Alle Kriegsfilme haben denselben Plot: der Zuschauer überlebt.
Jay Hyams, War Movies
Die Rückkehr, so lautete Beagles Titel für das Vietnam-Szenario. Es war aber immer noch nicht ganz ausgereift.
Apocalypse Red war ein Schlachtplan: einmarschieren und die Reste der UdSSR zerschlagen.
Seiner Meinung nach war das Kino par excellence. Stoff für ein richtiges David-Lean-Breitwandepos. Doktor Schiwago und Reds. Riesige Armeen zogen über die flachen, vollkommen weißen Steppen. Panzer, Raketen, der Himmel voller Kampfflugzeuge, Gewehrfeuer, grelle Farbexplosionen auf Schnee. Wenn Coppolas Filme wie italienische Opern waren, dann würde das hier eine russische Oper werden. Größer, aufwendiger und unendlich tiefgründiger.
Allerdings auch sehr problematisch. So unorganisiert die Russen auch waren, noch hatten sie Atomwaffen. Beagles Frau und alle ihre Freunde machten sich große Sorgen wegen der Ökologie und der Verbreitung von Atomwaffen. Beagle wollte sich nicht in Dr. Seltsam verwandeln, einen Irren, der bereit war, den ersten nuklearen Winter oder den Weltuntergang auszulösen.
Er wandte sich den Bildschirmen zu. Schwarz auf schwarz. Vielleicht waren Terroristen die Lösung. Wenn die Videothekare ihre Arbeit getan hatten, und sie waren wirklich gut darin, dann konnte er Material mit Hilfe von Stichwörtern aufrufen. Er begann mit Nachrichten. Ließ sie auf irgendeinem freien Bildschirm laufen, sah sie nach dem Zufallsprinzip an, verschaffte sich einen Eindruck. Die Terroristen waren meistens Araber. Beagle sah sich die CBS-Rekonstruktion des Bombenattentats auf den Pan-Am-Jet über Lockerbie an. Bilder von der Achille Lauro. Ein Flugzeug am Boden in Ägypten, Terroristen und Geiseln an Bord. Unschuldige tot in einem Flughafen. Filme: Gegenangriffe durch Delta Force, Navy Seals, durch Eingreiftruppen, das FBI, Chuck Norris, Interpol, Vietnamveteranen, Bruce Willis, bionische Sexbomben (1).
Im Hinterzimmer fragte sich Teddy Brody, was zum Teufel Linc vorhatte. Bisher hatte es sich um Kriegsfilme gehandelt, Kriegsfilme und Dokumentarmaterial aus diversen Kriegen. Und jetzt das. Teddy hatte sich Notizen gemacht und die Filme katalogisiert. Und er hatte recherchiert. Von den circa fünfzig Büchern, die er gelesen hatte, hatte ihn Jeanine Basingers The World War II Combat Film: Anatomy of a Genre am meisten fasziniert, weil sich darin eine Formel für solche Filme fand. Vielleicht könnte er ein Drehbuch schreiben, wenn er sich streng an diese Formel hielt. Vielleicht sogar genau das Drehbuch, das Beagle brauchte. Darum ging es schließlich bei diesem beschissenen Job. Einen Weg nach oben zu finden.
Aber jetzt Terroristen?
Mit der Basinger-Formel konnte das funktionieren. Der Kriegsfilm erzählt stets die Story eines kleinen Trupps unterschiedlichster Personen — dem Diktat der politischen Korrektheit der jeweiligen Zeit entsprechend —, die es schaffen, ihre Differenzen zu überwinden und gemeinsam für ein — natürlich patriotisches — Ziel zu arbeiten (2). Natürlich konnte das mit einer Eliteeinheit gegen die Terroristen klappen. Das lag auf der Hand. Brody wusste nicht, wieso er überhaupt gezögert hatte.
Beagle notierte etwas auf einem gelben Blatt: „Szenario: Der Präsident wird von Terroristen gekidnappt“ (3).
Das hatte einen gewissen Reiz. Beagle hatte gelernt, seine Phantasie nicht durch Kosten oder Praktikabilität einzuengen. Dennoch stellte er es sich wegen dieser Realitätsscheiße schwer vor, ein anderes Land dazu zu überreden, dass es sich auf einen Krieg mit den Vereinigten Staaten einließ, den die Vereinigten Staaten laut Drehbuch gewinnen mussten. Aber den Präsidenten dazu zu überreden, bei seiner eigenen Entführung mitzumachen, oder diese vielmehr zu fingieren, das wäre doch ein Leichtes. Wie könnte er da nein sagen? Es diente doch alles nur seiner Wiederwahl.
Dann das Warten. Das Drama des Nicht-Wissens. Das Land zur Hysterie aufpeitschen. Schließlich die Lösegeldforderungen. Beugen wir uns den Forderungen? Oder beharren wir auf unserem Prinzip? Millionen für die Verteidigung, keinen Cent an Tribut! Die Verhandlungen. Die absichtlich verzögert werden. Während insgeheim die Delta Force — oder die Navy Seals oder die Vegas-Sexbomben oder sogar das FBI — einen Überraschungsangriff planen, und sie retten Bush in einer perfekt getimten und durchgeführten …
Was für ein Gedanke! Sollen die Terroristen doch Bush exekutieren! Dann wird Dan Quayle Präsident und erklärt dem Terrorismus den Krieg. Nicht wie bei diesem Krieg-den-Drogen-Quatsch.
Richtiger Krieg, wir marschieren ein und radieren ganze Städte aus. Die Taktik der verbrannten Erde. Wenn sie sich in Libyen verstecken wollen, marschieren wir in Libyen ein. Syrien. Wo immer sie versuchen, sich zu verstecken!
Offensichtlich würde der Kunde da nicht mitmachen. Bush musste überleben. Aber das war’s, was er brauchte — ein Ereignis, das die ganze Sache einen Gang schneller laufen ließ. Wenn die Delta Force den Präsidenten befreite, was dann?
Dann wurde es zu einer Polizeiaufgabe. Angemessener Kräfteeinsatz. Untersuchungen, Warten, Verhaftungen, und Jahre später — lange nachdem Bush seine Wiederwahl gewonnen oder verloren hatte — eine Gerichtsverhandlung. Wahrscheinlich in Italien, wo die Terroristen sowieso nur zehn Jahre kriegen und nach achtzehn Monaten für eine Schiffsladung Öl und Stützung der italienischen Lira an Libyen verschachert würden. Oder wäre die amerikanische Öffentlichkeit aufgebracht genug — anders gesagt, könnte die amerikanische Öffentlichkeit zu einer ausreichend großen Hysterie aufgepeitscht werden —, dass sie bereit wäre, in den Krieg zu ziehen?
Was, wenn die Terroristen Bush und Quayle entführten? Delta Force befreit Bush, aber die Terroristen töten Quayle. Das war ein machbares Konzept.
Bush, wütend und trauernd, führt die Nation — die Nationen, Plural — des Westens in einen Heiligen Kreuzzug gegen den Terrorismus. Damit keine Frau sich mehr so grämen muss wie Madilyn? (Marilyn? Das musste er nachprüfen). Damit kein Kind (er war sicher, dass Quayle Kinder hatte) jemals wieder vaterlos würde. Bild: Waise, klein, auf sich allein gestellt, nach Hilfe suchend. Nein. Wie wär’s mit: Kleines Mädchen, lockiges Haar, süßes Gesicht, weint sich in den Schlaf — wartet auf den Daddy, der niemals zurückkehren wird. Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet.
Die Terroristen wären Moslems. Die reaktionären Kräfte des Aberglaubens und der Unterdrückung des Ostens gegen den rationalen, moralischen, nach vorn schauenden Westen. Das sprach den atavistischen Hass an. Christen gegen Moslems! Voilà — Titel des Projektes: Die Kreuzzüge.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Programmed to Kill: Eine wunderschöne Terroristin wird vom CIA gefangengenommen und in eine dralle bionische Attentäterin verwandelt. Hell Squad: Unfähig, seinen Sohn im Nahen Osten aus den Händen von Terroristen zu befreien, die ihn entführt haben, holt ein U.S.-Botschafter neun Las-Vegas-Showgirls zu Hilfe. Die Mädchen sind im Nebenberuf ein talentiertes Killerkommando. (Inhaltsangaben aus Video Hound und Golden Movie Retriever).
(2) Teddy hatte im Prinzip recht. Details, Erzählhaltung und Stil können ein Genre immer wieder neu beleben und für große Filme sorgen — Sahara wird neu erfunden als Die Kanonen von Navarone, Das Dreckige Dutzend, Platoon, Die Hölle auf Erden. Gleichzeitig beweist das, wie recht Hartman hatte, als er Beagle für dieses Projekt auswählte, denn letztlich gab sich Beagle nie mit einer bloßen Variation der alten Formel zufrieden. Wenn das Genre nicht adäquat war, dann verließ er dieses Genre und sogar die ausgetretenen Pfade des Mediums. Bei Beagle beeinflusst die Natur des Projekts die Form.
(3) Kein wirklich origineller Gedanke: „Jefferson Morley (in The Nation) zufolge arbeiteten mehrere Angestellte von Wackenhut vor kurzem an dem ausgeklügelten Plan, den Mitgliedern von Todesschwadronen bei der Entführung des amerikanischen Botschafters in El Salvador, Edwin Corr, behilflich zu sein. Die Rechten hofften offenbar, der FMLN die Schuld in die Schuhe schieben zu können.“ Edward Herman und Gerry O’Sullivan, The Terrorism Industry: The Experts and Institutions That Shape Our View of Terror (Pantheon Books, 1989)
Dieser Text ist ein Buchauszug aus dem Buch von Larry Beinhart: „American Hero“, 458 Seiten, Westend Verlag, Februar 2020
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