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Ein strategisches Angebot

Ein strategisches Angebot

Schliessen wir ein Bündnis mit den Dissidenten in der SPD.

Vorab: ich bin nicht in die SPD eingetreten. Dabei hätte ich eine gewisse Übung darin gehabt, denn ich war schon zweimal Mitglied dieser Partei. Meine Familie blickt zudem auf über 100 Jahre durchgehender SPD-Mitgliedschaft zurück. Und als Kabarettist und Liedermacher Prinz Chaos II. trete ich recht oft speziell in Bayern für SPD-Ortsvereine auf.

Auftreten, ok. Aber nochmal eintreten in den Laden? Nach Kosovo, Afghanistan, HartzIV und Co.? Njet. Das kam und kommt für mich nicht in Frage. Auch nicht, um gegen die #Groko zu stimmen.
Wobei der hauptsächliche Hinderungsgrund ein anderer ist: die Koordinaten meines Denkens sind nicht mehr in erster Linie entlang eines angebotenen Parteienspektrums, das keine Landschaft mehr ist, ausgerichtet.

Vehikel der Transformation

Parteien spielen immer noch eine gewisse Rolle, weil der Staat und Teile der Gesellschaft immer noch so verfasst sind, wie wir das seit einhundertfünfzig Jahren kennen. Aber das Neue, das wir brauchen, um die Welt zu transformieren, wird am Ende doch wesentlich neuer sein müssen, als eine LINKE ohne Streit und mit etwas weniger Opportunismus oder eine SPD, die sich ein bisschen „erneuert“ hat.

Wir benötigen neuartige Organe der Demokratie im 21. Jahrhundert. Es geht um die Emanzipation des Menschen auf Ebenen, die bisher gegen jede Praxis der Selbstorganisation von unten immun geblieben sind. Wir brauchen mehr Demokratie, aber auch eine andere, bessere, prozesshaftere und in massenhaftem Aktivismus gründende Demokratie.

In dieses Rom führen entweder ungezählte Wege aus den verschiedensten Winkeln oder gar keiner. Wir müssen zurück ins Labor, müssen mit neuen Formen der Organisation und der kollektiven Selbstermächtigung experimentieren.

Das Vehikel, mit dem man diesen Weg jeweils befährt, ist im Grunde egal, solange seine spezifischen Eigenschaften dem gemeinsamen Ziel zuträglich sind. Die Innenausstattung der jeweiligen Vehikel gesamtgesellschaftlicher Transformation ist von Bedeutung für die historische Prägung, die von ihnen ausgeht.

Die SPD ist ein Vehikel von unbestreitbarer Grandesse. Eine abgetackelte Fregatte aus einer gusseisernen Zeit, in der die Kunst des Handwerks auf anderen Höhen und die Blüte der Industrie noch bevorstand.

Aber der gute Geist dieser Fregatte ist in grauer Vorzeit entschlafen. Der ohnehin ziemlich morbide Großkutter Deutsche Sozialdemokratie treibt ziellos in einem Meer, das von immer wilderen Wettern zerfurcht wird, die immer öfter den Boden unter den Füßen erbeben lassen.

Wer sich jetzt nicht bewegt, lebt gefährlich. Die sich derzeit am Regierungsruder festklammern, ängstlich und dreist, sind keine Hilfe. Denn sie halten Kurs auf das nächste Riff.

Es ist deshalb die Zeit der Tatkräftigen, es ist Zeit für die Mutigen. #NoGroko war der laute Ausdruck ihres Erwachsens, der Ruf zur Aktion, die die Entschlossenen ergriffen und zusammengeführt hat.

Staatskrise seit September

Was dieses Phänomen mit der SPD machen wird und was die SPD mit diesem Phänomen anstellen wird, steht in den Sternen. In wenigen Stunden kennen wir das Ergebnis des Mitgliederentscheids. Was eigentlich, wenn es sehr knapp ausgeht? Ohnehin wird die SPD bestenfalls sehr geschwächt, aber mit einer sehr gestärkten inneren Opposition, in diese Regierung eintreten können.

Oder es gibt einen sozialdemokratischen Brexit-Moment, eine Detonation im Gefüge des Machtapparats der politischen Herrschaftsausübung?

Die lange Staatskrise seit der Bundestagswahl im September hat die innere Zerrüttung des politischen Betriebs vor den Augen der Öffentlichkeit demonstriert. Neuerliche Ausblühungen im Lack des Systems sind die Folge, feine und gröbere Risse im Putz der Repräsentation. Der herrschende Diskurs ist porös geworden.

Bei allem Raubtierfauchen der Alphajournalisten, der SPD-Nomenklatur und ihrer Lakaien ist die Empörung über die allgemeinen Zustände mit #NoGroko einmal mehr manifest geworden, in wie außerhalb der SPD. Und ich war überrascht, mit welcher nachgeraden Verachtung viele in der SPD heute ihrer gesammelten Führungsebene begegnen.

Ist das zu grobschlächtig gesprochen? Undifferenziert und so?

Es ist in der Tat der allgemeine Zustand nicht nur der SPD, nicht nur Deutschlands, sondern unserer Zeit, unserer Weltgesellschaft, der uns auf die Barrikaden treibt. Es ist die Verachtung für das Versagen der auf uns gekommenen Verwaltungskaste. Es ist die Sehnsucht nach einer fundamental verbesserten Realität, der Sinn für die Dringlichkeit der Probleme unserer Zeit, der Wunsch nach einer funktionierenden Gesellschaft mit neuem, erstarkten Bürgersinn und Bürgerstolz, auch.

Die SPD als entfremdete Heimat

Thomas Mann nannte Deutschland einmal „das Land der Städte“.

Hildesheim, Pforzheim, Mannheim, was waren das nicht für bedeutende, stolze Städte. Die Bürger hatten sie sich selbst erbaut, über Generationen hinweg. Sie lebten im Haus der Stadt wie in dem Ihrigen. Sie übernahmen in hohem Maße persönliche Verantwortung für das Wohl der Stadt. Es war ihre Stadt.

Natürlich ist das eine Weichzeichnung. Korruption und Vetternwirtschaft wird es immer gegeben haben, Skrupellosigkeiten und größtes Unrecht.

Aber die heutigen Städte sind nicht mehr unsere Städte. Nicht Wir haben sie erbaut. Wir hatten so gut wie gar keinen und haben immer noch weniger Einfluss auf oder Anteil an der Entstehung der Stadt, in der wir mehr wohnen als leben. Die Städte werden uns fremd und fremder und schon fragt sich, ob sie die Ansprüche des Begriffs "Stadt" noch entfernt erfüllen werden können.

So ist die SPD. Sie ist auch keine SPD mehr. Sie ist von sich selbst entfremdet.

Ja, aber! - sagen jetzt die LINKEN und die Linken und die Kritiker und die historisch Belesenen: die SPD war doch schon immer ganz genau so, und der Verrat, das jämmerliche Versagen in einer entscheidenden historischen Drucksituation - genau das ist doch die SPD, wie sie immer war.

Dann sage ich: das stimmt. Schon die SPD von 1918/1919 war von einer unfassbaren, geradezu kriminellen, herrschaftssichernden Durchtriebenheit, und die SPD unter Helmut Schmidt war auch nicht der feuchte Traum radikaler Erneuerer.

Aber die SPD 2018 ist nicht einfach eine SPD mit einer korrupten Führung, die verbrecherische Dinge tut und mit einer laschen, schicksalsergebenen Mitgliedschaft. Die SPD 2018 ist wie eine alte, stolze Stadt, die zusammengebombt und wieder aufgebaut wurde und dann überformt, übernommen und feindlich transformiert. Sie ist den Menschen fremd geworden, die in ihr leben. Sie ist keine Heimat mehr. Die Bürger dieser Stadt haben längst nichts mehr mitzuschnabeln, wenn es um die Stadtentwicklung geht.

Damit ist die SPD 2018 so diese Sorte "Heimat", wo anonyme Ketten den Einzelhandel verdrängt haben und Lobbyisten globaler Monopole die engagierte Lehrerin oder den rebellischen Drechsler, wie August Bebel einer gewesen ist.

August Bebel und die Jusos

Was war dieser August Bebel nicht für ein großer, guter Mann! Der Sohn eines verarmten preußischen Unteroffiziers der Arbeiter wurde und Marxist und der gemeinsam mit dem vierzehn Jahre älteren Wilhelm Liebknecht als glänzender Organisator und jahrzehntelanger Anführer der jungen SPD zum Gegenkaiser des Proletariats wurde.

Ich habe in den letzten Monaten auf Facebook gut 100 #NoGroko-Genossinnen und Genossen gefunden. Sehr gute Leute sind darunter. Betriebsrätinnen und Basisaktivisten, viele Jusos, einige Mandatsträger.

Mich haben diese konkreten Leute interessiert. Sie interessieren mich sehr viel mehr als rein taktische oder institutionelle Überlegungen. Was trieb diese Leute in diese SPD? Welches Bewusstsein haben sie von der Geschichte ihrer Partei? Wie stehen sie zu den brennendsten Zeitfragen? Und vor allem: wie konnte ich etwas beitragen, das #NoGroko-Lager zu stärken? Ich muss ja schließlich persönlich nicht in die SPD eintreten, um die Dynamik der #NoGroko-Genossinnen und -Genossen zu feiern, zu unterstützen.

Was es da zu feiern gibt? Ist nicht ohnehin alles ein abgekartetes Spiel mit gezinkten Karten?

Natürlich! Die SPD ist in ihrem heutigen Zustand nicht einfach ein unbeschriebenes Blatt Papier.

Die Mitglieder sind geprägt vom Erbe der Schröderjahre, von Jahren in der Regierung, in denen man so ziemlich jeden Scheiss mitgemacht hat.

Die Partei ist ausgezehrt, inhaltlich wie organisatorisch. Die SPD ist schließlich ein riesiger Apparat, der über die engere Partei weit hinausgeht. An der SPD mit ihren 450.000 Mitgliedern hängen Fraktionen in Kommunalparlamenten, die Falken, Arbeiterwohlfahrt, Posten bei der lokalen Wasserwirtschaft oder Wohnungsbaugesellschaft, Gewerkschaften, ein eigenes Presseimperium, ein Reisebüro, Immobilien, Vertreter in Rundfunkräten, Kassierer in lokalen Sportvereinen usw.

Diese Verankerung der SPD ist weithin abgeschmolzen seit Schröder, aber sie ist nicht völlig weg. Sie wird irgendwie weiter bewirtschaftet. Deswegen ist jeder und jede, der in der SPD nicht nur Mitglied, sondern halbwegs aktiv ist, in der Regel Multifunktionär.

Deswegen hat es aber auch ein ganz anderes Gewicht, wenn es auf dem Tanker SPD einmal richtig ruckelt, als wenn bei den Grünen ein Parteitag eskaliert. Die SPD ist in den Tiefen der Gesellschaft verankert. Deswegen hat es vielleicht auch so verzweifelt lange gedauert, bis sich endlich etwas rührte in dem Laden.

Jetzt aber ruckelt es mächtig auf dem rostroten Tanker. Aus #NoGroko wird #NoNahles und wird hoffentlich #Erneuerung und #Rebellion. Und auch wenn die politischen Differenzen quer durch die #NoGroko-SPD groß sind und nicht jeder SPDler, der gegen die Groko ist, auch ein glaubwürdiger Vertreter einer Erneuerung des Ladens ist: diese Leute haben etwas getan, was nicht nur in dieser Partei extrem selten ist: sie sind aufgestanden für ihre Überzeugung und haben einer nahezu unisono für die neue Merkelregierung agierenden Führungsriege die Gefolgschaft aufgekündigt.

Die Russen und der Frieden

„Erziehe unsere Kinder zum Friedensgedanken“ - dies gab mein sozialdemokratischer Großvater meiner sozialdemokratischen Großmutter auf. Abgesehen von einem antiquierten Modell der Rollenverteilung in der elterlichen Erziehung, zeigt diese kleine Begebenheit, wie fundamental verwurzelt der Kampf für den Frieden in den Sozialdemokraten dieser Generation gewesen ist.

Deshalb wollen wir zum Abschluss nicht von den Konflikten schweigen, die es auch mit erheblichen Teilen der #NoGroko-SPD zu führen gilt, wenn wir zusammenarbeiten und gemeinsam auf einen grünen Zweig der progressiven Veränderung kommen wollen.

Ich las da in Debatten mit selbsterklärt „linken“ SPDlern etwa Folgendes, O-Ton:

„Ich persönlich fände 3 Panzerdivisionen ok. Das wären etwa 18 Panzerbataillone mit jeweils um die 50 Kampfpanzer. Ca. 1.000 insgesamt. Das gleiche noch mal bei den Panzergrenadieren. Das sind immer noch nur 2/5 der Panzertruppe des kalten Krieges und damit hätten wir zuwenige um Russland zu bedrohen und genug, um das NATO-Gebiet glaubhaft zu schützen.“

Ja, Ihr lieben SPD-Erneuerer - es ist gut, dass Ihr aufsteht. Es ist gut, dass Ihr über soziale Gerechtigkeit, Umverteilung und Bürgerversicherung und Erhöhung des Mindestlohns sprecht. Für diese Forderungen können und werden wir ab sofort gemeinsam streiten, egal mit welchem oder ohne Parteibuch, als Menge, als Bewegung, als neue, vereinigte Opposition.

Aber Ihr schweigt - von Ausnahmen wie dem exzellenten Marco Bülow angesehen - ohrenbetäubend laut zum gesamten Feld der Außenpolitik, zur Kriegspolitik, die Eure Partei mitträgt, zur Eskalationsstrategie der NATO, zu den globalen Konflikten.

Ich habe auf Nachfrage dann gute Leute erlebt, die sehr alarmiert und der Tradition Willy Brandts und der Friedensbewegung verpflichtet sind - aber auch Beispiele erschreckender Verhetzung bei SPD-Mitgliedern, die zu 110% auf NATO-Linie waren.

Ich bin in die Debatte gegangen. Ich habe mit diesen Leuten diskutiert. Und so sollten wir jetzt umgehen miteinander. Wir müssen etwas Neues erfinden, einen neuen Ansatz des gesellschaftlichen Fortschritts entwickeln. Und wir sollten es schnell, ernsthaft und entschlossen angehen. Keiner hat ein Patenrezept. Es wird Differenzen und Konflikte geben. Wir brauchen eine solidarische Debattenkultur, die überhaupt die Chance eröffnet, zu einer inhaltlichen Verständigung zu kommen.

Die Jusos haben, dieses Verdienst nimmt ihnen keiner, eine solche Debattenkultur gelebt und damit als Möglichkeit im politischen Raum platziert. Man kann anders miteinander umgehen. Konflikte können solidarisch bearbeitet werden.

Ich also habe, geschockt über die militaristischen Töne einiger #NoGroko-SPDler, dieses Statement in eine „linke“ SPD-Gruppe gepostet. Und siehe da, es gab viel Unterstützung und eine spannende Diskussion, in deren Verlauf die Argumente der Friedensbewegung Land gewonnen haben:

"Ihr Lieben!
Nachdem #Aussenpolitik in der ganzen #NoGroko-Debatte scheinbar nicht die geringste Rolle spielt, dann doch einmal die Frage in die Runde: Können wir uns darauf einigen, dass #Erneuerung der SPD auch bedeuten muss.
1. Rückzug der Bundeswehr aus allen Kriegsgebieten
2. Eine neue Ostpolitik zum Ausgleich mit Russland (Wandel durch Handel)
3. Wiederaufbau friedenspolitischer Instrumente (KSZE etc.) und Reform der UNO
4. Exportverbot für alle Rüstungsgüter
5. Konversion der Kriegsindustrie
6. Eine faire, globale Handelspolitik; Aussenhandelsgleichgewicht
7. Einseitige Abrüstung als Ouvertüre für internationale Abrüstungsinitiativen
8. Keine deutschen Kampfdrohnen (wie im Groko-Vertrag vorgesehen)
9. Schluss mit der Beteiligung Deutschlands am illegalen Drohnenkrieg der USA über die Airbase Ramstein
Könnten wir uns darauf einigen?
"

Lasst uns so weitergehen: zusammen, solidarisch, debattierend, organisierend, agierend.

Dann wird #NoGroko der Beginn von etwas sehr Gutem gewesen sein. Weit über die SPD hinaus - und ganz egal, wie die Kiste in wenigen Stunden ausgeht.


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