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Europa in Gefahr

Europa in Gefahr

Interview mit Heinrich Wohlmeyer, Honorarprofessor für Ressourcenökonomie und Umweltmanagement, zur wachsenden Gefahr eines neuen großen Krieges.

Herr Wohlmeyer, eine Zeitung titelte kürzlich: „Für Europa wird es brandgefährlich.“ Ist das nicht nur Angstmache?

Während die Hauptstrommedien und die Politiker die Lage zu verharmlosen versuchen, hat der Heilige Vater ausdrücklich davor gewarnt, dass wir uns bereits „schrittweise in einen Dritten Weltkrieg“ hinein bewegen.

Diese Warnung ist leider realistisch. Laut dem Heidelberger Institut für Konfliktforschung toben derzeit weltweit 19 Kriege. Die beiden für Europa gefährlichsten Konfliktzonen mit formell unausgesprochenen Kriegen — keine offiziellen Kriegserklärungen — sind jedoch Syrien und die Ukraine sowie die im Rahmen der NATO hochgespielte Konfrontation mit Russland an den Ostgrenzen der EU.

In Syrien tobt ein Stellvertreterkrieg, der nun in der Entsendung von US-Bodentruppen gipfelt.

Die USA, Großbritannien und Frankreich wollen mit dem Sturz Assads neben der Kontrolle über die Erdgasfelder vor der Küste Syriens und über die Leitungsrechte — Transit ohne Gebühren — für Erdgas und Erdöl vor allem auch die russische Präsenz im Mittelmeer — Marinestützpunkt Tartus — beenden.

Wenn man noch hinzudenkt, dass der militärische Führer des IS ein Tschetschene ist, dann versteht man, wieso Russland dessen Sieg verhindern will, um nicht nachher die Kämpfer im eigenen Territorium wiederzufinden.

Die Brisanz der Situation zeigt das Buch „2017 Krieg mit Russland“ des ehemaligen NATO-Generals Alexander Richard Shireff, in dem er in diesem Kontext einen Atomkrieg mit Russland als unvermeidbar erachtet.

In der Ukraine geht es den westlichen geopolitischen Seemächten insbesondere auch um die Präsenz der russischen Marine im Schwarzen Meer. Die mit westlicher Hilfe hochgeputschte Regierung in Kiew hat als eine der ersten Maßnahmen die Absicht zur Kündigung des russisch-ukrainischen Vertrages bezüglich des Marinestützpunktes Sewastopol verkündet. Dies führte zur Annexion der Krim durch Russland. Nun tobt auch dort ein Stellvertreterkrieg mit Potential zur gefährlichen Aufschaukelung, zumal der neue US-Präsident Donald Trump ausdrücklich die Rückgabe der Krim an die Ukraine fordert und Gewalt androht.

Die wohl gefährlichste Entwicklung ist aber das Hochpeitschen der Konfrontation mit Russland in Europa.

Die USA haben ihre Raketen entgegen den seinerzeitigen Zusagen bis an die russischen Grenzen vorgeschoben, und die jüngste Sicherheitskonferenz in München vom 17. bis zum 19. Februar 2017 glich einer Kriegsallianz gegen Russland. Hierzu gehört auch, dass die USA schon unter Präsident Obama angekündigt haben, die Atomwaffen in Europa zu erneuern und mit neuen Lenkköpfen auszustatten. Diese Ankündigung hat Präsident Trump nun verstärkt. Eine generelle Hochrüstung und atomare Aufrüstung findet statt.

Aktuell haben die USA laut Bundeswehr Journal vom 7. Januar 2017 im Rahmen der Operation Atlantic Resolve rund 4.000 US-Soldaten mit 446 Kettenfahrzeugen — darunter 87 Kampfpanzer — und anderes Gerät an die russischen Grenzen verlegt. Luftlandetruppen folgen. Dies ist der größte Aufmarsch von US-Streitkräften seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Deutschland steht als Nato-Mitglied mit Soldaten und Leopard-Kampfpanzern vor Petersburg — ehemals Leningrad. Wer die verzweifelte Verteidigung Leningrads im Zweiten Weltkrieg gegen die deutsche Belagerung kennt, der weiß, welche Verletzung der russischen Seele der Aufmarsch deutscher Soldaten ist.

Dies alles legt den Gedanken eines Befreiungsschlages des Russen nahe, bevor die Einkreisung vollendet ist. Da Russland nunmehr über die modernsten Panzer der Welt, den Tarnkappenpanzer Armata-T14, verfügt und mit diesen drei neue Panzerdivisionen ausgerüstet hat und keinen Atomkrieg will, könnte mit diesen ein Überraschungsangriff erfolgen, um die US-Basen auszuschalten. Dieser würde mit hoher Wahrscheinlichkeit von den USA, Großbritannien und Frankreich drohnengestützt atomar beantwortet. Damit aber würde Mitteleuropa zur unbewohnbaren Wüste.

Wie steht es um die Rüstung der NATO?

Die NATO hat bei dem Treffen der Verteidigungsminister in Brüssel das größte Aufrüstungsprogramm seit dem Ende des Kalten Krieges beschlossen. Die USA haben ein Militärbudget von rund 600 Milliarden US-Dollar. Die Erneuerung der Atombomben in Europa soll nach der World Socialist Web Site rund 10 Milliarden US-Dollar kosten. Sie soll bis 2020 vollendet sein.

Da die USA jeden zweiten Dollar durch Kredite oder durch Geldschöpfung finanzieren müssen, drängen sie auf Mitfinanzierung durch die europäischen NATO-Partner. Großbritannien hatte 2016 ein Militärbudget von rund 56 Milliarden US-Dollar, Frankreich über 44 Milliarden US-Dollar und Deutschland von fast 42 Milliarden US-Dollar. Bei steigender Arbeitslosigkeit und zunehmender Staatsverschuldung gehen die Militärausgaben notwendigerweise zulasten der sozialen Errungenschaften unserer Gesellschaften. Dies führt zur Erhöhung der internen Spannungen und zu politischer Instabilität, die dann wieder mit polizeilichen und militärischen Mitteln bekämpft wird.

Die USA stehen derzeit auf der Höhe ihrer Militärmacht mit 36 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben.

Die US-„Eliten“ wissen, dass diese Position nicht aufrecht erhalten werden kann. Umso größer ist daher die Kriegsgefahr. Auch ist zu bedenken, dass Rüstung auf Pump seit jeher zum Krieg gedrängt haben, um die Kosten durch Plünderung der Unterlegenen hereinzubringen.

Die weltweit tätige US-Antikriegsorganisation World beyond War beziffert die weltweiten Militärausgaben mit 2.000 Milliarden US-Dollar und rechnet vor, was man an humanitären Maßnahmen mit diesen Mitteln finanzieren könnte, insbesondere Kampf gegen Hunger und Krankheiten sowie vor allem Bildung als Schlüssel für ein sozial und ökologisch zufriedenstellendes Zusammenleben der Menschheit.

Ich kann mir dennoch nicht vorstellen, dass eine der beiden Seiten einen Krieg anzettelt!

Wenn wir die grauenhaften Zerstörungen in Afghanistan, im Irak und in Syrien betrachten, dann müssen wir leider sehen, dass die Hemmschwelle der Kriegstreiber sehr gering ist. Vor allem denken sie noch immer, dass ein großer Krieg sie selbst nicht in Mitleidenschaft ziehen wird.

Wie ich schon gesagt habe, provoziert die US-gesteuerte NATO die Russen bis aufs Blut und hofft auf eine Reaktion, die Anlass zur „Selbstverteidigung“ gibt.

Es ist nicht nur der Aufmarsch der NATO rund um Russland, sondern es sind auch die demütigenden und völkerrechtswidrigen Sanktionen, die dieses Land in die Knie zwingen sollen, die zu einer Kurzschlusshandlung — etwa einem Befreiungsschlag — drängen.

Mein Großonkel, der Staatsvertragskanzler Julius Raab, ist auf die Russen im Kalten Krieg bewusst zugegangen, obwohl der ganze „Westen“ dagegen war, und hat ihnen Vertrauen und Zusammenarbeit entgegengebracht. Sein bekannter „Spruch“ war: „Man soll den russischen Bären nicht unnötig in den Schwanz zwicken“ … und „Ein kranker Bär ist gefährlicher als ein gesunder – also tragen wir dazu bei, dass Russland geistig und wirtschaftlich gesundet.“ Diese Haltung müssen wir gegenwärtig einbringen, denn die Kriegsgefahr ist größer, als wir es wahr haben wollen.

Andererseits fürchtet man in Polen, Litauen und den anderen baltischen Staaten eine russische Invasion.

Die Russen haben kein Interesse an einem neuen Weltkrieg. Sie sind aber durch ihre Geschichte geprägt. Sie wurden zweimal vom „Westen“ überfallen (durch Napoleon und durch Hitler). Das sitzt tief im russischen Bewusstsein. Wenn nun die NATO offensive Stützpunkte in all diesen Staaten errichtet, Raketen vorschiebt und „zur Abschreckung“ mit dem Säbel rasselt, dann ist die Gefahr für diese Staaten wirklich gegeben – aber der Auslöser ist die gewaltige Provokation der Russen…

Ich habe daher vor 40 Jahren im Rahmen der IIASA vorgeschlagen, eine Pufferzone neutraler Staaten zu errichten, die den Russen die Angst nimmt, und durch Handel und kulturellen Austausch Vertrauen und sanfte innere Erneuerung in Russland schafft. Wir machten und machen derzeit gerade das Gegenteil … und beklagen uns über die Folgen…

Ich denke, dass es für eine Kurskorrektur nie zu spät ist. Wenn Österreich zusammen mit der neutralen Schweiz und mit einem zur Besinnung kommenden Deutschland die Initiative ergreift und eine umfassende Friedensinitiative startet, dann kann die Kriegsgefahr gebannt werden.

Wir könnten uns hierbei ein Beispiel an den mittel- und südamerikanischen Staaten nehmen.

Diese haben in einem multilateralen Vertrag vereinbart, dass kein Land Atomwaffen erzeugen und die Stationierung fremder Atomwaffen dulden wird. Warum getrauen wir uns nicht, ein atomwaffenfreies Europa — inklusive Russland — zu fordern, und nehmen so den Russen die Hauptangst vor ihrer tödlichen Einkreisung? Ich habe diesbezüglich unserem Außenminister bereits geschrieben und bete dafür, wie es mein Großonkel und mein väterlicher Freund Leopold Figl in der Zeit des jederzeit heiß zu werden drohenden „Kalten Krieges“ getan haben.

Ich denke da immer an ein Gedicht von Reinhold Schneider, das mir gut gefällt:

Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.

Wie dramatisch die Situation ist, zeigt ein Interview, das der ehemalige US-Luftwaffengeneral, Kommandant des National War College und Militäranalyst für CNN, der unter Präsident Clinton auch Verteidigungsminister war, Anfang März 2017 gegeben hat. Er meint, dass derzeit eine Kriegsgefahr bestehe, wie es sie während des kalten Krieges nicht gegeben habe. Es werde ein Nuklearkrieg sein, der das Ende der Zivilisation bedeute.

Wie sagte John F. Kennedy einmal?

„Wir leben unter einem nuklearen Damoklesschwert, das am dünnsten aller Fäden hängt und das jeden Moment durch eine Fehlkalkulation, durch eine Wahnsinnstat oder durch ein Versagen fallen kann.“

Es geht hier nicht darum, Panik zu verbreiten, sondern zu intensiverem Gebet aufzurufen.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


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Heinrich Wohlmeyer, Gen. Dir. a. D., Hon. Prof., Dipl.-Ing. rer. nat., Dr. iur., Dipl. in Law, geboren 1936 in St. Pölten, studierte in Wien, London und den USA. Er war erfolgreich in der Industrie- und Regionalentwicklung tätig und ist einer der wenigen Manager, die wegen ihres sozialen Engagements mit der goldenen Arbeiterkammermedaille ausgezeichnet wurden. Er stand an der Wiege der Nachhaltigkeitskonzepte, entwarf das erste „Grüne Energieprogramm“ für Österreich und thematisierte die Rückkehr von der Petrochemie zur kreislauforientierten Naturstoffchemie.


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