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„Diese Wahlen sind doch eine Farce!“

„Diese Wahlen sind doch eine Farce!“

„Wir müssen das Geld dorthin zurückgeben, wo es herkommt.“ Ideen eines parteilosen Kandidaten zur Bundestagswahl.

Herr Professor Kreiß, Sie sind Wirtschaftswissenschaftler und haben seit 2003 einen Lehrstuhl an der Hochschule Aalen inne. Darüber hinaus sind Sie ein kritischer Intellektueller, der wunderbare Bücher geschrieben hat, zum Beispiel „Gekaufte Forschung“, „Geplanter Verschleiß“ und „Profitwahn“. Sie denken darüber nach und erklären, „warum sich menschengerechtere Wirtschaft lohnt“, und Sie kandidieren im September bei der Bundestagswahl als Direktkandidat ohne Zugehörigkeit zu einer Partei. Ihr politisches Programm skizzieren Sie auf Ihrer Webseite. Bei dieser Wahl treten 42 Parteien an. Warum konnten Sie mit Ihren politischen Ideen bei keiner dieser Parteien heimisch werden? Was versprechen Sie sich von dieser Kandidatur?

Wenn man einer Partei beitritt, muss man ein ganzes Bündel von Meinungen und Ansichten übernehmen. Das zeigt sich besonders deutlich beim Fraktionszwang im Bundestag: In Artikel 38 Grundgesetz steht, dass die Abgeordneten „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind. Die Realität sieht anders aus. Bei fast allen Abstimmungen im Bundestag besteht Fraktionszwang, der auch durchgesetzt wird. Anders ausgedrückt: Das Gewissen der Abgeordneten muss bei Zielkonflikten hinter dem Parteizwang zurücktreten. Insofern gibt es laufend Verstöße gegen das Grundgesetz bei den Abstimmungen im Bundestag. Und niemand empört sich ernsthaft darüber. Das finde ich falsch. Deshalb sollte man entweder den Fraktionszwang abschaffen oder freie Abgeordnete in den Bundestag wählen, die wirklich nur ihrem Gewissen verpflichtet sind. Oder man ändert eben das Grundgesetz und schafft das freie Gewissen darin ab. Das wäre konsequent und wenigstens ehrlich.

Die Parteien haben also … abgewirtschaftet, ihre Funktion und Glaubwürdigkeit verloren, verstehe ich recht?

Ich finde tatsächlich, dass viele Parteien in den letzten Jahren sehr stark an Glaubwürdigkeit verloren haben. Das Monopol auf politische Macht, das die Parteien derzeit haben, ist falsch. Wir brauchen mehr unabhängige Abgeordnete und Volksabstimmungen.

Wenden wir uns Ihrem politischen Programm und seinen Voraussetzungen zu: Sie sehen die wachsende Ungleichverteilung der Einkommen, die wir seit längerer Zeit weltweit beobachten, als Zeichen einer Krise, und wenn ich Sie richtig verstanden habe, halten Sie diese Krise – mitsamt der sich weiter öffnenden Schere zwischen armen und reichen Menschen und Ländern – nicht für einen Unfall oder ärgerlichen Nebeneffekt der Globalisierung, sondern für eine Entwicklung, die im dominierenden Wirtschaftssystem begründet liegt und also zwangsläufig eintreten muss, solange dieses ökonomische System vorherrscht.

Ja, genauso sehe ich das. Das liegt an den hohen leistungslosen Einkommen in Form von Mieten, Pachten, Zinsen, Dividenden usw. Diese Nicht-Arbeits-Einkommen betragen in Deutschland laut Sachverständigenrat etwa 550 Mrd. Euro pro Jahr, fast doppelt so viel wie der Haushalt von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Wenn wir Brötchen für einen Euro kaufen, so stecken in diesem Preis – außer den Löhnen – die Zahlungen an die Bodeneigentümer des Ackers, der Mühle, des Bäckers, die Zins- oder Dividendenzahlungen an die Eigentümer der Mühle, der Bäckerei usw. Etwa ein Drittel des Kaufpreises fällt auf diese Kapitalzahlungen. Das heißt, von jedem Einkauf für einen Euro fließen in Deutschland ungefähr 10 Cent an die reichsten 1 Prozent der Bevölkerung, denn die besitzen bei uns etwa ein Drittel aller Vermögen, und noch einmal knapp 20 Cent fließen an das obere Viertel der Bevölkerung. So haben wir einen ständigen automatischen Umverteilungsprozess von allen zu wenigen, von unten nach oben zu den Eigentümern von Boden und Kapital. Wir haben eine perfekt funktionierende Reichensteuer: Alle zahlen automatisch an die Reichen. Dadurch steigt im Zeitverlauf systematisch die Ungleichverteilung. Das Problem an der Sache: Irgendwann reicht die Nachfrage der Masse der Bevölkerung nicht mehr aus, die Produktionsmaschinerie am Laufen zu halten. Erst werden viele Schulden gemacht, um den Absatz noch hinzubekommen. Aber irgendwann kommt eine Finanzkrise, wenn die Banken merken, dass die Schulden nicht mehr bedient werden können. Die Finanzkrise von 2007-2009 war erst ein Wetterleuchten. Die eigentliche Finanzkrise steht uns noch bevor.

Eine Ihrer wichtigsten Forderungen aus diesen Überlegungen ist radikal: Sie fordern Gemeinwohlökonomie statt Gewinnmaximierung. Sehe ich das richtig, dass Sie damit dem Kapitalismus den Garaus machen wollen?

Ich empfinde Kapitalismus dann als einen Segen für ein Land, wenn freie Unternehmer frei mit Kapital wirtschaften können, wenn diese aufbauen, investieren, Arbeitsplätze schaffen und tief mit ihrem Unternehmen verbunden sind. Aber an einem bestimmten Punkt schlägt dieser Unternehmer-Kapitalismus um in einen reinen Rentenkapitalismus: Die Enkel halten nur mehr die Hand auf und streichen leistungslose Zahlungen in vollkommen unverhältnismäßiger Höhe ein. Der Segen des Gründer-Unternehmers wandelt sich in einen Fluch. Die Enkel wissen mit den riesigen leistungslosen Einkommen nicht mehr wohin, sie reinvestieren und reinvestieren, die Einkommen wachsen exponentiell, führen zu krebsartigen Überinvestitionen, denen keine ausreichende Massennachfrage mehr gegenübersteht und es kommt zum Crash oder Krieg. Diesen leistungslosen Rentenkapitalismus sollte man abschaffen. Das sagte übrigens bereits der wohl berühmteste Nationalökonom J. M. Keynes in den 1930er-Jahren, der nannte das die funktionslosen Investoren. Ein wahres Wort. Je eher wir diese kranke Entwicklung des Kapitalismus abschaffen, desto größer ist unsere Chance, ohne Crash oder Krieg davonzukommen.

Gemeinwohlökonomie ist ein eigentümlicher Begriff, über den Wikipedia nur sparsam informiert, und ich vermute, dass diese Sache im Studium der Wirtschaftslehre auch keinen großen Raum einnimmt. Im deutschsprachigen Raum hat als erster Christian Felber 2010 angefangen, darüber laut nachzudenken, und inzwischen greift der Gemeinwohlgedanke mehr und mehr um sich, auch wenn die großen Medien darüber kaum berichten. Können Sie ihn kurz skizzieren?

Gemeinwohlökonomie und Christian Felber finde ich klasse. Dass Wikipedia sparsam darüber informiert, überrascht mich nicht, denn Wikipedia ist eine ziemlich stark interessengeleitete Informationsplattform, die über politische und ökonomische Sachverhalte alles andere als neutral berichtet. Wirklich gemeinwohlorientiert heißt, wie der Name schon sagt, eine nicht am egoistischen Individualwohl, eine nicht ausschließlich am Gewinn orientierte Wirtschaftsweise zu Gunsten der Unternehmenseigentümer, wie sie heute in den großen Konzernen dominiert, sondern eine Wirtschaftsweise, die sich am Wohl aller Beteiligten orientiert. Also in der Gesamtbilanz auch das Wohl der Mitarbeiter, der Abnehmer, der Zulieferer, der Empfänger von Steuerzahlungen berücksichtigt, und darüber hinaus auch den Erhalt der Biodiversität. Davon sind wir meilenweit entfernt. Bei uns dominiert leider der krasseste Egoismus.

Jede Praxis einer Gemeinwohlökonomie ist insofern umstürzlerisch, als sie die tiefgreifende Besteuerung großer Einkommen voraussetzt, weil unbegrenzte Privatvermögen systemisch dazu neigen, exponentiell zu wachsen und somit eine enorme Konzentration von Geld und Macht zu bewirken, von der die meisten Menschen inzwischen ahnen, dass dieser Prozess nicht gesund sein kann, sondern ihnen langfristig schadet. Können Sie Ihre Genesungsvorschläge einmal im Einzelnen ausführen?

Eine wichtige Maßnahme, um von den krankhaften Auswüchsen des Renten-Kapitalismus wegzukommen, ist, die leistungslosen Einkommen, die von allen Konsumenten zu den Vermögenden fließen, umzukehren oder zumindest zu stoppen. Sonst wird der soziale Organismus immer kranker. Eine Möglichkeit wäre eine laufende oder einmalige Vermögensabgabe, zum Beispiel eine Vermögensabgabe von 30 Prozent auf alle Vermögen über 2 Mio. Euro, Stichtag 31.12.2016, zahlbar über 10 Jahre, so dass keine Kapitalflucht mehr stattfinden kann. Diese Einnahmen werden dazu verwendet, alle Einkommen unter 1500 Euro im Monat von Steuern und Sozialabgaben zu befreien. Also brutto gleich netto für die Kleinverdiener. Das würde das Geld der wohlhabenden Menschen dorthin zurückgeben, wo es eigentlich herkommt: den vermögenslosen Menschen und Wenigverdienern.

Was würden Sie jemandem antworten, der sagt: Das ist doch Kommunismus?

Ist das Zurückgeben von weggenommenem Gütern Kommunismus? Ist das oben geschilderte ungefragte, automatische, unsichtbare, leistungslose Wegnehmen von Gut im täglichen Wirtschaftsleben durch die Vermögensbesitzer etwas, was man irgendwie ethisch rechtfertigen kann? Kommunismus ist Staatsbesitz von Produktionsmitteln und Boden. Beides halte ich für völlig falsch. Der Staat ist ein ganz schlechter Wirtschafter und Bodenverwalter. Das gehört in Privathand.

Sie sprechen gelegentlich davon, dass die globale Wirtschaft in den letzten Jahren gewaltig unter Kapitaldruck geraten ist. Dem steht eine sinkende Nachfrage gegenüber, die ihrerseits unermüdlich durch Kredite nur zum Schein angekurbelt und damit letztlich also zur Kreditblase wird. Eine Ihrer Schlussfolgerungen daraus ist verblüffend: Man könnte jede vierte Fabrik schließen und jeden vierten Arbeitsplatz streichen. Wie soll das gehen, und was hätte das für Auswirkungen?

Wie das geht, haben wir 1929 bis 1932 gesehen. Die Auswirkungen auf sämtliche Industrieländer waren verheerend: Massenarbeitslosigkeit, Elend, Hunger. Das kann ganz schnell wiederkommen. 2009 sind wir dem nur knapp entgangen. Bei der nächsten Finanzkrise, die nur eine Frage von wenigen Jahren ist, kann das sehr schnell gehen: Eine durch faule Schulden ausgelöste Abwärtsspirale, die einmal mit Wucht in Gang ist, ist ab einem bestimmten Punkt nicht mehr zu stoppen, wie bei einer Kernschmelze. Die faulen Schulden gehen nach Expertenschätzungen in die Billionen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die momentane Schuldenblase platzt.

In Ihrem Wahlprogramm ist mir aufgefallen, dass darin ungewöhnlicherweise Kinder eine Rolle spielen, sogar gleich mehrfach. Zum einen sprechen Sie sich ganz allgemein für weniger Werbung aus. Für Kinder wünschen Sie sich sogar, dass an sie überhaupt keine Werbung mehr adressiert werden sollte. Zum anderen möchten Sie einiges am Bildungssystem verändern, indem Sie künftig nicht mehr die Schulen und Universitäten staatlich finanzieren wollen, sondern die Schüler und die Studierenden. Sie erwähnen das sogenannte Voucher-System, das der amerikanische Ökonom Milton Friedmann in den 1950er-Jahren entwickelt hat und das hierzulande nicht sehr bekannt ist. Sollen also unsere Kinder nicht mehr auf ihre gesellschaftliche Rolle als Konsumenten vorbereitet werden und ihre Bildung per Gutschein erhalten?

Auf Kinder ausgerichtete Werbung halte ich grundsätzlich für falsch. Sie fördert schlechte Essgewohnheiten, zu viel Medienkonsum, zu wenig Bewegung, kurz: Kinderwerbung macht unsere Kinder krank. Dafür erhöht sie die Konzerngewinne. Wollen wir das wirklich? Einige skandinavische Länder und das kanadische Quebec haben das erkannt und umgesetzt: Dort ist Werbung an Kinder unter 13 Jahren verboten. Das ist sehr vernünftig, und diese Länder haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht.

Zum Schulsystem: Ich halte fast alles, was von Milton Friedman kommt, für äußerst schädlich und menschenfeindlich. Aber Schulgutscheine sind trotzdem eine vernünftige Sache: Heute können sich nur die Wohlhabenden Privatschulen leisten. Das könnte man durch Schulgutscheine ändern. Pro Kind erhalten die Eltern monatlich einen bestimmten Betrag in Höhe der Schulkosten, die heute ohnehin tatsächlich anfallen – das wäre also vollkommen finanzierungsneutral – und dann können die Eltern frei die Schule ihrer Wahl aussuchen. Das würde einen Wettbewerb um gute Schulen auslösen. Als Empfänger der Schulgutscheine sollten aber nur Schulen in Frage kommen, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und nicht profitorientiert arbeiten. Dadurch könnte unser extrem einseitig kognitiv-leistungsorientiertes Staatsschulsystem, wo nur der Kopf etwas zählt und andere menschliche Stärken wie künstlerische oder soziale Begabungen abgewertet werden, endlich in Richtung mehr Menschlichkeit und Miteinander korrigiert werden – zum Wohle unserer Kinder.

Wollen wir noch einmal auf den Konsumentenschutz zurückkommen? Wenn es nach Ihnen ginge, müsste sich die Industrie von einer ihrer Lieblingsgewohnheiten trennen, nämlich vom geplanten Verschleiß. Mit diesem sorgt sie seit dem Glühbirnenkartell vor fast hundert Jahren dafür, dass zum Beispiel Damenstrümpfe Laufmaschen bekommen und überhaupt die Dinge des täglichen Lebens kurz nach Ablauf der Garantie kaputtgehen. Wo käme die Wirtschaft hin, wenn ihre Produkte ewig hielten? Das ist ein gefährlicher Gedanke.

Das wäre ein Segen für uns alle. Wenn wir langlebige Produkte herstellen würden statt der schnell verschleißenden heute, könnten wir mindestens drei Wochen mehr Jahresurlaub haben – bei gleich bleibendem Lohn. Schlechte Produkte herstellen, ist wie Löcher ausheben und wieder zuschütten: Das ist einfach unnötige Arbeit, ganz zu schweigen von der unnötigen Ressourcenverschwendung und den unnötigen Müllbergen, die geplanter Verschleiß bewirkt. Unnötige Arbeit einzustellen ist ein Segen für alle, außer für die Kapitaleigentümer. Ohne geplanten Verschleiß, der heute an der Tagesordnung ist, wäre das Leben für praktisch alle besser - außer für die Großaktionäre.

Unter dem Stichwort Umwelt formulieren Sie in Ihrem Wahlprogramm neben so einleuchtenden Punkten wie dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Subventionsstreichung für den Flugverkehr, Erhebung einer Umweltsteuer auf Pestizide auch einen sonderbaren Gedanken: „Befreiung vom Überfluss“. Dies ist, das wissen Sie sicher und beziehen sich wahrscheinlich darauf, der Titel eines Buches, das der Postwachstums-Ökonom Niko Paech vor einigen Jahren geschrieben hat. Gesellschaften, in denen Waren vor Werten rangieren, neigen dazu, Überfluss zu den Freiheitsrechten zu zählen und den Wegfall desselben mit Mangel, Askese und allenfalls rückwärtsgewandter Romantik zu assoziieren. Sie offenbar nicht? Und inwiefern ist das für Sie ein Umweltthema?

Ich finde die Idee von Niko Paech absolut richtig. Jeder von uns hat im Durchschnitt 10.000 Produkte zu Hause, wovon er über 90 Prozent fast nie verwendet. Wozu so viel? Wäre da Ballast abwerfen nicht etwas Befreiendes? Außerdem müssten wir dann weniger Erwerbsarbeit leisten und hätten mehr Zeit für die wichtigen Dinge im Leben: unsere Kinder, geistiges Schaffen, Kultur, Umwelt, Pflege unserer Senioren usw. Außerdem verbrauchen wir dann weniger Ressourcen und produzieren weniger Müll. Es wäre also für alle besser – außer für die Gewinnmargen der Konzerne und die Großaktionäre.

Sie sprechen immer wieder die Verflechtung zwischen Wirtschaft und Staat an und schlagen in diesem Zusammenhang eine „Bannmeile für Lobbyisten um den Bundestag“ vor. Halten Sie ausgerechnet den deutschen Bundestag für die geeignete Instanz, um diese Bannmeile zu verwirklichen?

Im Bundestag gibt es momentan mehr Lobbyisten als Abgeordnete. Das führt dazu, dass dort viele Gesetze zu Gunsten der Unternehmensgewinne und zu Lasten der Bevölkerung gemacht werden. Z.B. wurden durch Lobbyarbeit lange Zeit Rauchverbote und bis heute Werbeverbote für Tabakprodukte verzögert. Die Liste ist lang. Um dem einen Riegel vorzuschieben, würde ich bildlich gesprochen für alle Lobbyisten eine Bannmeile im Umkreis von 1 km vom Bundestag einrichten. Und vor allem: keine Gesetzesvorlage dürfte durch Lobbyisten erstellt werden, wie es heute gang und gäbe ist. Das gehört schlichtweg verboten. Ob der Bundestag die geeignete Instanz dafür ist, ist eine schwierige Frage. Es geht um viel Geld, Parteispenden und andere Zuwendungen. Vielleicht wäre das Verfassungsgericht besser dafür geeignet, ein solches Verbot durchzusetzen.

Und noch eine Verflechtung ist Ihnen ein Dorn im Auge: die von Medien und den Interessen der großen Akteure in Politik und Wirtschaft. Sie fordern in Ihrem Programm Unterstützung für freie Medien. Warum?

Beim Blick auf die Privatmedien in Deutschland, die großen Fernsehsender, Rundfunkanstalten und Printmedien sehen wir eine enorme Machtkonzentration von ganz wenigen Familien, denen diese Konzerne gehören oder die sie lenken. Wie will man das mit Demokratie vereinbaren, wenn fünf oder zehn Familien eine ungeheure Meinungsmacht ausüben können, zum Beispiel vor den Wahlen?

Wenn wir uns die öffentlich-rechtlichen Sender ansehen, erleben wir – vorsichtig ausgedrückt – eine ungeheuer homogene Berichterstattung. Außenseitermeinungen werden schnell als von Extremisten, Fanatikern oder Verschwörungstheoretikern stammende Theorien gebrandmarkt. Das ist praktisch. Dann muss man sich nicht inhaltlich damit auseinandersetzen. Ein Beispiel unter zahlreichen anderen ist Daniele Ganser. In dem jüngst erschienenen Bestseller-Buch „Lügen die Medien?“ von Jens Wernicke wird das ja ganz beeindruckend aufgezeigt.

Ein anderer Machtfaktor, der die Medienfreiheit heute stark unterdrückt, ist Werbung. Nach dem sehr zutreffenden Motto „wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ singen unsere Medien ganz überwiegend das Lied der Geldgeber. Sie können es sich normalerweise nicht leisten, gegen die Interessen der großen Werbegeldgeber zu schreiben. Die Beispiele dazu sind Legion. Dadurch berichten die deutschen Medien, von wenigen Ausnahmen abgesehen, systematisch einseitig zu Gunsten der Vermögenden. Geldgeberkritische oder systemkritische Berichte finden sich sehr selten, denn sie können die Existenz der Medien gefährden.

Da die Medien ganz entscheidend unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit prägen, sind freie, unabhängige Medien einer der allerwichtigsten Grundpfeiler der Demokratie. Wenn wir nicht wahrheitsgemäß, aufrichtig und ehrlich informiert werden, fehlt uns der Kompass, und wir laufen in eine falsche Richtung. Das ist sehr gefährlich. Daher sind unabhängige Medien wie der „Rubikon“ etwas existenziell Wichtiges für unsere Demokratie. Und ich meine wirklich existenziell, ich meine das Überleben der Demokratie. Auf der Basis von Unwahrheiten und Unwahrhaftigkeiten können auf Dauer nur Diktaturen überleben. Diktatoren wussten das immer. Daher war einer der ersten Schritte nach der Machtübernahme die Gleichschaltung der Medien, sowohl unter der NSDAP, zu Zeiten der DDR, unter Stalin oder im heutigen China.

Wirklich freie Medien sind daher essentiell wichtig. Der „Rubikon“ ist ein kleiner, feiner Beitrag dazu.

Spricht all das, was Sie skizzieren und kritisieren, nicht deutlich dafür, dass in unserem Land gerade die Grundfesten dessen erodieren, was gemeinhin als Demokratie bezeichnet wird?

Das ist eine große Sorge von mir. Weniger, dass wir in eine offene, auf Macht gebaute Diktatur alter Art geraten, sondern als schleichender Prozess, der in Richtung Orwells „1984“ geht, die – new speak – Krieg in Frieden umbenennt, Abhängigkeit in Freiheit usw. usw. Die ganze Diskussion über fake news geht stark in diese Richtung. Ein schleichender Weg in einen Überwachungsstaat, der uns mit homogenisierten Medien einlullt in eine Scheinwelt, uns vormacht, wir könnten frei wählen, aber die Alternativen im Vorfeld so beschneidet, dass keine wirkliche Wahl mehr übrig bleibt usw. Wir haben schon ein ganz ordentliches Stück auf diesem Weg zurückgelegt.

Was können wir, die Bürger, denn tun, um diesem „Verfall“ entgegenzuwirken? Was können Sie raten?

Mit Wachheit, Aufmerksamkeit und gesundem Menschenverstand die Prozesse beobachten. Unvoreingenommenheit beim Erfahren von Nachrichten, die auf den ersten Blick nicht ins eigene Weltbild passen, bereit sein, eigene Meinungen zu revidieren. Das alles mit größtmöglicher innerer Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Das sind innere Prozesse, auch Selbsterkenntnisprozesse, die häufig schmerzhaft sind. Im nächsten Schritt Engagement für das, was man als richtig und wahr erkannt hat, jeder an seinem Platz, jeder in seinem Umfeld, unabhängig davon, ob der Wirkungskreis klein oder groß ist. Jeder Beitrag zu mehr Ehrlichkeit und Menschlichkeit zählt.

Und wie ist es mit Ihnen selbst, mit Ihrem wunderbaren Engagement für Aufklärung und eine bessere Welt: Haben Sie mit Ihren Büchern und ihrer geistreichen Gesellschaftskritik erreicht, was Sie zu erreichen hofften? Hat man Sie ernst genommen, in den großen Medien diskutiert und auch seitens der Medien Ihre Positionen aufgegriffen und „größer gemacht“?

Ich bin zufrieden. Manche Aussagen haben die großen Leitmedien tatsächlich aufgegriffen, das hat mich ganz besonders gefreut. Dadurch sind ein paar Themen breiter diskutiert worden, zum Beispiel der geplante Verschleiß. Allerdings habe ich auch viele Anfeindungen erlebt.

Sie wurden angefeindet? Inwiefern?

Ein großer Hersteller von Haushaltswaren hat mir eine 30.000 Euro Klage angedroht. Zwei große Werbe-Lobbyverbände haben in öffentlichen Briefen mitgeteilt, ich hätte wohl in der Schule nicht aufgepasst, hätte keine Ahnung usw. Auch wenn das keine Freude macht: Ich finde das hundertmal besser, als wenn die Themen totgeschwiegen werden.

Das, Herr Kreiß, verbindet Sie – ebenso wie Ihr Einsatz für eine bessere Welt – mit dem Rubikon-Team und den Mitgliedern unseres Beirates… Apropos: Sie wären eine große Bereicherung für unser Team. Hätten Sie nicht vielleicht Lust, sich im Rubikon zu engagieren und also etwa Mitglied unseres Beirates zu werden?

Wirklich gerne. Das ist für mich aktive Unterstützung von Demokratie.

Herr Kreiß, ich bedanke mich für dieses Gespräch, und ganz besonders dankt Ihnen der Rubikon und freut sich außerordentlich, dass Sie seine unabhängige Arbeit schätzen und diese Arbeit durch Ihre Mitgliedschaft im Beirat von nun an aktiv fördern und unterstützen wollen.


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Christian Kreiß, Jahrgang 1962, studierte Volkswirtschaftslehre und promovierte in München über die Große Depression 1929 bis 1932. Nach neun Jahren Berufstätigkeit als Bankier in verschiedenen Geschäftsbanken, davon sieben Jahre als Investment Banker, unterrichtet er seit 2002 als Professor an der Hochschule Aalen Finanzierung und Wirtschaftspolitik. Er ist Autor dreier Bücher und zahlreicher Veröffentlichungen.


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