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Die Provokation

Die Provokation

Ein verdeckter Armeeeinsatz im blockierten Gaza-Streifen könnte zu Neuwahlen in Israel führen.

In der neuesten Entwicklung in Israel wird über baldige Neuwahlen spekuliert. Auslöser war ein verdeckter Armeeeinsatz im blockierten Gaza-Streifen. Als Zivilisten verkleidete Israelis hatten sich am 11. November 2018 dem Haus eines Hamas-Funktionärs genähert, waren aber entdeckt worden. Bei dem folgenden Schusswechsel, angeblich mit Luftunterstützung durch Israels Luftwaffe, wurden sieben Palästinenser und ein Israeli getötet. Das war ein eindeutiger Bruch des Waffenstillstandes durch Israel, der eben erst vereinbart worden war — und er sollte erhebliche Folgen haben.

Als Antwort auf den Angriff schossen Palästinenser Raketen und Mörsergranaten gegen Siedlungen Israels in den besetzten Gebieten ab, welche nur teilweise von der israelischen Raketenabwehr „Iron Dome“ abgefangen werden konnten. Die Abfangraketen verursachten dabei mehr als das Hundertfache der Kosten der angreifenden primitiven Granaten/Raketen. Beim Angriff wurde ein Mensch getötet und Sachschaden verursacht.

Israels Luftwaffe flog daraufhin massive Luftangriffe und zerstörte das Al-Aqsa-Satelliten-Netzwerk, die Siedlung Rahmat sowie Yazaji. Außerdem wurde das Hotel Amal beschädigt. Noch mehr Raketen der Palästinenser flogen in Richtung Ashkelon, einer Siedlung, die von Gaza aus in Richtung Tel Aviv liegt. In Israel wurden Befürchtungen laut, dass bald auch dort Raketen einschlagen könnten. Dann zerstörten palästinensische Kräfte einen Armeebus, ließen aber vor dem Abschuss der Anti-Panzer-Rakete die Passagiere aussteigen, um weitere Eskalation zu vermeiden.

Zunächst behauptete die israelische Armee, es wäre ein Terrorangriff auf einen zivilen Bus durch eine Bombe gewesen. Als die Palästinenser daraufhin ein Video über den Vorgang veröffentlichten, änderte die Armee ihre Version der Ereignisse.

Schockierend für Israel war einerseits die Tatsache, dass auch Palästina nun über modernere Waffen verfügte, nämlich Panzerabwehrraketen, durch die schon die Hisbollah im Libanon Israel gezwungen hatte, das Land wieder zu verlassen.

Andererseits überraschte, dass nur ein Teil der Raketen abgefangen wurden. Und schließlich waren die über 400 Geschosse, die aus dem Gaza-Streifen abgefeuert worden waren, der Beweis, dass die Blockade, die so großes Leid über die Zivilbevölkerung brachte, keinen Einfluss auf die Bewaffnung des palästinensischen Widerstandes hatte.

Zur Frustration Israels kommt noch dazu, dass anscheinend die Aufklärung der Raketenabschüsse nicht mehr so erfolgreich war wie in der Vergangenheit. Möglicherweise hat der palästinensische Widerstand Möglichkeiten gefunden, um die Radar-, Satelliten- und Drohnenaufklärung, die früher zur Vernichtung von jeder Raketenabschusseinrichtung führte, auszutricksen. Und noch eine Forderung, die so dringend vom Iran gestellt worden war, schien erfüllt worden zu sein: Es gab keine widersprüchlichen oder im Wettstreit liegenden Bekenner-Mitteilungen der verschiedenen Widerstandsbewegungen — wie insbesondere des Islamischen Dschihad und Hamas.

Es scheint, als ob der Widerstand so vereint agierte wie noch nie zuvor.

Wie Tim Anderson schon im Buch „Die Zukunft Palästinas“ (1) schreibt, lebt der Widerstand, und die Sache Palästinas ist längst noch nicht verloren. Er beschreibt den passiven Widerstand gegen die Besatzung und geht schließlich darauf ein, dass der bewaffnete Widerstand der Palästinenser keineswegs „Terrorismus“ ist, sondern durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen legitimierter Widerstand gegen eine Kolonialmacht.

„Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat bei mehreren Gelegenheiten das Recht von kolonialisierten Völkern, und insbesondere Palästinensern bestätigt, sich mit ‚allen verfügbaren Mitteln, besonders auch dem bewaffneten Kampf‘ zu widersetzen (2). Die UNO-Generalversammlung hatte außerdem erklärt, sie ‚verurteile scharf alle Regierungen, die das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Menschen unter kolonialer und ausländischer Herrschaft sowie Unterjochung durch Fremde nicht anerkennen, insbesondere dem Kampf der Menschen von Afrika und des palästinensischen Volkes‘ (3).

Das Prinzip wird von unabhängig denkenden Israelis akzeptiert. Der Akademiker Baruck Kimmerling erkannte an, dass ‚nach ungefähr 35 Jahren der Besatzung, Ausbeutung, Entwurzelung und Erniedrigung, das palästinensische Volk das Recht hat, Gewalt anzuwenden, um sich gegen die Besatzung durch Israel zu wehren, die in sich selbst brutale Anwendung von Gewalt darstellt‘ (4). Das Recht auf bewaffneten Widerstand wird weniger von Außenseitern verstanden, die es einfacher finden, nur passiven Widerstand in Erwägung zu ziehen“ (1).

Auch wenn der Waffenstillstand schließlich nach Aufforderung durch Ägypten durch die israelische Seite begrüßt und so wieder in Kraft gesetzt wurde, ist die Gefahr für eine Ausweitung des Krieges noch nicht gebannt. Israel hat weitere Panzereinheiten an der Grenze zu Gaza zusammengezogen. In der Regierung tobte nun ein Machtkampf insbesondere zwischen dem Verteidigungsminister Avigdor Liberman, einigen rechtsextremen Ministern, dem Bildungsminister Naftali Bennet und Premierminister Netanjahu.

Am 14. November verkündeten deutsche Medien dann, dass Verteidigungsminister Lieberman zurückgetreten wäre — aus Protest gegen den Waffenstillstand mit der palästinensischen Hamas, die in den Medien meist nur mit dem Attribut „radikal-islamisch“ ausgestattet wird, anstatt sie mit dem Begriff „Widerstandsorganisation“ zu versehen.

Im Internet kursierten Meldungen, dass Lieberman keineswegs schon mit sofortiger Wirkung zurückgetreten wäre. Die nächsten Tage werden zeigen, ob es weitere Angriffe geben wird auf die „größte belagerte Siedlung der Geschichte“, den Gaza-Streifen — oder wie andere, nicht zuletzt im Vatikan (5), das Gebiet zunehmend nennen: „Das größte Konzentrationslager im 21. Jahrhundert“.

Angesichts der internationalen Hilfe heute und des Respekts vor noch lebenden Opfern eines deutschen Konzentrationslagers wäre ein Vergleich mit dem Warschauer Ghetto (6) angebrachter.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Mitschka, Jochen und Anderson, Tim (2018) Schattenkriege des Imperiums - Die Zukunft Palästinas, NIBE 2018, online: http://www.nibe-versand.de/Politik/Schattenkriege-des-Imperiums-Die-Zukunft-Palaestinas-Jochen-Mitschka-Tim-Anderson::71.html Seite zuletzt aufgerufen am 14.11.2018.
(2) UNGA (1978) ‘Resolution A/RES/33/24 ‘Importance of the universal realization of the right of peoples to self-determination and of the speedy granting of independence to colonial countries and peoples for the effective guarantee and observance of human rights’, 29 November, online: https://unispal.un.org/DPA/DPR/unispal.nsf/0/D7340F04B82A2CB085256A9D006BA47A Seite zuletzt aufgerufen am 29.06.2018.
(3) UNGA (1974) ‘Importance of the universal realization of the right of peoples to self-determination and of the speedy granting of independence to colonial countries and peoples for the effective guarantee and observance of human rights’, A/RES/3246 (XXIX), 29 November, online: https://unispal.un.org/DPA/DPR/unispal.nsf/0/C867EE1DBF29A6E5852568C6006B2F0C Seite zuletzt aufgerufen am 29.06.2018.
(4) Kimmerling in Bishara 2001:25, Bishara, Marwan (2001) Palestine Israel: peace or apartheid, Zed Books, New York.
(5) NTV (2009) Empörung in Israel - Vatikan vergleicht Gaza mit KZ. 8. Januar 2009, online: https://www.n-tv.de/politik/Vatikan-vergleicht-Gaza-mit-KZ-article46430.html Seite zuletzt aufgerufen am 04.11.2018.
(6) Davidsson, Elias (2018) Sind Gaza und Warschauer Ghetto vergleichbar? 14. November, online: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20643 Seite zuletzt aufgerufen am 14.11.2018.


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