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Framing für die Jugend

Framing für die Jugend

Eine Kampagne für das grüne Klimanarrativ arbeitet mit erfundenen Verschwörungstheorien, die dem politischen Gegner untergeschoben werden.

Am 9. Februar 2023 bin ich über einen Clip gestolpert, der von der polizeilichen Kriminalprävention Anfang des Jahres 2023 veröffentlicht wurde. Der Clip wird unter anderem während der Werbepausen im Fernsehen ausgestrahlt. In diesem Clip geht es darum, gefährliche Veränderungen der Menschen und ihres Verhaltens früh zu erkennen und sich diesen heldenhaft entgegenzustellen. So weit, so gut. Allerdings wurde meiner persönlichen Meinung nach hier so vieles miteinander vermischt, dass es nicht einfach ist, einen klaren Blick zu wahren.

Kannst Du Chris aufhalten?

Wer ist Chris? Worum geht es? Der circa 1-minütige Clip beginnt mit dem Blick auf eine Gruppe junger Leute. Einer dieser jungen Menschen hält ein Mobiltelefon in die Höhe. Es sieht zunächst so aus, als ob ein Selfie gemacht werden soll. Tatsächlich wird mittels des Telefons allerdings ein Clip abgespielt. Man hört die Aussage: „Der Klimawandel ist eine Lüge der Juden.“

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Bild: Screenshot 1

Hier wurde ich bereits stutzig, weil ich diese Verquickung so noch nicht kannte.
Man hört die Stimme des Clips weiter ausführen: „Ein politisches Instrument zur Panikmache, zur Unterwanderung Europas durch Flüchtlinge aus dem Osten.“

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Bild: Screenshot 2

Wieder stutzte ich. Der Zusammenhang erschloss und erschließt sich mir nicht. Wie das Judentum mit dem Klimawandel und der Flüchtlingsproblematik zusammenhängt, ist mir schleierhaft.

Drei Reizthemen binnen sieben Sekunden

Wohl allerdings fiel mir auf, dass hier binnen sieben Sekunden drei Reizthemen Eingang in den Clip fanden, dessen Zielgruppe heranwachsende Jugendliche sind.

Kurz war auch ein anderer junger Mann zu sehen, der auf der Toilette sitzend, wohl den gleichen Clip ansah.

Gespannt schaute ich weiter. Schnitt. Der junge Mann, der allein auf der Toilette sitzend kurz vorher den Handy-Clip gesehen hatte, steht im Sportunterricht einer seiner Klassenkameradinnen gegenüber, die ihn darauf hinweist, dass dieser Clip beziehungsweise das, was „Mark“ erzählen würde, Bullshit sei und dass er, Chris das auch wissen würde. Mark ist der etwas „festere“ junge Mann rechts im ersten Bild, Chris ist der zweite von links.

Identitätslose Masse

Erneuter Schnitt

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Bild: Screenshot 3

Wieder sieht man die Gruppe der jungen Menschen, wieder ist Mark rechts und Chris links zu sehen, die Kameraeinstellung filmt von unten nach oben, die Gruppe wirkt somit größer und fast schon ein wenig bedrohlich. Zwischen Mark und Chris ist der Abstand sichtlich kleiner geworden, sie haben sich, was die bildliche Darstellung angeht, angenähert.

Die Gruppe läuft und man kann folgenden Text lesen und hören: „Wir gehören nicht zur breiten, identitätslosen Masse, die über Mainstream-Medien manipuliert werden kann. Wir wissen mehr ...“

Der reiche Jude

Schnitt. Nächste Szene im Klassenzimmer. Mark bedroht stehend den Sitznachbar von Chris und sagt: „Sag‘ deinem stinkreichen Vater, der soll mir ein Neues kaufen! Verstanden?“

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Bild: Screenshot 4

Was genau vorgefallen ist, entzieht sich der Kenntnis der Betrachtenden. Allem Anschein nach ist Mark sauer und gleichzeitig der Meinung, der Vater des Jungen, den er bedroht, wäre stinkreich.

Mobbing

Schnitt — wieder im Sportunterricht. Die junge hübsche Frau redet mit Chris und ist sauer. Sie sagt: „Ey, Du hast sie doch nicht mehr alle, oder? Zuerst erzählst Du mir irgendeinen klimaleugnerischen Schwachsinn und jetzt mobbst Du Noah, nur weil er Jude ist? Alter, was geht bei Euch?“

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Bild: Screenshot 5

Während die junge Frau spricht, werden Szenen eingeblendet, die Chris und seine Kumpels, einer davon ein Skinhead, dabei zeigen, wie sie eine auf dem Boden liegende Person angreifen.

Nachdem die junge Frau ihrem Ärger Luft gemacht hat, entgegnet Chris: „Du glaubst doch nur die einfachste Wahrheit. Es gibt so viele Theorien.“

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Man sieht Mark an einem Spind stehen, der sich mit dem Daumen über die Kehle fährt, während er die junge Frau anblickt, die verängstigt weitergeht. Mark deutet mit der Geste an, dass er ihr die Kehle aufschlitzen will.

Todesdrohung

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Bild: Screenshot 6

Aus dem Off hört man die Stimme eines Nachrichtensprechers sagen: „Der für politisch motivierte Delikte zuständige Staatsschutz der Kriminalpolizei ermittelt wegen des Verdachts eines Brandanschlags.“

Die währenddessen laufenden Szenen zeigen zunächst Mark mit einem Feuerzeug, dann ihn beobachtend beim Brand, die entsetzte junge Frau und Chris, der nun wieder wie ein Häufchen Elend aussieht.

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Bild: Screenshot 7

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Bild: Screenshot 8

Das Video endet mit der Frage, ob Chris aufgehalten werden kann. Ob man selbst Christ aufhalten kann?

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Bild: Screenshot 9

Auf der Webseite „Zivile Helden“ kann man dann den angebotenen Selbsttest machen. Der Selbsttest offeriert immer drei Antwortmöglichkeiten, aus denen man binnen 5 bis 10 Sekunden die richtige Antwort wählen muss. Zum Nachdenken bleibt da wenig Zeit.

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Bild: Screenshot 10

Wer Chris also aufhalten will, muss schnell handeln.

Interaktiv aktiv werden

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Bild: Screenshot 11

Wie soll Chris reagieren, als man ihm vorwirft, mit der jüdischen Ökotussi rumzuhängen? Gerade hatten die beiden noch vereinbart, am Abend Computerspiele zu zocken und Chris hatte der attraktiven jungen Frau extra koschere Snacks offeriert. Offensichtlich ist auch sie eine Jüdin. Mir ist schleierhaft, was das zur Sache tut.

Chris wird nun gehänselt. Ob die Tussi nicht zu „Fridays for future“ müsse?

Entscheide schnell

Dies ist nur eine der Szenen, in denen man als Zuschauer (m, w, d) selbst tätig werden muss. Binnen 5 bis 10 Sekunden. Es gibt nur eine richtige Antwort. Nicht nachdenken, schnell klicken. Nicht reden, schnell entgegnen. Zum Erfassen der Szene, zum Lesen der Antwortmöglichkeiten und zum Anklicken der gewählten Antwort bleiben maximal 5 bis 10 Sekunden.

Interessant dabei ist auch, dass das Video nicht gestoppt werden kann. Man kann keine Pause-Taste benutzen, um in sich zu gehen und in Ruhe nachdenken zu können. Man muss jetzt handeln und man muss eine der drei Antworten wählen.

Warum bin ich gestolpert?

Für mich war die Verquickung von Klimawandel-„Leugner“, Antisemitismus und der Flüchtlingsherausforderung neu. Ich wusste bis zu diesem Clip nicht, dass das alles zusammenhängt und verstehe es bis heute nicht. Man möge mir bitte verzeihen.

Keine Wahl

Zudem scheint mir der Clip keine Wahl zu lassen.

  • Ja, das Klima ist zu schützen, wir haben nur eine Erde.
  • Ja, Antisemitismus ist zu bekämpfen, wie jede grundlose Ablehnung von Menschen abzulehnen ist.
  • Ja, man muss fliehenden Menschen helfen.

Aber hängen diese drei Themen wirklich untrennbar zusammen, so wie es der Clip darstellt? Nicht nachdenken! Abnicken. Sonst bist auch Du einer der Kritiker, die im Clip so schlecht wegkommen. Das möchtest Du doch nicht, oder?

Aber

Aber wo ordne ich mich nun selbst ein, wenn ich zwar Energie sparen möchte, aber nicht mit allen Maßnahmen einverstanden bin? Wo stehe ich, wenn ich fliehenden Menschen zur Seite stehen will, dennoch aber meine, es könnte ein Problem werden? Welcher Mensch bin ich, wenn ich nicht verstehe, was das Judentum mit den Klimaleugnern zu tun hat?

Der Clip ermöglicht keine Differenzierung. Entweder ich bin vorbehaltlos gegen oder für alles. Der interaktive Test bietet mir nicht die Möglichkeit, selbst eine Antwort zu finden, und ich muss schnell entscheiden, habe keine Zeit zum Nachdenken.

Klischees
Auch über die bedienten Klischees bin ich gestolpert. Die junge hübsche Frau, die abgelehnt wird, weil sie sich fürs Klima einsetzt und Jüdin ist? Der etwas verloren wirkende gut aussehende junge Mann, der in die Fänge einer Gruppe gerät, deren Anführer etwas dicklich wirkt.

Die Wortwahl

Wer den Mainstream-Medien gegenüber kritisch eingestellt ist, liegt falsch. Dabei haben die Mainstream-Medien die Zweifel, die man gegenüber ihnen hegt, nicht selten selbst verursacht.

Das Wort „Zivil-Held“, was mich an Militär, militärische Auseinandersetzungen und an die Gegenüberstellung von Zivilisten und Soldaten (m, w, d) denken lässt.

Die Frage, ob man Chris aufhalten kann. Muss man ihn aufhalten? Ja. Kann vorher eine Auseinandersetzung, eine Diskussion auf Augenhöhe erfolgen? Nein, dafür bleibt keine Zeit.

Grandios gemacht

Handwerklich ist diese Kampagne hervorragend umgesetzt, was die psychologische Manipulation, die binnen knapp 60 Sekunden an den Tag gelegt wird, betrifft. Dem Zuschauer wird das Gefühl gegeben, dass man nur für oder gegen alles sein kann. Durch die Verquickung von Themen, von deren Verquickung ich bis dato nicht wusste, fällt die Wahlmöglichkeit weg. Wer Antisemit ist, ist Klimaleugner und Rassist. Wer gegen Flüchtlinge ist, leugnet auch den Klimawandel. Wer den Klimawandel leugnet, ist ein Querdenker.

Die Zielgruppe

Gut, ich gehöre nicht zur Zielgruppe dieses Clips, der sich an heranwachsende junge Menschen richtet, vielleicht verstehe ich ihn deshalb nicht. Was der Clip aussagt, ist, dass die Mainstream-Medien Recht haben und dass die Personen, die an deren dargestellter Behauptung zweifeln, Antisemiten, Rassisten und Klimaleugner sind.

Framing vom Feinsten

Die Schnitte sind gut gewählt, die emotionale Lage, in die ein halbwegs empathisch zusehender Mensch gebracht wird, gut vorhersehbar: Man möchte ein Held sein. Man möchte Mut und Zivilcourage zeigen. Mann (?) möchte die junge Frau für sich gewinnen. Das geht nur über einen Weg. Keine Kritik üben, keine Zweifel hegen, nicht nachdenken, sondern sofort die richtige Antwort wählen.

Held oder Außenseiter

Wer hier nicht mitmacht — auf der richtigen Seite —, macht sich zum Außenseiter. Wer das Vorgehen differenziert betrachten will, hat dafür keine Zeit. Wer A sagt, muss auch B und C sagen. Kritik ist unerwünscht und wird nur von den „falschen“, den mit Zivilcourage zu bekämpfenden Menschen geäußert.

Was ich mich frage

Werden mit diesem Clip nicht exakt die Klischees und Vorurteile bedient, die man auf der anderen Seite ausmerzen möchte? Wo bleibt der Austausch, der Diskurs, die kritische Betrachtung, der mögliche Perspektivenwechsel? Warum bedient der Clip das Klischee des „reichen Juden“, wenn auch das Klischee als schlecht dargestellt wird? Warum wirkt Chris sympathischer als Mark?

Warum wird das Romeo-und-Julia-Prinzip“ bedient: Junger angehender Antisemit hegt aufkeimende Gefühle für eine Jüdin, denen er sich nicht hingeben darf, weil er sonst von der Gruppe gemobbt wird?

Hat man das nötig und widerspricht dies nicht einem wahrlich offenen Diskurs?

Mich hat der Clip getriggert, wohl aber nicht ganz in der gewünschten Art und Weise.


Quellen und Anmerkungen:

#zivilehelden: Kannst Du Chris aufhalten?

Alle Screenshots sind direkt aus dem Clip.


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