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Jagd auf die Unbequemen

Jagd auf die Unbequemen

Auf Menschen, die zu Corona eine andere als die offiziell erwünschte Meinung äußern, wird mit der Moralkeule eingeschlagen.

Zwei Worte waren es, welche die deutsche Öffentlichkeit in eine gehörig empörte Erregungsgesellschaft katapultierten, wenigstens für eine geraume Zeit. Zudem hatten sie das Potenzial, zum Unwort des Jahres gekürt zu werden. Doch keine Angst: Gegenwärtig ist von einer gesellschaftlichen Erregung — zumindest leitmedial und damit einigermaßen öffentlichkeitswirksam — nichts zu spüren, obwohl sich ein außerordentlicher gesellschaftlicher Umbau ereignet, der auf bevormundendem Gesundheitsterror und einer politisch-medialen Gesundheitsreligion beruht.

Bei den wenigen derzeit noch möglichen Begegnungsstätten im öffentlichen Raum — in der Schlange beim Bäcker, im Park, an der Haltestelle — sind allerdings durchaus einige andere, sehr kritische Töne der sich Begegnenden vernehmbar. Offenbar nicht grundlos schürt deshalb ein gesundheitspolitischer Scharfmacher Markus Söder die Furcht: „Aus bösen Gedanken werden böse Worte und irgendwann auch böse Taten.“

Dieser Tage schläft das Gros der bundesdeutschen Gesellschaft aber (noch) gut und fest, die wenigen von Schlafstörungen Geplagten erhalten unaufhörlich politische, private und öffentlich-rechtliche Sedativa. Es scheint sich nämlich seit beinahe einem Jahr in der bundesdeutschen Gesellschaft nur noch eine einzige Frage zu stellen. Es ist Luthers alte, nur ein wenig nuancierte Frage: Wie also bekomme ich eine gnädige Göttin?

Die Frage wird umso drängender, seit sich die gewisse Dame „extrem genervt“ zeigt. Auch das Regieren ist letztlich kein Vergnügen, noch immer nicht. Die individuelle Unterwerfung ist noch immer unvollkommen. Die gut Schlafenden erfreuen sich zwar seit fast einem Jahr an „sozialer Distanz“, sind offen für digitale Technologien zur Überwachung, isolieren sich in Wohnungen und Häusern, entledigen sich ihrer Freundschafts- und Liebesbeziehungen, lassen sich unverschuldet in Arbeitslosigkeit und Berufsverbot zwingen, geben politische und religiöse Überzeugungen preis, legen sich und gänzlich unverdrossen auch ihren Kindern gesundheitsgefährdende Maskierung an, lassen — natürlich solidarisch — Kranke und Alte in Einsamkeit verrecken, verzichten generös auf Bildung und Kultur, auf Sport wie auf das Leben überhaupt und sind sich sicher — versorgt durch Tagesschau, Amazon und Netflix —: Diese Demokratie ist „quicklebendig“ (Christine Lambrecht).

Sind aber Berührungspunkte mit der deutschen Geschichte tatsächlich als grundlos abweisbar? Der frisch ernannte Reichskanzler Adolf Hitler unternahm es 1933 nicht, die Weimarer Verfassung zu beseitigen, er behalf sich mit der Verhängung eines permanenten Ausnahmezustands. Zwölf Jahre dauerte dieser Ausnahmezustand und machte dabei alle Bestimmungen der formal gültigen Reichsverfassung zunichte. Mit dem Instrument des Propagandaministeriums schuf man sich den nötigen hochwirksamem ideologischen Apparat. Heute genügt es bereits, zur besten Sendezeit unablässig mit Angst- und Schreckensmeldungen zu hausieren:

Das Recht auf Gesundheit in der bundesrepublikanischen Demokratie schlägt um in eine Gesundheitspflicht.

Doch die wenigen Unruhigen beunruhigen und stören noch. Für diese braucht es dann zwischenzeitlich einen fulminanten Witz, und Merkel ist sich auch für diesen nicht zu schade: „Ich lasse mir nicht anhängen, dass ich Kinder quäle oder Arbeitnehmerrechte missachte.“

Unworte

Wovon eingangs aber die Rede ist, hatte sein Geschehen im Jahre 1998. „Dann müssen die Patienten mit weniger Leistung zufrieden sein, und wir müssen insgesamt überlegen (…), ob wir das sozialverträgliche Frühableben fördern müssen“, zündelte es aus dem damaligen Präsidenten der Bundesärztekammer Karsten Vilmar. Die Aussage erschien als drastische Reaktion angesichts der neu aufgelegten Budgetierungspolitik der damaligen rot-grünen Koalition.

Doch wie so häufig wurde die Politik sogleich hintan- und der moralische Nebenschauplatz samt Empörungslust vorangetrieben. Die Hinterbänkler der Parlamente und Heerscharen von guten Menschen sahen das Licht der Weihnachtszeit und schwangen die Moralkeule. Wobei in Parenthese erwähnt sei: Auch die „Moralkeule“ wurde durch die Unwortler verworfen. Martin Walser ereilte dabei die Rüge, dass „ein so sprachsensibler Autor“ — wie eben Walser — „den positiv besetzten Begriff Moral mit einem Totschlaginstrument sprachlich verbunden“ habe. Weiterhin nebenbei wäre also wenigstens auch noch zu fragen, seit wann denn Moral als „ein positiv besetzter Begriff“ wieder im Anschlag ist? Doch das passiert wohl, will man falsches Bewusstsein an einzelnen Vokabeln verkürzend aufweisen.

Die Absicht des Ärztekammerpräsidenten taugte nicht, um auf eine für ihn diskutable und nicht hinnehmbare Situation im Gesundheitssystem per Persiflage hinzuweisen, es bedürfte dazu dann freilich in der aufgeregten ideologisierten Öffentlichkeit auch eines sensiblen Organs, um solche Nuancen wahrnehmen zu können. Auf den Sprachbarbaren Vilmar zielten die Sprachmoralisten aus Frankfurt am Main jedenfalls wirkungsvoll, denn: Was Ironie ist, bestimmen immer noch wir. Gefährlich fanden sie es, dass Ironie sich in Zynismus wandelte.

Zu fragen wäre ebenfalls noch ganz beiläufig, wie es denn eigentlich mit der im August 2000 gegründeten Aktion „Gesicht Zeigen! ruft auf, zeigt an, greift ein — für ein weltoffenes Deutschland“ bestellt ist? Das mit dem „Gesicht Zeigen“ dürfte inzwischen als Provokation der Regierung verstanden werden, gilt doch schließlich das Vermummungsgebot! „Zeigt an“, „greift ein“ dürfte allerdings Gefallen auslösen und die Initiatoren punkten lassen, und „weltoffen“ kommt natürlich immer gut und rettet wohl einigermaßen vor irgendwelchem queren Gedankengut.

Zynismus?

Zynismus wird dann gegenwärtig ebenso bei Boris Palmer, dem grünen Oberbürgermeister von Tübingen, ausgemacht, mindestens aber eine Verbalkeule gesichtet, die von ihm in den politischen Raum geschleudert wird: „Ich sag’s Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Wer jedoch ein Buch mit dem Titel „Erst die Fakten, dann die Moral“ in die gesellschaftliche Debatte wirft und bekennt, dass die Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnen sollte, ist in diesen Tagen mindestens des Querulantentums verdächtig, daran ändern dann auch die fast obligat nachgereichten Entschuldigungen Palmers nichts mehr.

Jüngst aber nun auch noch ein juristisches Aufmucken aus Weimar. Weimar wieder, Hort schon einmal einer merkwürdigen Verfassung und einer noch merkwürdigeren Republik. Ein Richter wagt nun aktuell Widerspruch und erklärt, mit der Coronapolitik wäre der Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes als „unantastbar garantierte Menschenwürde verletzt“.

Auch kann er sich nicht verkneifen zu bemerken, die „freie Begegnung der Menschen untereinander zu den unterschiedlichsten (Hervorhebung R. R.) Zwecken ist zugleich die elementare Basis der Gesellschaft“.

Ganz starker Tobak dann noch der Verweis, hier würde das bislang als normal empfundene Leben zum Straftatbestand umgedeutet.

Das Querulantentum des Weimarer Juristen wird nachgerade unverschämt: Es gebe schließlich „die Zunahme häuslicher Gewalt (…) von Depressionen“, es gebe die Ausbreitung von „Angst, (…) die Zunahme von Suiziden, gesundheitliche Beeinträchtigungen infolge von Bewegungsmangel, Unterlassung von Operationen“. Im Namen der Gesundheit kann dies natürlich vorkommen, wer wollte da jetzt kleinlich sein.

Ist es Zynismus, wenn eine 90-Jährige aus einem Troisdorfer Altenheim an den CDU-Ministerpräsidenten Laschet schreibt:

„Ich will nicht schuld sein am Unglück der Nachkommen, ich habe das nicht bestellt. Ich habe nicht CDU gewählt, um meiner Freiheit beraubt zu werden. Ich will nicht, dass das ganze Land zum Teufel geht, um ein paar Alten noch ein paar zusätzliche Monate im Pflegebett zu verschaffen. Ebenso wenig will ich, dass die Erfahrung der Freiheitsberaubung auf meine Kappe geht. Ich will nicht schuld sein, wenn Leute wie Sie plötzlich eine Möglichkeit sehen, das Grundgesetz straflos ad absurdum zu führen“ — und sie überdies ausführt, „Sie retten mein Leben zulasten meiner Kinder und Enkel“?

Unbequemes

Mit dem Oppositionsgeist ist es bei uns Deutschen ohnehin eine zwiespältige Geschichte. Verursacht er keine Schmerzen, dann ist er ja durchaus erwünscht (gewesen). Er konnte dann gar so weit getrieben werden, eine regelrechte „Konjunktur des Querdenkers“ herauszuarbeiten, wie es der Essayist Martin Hecht Mitte der 1990er-Jahre in seinem Buch „Unbequem ist stets genehm“ tat. Volker Finke, ein Fußballtrainer, wurde von ihm etwa als „Querdenker“ ausgemacht, die Schauspielerin Inge Meysel und selbst Bundespräsident Roman Herzog, als „unbequemer Präsident“, begegnen sich vereint in der Querdenkerfront.

Querdenkend und populär war über Jahre hinweg auch der CDU-Politiker Heiner Geißler unterwegs. Nach seinem Abgang als Parteigeneral hatte sich Geißler vor allem als Kritiker des christ-demokratischen Kanzlers Helmut Kohl hervorgetan; später warf er seinen Parteikollegen vor, sich auf dem Irrweg des Neoliberalismus zu bewegen. Mit solcher Position traf er den Zeitgeschmack vieler deutscher Journalisten und Medienmacher, wie gut lässt sich solcherart die eigene Meinung bestätigen. „Je ‚querer‘ der Einzelne denkt, umso kräftiger geht es mit der Karriere vorwärts“, hieß es bei Martin Hecht noch im alten Jahrhundert.

Heute macht das weniger beliebt: „Ausgerechnet jetzt der schon wieder“, schreibt man da, oder: „Und täglich poltert der Palmer.“ Unbequem ist stets genehm? Weit gefehlt! „Wer sich aber zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, dass er mit Füßen getreten wird“, notierte deshalb Immanuel Kant in seiner „Metaphysik der Sitten“.

Augenscheinlich will derzeit niemand mehr etwas vom Zynismus des sozialverträglichen Frühablebens wissen und sich mit dem desolaten Zustand des Gesundheitswesens befassen, solches kommt der gegenwärtigen Politik nicht auf die Agenda. Gelegentlich wird zwar noch immer auf die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verwiesen, doch sollte man die Politiker an das eigene Handeln erinnern und die getroffenen Regierungsmaßnahmen in den Fokus rücken:

„2020, im Jahr eins des Corona-Zeitalters, wurden 21 Kliniken deutschlandweit vom Netz genommen. Von 30 weiteren Krankenhäusern ist bekannt, dass ihnen die Schließung droht oder ihr Aus schon abgemachte Sache ist. Der Abbau hat in den zurückliegenden Jahren an Fahrt aufgenommen. 1991 gab es im gerade vereinten Land 2411 Kliniken, 2018 waren es 1925, zwölf Monate später nur noch 1914 Krankenhäuser in Deutschland.“

Ablenkung durch die Politik ist somit geboten, und so scheint die Lebensverlängerung als tatsächliches gesundheitspolitisches Ziel auf — obendrein und einigermaßen paradox in einer beständig älter werdenden Gesellschaft. Fragten gesundheitspolitische Bedenkenträger nicht aber immer schon vor allem nach den Kosten von medizinischem Aufwand wie auch nach den Kosten beim Personal?

„Wenn du arm bist, musst du früher sterben“, sprach und spricht nicht so der Volksmund gänzlich ungeniert? Mutet es somit nicht erstaunlich an, wenn durch den Regierungssprecher Steffen Seibert erklärt wird, dass man sich mit den Corona-Toten „keine Minute abfinden“ wolle? Wie steht es dann aber um eine Zahl von UNICEF: 500 Millionen Kinder in Afrika werden da genannt, denen die Schulspeisung die einzige tägliche (warme) Mahlzeit war? Sie bekommen wegen der pandemiebedingten Schulschließungen diese Nahrung nun nicht mehr. Wie steht diese Zahl im Verhältnis zum täglichen „Flugzeugabsturz“ eines Markus Söder?

Die Corona-Maßnahmen sind ökonomisch vollständig ruinös. Ist die gesamtgesellschaftliche Sterbehilfe somit besser als die Angst vor hässlichen Bildern, die etwa durch Särge und Maskenträger unentwegt produziert werden? Nochmals sei aus dem Brief der alten Dame aus dem Troisdorfer Altenheim zitiert:

„Es gibt so ungefähr 900 Krankheiten und Verletzungen, an denen man sterben kann, Selbstmord durch die 145 verschiedenen Depressionsdiagnosen nicht mitgerechnet. Das heißt: Es sterben jeden Tag massenhaft Menschen an allem Möglichen. Corona macht da keinen Unterschied, im Winter sterben die Alten an Infektionen, war schon immer so. Vor 3 Jahren hatte ich die Grippe und wäre beinahe gestorben. Das hat damals keinen Arzt und keinen Politiker gestört, aber jetzt ist es der Grund, aus dem Land ein Gefängnis zu machen? (…)

Und auch jetzt geht Lebensrettung vor allem als Selbstzweck, vor der Frage, ob die Leute das wollen, ob es überhaupt einen Sinn macht. In diesem Heim sind seit meinem Einzug 15 Menschen gestorben, einer davon eventuell an Corona. Dafür sind alle anderen gesundheitlichen Probleme angeblich und in der Behandlung nicht mehr wichtig. Ich muss seit Monaten einen Zahn gezogen bekommen und eine Herzuntersuchung erhalten. Keine Chance, selbst die Ärzte haben Angst, aus dem Altenheim den Tod einzuschleppen. Einige Leute aus meinem Bekanntenkreis sind gestorben, weil sie keine Termine für Operationen bekommen haben oder selbst zu viel Angst hatten, ins Krankenhaus zu gehen.“

Werden somit nicht noch weitere, hässlichere Bilder folgen? Die Verödung unserer Innenstädte etwa? Eindrucksvoll begegnet man diesem Sterben bereits in der einst prächtigen Erfurter Innenstadt. Können die Gewinner dieser sogenannten Corona-Schutzmaßnahmenpolitik Zalando, Lieferando, Amazon, Facebook die tatsächlich freundlichen Bilder liefern?

Vom guten Leben

Der Wunsch nach ewigem Leben, nach Unsterblichkeit, ist ein uralter wie aktueller Menschheitstraum und oft wohl sogar ein sehr persönlicher. Jahrtausendelang betrachteten die Menschen den Tod aber auch als etwas ganz Natürliches.

Nicht genug damit: Zwei philosophische Schulen der Antike machten sich überdies stark für das Recht auf den selbstbestimmten Tod — der Epikureismus und der Stoizismus. Im Athen des dritten vorchristlichen Jahrhunderts entstanden, kannten beide Schulen ein und dasselbe Ziel: die Menschen die „Eudaimonia“ (gut plus Geist), das irdische gute Leben, lehren. Der Mensch, sofern er zu denken und zu erkennen vermag, weiß um den eigenen Tod, der völlig untrüglich kommen wird, bleibt dennoch auf der Suche nach der Erfüllung, häufig bis in den Sterbeprozess hinein. Der Begriff Euthanasie gibt davon Zeugnis, meint er ja erst einmal nichts anderes als einen „guten, schönen, leichten Tod“.

Die Epikureer sahen das Rezept für ein erfülltes und sinnvolles irdisches Leben in der „Ataraxia“, der Seelenruhe. Verunmöglichen psychisches Leid oder körperliche Beeinträchtigungen die Seelenruhe aber unwiderruflich, dann darf der Mensch durchaus Hand an sich legen. Das Rezept der Stoiker basiert auf der Vernunft, dem Logos, um ein Leben in Freiheit und Würde zu führen. Voraussetzung ist ihnen dazu die „Apatheia“, die wohl trefflich mit der sprichwörtlich gewordenen „stoischen Ruhe“ oder der „stoischen Gelassenheit“ zu übersetzen ist. Pflegten die Epikureer die Selbstgenügsamkeit, so stellten die Stoiker sich durchaus in den Dienst der Gesellschaft. Doch lohnenswert war das Leben auch für die Stoiker nur, konnte man seiner Bestimmung folgen, ohne von dauerhaften physischen oder psychischen Qualen beeinträchtigt zu sein.

„Die Menschen sind füreinander da“ darf als stoisches Bekenntnis gelten. Vernunft, Freiheit und Würde waren dem Stoiker unverzichtbare Werte. Fehlten sie, gab es die „Pflicht zu sterben“, war immer doch „der schmutzigste Tod der sauberen Knechtschaft vorzuziehen“. Anklänge der stoischen Haltung finden sich etwa noch im friesischen „Lewwer duad üs Slaav!“ (Lieber tot, als Sklave sein) des Fischers und Freiheitskämpfers Pidder Lüng, wie sie Detlev von Liliencron in seiner Ballade festhält.

Diese Betrachtung, vielen offensichtlich zu schmerzhaft, häufig sogar als demütigend empfunden, musste preisgegeben werden. Hier liegt dann aber die Grundlage für den Sieg der Hysterisierung der Öffentlichkeit, die zum Glück täglich mehr Ärzte kritisieren. Das unablässige Produzieren von Schuld-, Hass- und vor allem gegenwärtig Angstgefühlen war immer schon ein Mittel der Knechtung, der Machtausübung.

Ist es dann jedoch tatsächlich ein menschenwürdiges, ein emphatisches Miteinander, wenn betagten und hochbetagten Bewohnern eines Alten- oder Pflegeheimes plausibel einzuschärfen ist, es sei gar nicht schlimm, in und an Einsamkeit zu verrecken, aber an Grippe zu erkranken, das kommt nicht in Frage?

Vielleicht steht dem Menschen tatsächlich seine biologische Anlage im Weg, als „Nesthocker“ auf die Welt zu kommen. Jahrelang bleibt er abhängig; Eltern, Erzieher, die soziale Gemeinschaft arbeiten sich an ihm ab, bis zumindest die juristische Mündigkeit erreicht ist. Manches Exemplar der menschlichen Gattung pflegt freilich auch lebenslang eine selbstverschuldete Unmündigkeit. Doch — „lieber tot, als Sklave sein“? Dieses freiheitliche Bekenntnis erscheint zu absurd. Sind wir denn nicht frei — da war schließlich die Sache mit den Grundrechten noch? Niemand will uns unterwerfen, so millionenfache Überzeugung.

„Wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Freiheit eingeschränkt ist, dann suchen sie Wege heraus. Das ist ein bisschen wie bei trotzigen Kindern, die ihre Limits austesten“, werden wir etwa durch eine Psychologin Monika Sieverding belehrt. Dass Leben ohne Freiheit nicht zu haben ist, scheint der „Psychologin“ Sieverding entgangen. So aber wird dann bestenfalls das Vegetieren, das Überleben ermöglicht.

Wie weit entfernt ist solches Psychologisieren vom Leben, dem es gilt, „dass ein Widerstand überwunden wird“ (Nietzsche)? Wie weit entfernt vor allem auch von Nietzsches erstem „Satz unsrer Menschenliebe“: „Die Schwachen und Missratnen sollen zugrunde gehen (…) Und man soll ihnen noch dazu helfen“? Der Mensch, so viel steht ihm fest, „muss die Kraft haben und von Zeit zu Zeit anwenden, eine Vergangenheit zu zerbrechen und aufzulösen, um leben zu können“. „Das Leben allein“, weiß Nietzsche, ist „jene dunkle, treibende, unersättlich sich selbst begehrende Macht“.

Der Mensch der Gegenwart, diese noch immer sehr „krumme Gestalt“, jedenfalls hängt sichtlich mehr am (Über-)Leben als an der Freiheit und fragt sich vielleicht: Taten es die Menschen nicht immer so? „Woran soll man denn hängen, wenn nicht am Leben, wo es doch das einzige Geschenk ist, das uns der liebe Gott nicht zweimal macht?“, rätselte etwa die Magd Françoise schon bei Marcel Proust (Unterwegs zu Swann) angesichts marschierender Soldaten. Ob diese nicht etwa auch am Leben hingen und wie es sich mit dem christlichen Auferstehungsgedanken verhält, sei hier nicht abgehandelt.

Sicherheit ist somit zum Leitmotiv der gegenwärtigen Gesellschaft geworden. Natürlich klingt Sicherheit auch sympathischer als Feigheit.

Das Bewußtsein der Feigheit, mag es auch unschönen Nachhall erzeugen, lässt sich immerhin noch — wenigstens eine Zeit lang — als Klugheit ausweisen, das Versicherungswesen hat somit gutes Auskommen. Das Selbstwertgefühl aber ist mindestens angefressen, daran ändert auch die zur vernünftigen Maxime ausgerufene Konfliktvermeidungsstrategie nichts. Depression und Selbstzweifel brennen sich in die Gesellschaft.

Aus evolutionärer Perspektive wird sehr deutlich, es ging nicht ab ohne den Verlust von Ehre, räumte man angestammtes Gebiet und gab somit Lebensressourcen preis. „Das Problem existiert heute noch, sogar rudimentär in den Wohlstandswelten des Westens“, notiert Michael Klonovsky (Der Held), „wo auch der endaufgeklärte Habermas-Leser lieber Wohngegend und Schule wechselt, wenn die Zahl derjenigen eine gewisse Grenze überschreitet, die nicht an den ‚zwanglosen Zwang des besseren Arguments‘ glauben, weil sie die robusteren Argumente und die größere Anzahl männlicher Familienmitglieder besitzen.“

„Fürchtet Euch!“

Die Gesellschaft wandert in die Bequemlichkeit und übergibt sich dem Schutz des Staates. Die ausgerufene Pandemie schürt bei allzu vielen Zeitgenossen nur noch das Bedürfnis nach Sicherheit und Gesundheit, das Grundgesetz gilt diesen allzu vielen gar als abzuwerfender Ballast und als Bedrohung. Waren vor ein paar Monaten noch die Kommunikations- und Videoüberwachung, waren Gendatei und Vorratsdatenspeicherung wenigstens einigermaßen verdächtig, stand der Präventionsstaat unter kritischer Beobachtung, ist dies mit der Corona-Hysterie ausgelöscht. Die Verhältnismäßigkeit räumt(e) der Maßlosigkeit kampflos das Feld.

Es scheint, als drängte mit der einhergehenden politisch-medialen Angstpropaganda eine genetische Uranlage des Menschen — die Furcht — aus ihrer kulturellen Einhegung. Der Mensch nimmt sich ausschließlich noch als potenziellen Gefährder, als Virenträger, als Virenschleuder wahr.

Die Welt, zumindest aber das eigene Lebensumfeld, wird fremd. „Fürchtet Euch!“, heißt die neue, frohe Botschaft von getriebener Politik und treibenden Medien und allerlei kruden Weltverbesserern. Nun gar: „Die Pandemie ist erst besiegt, wenn alle Menschen auf der Welt geimpft sind“, erklärte die deutsche Bundeskanzlerin Merkel. Welch Anmaßung in diesen Worten, zumal derzeit völlig unklar ist, was die eingesetzten Impfstoffe bewirken, die im Schnellverfahren — 9 Monate — zusammengeschustert wurden.

Die von BioNTech/Pfizer veröffentlichte Fachinformation dürfte immerhin auch bei Politikern für einiges Unbehagen sorgen: „Es wurden weder Genotoxizitäts- noch Karzinogenitätsstudien durchgeführt. Es wird nicht erwartet, dass die Bestandteile des Impfstoffs (Lipide und mRNA) ein genotoxisches Potenzial haben.“ Es wird nicht erwartet, dass …, aber es wird und werde fleißig gespritzt! Ein Experiment am Menschen damit!

Letzte Menschen

Wer freilich absoluten Lebensschutz fordert, der verunmöglicht das Leben. So werden Nietzsches geahnte „letzte Menschen“ Wirklichkeit. „Die Erde ist dann klein geworden“, wird der Philosoph in seinem „Zarathustra“ notieren, „und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein macht.“ Vier Fragen dann stellen diese Letzten noch. Den Bedeutungen gelten sie von Liebe, Schöpfung, Sehnsucht, Stern. Kein Sinn besteht ihnen mehr in diesen Worten, die Hülsen lediglich noch sind, die letzten Menschen sind ratlos und doch: „Wir haben das Glück erfunden — sagen die letzten Menschen und blinzeln.“ Inzwischen dürfte selbst das Glück — Augustinus zählte bereits seinerzeit 289 Ansichten darüber und war der Ansicht, dass es nur vor dem Sündenfall bestand — zum Spaß verkommen sein.

Der letzte Mensch füttert sein Dasein unentwegt mit sozialen und ökologischen Ersatzreligionen und plustert sich mit einer Zugabe von Hypermoral. Die Liebe, Heines „Zahnweh im Herzen“, ist verkümmert zum Problem der Teenager, weiß nichts mehr von der Unbedingtheit, weiß nichts von Verzehrung und Vergeblichkeit. Dem Sehnsüchtigen wurde die Sehnsucht ausgetrieben, sein Horizont verkümmerte, keine Meere waren mehr zu durchschiffen, die Gipfel in Natur, Literatur und Musik schrumpften unablässig.

Dafür ist die Belohnung ihm verheißen: „Der letzte Mensch lebt am längsten.“ Ist das sein Glück somit oder (er-)schrecklicher Befehl? Denn allzu sehr leidet der moderne Mensch darunter, dass er nicht mehr leiden will. Man erkrankt darüber, der perfekten Gesundheit nachzuhecheln, selbst der Hypochonder vermag zu erkranken. Wie mutig aber ist die 90-jährige Dame:

„Ich will überhaupt nicht gerettet werden. Ich will selbst entscheiden, wie mein Ende aussieht, möglicherweise redet der Herrgott noch ein Wörtchen mit. Aber Sie (also Armin Laschet) mit Sicherheit nicht! Nach all den diktatorischen Erfahrungen, zu denen in früher Jugend noch ein paar faschistische Gestalten hinzuzuzählen sind, will ich meine Freiheit nicht auf den letzten Metern von Schreibtischtätern — demnächst sagt man wohl wieder Apparatschik dazu? — weggenommen bekommen. Wozu? Damit ich drei Wochen später an etwas sterbe, das Ihre Zustimmung findet?“

Somit doch „lieber den Jahren mehr Leben geben als dem Leben mehr Jahre“ (Curd Jürgens)? Somit doch die alten Fragen wieder aufgreifen nach Liebe, Schöpfung, Sehnsucht und Stern und sie verbinden mit den Fragen von Freiheit, Gerechtigkeit, Würde und Freundschaft? Michel de Montaigne erinnert uns:

„Die Besinnung auf den Tod ist Besinnung auf die Freiheit. (…) Die Kunst zu sterben befreit uns von aller Unterwürfigkeit und allem Zwang.“

Das wäre dann freilich unbequem — und nicht (mehr) genehm.


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