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Hitlers goldene Brücke

Hitlers goldene Brücke

Die Geschichte von der Selbstentleibung des Diktators im Führerbunker könnte ein liebevoll gepflegtes Stück Desinformation sein.

„Fassungslosigkeit“ (news.de), „Becker baut Bockmist“ (news.de), „teilt bizarren Verschwörungsmythos“ (n-tv) und „verwirrt seine Fans“! (BUNTE.de). Bei den Nachrichten, die mich in der ersten Aprilwoche über den „Hitler-Eklat“ erreichen, reibe ich mir staunend die Augen. Herr Becker hatte auf seinem X-Account folgende Nachricht gepostet: „Wow … What’s wrong with all the movies that claimed Hitler died in Germany & Austria?“

Ich muss zugeben, auch ich bin ein wenig verwirrt. Wie kann jemand in Deutschland und Österreich gleichzeitig sterben? Hat man den „Führer“ zum Abnippeln über den Grenzbalken gehängt? Diese Variante versprüht jedenfalls den Charme des Neuen! Ist ihm etwa seinerzeit jenes Schicksal zuteilgeworden, das die neuen Nazis aus Österreich und Deutschland sich in ihren Zurückweisungsfantasien für die sogenannten „illegalen Migranten“ erträumen? Ach nee, damals war Österreich ja „heim ins Reich“ geholt worden. Es gab gar keinen Grenzbalken.

Als Romanautor genieße ich das Privileg, mir Adolf Hitlers Tod einfach so ausdenken zu können, wie es mir gefällt. Ich darf nach Lust und Laune im Sumpf der Verschwörungstheorien versinken und mache in „Wollt ihr den totalen Wahnsinn?“ natürlich ausgiebig von diesem Privileg Gebrauch.

Doch schieben wir mal für einen Moment die Polemik auf Seite und werfen einen nüchternen Blick auf die Tatsachen, die den Hintergrund liefern für Herrn Beckers neuesten Giga-Shitstorm.

Bei seinem Staatsbesuch in Israel im Februar sagte Argentiniens Präsident Javier Milei den Vertretern des Simon-Wiesenthal-Centers (SWC) zu, ihnen den Zugang zu geheimen Regierungsdokumenten zu gewähren.

„Während einige frühere Staatsoberhäupter vollständige Kooperation versprachen, um die unbequemen Wahrheiten über Argentiniens Vergangenheit aufzudecken, ist Milei der Erste, der mit atemberaubender Geschwindigkeit handelt, um dem SWC zu ermöglichen, wichtige Puzzleteile der Geschichte aufzudecken — insbesondere in Bezug auf die Verbindungen zu den Nazis vor, während des und nach dem Holocaust“, erklärte Rabbi Abraham Cooper, stellvertretender Dekan des SWC.

Namentlich die Banktransaktionen entlang der Rattenlinien sollen unter die Lupe genommen werden.

Legt der selbsterkorene Anarchokapitalist Milei nun die Motorsäge an das offizielle Narrativ von Hitlers Selbstmord im Führerbunker an? Das bleibt abzuwarten. Für diesen Befund ist es sicherlich noch zu früh.

Becker jedenfalls hat seinen Kommentar auf X anlässlich eines Blog-Beitrags von „History Nerd“ gepostet. Grob gesagt vermischt der Blog darin das Thema „Milei öffnet die Giftschränke“ mit der alten Meldung über eine CIA-Akte vom 3. Oktober 1955, die 2017 freigegeben wurde. In Letzterer meldet ein gewisser Agent Cimelody-3 Hitlers Sichtung in der kolumbianischen Stadt Tunga. Der Akte beigefügt ist ein Foto, das den vermeintlichen Hitler inklusive des typischen Schnauzbarts neben einem holländischen SS-Veteranen namens Phillip Citroen zeigt. In säuberlicher Handschrift auf der Rückseite des Fotos vermerkt finden sich das Datum der Aufnahme (1954), der Ort (Tunga, Kolumbia) und eine Unterschrift (Adolf Schüttelmayer).

Dies also ist der bizarre Verschwörungsmythos, dem Boris Becker aufgesessen ist und der selbstverständlich in einer noch viel bizarreren Interpretation auch in „Wollt ihr den totalen Wahnsinn?“ nicht fehlen darf.

Wenden wir uns nun der offiziellen, historisch verbürgten Version der Umstände von Hitlers Tod im Führerbunker zu. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich diese Umstände auf eine geradezu abenteuerliche Art und Weise als ausgesprochen widersprüchlich. Zunächst einmal fällt auf, dass keinerlei Bildmaterial von Hitlers Leiche öffentlich wurde, ganz im Gegensatz zu Joseph Goebbels, der als zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche durchaus gebührend abgelichtet worden ist. Wobei die Beweiskraft dieser Bilder ehrlich gesagt mehr oder weniger bei null liegt. Doch zurück zu Hitler. Am 9. April 1945, also vor ziemlich genau achtzig Jahren, verkündete im Rahmen einer Pressekonferenz Sowjet-Marschall Georgi Schukow auf Geheiß Josef Stalins, dass Hitler keinen Selbstmord begangen habe und ihm die Flucht geglückt sei.

Das allerdings passt so ganz und gar nicht zur Darstellung der Überlebenden, welche die Russen in dem Bunkerkomplex der Reichskanzlei vorfanden. Diese Menschen aus dem innersten Zirkel der Nazi-Macht behaupteten, Hitler habe sich erschossen. Seine Leiche wurde mit Benzin übergossen und verbrannt. Die Sowjets fanden die Leiche, erkannten sie nicht als Hitler und verscharrten sie in einem Bombenkrater. Laut offiziellen Angaben wurde dieser Leichnam anschließend mindestens drei Mal exhumiert. Erst schafften SMERSH-Geheimdienstler ihn nach einer Autopsie in einen Wald bei Rathenow, dann auf ein Gelände bei Magdeburg.

Schließlich, im Jahre 1970, wurde er gemeinsam mit den sterblichen Überresten der Goebbels-Familie ein letztes Mal ausgegraben und nochmals verbrannt; diesmal komplett. Was übrig blieb und schließlich in einem Pappkarton verpackt in einem Moskauer Archiv landete, waren Hitlers Zähne und ein Stück Schädeldecke mit einem Ausschussloch. Im Jahr 2009 fand der amerikanische Wissenschaftler Nick Bellantoni per DNA-Analyse heraus, dass das Schädelstück von einer Frau stammte.

So bleibt uns also nur noch das Gebiss. Zuletzt 2017 wird es vom französischen Rechtsmediziner Philippe Charlier untersucht. Er gleicht es mit einer Röntgenaufnahme ab, die von Hitler stammen soll, und meldet einen hundertprozentigen Treffer. Die Übereinstimmung der Fotos der Zähne mit dem Röntgenbild ist selbst für einen Laien wie mich zu erkennen. Zusätzlich kann im Internet eine Zeichnung von Hitlers Zahnarzt Hugo Blaschke besehen werden, die dieser aus dem Gedächtnis von Hitlers Gebiss angefertigt hat. Sie passt erstaunlich detailliert zu Gebiss und Röntgenaufnahme. Besonders auffällig an dem Gebiss ist übrigens eine Brücke aus Gold, die nicht weniger als sieben Zähne ersetzt.

Fall gelöst? Nicht unbedingt! Rein hypothetisch besteht nämlich durchaus die Möglichkeit, dass Gebiss und Röntgenaufnahme von einem anderen Patienten Blaschkes stammen. Misstrauisch sollte einen jedenfalls der gute Erhaltungszustand des Gebisses machen. Der will so gar nicht zu einem verheerenden Benzinfeuer passen. Der Erklärungsansatz, dass das Gebiss durch einen in den Mundraum abgegebenen Schuss herausgeschleudert worden und deshalb nicht mitverbrannt sei, ist hanebüchen und wird von Charlier ausdrücklich ausgeschlossen. Anhand von Rückständen vermutet der Wissenschaftler eine Zyankalivergiftung als Todesursache des Gebissträgers. Rückstände, die auf einen Schuss in die Mundhöhle schließen lassen, etwa Schmauchspuren, werden keine gefunden.

In Sachen Röntgenbild muss sich die Nachwelt auf die Zeugenaussage einer Frau namens Käthe Heusermann verlassen. Sie war Blaschkes Assistentin und führte die Sowjets zu einem muffigen Raum im Führerbunker, in dem die Aufnahmen aufbewahrt wurden. Bezeichnenderweise leitete damals die Ermittlung in dieser äußerst wichtigen Angelegenheit kein hochrangiger SMERSH-Offizier, sondern eine einfache Übersetzerin namens Elena Rzhevskaya. Während der Verhöre gab Heusermann zu Protokoll, mehrfach von Soldaten der Roten Armee vergewaltigt worden zu sein. Wenn man zusätzlich die Flächenbombardierungen durch die Alliierten und die verheerende Schlacht um Berlin in Betracht zieht, darf man getrost von einer gehörigen Traumatisierung Heusermanns ausgehen. Im Angesicht eines sowjetischen Verhörteams dürfte sie daher höchstwahrscheinlich bereit gewesen sein, alles zu bezeugen was von ihr verlangt wurde, wenn auch nur der Hauch einer Chance bestand, dadurch ihr Leben zu retten.

Nach den Verhören wurde sie in die Sowjetunion verschleppt und verbrachte zehn Jahre in einem sibirischen Gulag. Zeit genug, um ihr einzubläuen, auf jeden Fall bei ihrer Zeugenaussage zu bleiben. Wie glaubwürdig ist demnach diese Zeugenaussage? Das wird heutzutage niemand mehr abschließend beantworten können. Fakt ist dennoch, dass sie die einzige Verbindung zwischen dem ominösen Gebiss und der Röntgenaufnahme darstellt. Käthe Heusermann starb 1993 in Düsseldorf. Die Hypothese der absichtlich falsch zugeordneten Röntgenaufnahme klingt auf den ersten Blick aberwitzig, auf den zweiten Blick jedoch banal.

Versetzen wir uns gedanklich in den Frühling 1945 zurück. Wenige Tage vor den Ereignissen rund um die Reichskanzlei ist Benito Mussolini in Mailand am Fleischerhaken geendet. Stalin sieht sich nach eigener Aussage um die Trophäe seines Siegs gebracht: die mit millionenfachen Opfern erkaufte Leiche Adolf Hitlers. In seiner Empörung tut er das Unvorstellbare: Er verkündet öffentlich die Wahrheit! Natürlich lässt er dennoch im Hintergrund standardmäßig die Maskirowka anlaufen; dieses Spiel der Masken, die Mischung aus Betrug, Camouflage und Verneinung gehört seit Anfang des 20. Jahrhunderts fest zur russischen Militärdoktrin. Was wäre für dieses Spiel besser geeignet gewesen als ein Mund voller Gold?

Die Zukunft wird zeigen, welche Erkenntnisse die Ermittler des Simon-Wiesenthal-Centers aus den argentinischen Akten ziehen werden. Hoffnung auf allzu viel Bahnbrechendes mache ich mir nicht. Die israelischen Nazi-Jäger würden vor allen Dingen ihr eigenes Versagen aufdecken.

Abgesehen von Adolf Eichmann hat man ja die geschätzt 5.000 Nazi-Superverbrecher, die den Weg der Rattenlinien nach Südamerika gewählt haben, hübsch in Frieden altern und sterben lassen. Eine wohlgesonnene CIA und die „unverbrüchliche Freundschaft“ der jungen Bundesrepublik waren den israelischen Realpolitikern wichtiger als die wohlverdiente Rache. Doch wer weiß? Eine Transaktion zwischen einer Schweizer Bank und einem gewissen Herrn Adolf Schüttelmayer sollte uns aufhorchen lassen!

Ganz zum Schluss noch ein Satz in eigener Sache: Danke, Boris Becker, dass du die Sache aufs Tapet gebracht hast.


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Quellen und Anmerkungen:

The National Interest; 1955 CIA Document (Now Debunked): Adolf Hitler Survived World War II. June 4, 2020 By: Curt Mills

The remains of Adolf Hitler: A biomedical analysis and definitive identification; May 2018 European Journal of Internal Medicine 54(12) Authors: Philippe Charlier, University of Paris-Saclay; Raphael Weil, University of Paris-Sud, P. Rainsard, Joël Poupon

allisraelnews: Argentinischer Präsident ordnet die Öffnung geheimer Akten über Nazi-Kriegsverbrecher an, die in sein Land geflohen sind; Jo Elizabeth | Published: March 27, 2025

vice: Die Frau, die Hitlers Zähne aufbewahrte; by Bess Lovejoy, August 2, 2016, 3:00am

The Times of Israel; Putin grants authors partial access to secret Soviet archives on Hitler’s death, Investigative journalists Jean-Christophe Brisard and Lana Parshina dig deep into classified Russian materials that are still part of an ongoing Cold War-esque propaganda battle, by JP O’Malley, 4 September 2018, 6:49 am

n-tv: DNA-Probe aus Knochenfragment, Hitlers Schädel gehört einer Frau, 30. September 2009, 11:25 Uhr

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