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Ersticktes Potenzial

Ersticktes Potenzial

Ein künftiges Bildungssystem muss die Kreativität und Eigenständigkeit der Schüler freisetzen — oder es hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Exklusivabdruck aus „Verbildet“.

Dieses Buch erläutert anschaulich und detailliert, wie man Sie um Ihre Talente gebracht und Ihnen die Chance auf eine natürliche menschliche Entwicklung genommen hat. Es zeigt auf, wie Sie klammheimlich vor einen ideologischen Karren gespannt wurden; und zwar derart geschickt, dass Sie ihn trotz ihrer stetigen Anteilnahme selbst nie erkannt haben.

Machen Sie sich bereit zu erfahren, warum Sie sind, wie Sie sind, weil Sie als Kind zum Schulkind wurden.

Veränderung des Schulsystems: ein 10-Punkte-Plan

Um die Lebens- und Überlebensfähigkeit der modernen Gesellschaft nachhaltig zu sichern, bedarf es der Überwindung von Feindseligkeit, Selbstgerechtigkeit, kleingeistiger Regeltreue und Unmündigkeit. Zu Anbeginn aller Erkenntnis sollte heute stehen, dass echte Lösungen immer nur miteinander, niemals gegeneinander zu finden sind.

Egal ob Anhänger von Black Fridays oder Fridays For Future, ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, Gewerkschafter oder Firmenvorstände, Wähler oder Politiker, Kirchenvertreter oder Atheisten, Professoren oder Studierende, Lehrer oder Schüler: Jedem ist die Hand zu reichen, um den Weg der Veränderung gemeinsam zu gehen.

Was ihre jeweiligen Rollenfunktionen den Menschen abverlangen, wie sie ihre Fremd- und Selbstwahrnehmung formen und verformen, ist zweitrangig — das Menschsein selbst, in seiner ganzen Würde, hat für die Abkehr von der materialistischen, wachstumsfixierten, umweltzerstörerischen Systemkrankheit dieser Tage im Vordergrund zu stehen. Solidarität, Zusammenhalt und Gemeinschaft zu fördern, um das verloren gegangene Gefühl der Verbundenheit zurückzuerobern, muss die Aufgabe eines Jeden, und daher ebenso die Aufgabe eines Schul- und Hochschulwesens sein.

Viele ambitionierte Projekte, wie etwa die Initiative Schule im Aufbruch, die Initiative Neues Lernen oder die Akademie für Potenzialentfaltung, leisten schon heute Großartiges bei der Erarbeitung und Umsetzung visionärer, fortschrittlicher Bildungskonzepte. Sie alle erkennen die Notwendigkeit, die Schullandschaft, wie sie bis dato besteht, von Grund auf zu revolutionieren: Diktierter Schulstoff darf nicht länger vor echtem Interesse stehen, Benotung nicht länger vor Beziehung, Fehlerangst nicht länger vor Mut, Kontrolle nicht länger vor Vertrauen, Konkurrenz nicht länger vor Kooperation. Stattdessen bedarf es eines konsequenten, tiefgreifenden Wandels von einer Schule des „Du musst!“ zu einer Schule des „Ich kann!“. Solange Bildungsapparate nicht für mehr betrieben werden, als bloße Abrichtungs- und Indoktrinierungsanstalten zu sein, werden nur wenige aus ihnen hervorgehen können, die für die zukünftigen Herausforderungen der Menschheit gewappnet sind.

„Wenn ich an die Zukunft dachte, träumte ich davon, eines Tages eine Schule zu gründen, in der junge Menschen lernen könnten, ohne sich zu langweilen; in der sie angeregt würden, Probleme aufzuwerfen und zu diskutieren; eine Schule, in der sie nicht gezwungen wären, unverlangte Antworten auf ungestellte Fragen zu hören, in der man nicht studierte, um Prüfungen zu bestehen, sondern um etwas zu lernen“ (1) — Karl Popper.

Um Sie hier nicht mit leeren Händen zu entlassen, sollen nachstehend einige konstruktive Vorschläge zur Verbesserung des Schulwesens folgen, die weite Teile der hervorgebrachten Kritik assimilieren. Nicht bloß kleinere Schönheitskorrekturen oder Bildungsreförmchen sind gefragt, sondern (partiell) geradezu fundamentale Neuerungen. Aufbauend auf den heutigen Erkenntnissen aus Hirnforschung, Entwicklungs- und Lernpsychologie, welche in der Entstehungsphase des bestehenden Schulwesens noch weitestgehend unbekannt waren, ergibt sich ein Bild von „Schule“, „Unterricht“ und „Lernen“, das mit den althergebrachten, tradierten Strukturen nur noch wenig gemein hat.

Die Analysen dieses Buches zu Ende denkend, liegt folgender 10-Punkte-Plan zur Schulveränderung nahe:

  1. Auflösung der Klassenverbände:
    Homogene Altersgruppen, in denen Gleichaltrige untereinander konkurrieren, sind weitestgehend zugunsten altersübergreifender Lerngruppen aufzulösen. Anstatt zu unterbinden, dass Ältere und Jüngere von der Erfahrung, Geisteshaltung, Vitalität et cetera der jeweils anderen profitieren, sind Gruppenkonstellationen regelmäßig durchzuwechseln: Mal lernen nur die Sechsjährigen unter sich, mal die Sechs- und Sechzehnjährigen gemeinsam, mal alle Kinder zwischen sechs und sechzehn und so weiter — je nach Thema und Lernziel. Darüber hinaus sind auch Erwachsene und Alte aktiv und „gleichwertig" in den Schulalltag einzubinden, um ein Verständnis für die Ansichten, Belange und Bedürfnisse anderer Generationen — und zwar in beide Richtungen — zu schaffen. Wo Schüler heute gesellschaftlich isoliert werden, sind sie für ihr Dasein in einer Gemeinschaft von Geburt bis Tod durch Begegnung mit derselben zu sensibilisieren. Der Generationenvertrag zwischen Jung und Alt, der Garant einer stabilen Gesellschaftsordnung, beginnt bei Bindung und Bildung.

  2. Aufweichung des Fachunterrichts:
    Die zusammenhanglose Vermittlung von Wissensfragmenten, wie sie der fächerbezogene Unterricht provoziert, ist zugunsten vermehrter Projektarbeiten mit interdisziplinären Fragestellungen aufzuweichen. Schulaufgaben haben sich nicht länger an der Selbstbezogenheit, den Leitplanken und Abgrenzungsfantasien eines Faches bzw. Fachlehrers, sondern am universellen Blick auf die Welt zu orientieren. Das schulische Schubladendenken ist durch ganzheitliches Denken zu ersetzen. Um dies zu erreichen, gehört neben der Verknüpfung der Disziplinen ein fairer, ernst genommener Anteil an musischem Unterricht, wie Kunst, Theater, Film, Musik, Werken, Tanz, Sport et cetera, in den Lehrplan, welcher ebenfalls aus Kombinationen besteht. Eine Kulisse bauen, ein Drehbuch schreiben, Tanz-, Haupt- und Nebenrollen einstudieren, eine Filmmusik komponieren und diese anschließend musizieren — alles zusammengeführt in einem großen Projekt. Und dann: Aufführung!

  3. Kontextualisierung der Inhalte:
    Doch nicht bloß interdisziplinär, sondern auch räumlich und zeitlich bedarf es der intensiveren Herstellung von Bezügen. Das Gehirn des Menschen denkt in Zusammenhängen, in Querverbindungen, in realen und imaginierten Geschichten, die wir uns über uns selbst und unsere Umwelt erzählen. Jede dieser Geschichten wird dabei in die Dimensionen von Raum und Zeit einsortiert — in die primären Wahrnehmungskategorien des menschlichen Geistes. In diesem Sinne dürfen Bildungsinhalte nicht länger ohne adäquate Kontextualisierung vermittelt werden. Andernfalls hängen sie zusammenhanglos und uneinschätzbar in der Luft. Sämtliche Disziplinen, sämtliche Denkmodelle haben ihre Geschichte, ihre Ursachen; Gründe, warum sie genau so existieren und nicht anders. Nur wer weiß, woher das Wissen einst kam, wie es sich entwickelt hat und wo wir heute stehen, kann den fundierten Versuch unternehmen, diesen Prozess gedanklich fortzuschreiben. Ohne eine entsprechende Rahmenerzählung, die eine Vorahnung zur Zukunft erlaubt, steht jedes Vorausdenken, jede Planung, jeder Versuch einer Antizipation auf äußerst tönernen Füßen.

  4. Flexibilisierung des Lernrhythmus:
    Nicht mehr die Pausenglocke als Diktator über die Zeit, sondern das ehrliche Interesse sowie die Aufmerksamkeitsspanne eines Kindes müssen Taktgeber seines schulischen Lernens sein. Ist das Gleichmachen durch zeitliche und inhaltliche Synchronisation, wie sie der Fachunterricht im Klassenverband bedingt, erst aufgebrochen, kann die Wissensvermittlung an den tatsächlichen Bedürfnissen jedes Einzelnen orientiert werden. Kinder, die von Natur aus unterschiedlich schnell und ausdauernd lernen, verschieden Abspeichern und über abweichende Aufnahmekapazitäten verfügen, gelten nun nicht mehr länger als zu behebendes Problem. Ihre künstliche Kanalisierung, die zu Über- oder Unterforderung führt, Stress erzeugt und sie in eine Norm presst, ist nicht mehr vonnöten. Stattdessen kann ihrer individuellen Förderung und Entfaltung, aufbauend auf ihrer jeweiligen Bildungsbiografie, Raum geboten werden.

  5. Reduktion der Stoffmenge:
    Wie empirisch hinreichend belegt, verbleiben in den Köpfen, die das heutige Bildungswesen verlassen, trotz etlicher Jahre des Paukens und Büffelns nicht mehr, als einige Grundlagen, lose Brocken und halb leere Phrasen. Bereits die schiere Menge an zu bewältigendem Schulstoff macht dessen effektive Aufnahme und nachhaltige Speicherung zu einem Ding der Unmöglichkeit. Wohl nur selten gilt der altbekannte Ausspruch „Weniger ist mehr!“ so sehr, wie hier. Nicht das zügige Reinprügeln von Schulstoff im Gleichschritt, sondern im Gegenteil die intensive Beschäftigung, das sich Reindenken und nach persönlichem Gusto mit Muße und Hingabe Erforschen machen Erlerntes auch langfristig fruchtbar. Anstatt das bisherige Stoffpensum beizubehalten, sollte selbiges daher drastisch reduziert werden.
    Die neu gewonnen Freiräume dienen daraufhin der gedanklichen Tiefe, der Kontemplation und Konzentration. Überdies ist die zurückeroberte Zeit in hohem Maße dem Auf- und Ausbau emotionaler und sozialer Kompetenzen zu widmen — die Eckpfeiler von Gemeinsinn und Gemeinschaft. Mindestens die Hälfte allen Unterrichts hat hierauf aktiv Bezug zu nehmen.
    Denn: Nur ein gesundes Sozialgefüge schafft die Voraussetzungen, unter denen ein humanes, moralisches und ethisches Handeln erwächst.

  6. Veränderung der Prüfungsverfahren:
    Sein Wissen auf den Prüfstand zu stellen und Herausforderungen zu begegnen ist nicht per se schlecht. Schlecht jedoch ist die Art und Weise, wie Lernerfolge heute überprüft werden. Das punktuelle Lernen für Tests und Klausuren, das Lernen auf den „Peak“, verführt zum unnachhaltigen „Bulimie-Lernen“ — zum kurzfristigen Aufnehmen und Vonsichgeben des Schulstoffs, ohne dass er langfristig „ansetzt“. Als Konsequenz werden Kinder darauf programmiert, bloß einmalig „abzuliefern“, um das Gelernte anschließend zugunsten der nun wichtigeren Themen beiseitezuschieben. Lernen aber ist vor allem dann sinnvoll, wenn das Gelernte auch nachhaltig verfügbar bleibt, damit der eigene Bildungshorizont sukzessive erweitert werden kann. Zu diesem Zweck müssen Gedanken reifen, Inhalte immer wieder hervorgekramt und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und hinterfragt werden.
    Anstatt also singuläre Prüfungssituationen zu schaffen, die obendrein, fälschlicherweise, als „Qualitätssicherung“ missverstanden werden, sind weite Teile des Prüfungsverfahrens auf einen Mix aus kurz-, mittel- und langfristigen Ausarbeitungen von mündlichen und schriftlichen Projekten auszulegen, die regel- oder unregelmäßig alleine, in Klein- oder Großgruppen dargelegt bzw. vorgestellt werden. Es gilt, die gesamte Spanne zwischen spontanem Gedankenakt und einem langen geistigen Atem zu entwickeln. Darüber hinaus sind gleichfalls die Ausarbeitungen anderer Schüler beziehungsweise Gruppen zu durchdringen und zu präsentieren, um eine Vorstellung für die Herangehensweisen anderer Menschen zu entwickeln.

  7. Abschaffung des Notensystems:
    Das ziffernbasierte Bewertungsmodell ist durch mündliche und schriftliche Einzel- und Gruppenfeedbacks zu ersetzen. Zur Eindämmung des Konkurrenzdenkens sowie zur Förderung von Kooperation, bedarf es, den unmittelbaren Vergleich von Schülerleistungen durch Notenduelle abzuschaffen. Entscheidend ist nicht, wie sich der Nebenmann schlägt oder wie die eigene Leistung innerhalb eines isolierten Anforderungsprofils erscheint, sondern, dass die erzielten Resultate im Kontext der persönlichen Bildungschronik reflektiert werden. Wichtig ist, wo man gestern stand, heute steht und morgen hin will — was sowohl für Einzel- als auch Teamleistungen gilt. Leistungsbeurteilungen, so die Sentenz, haben stets auch Entwicklungsbeurteilungen zu sein. Entgegen der heutigen Einseitigkeit wird die Beurteilungspraxis dabei zum konstruktiven Dialog:
    Der gleichberechtigte Austausch auf Augenhöhe tritt an die Stelle autoritärer Machtausübung, ohne die Vorbildfunktion eines Lehrers hierdurch zu entlasten. Schüler geben Lehrern ebenso eine Rückmeldung, wie diese ihre Schüler „coachen“.
    Und auch die Schülerschaft untereinander unterstützt ihren Lernfortschritt durch gegenseitige Feedbacks.
    Hiervon abgesehen, erscheint noch ein zweiter Aspekt der Notenabschaffung als elementar: Das Ersetzen von extrinsischer durch intrinsische Motivation! Nicht das Abtöten der natürlichen Begeisterung durch äußere Belohnung, wie es die Notenjagd bewirkt, darf im Mittelpunkt stehen, sondern im Gegenteil das Anheizen der innewohnenden Faszination für Bildung und Betätigung. Anstatt Kinder darauf zu konditionieren, ihren Selbstwert auf Basis von Belohnungspunkten zu bemessen, damit sie später eifrig gegen Lohn arbeiten, müssen Interesse, Leidenschaft und Moral als Triebfeder für die Berufswahl stimuliert werden.

  8. Verzicht auf Hausaufgaben:
    Als repressives Relikt eines überkommenen Denkens ist auf die verlängerte Beschulung nach Schulschluss, die das Privatleben der Kinder „entprivatisiert“, zu verzichten. Anstatt einen echten Mehrwert für die geistige Entwicklung eines Kindes darzustellen, raubt sie demselben in Anbetracht vollkommen überladener Lehrpläne die Kindheit. Selbst in den eigenen vier Wänden findet es keine Ruhe vor der Schule, kein Ort des Rückzugs, keine Freizeit. Stattdessen stressen Hausaufgaben bisweilen die gesamte Familie; mit dem verqueren Prinzip, jene Unterstützung, wie sie die Schule als Experte leisten könnte, an Laien auszulagern. Alternativ zu den bisherigen Hausaufgaben sind daher Schulangebote zu schaffen, etwa gemeinsame Lern- und Arbeitsgruppen, die den Kindern über das reguläre Angebot hinaus, sofern gewollt, unter die Arme greifen.

  9. Praktiker integrieren:
    Das Unterrichtsschema eines Lehrers, der im Alleingang einer Horde von Kindern gegenübersteht, ist ineffektiv und überholt. Wer später vorhat, einen Beruf zu ergreifen, welcher nicht ausgerechnet dem des Lehrers entspricht, wird stark davon profitieren, nicht über sein gesamtes Heranwachsen hinweg ausschließlich Lehrer vor der Nase zu haben. Dass sich so viele Kinder nach der Schule unsicher bei der Berufswahl zeigen, ist nicht überraschend, denn etwas anderes als das Lehrertum haben sie nie kennengelernt, zumindest nicht in der Schule. Insofern also scheint es orientierungs- und sinnstiftend zugleich, Leute aus dem „echten Leben“, aus den Berufen der Erwachsenenwelt in den Schulalltag zu integrieren, die mit ihren Erfahrungen und emotionsgeladenen Geschichten faszinieren.
    Starke Charaktere mit Charisma, quer durch alle Schichten, die als Vorbilder Ideale verkörpern, aus der Praxis berichten, konkrete Thematiken behandeln, unterrichten und Mut machen. Gleichzeitig haben Kinder im Gegenzug auch die Welt außerhalb der Schule zu erleben, etwa in Unternehmen, Genossenschaften und Vereinen, oder im Wald beim Förster, im Biotop beim Botaniker, beim Imker oder Landwirt. Nur so nämlich wird überhaupt greifbar, wofür es sich zu lernen lohnt: nicht für die kommende Prüfung, für die Zensur auf dem Papier, sondern für ein erfülltes Leben in einer sozialen Gemeinschaft.

  10. Abschaffung der Schulpflicht:
    Zwangssysteme sind notwendig, wenn etwas widerwillig herbeigeführt werden soll. Freie Systeme dagegen werden freiwillig nachgefragt, sofern das Angebot stimmt. Wenn es gelingt, die Schule zu einem Ort zu machen, der mit Qualität überzeugt, Glück und Gemeinschaft fördert und noch dazu — über die Steuer — voll finanziert ist, dann kann die Zeit, als die Massenbeschulung nur unter Zwang funktionierte, zu den dunklen Menschheitskapiteln ad acta gelegt werden.
    So ziemlich das Schlimmste nämlich, dass ein Kind auf die Frage, weshalb es denn zur Schule geht, erwidern kann, ist die heutige Standardantwort: „Weil ich muss!“ Würden Schulen jedoch als Orte der Potenzialentfaltung erlebt, mit einem spannenden, abwechslungsreichen Angebot, so könnten sie zum schönsten Platz auf Erden werden, den Kinder sich vorstellen können. Bereits heute gibt es Schulen, man mag es kaum glauben, in denen Kinder quengeln und weinen, wenn die Ferien beginnen. Es liegt an uns, jede Schule zu einem solchen Ort zu machen!

Um ein 10-Punkte-Programm zur Schulveränderung, wie vorstehend dargelegt, umzusetzen, bedarf es des kollektiven Umdenkens. Nach wie vor führen Ängste, Stress und Konkurrenzdruck zu einer Blockade des Wandels. Vielen erscheint es als Wagnis, Zwang, Überwachung und Autorität aus dem Lernen herauszunehmen, da sie das Absinken des intellektuellen Niveaus befürchten. Dabei beginnen solch tief sitzenden Bauchschmerzen bereits bei der so weit verbreiteten, geradezu auf den Kopf gestellten Betrachtungsweise dessen, was gemeinhin als adäquates „Beschulen“ und „Unterrichten“ verstanden wird. Nicht ein einziger Mensch auf der Welt ist dazu in der Lage, einen anderen Menschen aktiv zu bilden!

Das Einzige, was ein Mensch für die Bildung eines anderen tun kann, ist günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, etwa durch das Bereitstellen von Informationen oder anschauliche Erklärungen, in denen sich die Bildung seines Gegenüber ereignet; sprich, in denen Bildung als Selbstbildung gelingt.

Nur das eigene Verständnis, das aus sich selbst heraus Begreifen, Durchdringen und Verstehen kann zu dem berühmten Schalter im Kopf führen, der „klick“ macht. Analogisch gedacht, ist das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler das Gleiche wie jenes zwischen Arzt und Patient: Auch ein Mediziner ist nicht in der Lage, einen Kranken zu heilen. Alles, was in seiner Macht steht, ist einen günstigen Rahmen zu schaffen, etwa durch das Basteln einer Armschiene, Nähen einer Wunde oder Verschreiben von Medikamenten, damit die Selbstheilungskräfte seines Patienten optimal wirken können.

Was also könnte hervorgebracht werden, in dieser so wohlversorgten und hoch technisierten Gesellschaft, wenn damit begonnen würde, Bildung größer zu denken? Losgelöst vom Irrglaube des „aktiven Eintrichterns“, losgelöst von überkommenen Vorschriften, Zwängen, künstlicher Finanzmittelknappheit, Lehrermangel und dergleichen? Stünde hier womöglich eine Tür offen, die, einmal durchschritten, in eine völlig neue Form von Gesellschaft führt? Wären Sie, liebe Eltern, in diesem Fall dazu bereit, Ihrem Kind diese Tür wider besseres Wissen zu verschließen? Wärt ihr, liebe Lehrer, dazu bereit, eure Schüler wider besseres Wissen auf die ökonomische Schlachtbank zu führen? Und wärt ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, dazu bereit, eure Zukunft wider besseres Wissen für eine „Karriere“ zu opfern?

„Bildung ist die mächtigste Waffe, die du verwenden kannst, um die Welt zu verändern“ (2) — Nelson Mandela.

Jeden Tag nehmen Konflikte und Streitigkeiten um knappe materielle Ressourcen die Aufmerksamkeit vieler Menschen in Beschlag. Ohne Zweifel: Verteilungsfragen in puncto Grund und Boden, Wasser, Nahrungsmittel, Energie, Geld oder Eigentum gehören zu den zentralen gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit. Nur die wenigsten jedoch haben bis heute verstanden, dass die noch immer am ungleichsten verteilte, am stärksten verknappte und am gezieltesten vorenthaltene Ressource die Bildung ist. Sie ist die zentrale Variable, die über den Fortgang der Dinge, über Erfolg oder Misserfolg, über das Schicksal der Menschheit entscheidet. Was der Homo sapiens mit dieser Welt anzurichten vermag, entscheidet sich nicht im Prozess des Anrichtens — es entscheidet sich zuvor in seinem Geist. Denn in letzter Konsequenz entspringt alles, was die Menschheit hervorbringt, der Summe ihrer Bildung.



Quellen und Anmerkungen:

(1) Popper, Karl: zitiert nach Lube, Manfred (Herausgeber): Karl Popper: Ausgangspunkte, Meine intellektuelle Entwicklung. Mohr Siebeck 2012, Seite 51.
(2) Mandela, Nelson: Rede an der Madison Park High School, Boston, 23. Juni1990. Originalzitat: „Education is the most powerful weapon which you can usa to change the world.“


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