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Fassadendemokratie und Tiefer Staat

Fassadendemokratie und Tiefer Staat

Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter.

Immer sichtbarer wird für Beobachter des Zeitgeschehens die schleichende Transformation parlamentarischer Demokratien in Richtung autoritärer Systeme. Organisationen, die sich ausschließlich Kapitalinteressen verpflichtet fühlen, schaffen suprastaatliche Strukturen, die sich der demokratischen Kontrolle entziehen. Vom Volk gewählte politische Repräsentanten sehen sich zu Handlangern der ökonomisch Mächtigen degradiert, viele von ihnen vollziehen den Schulterschluss mit ihnen.

Politik im bürgerlichen Staat war zwar schon immer interessengeleitet, neu an der aktuellen Situation ist aber die Tatsache, dass sich die Einflussnahme der Global Player nicht mehr auf die Lobby – die Vorhalle – politischer Institutionen beschränkt, sondern dass Budget-, Finanz-, Sozial- und Umweltpolitik zunehmend auf Konzernrechnern konzipiert und dann nur mehr den einzelnen nationalen Parlamenten zum Absegnen vorgelegt werden.

„Das Ende der Demokratie … wie wir sie kennen“ übertitelte der 2015 verstorbene Soziologe Bernd Hamm seinen Beitrag und gab damit den Anstoß für dieses Buch. Die hier versammelten Autoren analysieren seinen Befund aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Gemeinsam teilen sie die Überzeugung, dass sich die liberalen Demokratien, wie sie sich seit dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet haben, im Niedergang befinden. Ihr aktueller Status ist mit dem Begriff der „Fassadendemokratie“ passend beschrieben.

Während der aus immer weniger voneinander unterscheidbaren Parteien bestehende Parlamentarismus ein Schauspiel für die Öffentlichkeit abgibt, liegt die reale Macht dahinter im sogenannten „Tiefen Staat“.

Dieser Tiefe Staat als Werkzeug der ökonomisch Mächtigen ist mit exekutiven und legislativen Diensten verflochten, deren Personal sich in transatlantischen Think-Tanks versammelt. Kapitalkräftige Medienkonzerne kommunizieren dort Beschlossenes als angeblich alternativlos. Wirtschaftliche und militärische Logik dominieren. Das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen, scheint besiegelt.


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Das Buch - 240 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-85371-425-6 - ist im Buchhandel erhältlich und kann beim Promedia-Verlag auch online bestellt werden.


Der Inhalt:

Vorwort
Einleitung

Die wahren Herrscher

  • Bernd Hamm: Das Ende der Demokratie ... wie wir sie kennen
  • Rainer Mausfeld: Phänomene eines „Tiefen Staates“ als Erscheinungsformen des autoritären Kapitalismus
  • Ullrich Mies: Demokratie als Fiktion - Oligarchenherrschaft als Realität
  • Jochen Krautz: Neoliberale Bildungsreformen als Herrschaftsinstrument

Elemente des Tiefen Staates

  • Mike Lofgren: Kernelemente des Tiefen Staates der USA
  • Werner Rügemer: Die Privatisierung des Staates: Das Vorbild USA und sein Einfluss in der Europäischen Union
  • Ernst Wolff: Die internationale Finanzordnung als kriminelles Konstrukt des „Tiefen Staates“
  • Hermann Ploppa: Transatlantische und marktradikale Netzwerke: Akteure des Tiefen Staates
  • Andreas Wehr: Die EU als demokratiefreie Herrschaftsarchitektur
  • Wolf Wetzel: Der Tiefe Staat und der konzerneigene Untergrund – eine Symbiose
  • Hansgeorg Hermann: Ausnahmezustand in Frankreich

Geopolitik und Krieg

  • Rainer Rupp: Die „liberale Weltordnung“ als Herrschaftsinstrument: Mechanismen und geopolitische Wirkung
  • Jürgen Rose: Von der Verteidigung zur Intervention: Imperiale Ambitionen deutscher und europäischer Außen- und Kriegspolitik
  • Jörg Becker: Krieg an der Propagandafront: Wie PR-Agenturen und Medien die Öffentlichkeit entmündigen
  • Hannes Hofbauer: Feindbildproduktion: Die „ewige“ Dämonisierung Russlands
  • Daniele Ganser: Kriegsverbrecher auf freiem Fuß

Danksagung
Autorenvorstellung


Stimmen aus dem Buch:

„Die global herrschende Klasse tendiert dazu, sich selbst, vergleichbar mit feudalen Königen, von Gottes Gnaden hoch über alle anderen Menschen gesetzt zu sehen. Faschismus dürfte eine tragende Säule ihrer Ideologie sein und Krieg nur eines der Werkzeuge, um ihre Macht und ihre Gewinne zu steigern. Damit ist sie durch ein übergeordnetes Klasseninteresse miteinander verbunden. So ist es nur folgerichtig, dass Amerikas Sicherheitseliten davon ausgehen, jeder Winkel des Globus sei von größter strategischer Bedeutung und amerikanische Interessen seien überall bedroht. Sie brauchen eine Politik der globalen Dominanz, um die Welt für Amerika sicher zu machen. Die herrschende Klasse erschafft so erst die Feinde, die sie dann bekämpfen will. Der Tiefe Staat entzieht sich jeder demokratischen Kontrolle. Innerhalb der Vereinigten Staaten demonstrieren militarisierte Strafverfolgungsbehörden auf Bundes-, Einzelstaats- und lokaler Ebene diese Macht auf einschüchternde Weise. Außerhalb der USA kann der Präsident nach Belieben Kriege anzetteln, Dronenmorde anordnen und gemietete Söldner einsetzen.“

Bernd Hamm

„Da die relevanten politischen Entscheidungen nicht mehr durch demokratisch legitimierte Instanzen bestimmt werden, sondern durch öffentlich nicht sichtbare Akteure, werden die mit einer solchen Herrschaftsform verbundenen Phänomene gelegentlich als ‚Tiefer Staat‘ bezeichnet. Nur unter der Voraussetzung, dass auch in einer Demokratie der Status herrschender Eliten nicht gefährdet wird, konnte Demokratie zu einer auch von den jeweiligen Zentren der Macht anerkannten Herrschaftsform werden. In einer geeignet konzipierten ‚Demokratie ohne Demokratie‘ sollte also die Kontrolle über alle relevanten Entscheidungsprozesse weiterhin bei den jeweiligen Machteliten verbleiben. Die repräsentative Demokratie wurde zu dem ausdrücklichen Zweck erfunden, dem Volk die Befähigung zu einer Selbstgesetzgebung ebenso abzusprechen wie überhaupt das Recht, ein eigenständiger politischer Akteur zu sein. Vordergründig lockerten sich also autoritäre Zugriffe des Kapitalismus auf die Demokratie. Unter dieser Oberfläche entwickelten sich jedoch vielfältige autoritäre Strukturen und Mechanismen, die bei passenden historischen Konstellationen genutzt werden konnten, um ernsthaft demokratische Entwicklungen zu blockieren.“

Rainer Mausfeld

„Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Demokratien keine Angriffskriege beginnen und keine Terroranschläge ausführen. Es sind derart viele Fälle, dass ich hier nicht alle aufführen kann. Weil die Massenmedien weder in den europäischen noch den amerikanischen Demokratien diese Verbrechen offen ansprechen und kritisieren, und weil bisher die verantwortlichen Politiker auch nicht von einem Gericht verurteilt wurden, hält sich in der Bevölkerung der angreifenden Staaten hartnäckig der Irrglaube, dass Demokratien nie Kriege beginnen und auch niemals Terror als Instrument der Politik einsetzen würden. Wer noch immer dem Irrglauben anhängt, dass europäische oder amerikanische Demokratien keine souveränen Staaten angreifen, ignoriert die Zeitgeschichte. Es ist an der Zeit, dass die Bevölkerungen in den Demokratien von Europa und Nordamerika offen über die globale Gewaltspirale diskutieren, in der wir uns gegenwärtig befinden. Natürlich treiben nicht nur Demokratien diese Gewaltspirale an. Aber es scheint mir wichtig, dass auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz offen über den Anteil des Westens an der mit dieser verbundenen Eskalation gesprochen wird. Die Verbrechen der NATO-Staaten müssen ehrlich analysiert werden, damit daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen werden können.“

Daniele Ganser

„‚Die Märkte‘ sind das alternativlose Heilsversprechen unserer Zeit. ‚Die Märkte‘ das heißt, die internationale Finanzindustrie und das Konzernkapital sowie ihr Profitregime beanspruchen die totale Herrschaft über die Geschicke des Planeten. Recht und Rechtsinterpretation stehen unter dem Imperativ des Marktes und des Eigentums. Führungseliten fühlen sich an Recht und Gesetz in aller Regel nur dann gebunden, wenn es ihnen nützt. Sollten die Medien tatsächlich einen Skandal des Herrschaftspersonals ans Tageslicht zerren, wie die NSA-Überwachung, Waffenschiebereien oder die strukturell kriminelle Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien, dann rufen die Täter ‚das nationale Interesse‘ oder ‚das Staatswohl‘ aus. Die politischen Führungseliten könnte genauso gut ausrufen: ‚L’état c’est moi‘. In der Fassadendemokratie haben die aggressiven Führungseliten die Demokratie in ihr absolutes Gegenteil verkehrt: Im Marktradikalismus bedeutet ‚Demokratie‘ einzig realisierte Marktteilhabechance auf ‚freien Politik-Märkten‘ nicht das Selbstbestimmungsrecht der BürgerInnen. D.h., im pseudo-repräsentativen System ist der Souverän politischer Kunde. Er darf sich aus dem gleichgeschalteten marktkonformen Einheitsbrei unterschiedlicher Parteienlabels das für ihn passende aussuchen.“

Ullrich Mies

„Demokratische Selbstbestimmung meint nicht ‚Mitbestimmung‘ oder ‚Partizipation‘, sondern die Gestaltung des Gemeinwesens durch den Souverän selbst. In einer Demokratie ‚herrscht‘ nicht das Volk über sich selbst und wird nicht durch alle paar Jahre alternativlos gewählte Vertreter beherrscht. Demokratie muss direkt, unmittelbar und kleinräumig sein, um den Willen der Bürger zu realisieren. Der Beitrag zeigt, dass die neoliberale Konterrevolution im Bildungswesen gerade nicht ökonomischer Prosperität, sondern der geistigen Gleichschaltung der Lehrenden und Lernenden bis hinunter auf die Ebene konkreten pädagogischen Handelns dient. Der neoliberale Ökonomismus ist im Kern kein Wirtschaftsprogramm, sondern eine Herrschaftstechnik der in diesem Buch als ‚Tiefer Staat‘ bezeichneten Machtstrukturen. Der Preis, den die Gesellschaften für die Wandlung des homo sapiens sapiens in den homo oeconomicus zahlen, ist horrend. Er zersetzt nachweislich moralisches Denken und Handeln gerade bei Jugendlichen, wie die moralpsychologische Forschung zeigen kann. Der homo oeconomicus ist keine Theorie, die sich bemüht, die Wirklichkeit zu beschreiben, sondern ein Modell, nach dem Wirklichkeit gestaltet werden soll. Es geht nicht um Wirtschaft, sondern um Herrschaft mittels eines ökonomischen Modells.“

Jochen Krautz

„Der Tiefe Staat ist die große Geschichte unserer Zeit. Es ist der rote Faden, der sich durch den Krieg gegen den Terrorismus, die Militarisierung der Außenpolitik, die Finanzialisierung und die Deindustrialisierung der amerikanischen Wirtschaft und den Aufstieg einer Plutokratie zieht, die den Vereinigten Staaten die ungleichste Einkommensverteilung seit nahezu einem Jahrhundert beschert hat. Ich verwende den Begriff Tiefer Staat, um einen informellen Zusammenschluss von Schlüsselelementen der Regierung mit dem Top-Level der Finanzen und der Industrie zu beschreiben. Sie regieren das Land durch den formellen politischen Prozess bei nur begrenzter Zustimmung durch die Regierten. Sie sind mit dem sichtbaren Staat verknüpft, werden aber nur zeitweise vom sichtbaren Staat kontrolliert, deren Führer wir in nominellen Wahlen bestimmen. Der Tiefe Staat besteht nicht aus der gesamten Regierung, und es handelt sich auch nicht nur um den militärisch-industriellen Komplex. Er ist eine Mischung aus nationalen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden plus Schlüsselkomponenten anderer Regierungszweige: des Verteidigungsministeriums, des Außenministeriums, der Homeland Security, der Justiz und der CIA. Schließlich gehören noch ein Rumpf-Kongress aus Kongress-Führern und einigen Mitgliedern der Verteidigungs- und Geheimdienst-Ausschüsse zum Tiefen Staat.“

Mike Lofgren

„Washington ist die Welthauptstadt des Lobbyismus. 20.000 hoch bezahlte Repräsentanten von Konzernen und Konzernverbänden entwerfen Gesetze, geben Empfänge, organisieren Reisen, verteilen Spenden, beglücken Journalisten mit Kamingesprächen. Private Unternehmen übernehmen Staatsfunktionen auf Dauer: die privat-staatliche Nationalbank, die Privatisierung des Staatsapparats, des Militärs, der Sicherheit inklusive vielfältiger staatlicher Subventionen. Im zentralen Bereich von Finanzen und Wirtschaft sind Privatunternehmen dauerhaft mit Staatsfunktionen beauftragt. Spätestens seit dem 2001 ausgerufenen ‚Krieg gegen den internationalen Terrorismus‘ wurde die ‚Sicherheit‘ zu einer eigenen Großindustrie ausgebaut. Die jahrzehntelange Betäubung mit Hilfe lügnerischer Narrative bricht langsam auf. Der innen- und außenpolitische Zustand des Vorbild-Staates USA und seiner vasallischen Klone ist ein letzter oder vorletzter Alarmruf. Die Entmachtung des politisch eingreifenden Privatkapitals ist notwendig. Die Demokratisierung des Staates, der Wirtschaft und der Arbeitsverhältnisse ist der Kern. Zahlreiche Initiativen, Parteien, Organisationen, Aktivisten haben in Dutzenden von Staaten und hunderten von Städten und tausenden Unternehmen Analysen, Proteste, Abstimmungen, Kämpfe organisiert und tun dies weiter – freilich meist unterhalb des Radars der privat-staatlichen öffentlichen Wahrnehmung. Wir stehen vor einem demokratischen, weltweiten Neubeginn.“

Werner Rügemer

„Die von dem Geld der Elite beherrschte US-Regierung verfügte über zwei Drittel der weltweiten Goldvorräte, das stärkste Militär und nach 1945 bis 1949 als einzige Regierung der Welt über die Atombombe. Die US-Industrie stellte auf Grund ihres rasanten Wachstums mehr Waren her, als der heimische Markt aufnehmen konnte. Um sich die dafür dringend benötigten Absatzmärkte zu schaffen, nutzten die Vertreter der USA ihren neuen Status und zwangen der Welt mit der Konferenz von Bretton Woods eine Finanzordnung auf, wie es sie nie zuvor gegeben hatte. Die Folge dieser Ordnung war ein globaler Feldzug des US-Dollars, der seinen Besitzern nach dem Zweiten Weltkrieg Zugang zu allen Märkten der Welt verschaffte, ihnen nie gekannte Investitionsmöglichkeiten eröffnete und den Rest der Welt in immer größere Abhängigkeit vom US-Dollar brachte. Vor allem aber unterwarf er den gesamten Planeten einer Organisation, die bis heute im Zentrum des globalen Finanzwesens steht – der US-Zentralbank Federal Reserve System (FED). Sie war ein privates Bankenkartell, dessen Entscheidungen wegen der marktbeherrschenden Stellung der Wall Street vor allem von ihrem wichtigsten Mitglied, der New Yorker FED, abhing.“

Ernst Wolff

„Einrichtungen der Versorgung befanden sich früher in staatlicher oder öffentlich-rechtlicher Hand. Staat, Länder und Kommunen verwalteten und finanzierten – sicher nicht immer perfekt – Einrichtungen für alle Bürger. Ob sich diese Aktivitäten nun rentierten oder nicht, war gleichgültig. Der Profitgedanke hatte das Gesundheitswesen noch nicht erreicht. Hauptsache, den Menschen wurde geholfen – egal, ob arm oder reich. Gewählte Volksvertreter bestimmten, wie die eingenommen Steuergelder verwendet wurden. Mit dem Austausch der Eliten ging eine strukturell marktradikale Transformation unserer Gesellschaftsordnung einher, die kein Bürger jemals angefordert hat. Geschweige denn, dass er jemals dazu befragt wurde. Heimlich, still und leise ist die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland der Gesellschaftsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika angepasst worden. Somit hat eine strukturelle ‚Revolution von oben‘ stattgefunden. Auch die außenpolitische Orientierung Deutschlands ist festgezurrt auf die scheinbar unverbrüchliche Bindung an die USA und ihr Militärbündnis NATO. Die Amerikanisierung der Bundesrepublik Deutschland ist das Ergebnis einer heimlichen Revolution ‚hinter den Kulissen‘.“

Hermann Ploppa

„Das Europäische Parlament (EP) ist […] von zentraler Bedeutung für die demokratische Legitimation des Integrationsprozesses. Von seiner Stellung im Institutionengefüge hängt es ab, ob man von einer demokratischen bzw. zumindest von einer sich in Richtung einer Demokratie bewegenden EU sprechen kann. Die Europäische Union ist als Staatenbündnis eine supranationale Organisation unabhängiger Länder. Unabdingbar ist und bleibt daher in ihr die zentrale Rolle der Mitgliedsstaaten und damit des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs bzw. des Rats, der sich aus den einzelnen Fachministern zusammensetzt. Die Kommission ist von diesen und nicht vom EP abhängig. Vorstellungen von einer Demokratisierung der Union durch die Schaffung eines einflussreichen Parlamentssystems, wie es auf nationalstaatlicher Ebene existiert, müssen daher Illusion bleiben. Die Union ist aber zugleich auf eine gewisse parlamentarische Legitimation ihres Handelns angewiesen. Ohne sie lässt sich gegenüber den Bürgern weder eine europäische Wirtschaftsregierung rechtfertigen, die die nationalen Parlamente in ökonomischen und sozialen Fragen entmachten soll, noch der Aufbau einer militärisch gestützten EU-Weltmacht legitimieren. Es ist daher aus Sicht der Herrschenden erforderlich, den Ist-Zustand des Europäischen Parlaments zu erhalten.“

Andreas Wehr

„Die Frage nach dem Tiefen Staat stellen sich alle, die die NSU-Terror- und -Mordserie der Jahre 2000 bis 2006 einzuordnen versuchen. Sie konstatieren zu Recht, dass die (halb-)offizielle Erklärung, es handele sich um bedauernswertes ‚komplettes Behördenversagen‘, mehr der Verschleierung als der Aufklärung dient. Rassismus kann dort als Motiv mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Andere Gründe müssen somit dafür ausschlaggebend gewesen sein, dass polizeiliche Ermittlungsergebnisse ignoriert wurden. Also schützte nicht eine rassistisch grundierte Polizei Temme, der in seiner Jugend den Spitznamen ‚Klein-Adolf‘ erhielt, sondern es waren übergeordnete Behörden und Institutionen: vom Verfassungsschutz angefangen bis hin zum hessischen Innenministerium. Tatsächlich gab es immer wieder ‚Interessenskonflikte‘ zwischen der Polizei und dem Geheimdienst bzw. dem Verfassungsschutz. Es handelt(e) sich dabei aber nicht um einen narzisstischen Konflikt eingebildeter ‚Schlapphüte‘, sondern immer um einen gewollten, institutionell angelegten Konflikt. Zweifellos liegt im NSU-VS-Komplex noch vieles im Dunkeln. Ganz anders sieht es hingegen im Fall ‚Gladio‘ aus. Als in den 1960er- und 1970er-Jahren die außerparlamentarische Opposition wuchs, sich europaweit die politischen Kräfteverhältnisse nach links verschoben, veränderte sich der operative Auftrag dieses staatlich lizenzierten Terrorismus. Der Feind wurde nicht mehr außen, sondern im Innern verortet.“

Wolf Wetzel

„Bis zum November 2016, also in den rund zwölf Monaten nach Verhängung des ‚état d’urgence‘, drangen ‚Sicherheitskräfte‘ — Polizei, Ermittler, Soldaten — in mehr als 4.000 Wohnungen und Häuser ein — meist in der Nacht und ohne richterlichen Beschluss — den Regeln des Ausnahmezustands entsprechend. Im selben Zeitraum registrierten Innenministerium und Menschenrechtsorganisationen 500 vorläufige Festnahmen und 426 Fälle von Polizeigewahrsam. Fast 100 Menschen leben zurzeit im Hausarrest, 430 des ‚Terrorismus“ oder der ‚Nähe zum Terrorismus‘ Verdächtigte dürfen das Land nicht verlassen und 80 Verdächtigte wurden ausgewiesen. Der Ausnahmezustand schafft Arbeitsplätze, einen ‚Ansturm der Jugend‘ auf die vom damaligen Innenminister Bernard Cazeneuve genehmigten rund 3.000 neuen Posten im Polizeidienst: ‚Seit den Anschlägen steigen die Einberufungen‘, meldete schon am 10. März 2016 das Internet-Portal 20 minutes, mehr als 35.000 Kandidaten hätten sich zur Prüfung für den Eintritt in den Polizeidienst angemeldet. Die französischen Präsidentschaftswahlen am 23. April und 7. Mai 2017 haben in gewisser Weise aufgedeckt, was ‚tief im Staat‘, tief in den Knochen jener steckt, die ‚den Staat‘ repräsentieren — oder zumindest glauben, das zu tun. Es ist die Angst vor dem Volk, dem nicht zu trauen ist.“

Hansgeorg Hermann

„Tatsächlich aber ist es Ziel der von Bush lancierten neoliberalen NWO, die in über 150 Jahren oft blutig erkämpften Arbeiterrechte zurückzudrängen und die Profitrate zu erhöhen. So steht es zwar in keinem einzigen neoliberalen Dokument, aber das Resultat der NWO ist brutaler Sozialabbau, mehr Arbeit für weniger Lohn und Eigentumsverteilung von unten nach oben, mit einer unvorstellbaren Konzentration von verantwortungslosem Reichtum in immer weniger Händen. Die Neue Weltordnung im Westen dient mit ihrer Länder übergreifenden, eng vernetzten Struktur ausschließlich der Prosperität der international orientierten ‚Eliten‘ und ihren Helfern. Von deren wachsender Prosperität sind die unteren und mittleren Gesellschaftsschichten weitgehend ausgeschlossen. Breite Schichten der Bevölkerung der westlichen Industrieländer verfügen heute über weniger Kaufkraft als vor 15 oder 20 Jahren. Ziel war es, die US-Hegemonie in Form der Pax-Americana in den US-Vasallenstaaten weiter zu konsolidieren und zugleich rund um den Globus auf neue Gebiete auszudehnen. Dabei sollten mit entsprechenden Belohnungen für Wohlverhalten alle Vasallen und Hilfskräfte möglichst konfliktfrei in diese neue ‚liberale Ordnung‘ eingebunden werden.“

Rainer Rupp

„Seit dem Ende des Kalten Krieges treiben die Protagonisten der Berliner Republik den grundlegenden Wandel der Außen- und Sicherheitspolitik voran. Den Anlass für jenen Paradigmenwechsel hatte bereits 1988 Michail Gorbatschows Amerika-Experte Georgij Arbatow geliefert, als er warnte: ‚Wir werden euch etwas Schreckliches antun. Wir werden euch des Feindes berauben‘. Diese Ankündigung veranlasste den damaligen NATO-Generalsekretär Manfred Wörner zu der Devise: ‚Out of area or out of business‘. Hieraus folgte, dass sich Atlantische Allianz und Bundeswehr umgehend alternative militärische Betätigungsfelder erschließen mussten. Das strategische Ziel des Reform- und Transformationsprozesses ist eindeutig: die Kriegführungsfähigkeit der Bundeswehr zu steigern. Auf knapp 140 reich bebilderten Seiten bietet das [das Weissbuch 2016] einen Überblick über die wesentlichen Parameter der Sicherheitspolitik der Berliner Republik. Interessierte BürgerInnen werden in diesem sicherheitspolitischen Wolkenkuckucksheim lediglich Begriffshülsen, Allgemeinplätze, sicherheitspolitische Phrasen, sinnfreie Forderungskataloge sowie appellative Bekundungen finden: Eine Werbebroschüre von beschämender Niveaulosigkeit mit problematischen, wenn nicht sogar besorgniserregenden Aspekten.“

Jürgen Rose

„Jeder, der über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, kann Public Relation Agenturen (PR-Agenturen) für seine Zwecke anheuern: einen Präsidenten zu stürzen, die blutige Niederschlagung eines Aufstandes aus den Medien herauszuhalten, einen von langer Hand geplanten Krieg der Bevölkerung auf manipulative Art und Weise ‚schmackhaft‘ zu machen. PR-Agenturen gründen inzwischen sogar NGOs und Bürgerinitiativen. Sie mieten Demonstranten für jede x-beliebige Demonstration. Die PR-Agenturen nennen dieses Vorgehen ‚Astroturfing‘ und beabsichtigen damit, aufgestaute Energien empörter Bürger zu kanalisieren und zu absorbieren. Was die Kooperation zwischen PR-Agenturen und Regierungen anbelangt, so gibt es keinen Unterschied zwischen westlichen Regierungen und zum Beispiel der russischen oder der chinesischen Regierung. Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, Werbung und PR-Kampagnen seien vom Medienkonsumenten ohne weiteres als Lug und Trug zu entlarven. Wie erfolgreich die Werbe- und PR-Industrie arbeitet, zeigt die kontinuierlich gute Wachstumsdynamik der Branche. Beispielsweise arbeiten in Deutschland längst sehr viel mehr Vollzeitbeschäftigte in der PR-Industrie als im Journalismus. Die Funktion von Propaganda besteht in erster Linie darin, die Macht der herrschenden Eliten abzusichern und die Beherrschten zu entmündigen. Propaganda ist nichts anderes als die Ideen- und Gedankenwelt der jeweils Herrschenden.“

Jörg Becker

„Wie kann man erklären, dass Berlin am 23. März 2017 das Brandenburger Tor in die britischen Nationalfarben taucht, weil in London vier Menschen von einem radikalen Islamisten getötet wurden, und die russische Trikolore zwei Wochen später für 14 Terroropfer in Sankt Peterburg verweigert? Die einfachste und irritierenderweise logischste Antwort darauf wäre: Weil für Berlin in Russland getötete Menschen weniger wert sind als solche, die in Großbritannien derselben Terrorstruktur zum Opfer fallen. Blanker Rassismus also? Er könnte sich mit einer zweiten Antwort paaren, nämlich der, dass die deutschen Behörden die russische Führung dermaßen hassen, dass sie ihr zivile Opfer des Terrors gönnen. Oder noch schlimmer: In Deutschland gibt es ein gewisses Verständnis für islamistische Gewalttäter, wenn sich diese gegen Russland wenden. Terrorakte in Paris, London oder Berlin würden von westlichen Medien indes niemals ‚Rebellen‘ zugeordnet. Die größte Sorge westlicher Medien gilt nicht den Opfern der Anschläge und ihren Angehörigen, sondern der Reaktion Wladimir Putins darauf. Der nütze einen Angriff auf die staatlichen Strukturen, um nicht nur die unmittelbaren terroristischen Attentäter zu bekämpfen, sondern ergreife die Gelegenheit, den Kontroll- und Repressionsapparat des Staates auszubauen und politischen Gegnern ganz allgemein das Leben schwerer zu machen. Das mag realistisch sein, wiewohl bedauerlich und höchst kritikwürdig, entspräche aber einer gängigen Praxis der allermeisten seiner AmtskollegInnen in der Welt.“

Hannes Hofbauer


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