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Gesundheit über alles

Gesundheit über alles

Der Begriff des Sanitarismus ist vielen noch nicht geläufig, das Phänomen aber geht viral und mündet in eine Gesundheitsdiktatur.

„Es wird Zeit, auch einen Begriff für die staatliche Übergriffigkeit im Namen der Gesundheit zu formulieren“, schrieb der Künstler und Autor Gerd Buurman kürzlich aus Anlass der Coronapolitik. „Ich schlage folgenden Begriff vor: Sanitarismus.“ Mit Verlaub, geschätzter Kollege, um eine Premiere handelt es sich dabei nicht. Das Wort ist schon älteren Datums — wenngleich wohl jünger als das ungefähre englische Pendant „healthism“. Um den Begriff verdient gemacht hat sich in Deutschland ein Wissenschaftler, der vor fünf Jahren verstorben ist: Professor Dr. Günter Ropohl.

Ropohl (1939 bis 2017) war Ingenieur, Technikphilosoph und -soziologe. Jahrzehntelang hatte er an der Frankfurter Goethe-Universität den Lehrstuhl für Allgemeine Technologie inne. Ein anerkannter Fachmann an der Schnittstelle von Gesellschaft und Technik, der sich mit Themen wie Technikfolgenabschätzung und Arbeitslehre beschäftigte, aber auch nicht um kontroverse politische Einschätzungen verlegen war. Den Begriff Sanitarismus umschrieb er 2009 in einem Sammelband, nannte „‚Gesundheit statt Lebensqualität‘ (dessen) unausgesprochene Devise“ (1).

Später definierte er Sanitarismus als „eine inzwischen verbreitete Ideologie, die den Wert der Gesundheit verselbständigt und darüber alle anderen Werte eines guten Lebens und demokratischen Gemeinwesens — Freiheit, Gerechtigkeit, Vernunft, Lebensfreude usw. — hintanstellt“.

In seinem Buch „Besorgnisgesellschaft“ von 2014 (2) widmete Ropohl dem Begriff ein Grundsatzkapitel (hier im Volltext). Er stellt dabei drei Elemente heraus: Medikalisierung, Transhumanismus und Public Health.

  • Unter Medikalisierung versteht er die Neigung, alle Menschen, auch gesunde, als behandlungsbedürftig umzudefinieren. Die „Präventionsmedizin (…) kennt überhaupt keine Gesunden mehr, sondern nur noch krankheitsbedrohte Patienten. Der zeitweilig noch Gesunde wird dann zur irritierenden Ausnahme“. Diese Entwicklung wird insbesondere durch wirtschaftliches Interesse in der Gesundheitsbranche angetrieben, wie Ropohl am Beispiel von Cholesterinsenkern verdeutlicht, deren Erlöse nicht zuletzt auf fragwürdigen WHO-Grenzwerten beruhen. „War Gesundheit früher eine Angelegenheit alltagsweltlichen Erlebens, wird sie mehr und mehr zum Vorwand für expertokratische Betreuung und Bevormundung.“
  • Transhumanistische Vorstellungen des Human Enhancement degradieren aus Ropohls Sicht den Menschen zum Mängelwesen. Er befürchtet, „dass die transhumanistische Gesundheitsvorstellung zur herrschenden Norm werden könnte, der sich alle zu unterwerfen haben, die nicht als Außenseiter gelten wollen“.
  • Schließlich greift die Obrigkeit im Gewand der Public Health, also dessen, was mal offiziell „Volksgesundheit“ hieß, immer tiefer in das Leben der Menschen ein. Über Jahrzehnte schrittweise vorexerziert beim Tabakkonsum. Ropohl kritisiert in diesem Zusammenhang auch das „übervereinfachte mechanistische Gesundheitsmodell der Schulmedizin“, das zu schlichte Kausalitäten propagiert. Manche Public-Health-Umerziehungsansätze kommen für ihn „totalitären Übergriffen bedenklich nahe“. Da schließt sich der Kreis zum Eingangszitat Gerd Buurmans.

Gesundheitsdiktatur

Günter Ropohl hat sich besonders dem Thema Raucherdiskriminierung gewidmet, und in der Tat stand in den letzten Jahrzehnten vor allem diejenige Bevormundung im Hauptfokus des Sanitarismus, die vorgeblich der Bekämpfung nicht-übertragbarer Krankheiten Krebs und Herz-Kreislauf dienen soll. Gegen das Rauchen, gegen das Dampfen, gegen Zucker, Salz und Fett sowie gegen den Alkohol.

Heute aber steht bei allen drei Elementen des Sanitarismus — ob Medikalisierung, Transhumanismus oder gesundheitsstaatliche Übergriffe — ein Elefant im Zimmer, der eine übertragbare ‚Krone‘ trägt. Passenderweise hat Ropohl sich — wenige Jahre nach dem Schweinegrippen-Hoax — auch mit der Impfung gegen grippeartige Erkrankungen beschäftigt. Ein staatliches Impfgebot käme „allenfalls bei dramatischen Epidemien mit der Gefahr sehr vieler Todesopfer in Betracht“. So wie ich ihn über zehn Jahre hinweg persönlich kannte, bin ich mir sicher: Er hätte sich 2020 — wenn überhaupt — höchstens kurz gesorgt und sich nicht hinters Licht führen lassen, was die Schwere der Pandemie und die Legitimation der vermeintlichen Gegenmaßnahmen angeht. 2014 schrieb er zum Impfzwang:

„Aber dürfen Gesundheitspolitiker wirklich um der Gesundheit willen den Wert der persönlichen Freiheit hintanstellen? Das ist die Kernfrage, der man in einem liberalen Rechtsstaat nicht ausweichen darf. Bejaht man sie, begibt man sich im Grunde auf den Weg zur Gesundheitsdiktatur.“

Eine Gesundheitsdiktatur ist für ihn errichtet, wenn sich der Sanitarismus, eine verängstigte Besorgnisgesellschaft — die „die Grundsätze der freien demokratischen Gesellschaft auf dem Altar ihrer hysterischen Ängste zu opfern“ bereit ist — und einschlägige wirtschaftliche Interessen, insbesondere der Pharmaindustrie, vereinen.

Den Begriff der Gesundheitsdiktatur hat übrigens nicht zuletzt ein Verein in die deutschsprachige Debatte geworfen, dem Ropohl aktiv angehörte: das Netzwerk Rauchen.

Denn vieles, was wir heute erleben, ähnelt dem, was in der Tabakbekämpfung — Tobacco Control — über Jahrzehnte vorgeprägt wurde. Wer sich in der jüngeren Vergangenheit mit der Lifestyle-Prohibition beschäftigt hat, der stößt jetzt erneut auf nur zu bekannte Mechanismen und Akteure. Die Weltgesundheitsorganisation, Johnson & Johnson, Pfizer, Bill Gates oder in Deutschland Figuren wie Karl Lauterbach, Jens Spahn und Frank Ulrich Montgomery: Allesamt Tabakbekämpfer und Antiraucher — aus ideologischen und/oder ökonomischen Gründen. Zwar gibt es noch keine Antinikotinimpfung — mehrere bisherige Versuche endeten als Investitionsruinen —, aber Raucher sind sehr wohl massiven Schikanen ausgesetzt.

Von Steuererhöhungen über Ekelbilder bis zu Rauchverboten reicht das Arsenal, das Menschen ihren Genuss verleiden soll, um sie letztlich zum Pharmanikotin — Kaugummis, Pflaster und so weiter — und umstrittenen Entwöhnungspillen wie Champix zu drängen beziehungsweise auf gängige Psychopharmaka umzuleiten.

Erst im vergangenen Jahr wurde auf Bundesebene wieder eine Kaskade von Tabaksteuererhöhungen beschlossen sowie mit der Krankenkassenfinanzierung von Entwöhnungsprodukten in bestimmten Fällen eine zuvor rote Linie überschritten.

Neuer Klassenkampf?

Im Ernährungsbereich finden sich ähnliche Tendenzen vor. Aus der Sicht Ropohls, der sich mal in der klassischen Linken beheimatet gefühlt hatte, handelt es sich bei der Diskriminierung von Übergewichtigen und Rauchern um „einen neuen Klassenkampf, einen Klassenkampf von oben“, den insbesondere mächtige Funktionäre und Profiteure angezettelt haben. Zu den Methoden gehören dabei Exklusion und soziale Ächtung:

„Die Gesundheitsbesessenen und ihre paternalistischen Bevormundungsexperten werden alle, die sich der ‚Gesundheitspflicht‘ mutwillig widersetzen, als asoziale Störenfriede ausgrenzen.“

Was wir in den letzten beiden Jahren in viel größerem Tempo miterleben durften als vorher bei der traditionellen Lifestyle-Prohibition. Ropohl hatte recht: Niemand hätte sich, nur weil er zum Beispiel nicht raucht oder nicht dick ist, in Sicherheit wiegen dürfen.

Die Rolle der Wissenschaft in diesem Geschehen beleuchtete er unter anderem in seinem Aufsatz „Forschung und mentale Prostitution“. Dort schilderte er anhand mehrerer Beispiele — Erderwärmung, Cholesterin, Passivrauchen —, wie Mehrheitsmeinungen geschaffen und abweichende Expertenauffassungen unterdrückt werden. Zudem „erzeugt (man) unentwegt neue Unheilsprognosen, um die Politiker auf weitere Förderung und auf drastische Präventionsstrategien einzuschwören“. Auch das entfaltet sich seit geraumer Zeit pandemisch. Nicht minder aktuell liest sich Ropohls Klage über die Karlsruher Richter, die bei darauf basierenden politischen Entscheidungen „solcher Willkür freien Lauf (…) lassen“.

Ropohls Sanitarismusbegriff und seine Kritik erfassen genau das, was wir seit 2020 in stark beschleunigter Form beobachten müssen. „Lebensgenuss, Selbstentfaltung und Freiheit — Werte, um die meine Generation hartnäckig ringen musste — zählen nicht mehr viel.“ Weise Worte eines Analytikers und Mahners, der die derzeitige Eskalation nicht mehr mitzuerleben brauchte. Es ist an den Lebenden, dem Durchmarsch des Sanitarismus etwas entgegenzusetzen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Günter Ropohl, Signaturen der technischen Welt. Neue Beiträge zur Technikphilosophie, Lit Verlag, Berlin 2009, S. 211
(2) Günter Ropohl, Besorgnisgesellschaft. Hintergründe der Tabakbekämpfung, Parodos Verlag, Berlin 2014. Siehe meine Rezension bei Novo


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