nach dem gleichen Rezept.

Das deutsch-russische Verhältnis auf dem Gebiet der kulinarischen Spezialitäten und der geistigen Getränke war nach der Wiedervereinigung und dem Abzug der russischen Armee eigentlich sehr entspannt. Nicht nur in Berlin gibt es viele Russen und russische Lokale, die mehr als Schaschlik, Borschtsch und Wodka anbieten. Die fabelhaften russischen Eier meiner Oma sind schon lange aus der Mode gekommen, und die leckeren Russisch-Brot-Plätzchen sind auch nicht mehr so leicht zu finden. Ein linguistischer „Entrussifizierungsbedarf“ scheint zurzeit also nicht das dringlichste Problem mit unserem großen Nachbarland zu sein, leider haben wir sehr viel gewichtigere. Wenn allerdings die neuesten Meldungen aus der Ukraine stimmen, dass russische Literatur in großen Mengen aus den Bibliotheken entfernt wird, muss das bei allem Verständnis für die Kriegsleiden doch Besorgnis auslösen.


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