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Ein Ort zum Leben

Ein Ort zum Leben

Soll Bildung gelingen, muss Schule mehr beinhalten als strukturelle Gewalt gegen Heranwachsende.

Morgens 7.30 Uhr: Lisa öffnet die Türen. Draußen stehen Paul und Tom.

Lisa begrüßt die beiden mit einem herzlichen Lächeln. Paul fragt Lisa ganz aufgeregt, ob er heute Morgen schon mit Tom in den Projektraum kann. Gestern hatten sie begonnen, die abgegebenen kaputten Elektronikgeräte im Repaircafé auseinanderzubauen. Ihm ist heute Nacht eingefallen, wo der Fehler bei einem Gerät liegen könnte und Tom hat eine Idee, was für ein Ersatzteil benötigt werden könnte. Das wollen sie gemeinsam im nahe gelegenen Elektroladen besorgen, falls ihre Annahme stimmt.

Lisa nickt selbstverständlich und schließt die Räume auf.

Lisa ist Lehrerin. Heute nennt sie sich Lernbegleiterin …

Sie steht vor einer bunten Tür, an der steht „Nur ein Genie beherrscht das Chaos“. Nachdem sie die Tür einen Spalt öffnet, riecht es schon nach Kreativität — nach Farben, Hölzern und Kleber — der Duft der Phantasie. An den Wänden hängen Bilder, an den Fenstern sitzen kleine Igel in der hohen Blumenwiese — bunte Blumen aller Art.

Auf dem Tisch prangt ein riesengroßes hölzernes Etwas. Lisa schaut es sich genauer an. Marie kommt rein, flitzt zu Lisa und drückt sie ganz fest. „Lisaaa, das wird unser neues Puppenhaus. Meine Freundinnen und ich haben uns das schon immer gewünscht und deswegen haben wir uns mit Hendrik einen Bauplan gemacht. Vorgestern haben wir begonnen, schau mal, sooo soll es werden — sogar mit Balkon und richtiger Treppe.“

8.00 Uhr: Lisa geht in den Eingangsbereich. Vor der Angebotstafel stehen bereits Hendrik und Maike — auch sie sind Lernbegleiter. Die drei begrüßen sich herzlich und schauen gemeinsam, welche Angebote dort für heute stehen — die Angebote werden immer gemeinschaftlich mit den jungen Menschen erarbeitet.

Lisa und Maike wollen in der Buchstabenwerkstatt mit den Kindern Satzbauarten hüpfen. Maike geht in den dafür vorgesehenen Raum und bereitet alles vor. Sie sucht dafür verschiedene Formen für die Wortarten heraus.

Hendrik ist — wie fast jeden Tag — in der Werkstatt, denn dort verbindet er Mathematik mit gelebter Praxis. Er baut, bastelt und schreibt Pläne gemeinsam mit den Kindern. Sie berechnen, wie viel und welches Material sie für den geplanten Kompostbehälter und den Hühnerstall im „grünen Klassenzimmer“ brauchen — nebenbei unterstützt er Marie und ihre Freundinnen beim Bau des Puppenhauses.

Lisa sitzt mit der Anwesenheitsliste im Eingangsbereich. Nach und nach kommen alle Kinder und LernbegleiterInnen ins Schulgebäude — einige holen sich eine herzliche Umarmung ab, während andere noch ein wenig verschlafen sind und Zeit zum Ankommen brauchen.

Nachdem Lisas Liste abgehakt ist, geht sie in den Bewegungsraum, in dem schon viele junge Menschen auf sie warten.

Der Tag beginnt

Dieser Tagesbeginn — als kleine Versammlung am Morgen — ist ein schönes Ritual. Es wird gesungen und gelacht; wichtige Anliegen werden besprochen oder sie lesen einfach nur eine kleine Geschichte. Wer mag, kann gemeinsam in den Tag starten — wer nicht, kann sich in den anderen Räumen oder draußen nach seinen Interessen beschäftigen.

Gemeinsam werden nochmal die heutigen Angebote besprochen. Neben dem Satzbauhüpfen gibt es Tanz und Gymnastik in der Turnhalle und Kochen und Backen für das Schulfest am Wochenende. Das ist ein wichtiges Fest, nicht nur weil es die Gemeinschaft stärkt, sondern mit Tombola und Wetthüpfen wollen sie auch Spenden sammeln. Die Jungen und Mädchen wünschen sich einen besonderen Kletterbaum für den Außenbereich. Eine Gruppe von Kindern hat sich tolle Ideen einfallen lassen und spontan dieses Fest organisiert. LernbegleiterInnen haben sie unterstützt und die Planung ist so gut wie abgeschlossen.

Micha jedoch hat einen Einwand: „Liiisaaa? Ich finde es doof, dass nur die Gewinner einen Preis beim Wettlauf gewinnen können. Ich will kein Laufen auf dem Schulfest.“ Erik und Malu stimmen ihm zu. „Ja das könnte ungerecht sein, jeder ist ja unterschiedlich schnell.“ Tom findet jedoch, dass es auch eine Anerkennung für den Sieger geben sollte. Sonst will ja vielleicht gar keiner an dem Lauf teilnehmen.

In den Versammlungen ist Zeit für gemeinsame Besprechungen, Bedenken — und auch für Konflikte und möglichst auch für deren Lösung. Jeder hier, ob jung, ob alt, hat eine Stimme, die gehört und ernst genommen wird. Gemeinsame Lösungsprozesse werden in diesen „Kreisen“ auf Augenhöhe beschlossen — das nennt sich Soziokratie. Es wird gelacht, es wird geweint und auch mal geschimpft. Die Botschaft ist: Wir sehen dich und uns — wir sind eine Gemeinschaft.

Nun können die Angebote besucht werden, eine Gruppe von Jungs und Mädchen spielt draußen Volleyball. Während andere mit ihren LernbegleiterInnen ihre Lernboxen bearbeiten, sind in der Werkstatt Hammerschläge und Bohrmaschinengeräusche zu hören.

Und ehe man sich‘s versieht, ist der Vormittag vorbei — wirklich nach Hause will eigentlich noch niemand.

13.30 Uhr: Lisa geht nochmal alle Räume ab — diese Stille plötzlich. Sie schaut in die Räume und sieht, was heute alles passiert ist. Natürlich haben die Kinder gemeinsam aufgeräumt. Sie staunt: Steht doch da tatsächlich ein buntes Puppenhaus mit richtiger Treppe.

Die Satzbauformen in der Buchstabenwerkstatt liegen noch auf dem Boden, damit morgen früh gleich weiter gehüpft werden kann. Ein großes Plakat liegt im Bewegungsraum zum Trocken — in bunter Schrift steht dort „Herzlich Willkommen zum Schulfest der „[Freien Schule Sonnenberg]((https://fs-sonnenberg.de/)“.

Ein großer Turm aus verschiedenen geometrischen Formen steht in der Zahlenoase, daneben aufgeschriebene Formeln zur Flächenberechnung. Die Blätter sind bunt und vielleicht nicht perfekt, aber darunter prangt ein dicker Smiley mit „Ich hab’s geschafft, TOM!“

Lisa und Hendrik lächeln sich an, die Freude über sich selbst steckt an. Wie stolz Tom auf sich selbst ist! Sie schließen die Türen und nehmen sich nochmal in den Arm. „Bis morgen zum Elterncafé“, sagt Hendrik. „Ich freue mich schon darauf, die Entwicklungsbäume zu zeigen. Dieses halbe Jahr verging wie im Flug und morgen können wir zeigen, wie wir alle über uns selbst hinausgewachsen sind.“ „Bis morgen, Hendrik“, sagt Lisa. „Jeden Tag darf ich wachsen, mit jeder Überraschung und auch jeder Hürde. Ich hätte es selbst nicht glauben können.“

Alles bekommt seine Zeit, alles bekommt seinen Platz.

Albert Einstein schrieb: „Lernen ist Erfahrung — alles andere ist nur Information.“

Bildung ist so viel mehr als unsere Kinder nur mit Informationen „vollzustopfen“, um sie diese später für Tests wieder „auskotzen“ zu lassen.

Der Gebäudeanwesenheitszwang

Wir gründen eine Schule — eine „Freie“ Schule. In diesem Fall bedeutet „Frei“ in freier Trägerschaft, auch wir kommen um den Gebäudeanwesenheitszwang der sogenannten Schulpflicht nicht herum.

Aber, wir wollen diesen Ort gestalten und entfalten. Stell dir vor es wäre Schule und alle wollen hin?

Das ist unsere Vision! Wir alle bilden uns ständig, die Suche nach neuen Erkenntnissen und neuen Erfahrungen ist uns angeboren — und wenn uns diese Entdeckerlust nicht „aberzogen“ wird, währt sie ein ganzes Leben. Junge Menschen sprudeln vor Neugierde und Forscherdrang — sie wollen wachsen; sie wollen nacheifern; sie wollen sich selbst erfahren im Spiegel von verantwortungsbewussten Erwachsenen, die sie wahrnehmen, annehmen und begleiten.

Jeder Mensch ist anders. Was den einen begeistert, findet ein anderer furchtbar langweilig, während der eine ständig in Bewegung ist, braucht ein anderer mehr Ruhe. Dass Erwachsene unterschiedliche Neigungen haben, ist in der Regel kein Problem — doch bei jungen Menschen dagegen schon. Im Regelschulsystem ist kein Platz für unterschiedliche Interessen und Begabungen — hier ist Konformismus angesagt.

Interessensgebiete unterscheiden sich, Leidenschaften sind verschieden. Das Tempo und die Herangehensweisen brauchen unterschiedliche Zeitfenster und sollten sich in ihrer Verschiedenheit entfalten können.

Jeder kann Meister seiner Selbst sein, wenn er bleiben darf wer ER ist und nicht wie andere ihn gerne hätten. Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass wir uns und unsere junge Generation tatsächlich auf die Zukunft vorbereiten können. Vergangenheit bleibt Vergangenheit und die Zukunft liegt nicht in unserer Macht. Wir haben Einfluss auf die Gegenwart, welche wir nur für den Moment gestalten können.

Unser staatliches Schulsystem ist starr, verstaubt und veraltet. Das anzusprechen, stößt immer noch auf einigen Widerstand — schließlich sind kreative junge Menschen eine Gefahr für das herrschende System. Die junge Abiturientin Anna packt aus und zeigt auf, was es doch so dringend braucht.

Jeder von uns hat die Schulzeit „überstanden“. Für die einen waren es schöne Jahre, für die anderen jedoch eine tägliche Tortur. Die Gründe sind verschieden, aber eines steht fest: Der Staat hält eisern fest an seiner Idee der Bildungsvermittlung — und die meisten von uns beugen sich dieser Gewalt und lassen sie über sich ergehen. Hat das wirklich etwas mit Bildung zu tun? Heißt das Lernen, Erleben und Erfahrungen sammeln?

Eine wirklich „freie“ Schule kann es nicht geben, solange es in Deutschland den Gebäudeanwesenheitszwang, genannt Schulpflicht, gibt. Diesen Zwang gibt es nur noch in Deutschland und in Schweden, in allen anderen europäischen Ländern wurde er abgeschafft. Nicht gewusst? Okay, hier ein Artikel dazu.

„Frei sich bilden“ ist noch Zukunftsmusik — Lernorte für diese Zukunft können wir schon heute gestalten.

Der wundervolle Film „CaRabA — ein Leben ohne Schule“ von Bertrand Stern zeigt eine Zukunft, von der wir noch träumen. Trotzdem wollen wir Tom, Paul, Erik, Malu und vielen wunderbaren anderen Kindern und Erwachsenen endlich einen Lernort ermöglichen, wie es schon andere vor uns geschafft haben, zum Beispiel hier und hier. Einen Ort voller Begeisterung, Neugierde und Lebenslust. Er soll gefüllt werden mit Menschen, die für ihre Ideen brennen, die ihre Leidenschaft entwickeln und sich gemeinschaftlich engagieren.

Die Not ist groß, viele Eltern sprechen uns an und suchen händeringend eine Alternative zum herkömmlichen Regelschulsystem. Ihren Kindern geht es schlecht und ihnen selbst auch unter dem Druck des staatlichen Schulsystems. Sie erzählen uns, dass ihre Kinder ihr Lächeln verloren haben, dass sie in sich selbst zurückgezogen sind und sich abwerten. Druck und Zeitnot bestimmen den Alltag — es geht nur noch um Hausaufgaben und den nächsten Test. Sie bemühen sich, der Schule klar zu machen, dass ihr Kind wunderbar ist — und nicht zu langsam, zu dumm, zu auffällig, zu wenig angepasst oder zu faul. Aber sie kämpfen gegen Windmühlen.

Das müssen wir ändern und das geht nur, wenn jeder Einzelne sich auf den Weg macht und sich mit Gleichgesinnten zusammenschließt.

Viele Hürden hat die „Gründergemeinschaft“ schon geschafft: Das Konzept ist von der Landesschulbehörde so gut wie genehmigt; die Finanzierung ist geregelt und das Gebäude einer ehemaligen Dorfschule wartet darauf, mit Leben gefüllt zu werden.

In Deutschland haben die meisten LehrerInnen den Beamtenstatus — diesen gibt es an einer Schule in freier Trägerschaft nicht. Das heißt wir brauchen Lehrer und Lehrerinnen, die freiwillig auf ihren Beamtenstatus verzichten — eine Hürde, die wir noch nicht genommen haben.

Zwar haben sich schon einige Lehrer für unser Schulprojekt interessiert, doch die Sicherheit, die sie als Beamte haben, können wir ihnen nicht geben — wir SUCHEN also Lehrer und Lehrerinnen, die „anders“ sind; die den Mut haben, sich auf ein Risiko einzulassen; die Freude daran haben, eine Schule als Lernort mitzugestalten; die Lust haben in einer Gemeinschaft von jungen, mittelalten und alten Menschen selbst zu wachsen.

Damit dieser wundervolle Ort zum Leben erwacht, brauchen wir noch zwei Lehrer oder Lehrerinnen mit dem zweiten Staatsexamen — eine Voraussetzung für die endgültige Genehmigung der freien Schule. Wir suchen LehrerInnen, die bereit sind, sich vom System zu lösen, um mit Tom, Paul, Erik, Malu und den anderen jungen Menschen diese Räume mit Lebenslust und Entdeckerfreude zu füllen.


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