Das Urteil und seine Bedeutung
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hat letzte Woche ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aufgehoben.
Eine Frau aus Bayern hatte geklagt, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) ihrer Meinung nach kein vielfältiges und ausgewogenes Programm biete, sondern der staatlichen Meinungsmacht als Erfüllungsgehilfe diene. Sie hatte von Oktober 2021 bis März 2022 keinen Rundfunkbeitrag gezahlt. Nachdem sie in zwei Instanzen an den bayerischen Verwaltungsgerichten gescheitert war, hatte sie die Klage an das BVerwG weitergereicht.
Dieses ließ die Revision zu und entschied nun, dass die Argumentation der bayerischen Richter gegen Bundesrecht verstoße.
Die unteren Instanzen hatten argumentiert, dass der Rundfunkbeitrag schon allein für die Möglichkeit des Empfangs zu zahlen ist. Unzufriedenheit berechtige weder zur Einstellung der Zahlungen noch zur Klage. Man könne sich mit Programmbeschwerden an die Aufsichtsgremien wenden, wie zum Beispiel an den Rundfunkrat. Dort würden Vertreter relevanter gesellschaftlicher Gruppen über die Programme wachen.
Die Leipziger Richter urteilten nun jedoch, dass die Rechtfertigung der Beitragspflicht an ein Programm gebunden ist, das den Anforderungen des Funktionsauftrages entspricht.
Dieser Funktionsauftrag bestehe darin, Vielfalt zu sichern und als Gegengewicht zum privaten Rundfunk Orientierungshilfe zu bieten. Erstmals wurde damit die Beitragspflicht nicht nur an die Möglichkeit des Empfangs gebunden (wie zum Beispiel 2018 vom Bundesverfassungsgericht), sondern auch an die Erfüllung des Programmauftrages und hier vor allem an den Indikator Vielfalt. Dazu sind jetzt Beweisaufnahmeverfahren möglich.
Paragraf 26 des Medienstaatsvertrages sagt:
„Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie den gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Bund und Ländern fördern. (…) Ferner sollen sie die einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechenden Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit achten und in ihren Angeboten eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen.“
Die Leipziger Richter stellten das Informationsrecht der Beitragszahler fest, aus dem sich die Informationspflicht der Sendeanstalten ergibt. Damit rückten sie eine jahrelang falsch angewandte Rechtsauffassung gerade und machten nicht nur für die Klägerin den Weg frei, Programmvielfalt gemäß Auftrag als Gegenleistung für Gebühren einzufordern.
Außerdem machten die Richter deutlich, dass das Gesamtangebot aus Hörfunk, Fernsehen und Telemedien über einen längeren Zeitraum betrachtet werden muss, um zu belegen, dass Vielfalt und Ausgewogenheit in erheblichem Maße nicht eingehalten wurden.
Die Richter halten die bisher erbrachten Nachweise der Klägerin für nicht ausreichend und empfehlen das Vorbringen eines wissenschaftlichen Gutachtens, das mindestens eine Zeitspanne von zwei Jahren umfasst, im vorliegenden Fall also etwa die Zeitspanne von März 2020 bis März 2022. Ein solches Gutachten wäre die Basis für die Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, dem Vorwurf „fehlende Ausgewogenheit“ nachzugehen und zu ermitteln. Wenn sie dann zu der Überzeugung kommen, dass der Funktionsauftrag grob verletzt wurde, kann der Fall dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden. Diese Instanz hätte dann über die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrages unter Berücksichtigung der Einhaltung der Programmvielfalt zu entscheiden.
Vernetzung stärkt den Einzelnen
Den gutachterlichen Nachweis von Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit im Gesamtangebot halten die Leipziger Richter für schwierig. Sie haben die Hürden der Nachweiserbringung für jeden Kläger hoch gelegt. Doch sie haben vermutlich nicht damit gerechnet, wie weit die Vernetzung der unzufriedenen Bürger inzwischen fortgeschritten ist.
An erster Stelle zu nennen ist die Bürgerinitiative Leuchtturm ARD, die die Klägerin auf dem Weg bis zum BVerwG unterstützte. Rundfunkfrei möchte mit dem Instrument der Volksabstimmung die Daseinsberechtigung des ÖRR hinterfragen. Das Portal Beitragsblocker bietet Unterstützung bei Widerspruchsverfahren gegen die Beitragspflicht an. Programmbeschwerden werden über das Portal Rundfunkalarm erleichtert. Viele der Initiativen haben sich im Bund der Rundfunkbeitragszahler zusammengeschlossen.
Die Kanzlei von Markus Bönig hat bereits ein Konzept entwickelt, mit dem das Urteil des BVerwG kreativ umgesetzt werden kann. Bönig kündigte einen Aufruf an die 50.000 Mitglieder im Beitragsblocker an, um ein Gutachten zu finanzieren. Im Gegenzug soll den Spendern das Gutachtenpapier für ihre eigenen Verfahren zur Verfügung gestellt werden. Voraussetzung für die Beteiligung ist allerdings eine Mitgliedschaft bei den Beitragsblockern.
Wie den Kommentaren zum Urteil aus dem ÖRR zu entnehmen ist, glaubt man dort nicht, dass die Klägerin ein Gutachten beibringen kann, das den Anforderungen genügt. Aber auch sie unterschätzen die Macht der Vielen. Wenn alle knapp vier Millionen Haushalte, die wegen des Beitrags in Mahnverfahren oder in der Vollstreckung sind, nur einen Euro geben würden, stünden mehr als ausreichend finanzielle Mittel für die Erstellung eines umfassenden Gutachtens zur Verfügung.
Daten liegen vor
Neben einer hohen Geldsumme werden erfahrene und anerkannte Institutionen zur Erstellung wissenschaftlicher Gutachten benötigt. Die Media Tenor International AG kommt dafür zum Beispiel infrage. Sie wird geleitet von Roland Schatz, der seit 1993 Medienunternehmen prüft. Das Unternehmen führt für ihre internationalen Kunden Transparenzerhebungen und Medieninhaltsanalysen durch und arbeitet seit 15 Jahren mit dem tschechischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusammen. Dieser liefert mithilfe der von Media Tenor erhobenen Daten einen jährlichen Bericht an das Parlament. Auch in Südafrika und bei der BBC ist Media Tenor ein gefragter Partner.
Die internationale Erfahrung des Unternehmens ist also direkt mit der anstehenden Aufgabe vergleichbar, das Programm des deutschen ÖRR zu analysieren — zumal Media Tenor in der Vergangenheit bereits Analysen erstellt hatte, die den Rundfunk- und Fernsehräten als Diskussions- und Entscheidungsgrundlage dienten. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen wurde das von den Sendeanstalten nicht mehr gewünscht.
Eine jährliche Rechenschaftslegung über Programmzusammensetzung und Inhalte ist jedoch essenziell für die Qualitätssicherung in den Sendeanstalten.
In jedem Unternehmen ist das Berichtswesen über Transparenz und inhaltliche Arbeit eine Selbstverständlichkeit. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben sich dem bisher verwehrt, was auch einer der Gründe für das über die Beitragsverweigerung sichtbar gewordene Legitimitätsdefizit ist.
Mit der bei Media Tenor vorhandenen Expertise, den offen gelegten Analysemethoden und dem Codebuch sollte ein solches Unterfangen gelingen. Media Tenor verfügt sogar schon über die geforderten Daten, denn sie analysieren seit vielen Jahren die Programme des ÖRR. An verschiedenen deutschen Universitäten, wie zum Beispiel in Mainz, Münster und München, sind ebenfalls Medieninhaltsanalysen durchgeführt worden. Auch dort liegen entsprechende Daten und Gutachten vor, die eine strukturelle Asymmetrie in der Berichterstattung quantifizieren.
Fazit
Der ÖRR hat eine integrative Funktion für die Gesellschaft. Die besten Lösungen für gesellschaftliche Probleme entstehen nur dann, wenn die Bevölkerung umfassend informiert ist, ihre Lebenswirklichkeit berücksichtigt wird und eine breite gesellschaftliche Diskussion stattfindet.
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