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Die süße Pandemie

Die süße Pandemie

Mit Zucker und Süßstoffen ködert die Lebensmittelindustrie die Verbraucher und schädigt deren Gesundheit.

Eines ist klar, Lebensmittel sind heute nicht mehr das, was sie vor vielen Jahren einmal waren. Globalisierung, intensive Landwirtschaft und Umweltverschmutzung haben dazu beigetragen, dass Boden, Luft und Wasser zahlreiche unerwünschte Stoffe enthalten, die sich selbstverständlich auch in unseren Lebensmitteln wiederfinden lassen. Doch das ist nicht alles, Kontaminationen finden ihren Weg auch durch den Herstellungsprozess, die Verpackung und den Transport in Lebensmittel.

Außerdem erfordert die Herstellung sogenannter Fertig- oder Convenience-Produkte unzählige Zusatzstoffe. Einen Überblick über die gesetzlichen Regelungen für die Verwendung von Zusatzstoffen gibt es auf der Webseite des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.

Wer Bedenken gegen die wachsende Zahl an Zusatzstoffen in unseren modernen Lebensmitteln äußert, wird ganz schnell in die unwissenschaftliche Ecke bugsiert und mit folgenden Argumenten mundtot gemacht: Zusatzstoffe müssen zugelassen werden, und viele dürfen nur in begrenzten Mengen, dem sogenannten Richt- oder ADI-Wert, in Lebensmitteln eingesetzt werden.

ADI steht für „Acceptable Daily Intake“ und ist gemäß Definition die Menge eines Stoffes, die theoretisch lebenslang täglich aufgenommen werden kann, ohne negative Effekte hervorzurufen. Doch dieser im Tierversuch ermittelte Wert hat Schwächen: Zum einen werden mögliche Effekte normalerweise nur in einem Zeitraum zwischen 28 und 90 Tagen — maximal 2 Jahre — ermittelt, was nicht wirklich etwas über mögliche Langzeiteffekte in Menschen aussagt, die derartige Stoffe oft über viele Jahrzehnte zu sich nehmen; zum anderen gilt der ADI-Wert nur für einen einzelnen Stoff, ein etwaiges Zusammenwirken verschiedener Zusatzstoffe, wie sie in Lebensmitteln regelmäßig vorkommen, wird nicht untersucht. Dass Zusatzstoffe trotz Zulassungsprozess und ADI-Wert nicht unbedingt unbedenklich sein müssen, zeigt das Beispiel Carrageen.

Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip

Carrageen trägt die E-Nummer 407 und ist seit Langem als Verdickungsmittel in verschiedenen Lebensmitteln zugelassen. Im Rahmen der Neubewertung von Zusatzstoffen zwischen 2009 und 2020 forderte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Mitgliedsstaaten zur Überstellung von Daten und Informationen auf, um, wie es heißt, Unsicherheiten bezüglich der Unbedenklichkeit von Carrageen auszuräumen.

Darunter auch die folgenden biologischen und toxikologischen Daten:

  1. Zuverlässige vergleichende toxikokinetische und toxikologische Studien zwischen den verschiedenen Arten von Carrageen und ihren entsprechenden niedermolekularen Fraktionen.
  2. Daten, dass aus der Beobachtung von okkultem Blut im Kot von Rhesusaffen, die mit einem handelsüblichen Carrageen gefüttert wurden, keine feste Schlussfolgerung zu den anderen Carrageen-Typen gezogen werden konnte.
  3. Daten zu Prüfungen von Carrageen-Zubereitungen auf chronische Toxizität, Reproduktions- und Entwicklungstoxizität.
  4. Daten, die die bisher nur unzureichenden Daten über die mögliche Relevanz der Carrageen-Exposition für bestehende entzündliche Darmerkrankungen beim Menschen ergänzen.
  5. Daten, die die unklare Relevanz von Beobachtungen in Tierversuchen, die auf die Induktion von Glukoseintoleranz und Glukosurie (Ausscheidung von Traubenzucker im Harn) durch Carrageen hinweisen, für den Menschen widerlegen.
  6. Daten, die eine mögliche Rolle von Sulfat und die Wechselwirkungen der verschiedenen Formen von Carrageen mit der Darmmikroflora bei einigen der berichteten entzündlichen Wirkungen von Carrageen widerlegen.

Im Klartext heißt das, Carrageene werden seit Jahren trotz obiger Unsicherheiten im Hinblick auf mögliche gesundheitsschädigende Wirkungen in Lebensmitteln eingesetzt. Dies widerspricht nicht nur dem in der Europäischen Union (EU) geltenden Vorsorgeprinzip, es zeigt auch, dass einige Zusatzstoffe nicht ganz so unbedenklich sind, wie uns Politiker und ihre vermeintlichen Experten glaubhaft machen wollen. Doch Carrageene sind nicht die einzigen Zusatzstoffe, deren Effekte auf die menschliche Gesundheit zumindest umstritten sind. Auch künstliche Farbstoffe, der Geschmacksverstärker Glutamat und der Süßstoff Aspartam stehen in der Kritik.

Der Lebensmittelfarbstoff Titandioxid (E 171) , der in Mozzarella, Fertigsuppen, Desserts und auch Süßigkeiten dafür sorgt, dass diese knackiger, frischer und glänzender aussehen, steht in Verdacht, Krebs auszulösen. In Frankreich darf Titandioxid in Lebensmitteln ab 2020 deshalb nicht mehr verwendet werden. Französische Wissenschaftler hatten 2017 bei Ratten zudem nachgewiesen, dass eine regelmäßige orale Einnahme von E 171 dem Immunsystem der Tiere schadet und Darmentzündungen hervorruft. In den Versuchen zeigte sich, dass Titandioxid die Darmbarriere durchbrechen kann und so als Nanopartikel ins Blut gelangt. Ob es möglicherweise auch die Blut-Hirn-Schranke durchbrechen kann, ist bisher nicht eindeutig geklärt.

Manipulierte Seh- und Geschmacksnerven

Etwas anders sieht das die EFSA . Sie kommt bei ihrer letzten Neubewertung zu dem Schluss, dass die bisher verfügbaren Daten zu Titandioxid in Lebensmitteln keine Hinweise auf Gesundheitsbedenken für Verbraucher geben.

Gleichzeitig empfiehlt die EFSA aber, Studien durchzuführen, um Datenlücken bezüglich möglicher Auswirkungen auf das Fortpflanzungssystem zu schließen. Auch für andere Farbstoffe galten lange zu hohe ADI-Werte: Für die Farbstoffe E 104, E 110 und E 124 hat die EFSA in 2012 diese Richtwerte verringert. Der Farbstoff Rot 2G (E 128) erwies sich sogar als nicht sicher für den menschlichen Verzehr und wurde deshalb verboten. Wie viele Menschen haben jahrelang diese Farbstoffe zu sich genommen, ohne zu wissen, dass dies möglicherweise gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Folge haben könnte? Wie lässt sich dies mit dem Vorsorgeprinzip vereinbaren?

Auch die Zunahme von Verhaltensproblemen bei Kindern wird mit dem in den letzten 50 Jahren um 500 Prozent gestiegenen Zusatz künstlicher Farbstoffe zu Lebensmitteln in Verbindung gebracht. Darüber hinaus besteht der Verdacht, dass an Körperproteine gebundene synthetische Farbstoffe Autoimmunreaktionen auslösen könnten.

Eine Metaanalyse mit dem Titel „Food Color and Autism“ bringt verschiedene Farbstoffe in Lebensmitteln sogar explizit mit Störungen des Autismus-Spektrums in Verbindung. Die Farbstoffe Tartrazin und Azorubin führten in einer Studie zu einem Anstieg der Konzentration an entzündungsfördernden Molekülen, welche Risikofaktoren verschiedener chronischer Erkrankungen darstellen.

Auch beim Geschmacksverstärker Glutamat (E 621) ist ein Meinungsstreit entbrannt. Glutamat wird Lebensmitteln in Form von Natriumglutamat, Kaliumglutamat, Calciumglutamat und L-Glutaminsäure (E 620 bis 625) zugesetzt und wird offiziell nur mit Überempfindlichkeitsreaktionen bei besonders empfindlichen Personen in Verbindung gebracht. Diese können sich vorübergehend mit Kribbeln im Halsbereich sowie Hitze- und Engegefühl bemerkbar machen. Dass der in zahlreichen Lebensmitteln eingesetzte Geschmacksverstärker andere gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorrufen könnte, wird von den Herstellern und ihren Verbänden vehement bestritten.

Da verwundert es auch nicht sonderlich, dass der vom „International Glutamate Technical Committee“ gesponserte Workshop sich eindeutig gegen eine Neubewertung von Glutamat aussprach. Ebenso wenig verwunderlich ist, dass die EFSA diese Einschätzung übernahm. In dem Artikel „Reevaluation of glutamic acid (E 620), sodium glutamate (E 621), potassium glutamate (E 622), calcium glutamate (E 623), ammonium glutamate (E 624) and magnesium glutamate (E 625) as food additives“ heißt es, die EFSA würde lediglich in Erwägung ziehen, die Grenzwerte der herstellungsbedingt vorhandenen toxischen Elemente Blei und Arsen in Glutamaten zu erniedrigen.

Ignoranz gegenüber wichtigen Erkenntnissen

Damit lässt die EFSA sämtliche Studien, die Glutamat als nicht ganz so unbedenklich einschätzen, unberücksichtigt. So auch die in 2019 im Fachblatt Toxicology Mechanisms and Methods veröffentlichte Studie, die darauf hinweist, dass größere Mengen an Natriumglutamat mit toxischen Effekten auf die fötale Entwicklung, Bluthochdruck, Fettleibigkeit und gastrointestinalen Beschwerden in Verbindung stehen.

Zwar bestreitet auch die EFSA nicht, dass höhere Konzentrationen an Glutamat zu einer Blutdruckerhöhung, einem Insulinanstieg und zu Fettleibigkeit beitragen können, sie geht aber davon aus, dass derartige Effekte erst deutlich über dem Richtwert (ADI-Wert) auftreten und dieser bei den aktuellen Verzehrgewohnheiten kaum überschritten würde. Dass bei einem hohen Verzehr von Fertigprodukten die von der EFSA angenommenen Verzehrgewohnheiten an der Realität vorbeigehen könnten, wird völlig vernachlässigt.

Auch Studien, die Natriumglutamat mit Genschäden und Störungen des Hirnstoffwechsels in Verbindung bringen, werden von der EFSA ignoriert. In einer Studie mit dem Titel „Genotoxicity of monosodium glutamate“ lösten beispielsweise verschiedene Konzentrationen an Natriumglutamat (250 bis 8.000 µg/ml) dosisabhängige Chromosomenschäden an menschlichen Lymphozyten, das heißt bestimmten weißen Blutzellen, aus.

In einer anderen Studie erhöhte Natriumglutamat aus der Nahrung die Aktivität in bestimmten Hirnregionen von Ratten; gleichzeitig fanden die Forscher eine erhöhte Konzentration des hirnstimulierenden Fos-Proteins.

Oft werden derartige Studien mit dem Statement abgetan, es handele sich um Tierstudien und diese wären nicht auf den Menschen übertragbar. Dabei wird aber unterschlagen, dass auch die ADI-Werte aus Versuchen mit Tieren stammen. Das Gleiche gilt auch für die Studien John Fernstroms, einem Glutamat-Befürworter und wissenschaftlichen Berater des International Glutamate Technical Committee. Auch Fernstroms Gegenargument, Glutamat aus der Nahrung könne die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden, stammt aus Tierstudien. Zudem sind Fernstroms Aussagen mit Vorsicht zu genießen, da er als wissenschaftlicher Berater des International Glutamate Technical Committee einen handfesten Interessenkonflikt besitzt.

Süßes Gift

Auch Süßstoffe standen und stehen immer wieder in der Kritik. Vor allem Aspartam (E 951, Markenname: NutraSweer(R) und Equal(R)), der Methylester des Dipeptids L-Aspartyl-L-Phenylalanin, der in unzähligen Lebensmitteln für eine kalorienarme Süße sorgt, ist aktuell wieder unter Beschuss. Schon vor seiner Zulassung stand Aspartam im Verdacht, bei Ratten Krebs auszulösen, was damals aber durch eine Anzahl von Studien widerlegt worden war.

Im Jahr 2005 fanden italienische Forscher erneut einen Link zwischen Aspartam und Krebs, die Daten wurden aber von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als nicht ausreichend valide eingestuft. Und natürlich meldeten sich — wie immer bei derartigen Studien — Experten, die der Studie Mängel vorwarfen. Das alte Spiel in einer Gesellschaft, in der es nicht um Wissenschaft und Gesundheit, sondern vielmehr ausschließlich um Profit geht.

Iranische Wissenschaftler, die 2017 experimentelle und epidemiologische Studien untersuchten, fanden einen Zusammenhang zwischen Aspartam und Fettleibigkeit, dem metabolischen Syndrom und der Veränderung des Darm-Mikrobioms. Befunde, die nicht von der Hand zu weisen sind, denn süßer Geschmack signalisiert dem Körper die Aufnahme von Kohlenhydraten. Bleiben diese durch die Aufnahme von Süßstoffen aus, wird unkontrolliert weitergegessen, was langfristig das Risiko für Fettleibigkeit und das metabolische Syndrom erhöht. Die Literaturrecherche zeigte auch, dass der Langzeitverzehr von Aspartam möglicherweise zu Nierenschäden führen könnte. Als Fazit empfehlen die Autoren deshalb, nur kleine Mengen an Aspartam zu konsumieren.

Zudem wird Aspartam ähnlich wie Glutamat mit neurologischen Störungen in Verbindung gebracht. In ihrer Metaanalyse „Neurophysiological symptoms and aspartame: What is the connection?“ kommen die Autoren zu dem Schluss, es sei noch immer unklar, ob Aspartam tatsächlich für den menschlichen Verzehr sicher sei.

2017 forderte ein in Nutrition Reviews veröffentlichter Fachartikel die Neubewertung der Sicherheit von Aspartam, da sowohl Tierversuche als auch die begrenzten Humanstudien darauf hindeuten würden, dass Aspartam und seine Metaboliten (Substanzen, die als Zwischenstufen oder als Abbauprodukte von Stoffwechselvorgängen des Organismus entstehen) selbst bei den als sicher geltenden Mengen das Gleichgewicht zwischen oxidativen und antioxidativen Verbindungen stören, oxidativen Stress auslösen und die Integrität der Zellmembran schädigen könnten. Eine Neubewertung durch die EFSA ist gerade in Arbeit, dass Aspartam als gesundheitlich bedenklich eingestuft wird ist meiner Ansicht nach aber eher unwahrscheinlich.

Ähnlich wie bei Zusatzstoffen wird auch bei Zuckern verfahren: Der massenhafte Zuckerzusatz zu allen nur erdenklichen Lebensmitteln wird von Herstellern verharmlost, und die Verantwortlichen in der Politik gehen nur halbherzig gegen dieses offensichtliche Problem vor. Anstatt Änderungen der Rezeptur „ungesunder“ Lebensmittel zu fordern, denkt man in den Landwirtschaftsministerien über eine Zuckersteuer nach, die wie immer den Verbraucher benachteiligt.

Was nützt eine Zuckersteuer, wenn keine Ausweichmöglichkeiten bestehen, wenn gesunde und gleichzeitig bezahlbare Lebensmittel fehlen? Doch anstatt Nägel mit Köpfen zu machen, versteckt sich Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hinter halbherzigen Lösungen wie der nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz. Im Rahmen dieser Strategie unterstützt Klöckner auch ein Forschungsvorhaben zur Entwicklung kalorienarmer Zucker aus der Rübe. Ob die „neuen Zucker“ Cellobiose und Allulose gesundheitlich unbedenklich sind, ist nicht bekannt, dennoch werden für ihre Entwicklung 1,6 Millionen Euro an Steuergeldern ausgegeben.

Die Frage der Dosis

Um sämtliche Missverständnisse auszuschließen: Zucker in moderaten Mengen ist nicht ungesund. Die Glucose, ein Teil des uns bekannten Haushaltszuckers (Saccharose), dient unseren Zellen als Brennstoff und ist so wichtig, dass der Körper sie im Rahmen der Gluconeogenese aus anderen Nährstoffen sogar selbst herstellen kann. Das Problem ist vielmehr der massenhafte Einsatz von Zuckern aller Art, denn Zucker wird nicht nur als Süßungsmittel eingesetzt, er erfüllt in vielen Produkten ganz andere Funktionen: billiger Füllstoff, Feuchthaltemittel oder technischer Hilfsstoff — das sind nur einige Beispiele von vielen.

Doch ein Zuviel an Zucker erhöht das Risiko für Übergewicht, Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, kardiovaskuläre Erkrankungen, Demenz und sogar Krebs. Ein großes Problem ist, dass viele Menschen nicht wissen, dass sie viel zu viel Zucker zu sich nehmen.

Das liegt daran, dass sich die Hersteller eines fiesen Tricks bedienen: Um ihre Suppen, Soßen, Brote, Wurst, Snacks und Pizzen an den Mann zu bringen, verstecken sie den Zucker in der Zutatenliste hinter mehr als 50 verschiedenen Bezeichnungen: Agavendicksaft, Ahornsirup, Apfelsüße, Dextrin, Dextrose, Dicksaft, Fruchtzucker, Fruktose, Fruktose-Glukose-Sirup, Fruktosesirup, Gerstenmalz, Glukose, Glukosesirup, Inulin, Invertzucker, Invertzuckercreme, Invertzuckersirup, Karamellsirup, Laktose, Magermilchpulver, Maltodextrin, Maltose, Malzextrakt, Milchzucker, Oligofruktose, Polydextrose, Raffinose oder Saccharose sind allesamt Zucker.

Als besonders problematisch gelten große Mengen an Fructose (Fruchtzucker). Auch die Fructose ist kein Problem, wenn sie in Form von Früchten verzehrt wird: Erstens sind die Mengen begrenzt, und zweitens ist Fructose in Früchten mit Ballaststoffen vergesellschaftet, sodass ihre Aufnahme im Darm kontinuierlich erfolgt. Anders sieht das allerdings bei großen Mengen an freier zugesetzter Fructose aus. Da Fructose ausschließlich in der Leber verstoffwechselt wird, kommt es zu einer Überforderung der Leber mit zahlreichen negativen Effekten auf die Gesundheit:

  • Erstens wird Fructose in der Leber unter Verbrauch von Adenosin-Triphosphat (ATP) zu Fructose-1-Phosphat verwandelt, und das zurückbleibende Adenosin-Monophosphat (AMP) wird mithilfe des Enzyms AMP-Desaminase I zu Harnsäure, einem Risikofaktor für Gicht.
  • Zweitens blockiert Harnsäure in der Leber das Enzym Endotheliale Nitrooxid-Synthase, sodass ein Zuviel an Fructose auch Bluthochdruck fördern kann.
  • Drittens entsteht Fructose-1,6-bis-Phosphat, das gemeinsam mit Glycerinaldehyd zu Xylulose-5-Phosphat wird und eine Verbindung mit Namen PP2A stimuliert. PP2A aktiviert seinerseits Carbohydrate-Response-Element-Binding-Protein (ChREBP), das an der Neusynthese von Fett in der Leber beteiligt ist.

Abbauprodukte der Fructose gelangen schließlich in die Mitochondrien („Kraftwerke der Zellen“) der Leberzellen, wo sie zu Pyruvat und Citrat werden. Citrat verlässt die Mitochondrien und wird in Fett umwandelt, wovon der größte Teil in die Fettzellen gelangt. Dies erklärt auch, weshalb wir trotz fettfreier, aber mit Fructose überzuckerter Produkte immer dicker werden. Der Teil des Fettes, der in der Leber verbleibt, trägt schließlich zur Entstehung einer Fettleber bei. Die nicht-alkoholische Fettleber wird von Pharma-Analysten nicht umsonst als ein Milliardengeschäft eingeschätzt.

Die falsche Alternative

Doch das ist noch nicht alles: Fructose aktiviert auch ein Enzym mit Namen JNK1, das nicht nur Entzündungsprozesse anstößt, sondern auch das Enzym IRS-1 verändert, wodurch dieses funktionsuntüchtig wird. Folge ist eine Insulinresistenz in der Leber. Und weil sich freie Fettsäuren aus der Leber auch in den Muskeln einnisten, kommt es auch dort zur Insulinresistenz. Ein Teufelskreis, der zu einer gesteigerten Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse und damit zu noch mehr Fettsynthese und weiterem Gewichtsanstieg beiträgt.

Der Dolchstoß erfolgt schließlich durch die Blockade des Sättigungssignals: Denn der hohe Insulinspiegel unterbindet das Signal des Fetthormons Leptin ins Gehirn, sodass dieses zu hungern glaubt, was Betroffene immer weiter essen lässt. Wer sich für die Details des Fructose-Stoffwechsels interessiert, dem sei das exzellente Video „Sugar, the bitter Truth“ von Dr. Robert Lustig empfohlen.

Eines dürfte nach dieser Aufzählung klar geworden sein, nämlich dass das Mantra der Hersteller und ihrer Verbände „Kalorie ist Kalorie“ sich mithilfe des Fructose-Stoffwechsels entkräften lässt: Es ist zwar richtig, dass Glucose und Fructose isokalorisch sind, doch mitnichten sind sie isometabolisch, also in gleicher Weise auf den Stoffwechsel wirkend, und das ist entscheidend. Der hohe Zuckerkonsum hat dazu geführt, dass ernährungsbedingte Krankheiten zu einer tickenden Zeitbombe geworden sind.

Laut WHO gab es 2014 weltweit etwa 422 Millionen erwachsene Diabetiker — im Vergleich mit 1980 (108 Millionen) fast eine Vervierfachung. Die globalen jährlichen Behandlungskosten für Diabetes beliefen sich laut Statista in 2015 auf 672 Milliarden Dollar, für 2040 werden bereits Kosten von 803 Milliarden Dollar prognostiziert.

Wie können wir diesem Dilemma entkommen, wie können wir sicherstellen, dass Lebensmittel uns nicht schaden und uns alle zu Kunden der Pharmaindustrie machen? Wir sollten darauf dringen, zum Schutze der Verbraucher den in der EU geltenden Grundsatz des Vorsorgeprinzips anzuwenden. Dieses besagt, dass wahrscheinliche und denkbare Schäden und Belastungen für die menschliche Gesundheit von vornherein vermieden oder zumindest möglichst gering gehalten werden sollen, auch wenn das zur Verfügung stehende Wissen unvollständig ist.

Dass wir davon weit entfernt sind, hat wohl auch damit zu tun, dass Organisationen wie die WHO, die EFSA und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) nicht wirklich unsere Gesundheit im Sinne haben; dafür sind ihre Verstrickungen mit Industrie, Verbänden und Politik zu groß.

Diese Verstrickungen sind es, die valide Bewertungen auch von Lebensmittelinhalts- und -zusatzstoffen immer wieder vereiteln. Dies hat zur Folge, dass eine klare Evidenz, wie im Falle des Rauchens, über Jahre hinweg verhindert wird. Und ohne ausreichende Evidenz will man potenziell krankmachende Stoffe in Lebensmitteln weder verbieten noch limitieren. Solange diese strukturellen Defizite bestehen, gibt es also nur einen Ausweg aus diesem Dilemma: „Echte“ Lebensmittel essen, selbst kochen und den Verzehr von Fertigprodukten, Fast Food und vor allem Softdrinks minimieren oder im besten Falle meiden.


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