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Kapital-Bildung

Kapital-Bildung

Wie die Autobahnen, so die Schulen. Warum Banken und Versicherer bald den Pausenhof kehren.

Offenbach und ÖPP? War da was? Volksvertreter haben bisweilen ein schwächliches Gedächtnis. Gerade in Zeiten, wenn Fragen um Macht, Posten und Pfründe mal wieder bewusstseinsbestimmend sind, setzt bei Politikern die Erinnerung schon mal aus. Also noch einmal: Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) im Schulbau? Ja, da ist etwas gewesen im südhessischen Landkreis Offenbach. Die Sache läuft sogar heute noch, seit inzwischen 13 Jahren – und zwar gehörig schief.

Seinerzeit wurden dort auf einen Schlag 88 Bildungsstätten in die Obhut von Investoren gegeben. Die sollten die in die Jahre gekommenen Gebäude sanieren, um sie anschließend für 15 Jahre zu bewirtschaften. Man verfuhr so, weil die Kommune zu klamm war, ihre Schulen auf eigene Faust in Ordnung zu bringen, und die Privaten das sowieso schneller, besser und günstiger machen als der Staat – angeblich. Wäre es wirklich so gekommen hätte der Vorgang wohl längst flächendeckend Schule gemacht und die Bunderegierung gar keine Veranlassung, einem bereits arg verrufenen Modell gesetzgeberisch auf die Sprünge zu helfen.

Zwar wurden die knapp 90 Schulbauten zwischen 2004 und 2009 zügig auf Vordermann gebracht und anfänglich waren alle Beteiligten voll aus dem Häuschen. Mit der Zeit regte sich aber immer mehr Kritik, bis vor zwei Jahren die politisch Verantwortlichen ein böses Erwachen erlebten. Wirtschaftsprüfer im Auftrag von Hessens Landesrechnungshof hatten ermittelt, dass die jährlichen Kosten bis zum Jahr 2013 um 59 Prozent über der ursprünglichen Kalkulation lagen. Statt der prognostizierten 52 Millionen Euro musste der Steuerzahler per annum knapp 83 Millionen Euro hinblättern. Bis zum Auslaufen der Verträge 2019 drohen sich die Jahresausgaben sogar zu verdoppeln. Sehr zur Freude der Projektpartner – die werden voraussichtlich 120 Millionen Euro Gewinn einstreichen.

Lernresistenzen

Aus Fehlern lernt man. Oder man lässt es bleiben. So wie die große Mehrzahl der Abgeordneten im Bundestag und der Ländervertreter im Bundesrat. Anfang Juni hat die Bundesregierung ein Mammutpaket aus 13 Grundgesetzänderungen samt etlichen Begleitgesetzen durch Parlament und Länderkammer gepeitscht. Der antidemokratische Brachialakt lief unter dem Titel „Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen“. Im Gegenzug für Milliardenhilfen durch den Bund müssen die Länder ab 2020 weitreichende Kompetenzen in den Bereichen Verkehr, Bildungsinvestitionen und Steuerverwaltung an Berlin abtreten. Selbst Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) war der „monströse Eingriff“ in die Verfassung nicht geheuer: „Wir laufen sehenden Auges in den Zentralstaat.“

Eine der Tragweite der Maßnahmen angemessene öffentliche Diskussion hatte im Vorfeld nicht stattgefunden. Nur dank des Eifers zivilgesellschaftlicher Akteure wie des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) oder des Kampagnennetzwerks Campact haben die Menschen im Land überhaupt Wind davon bekommen, dass die Regierung klammheimlich die Privatisierung der deutschen Autobahnen ins Werk setzen will. Den Protesten begegnete die Koalition mit viel Augenwischerei und allerlei „Entschärfungen“, die am Generalplan nichts ändern. Danach werden die Fernstraßen ab 2021 in eine zentrale privatrechtliche Infrastrukturgesellschaft in Regie die Bundes überführt und Bau, Sanierung, Nutzungs- und Betriebsrechte schrittweise dem Zugriff von Investoren anheimfallen, insbesondere mit dem Hebel ÖPP.

Fast vollends untergangenen ist: Auch in punkto Bildungsinfrastruktur hat die Koalition die Weichen auf Ausverkauf gestellt. Schmackhaft macht sie das mit dem Versprechen, das sogenannte Kooperationsverbot aufzuweichen. Dieses wurde 2006 per Föderalismusreform ins Grundgesetz gehievt und untersagt es dem Bund, dauerhaft in Kitas-Schulen und Hochschulen zu investieren.

Im Wissenschaftsbereich wurden die Zügel bereits vor zweieinhalb Jahren gelockert, was seinerzeit auch Gewerkschaften und Bildungsverbände freute. Allerdings will die Bundesregierung die Öffnung bisher nur dafür nutzen, die Exzellenzinitiative als Exzellenzstrategie zu verstetigen. Der einfache Student hat somit nichts von den Extramillionen aus Berlin. Profitieren werden lediglich die Forschungsabteilungen der „Eliteunis“.

Vorfahrt für ÖPP

Dasselbe falsche Spiel wiederholt sich jetzt mit den Schulen. Weil die nach jahrzehntelangem Kürzungsdiktat vor sich in bröckeln und in Großstädten und Ballungsgebieten dringend neu gebaut werden muss, gieren die Kommunen nach Beistand. Und abermals wedelt Berlin mit Scheinen, verspricht Milliardensummen im Tausch gegen größere Eingriffsrechte und heimst allenthalben Lob dafür ein. Wozu denn weiter auf Bildungsföderalismus machen, wenn im Klassenzimmer die Decke runterkommt? Wie bei den Autobahnen wurde auch hierfür das Grundgesetz mit Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat zurechtgebogen. Mit dem neu geschaffenen Artikel 104c darf der Bund finanzschwachen Gemeinden in Zukunft Investitionszuschüsse zum Bau und zur Instandsetzung von Schulgebäuden bewilligen. Im zugehörigen Begleitgesetz sind fürs erste gleich mal 3,5 Milliarden Euro veranschlagt.

Allerdings soll das schöne Geld nicht irgendwie verwendet werden. Der Gesetzgeber hat eine besondere Vorliebe, die er eigens ins novellierte Kommunalinvestitionsförderungsgesetz hineinschrieb. Das liest sich so: „Förderfähig sind auch Investitionsvorhaben, bei denen sich die öffentliche Verwaltung (…) eines Privaten im Rahmen einer vertraglichen Zusammenarbeit bedient. Dabei kann sie dem privaten Vertragspartner für den investiven Kostenanteil des Vorhabens eine einmalige Vorabfinanzierung gewähren – im Folgenden Vorabfinanzierungs-ÖPP (Öffentlich Private Partnerschaft).“

Das Wörtchen „auch“ führt in die Irre. Übersetzt lautet es: Friss oder stirb. Wegen des Aderlasses im öffentlichen Dienst pfeifen die Bauämter in den Städten und Gemeinden personell auf dem letzten Loch. In Berlin zum Beispiel hat der Senat mehrere Hundert Millionen Euro extra für den Schulbau mobilisiert. Aber nur ein Bruchteil der Gelder wurde bis dato von den Bezirken abgerufen – weil Sachbearbeiter hoffnungslos überlastet und die Auftragsbücher der Baufirmen voll sind. Wenn alsbald der Bund mit frischem Fördergeld winkt, kann man sich Ausreden wie „Antragsstau“ und „Krankenstand“ nicht leisten. Faktisch schafft die Bundesregierung mit ihrer Spendierlaune einen neuen Sachzwang, sich der Hilfe der Privaten bedienen zu müssen. Lässt man es, tropf die Schultoilette halt noch Jahre lang weiter.

Ungleiche Partner

Zurück nach Offenbach. Erst Mitte Mai hatte dort der Kreistag beschlossen, die fraglichen Schulen zunächst wieder in öffentlicher Eigenregie zu betreiben, sobald 2019 der Kontrakt mit Hochtief und der SKE Schul-Facility-Management GmbH ausgelaufen ist und die beiden Projektgesellschaften sich auflösen. An diesen hält der Kreis 5,1 Prozent, 94,9 Prozent teilen sich die Investoren – so viel zum Wort „Partnerschaft“. Von der in 97 Basisverträgen mit 113 Anlagen festgezurrten Kooperation profitierten dann auch vor allem die Privaten und ihre Beratungsfirmen. Man muss annehmen, dass die Landkreisvertreter die Materie nicht vollends durchschaut und die Investoren ihren „Wissensvorsprung“ vergoldet haben.

So ist laut GiB ein Großteil der erhöhten Kosten durch eine „Wertsicherungsklausel“ zustande gekommen, „die dem privaten Partner den Vorteil aus den energetischen Maßnahmen alleine zukommen ließ“. Ebenso in Sachen Umsatzsteuer und Verwaltungskosten hat sich die Kommune über den Tisch ziehen lassen. Nicht einmal die allgemeine Preissteigerung sei bei der Kostenberechnung angemessen berücksichtigt worden. Selbst die Offenbacher Post lies kein gutes Haar an den Verantwortlichen, als die Pleite aufflog: „Naivität, Schlamperei, handwerkliche Fehler: Hätte man's nur selbst gemacht …“

Hier liegt der Kern des Problems. Die Länder und Kommunen würden ihre öffentliche Infrastruktur liebend gerne aus eigener Kraft sanieren und instand halten, nur fehlt ihnen dazu das Geld. Aber selbst bei finanzieller Solidität und nachweislicher Kreditwürdigkeit ist es ihnen wegen der sogenannten Schuldenbremse einfach nicht erlaubt, in erforderlichem Maße zu investieren. Der hessische Rechnungshof stellte bezüglich der Causa Offenbach denn auch die Frage, „ob durch die Installierung der PPP-Projekte ein Sanierungsprogramm realisiert wurde, das bei Eigenerledigung nicht genehmigungsfähig gewesen wäre“.

Profitmotor Schuldenbremse

Man kann sicher sein: Bei einem Umfang von 88 Schulen wäre das Projekt mit Gewissheit „ausgebremst“ worden, auch wenn es 2004 noch gar keine Schuldenbremse gab. ÖPP dagegen macht Investitionen in praktisch unbegrenztem Umfang möglich, da sich damit die deutschen Verschuldungsregeln sowie die EU-Maastricht-Stabilitätskriterien umschiffen lassen. Da macht es dann auch nichts, wenn die Kosten in die Decke gehen und die Steuerzahler am Ende viel mehr berappen müssen als im Falle einer klassischen staatlichen Finanzierung mittels Kreditaufnahme.

Ohne diese Mehrkosten fehlte den Privaten überhaupt jedweder Anreiz, Straßen und Schulen zu betreiben. Sie tun das nur, weil und damit es teurer wird, und indem sie ihre Profite irgendwo in die Verträge einpreisen. Deshalb unterliegen diese auch stets der Geheimhaltung.

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beziffert den Sanierungsstau an Deutschlands Schulen auf 34 Milliarden Euro. Das ist eine stattliche Herausforderung, aber keine, die sich angesichts der günstigen Wirtschaftslage, prall gefüllter Steuerkassen und anhaltend niedriger Zinsen durch ein reiches Land wie die BRD nicht bewältigen ließe. Dazu müsste die Politik nichts weiter tun, als die Schuldenbremse wieder abzuschaffen. Was passiert stattdessen? Die Regierungsparteien klagen publikumswirksam über verrottete Turnhallen und holprige Straßen und sorgen im gesetzgeberischen Schweinsgalopp dafür, dass sich Autobahnen und Schulen demnächst in hochprofitable Anlagenobjekte für Banken und Versicherungen verwandeln.

Ohne die Schuldenbremse wäre dies so niemals durchsetzbar gewesen, womit spätestens jetzt ihr eigentlicher Daseinszweck offen zutage tritt: Sie dient der Legitimierung einer Politik, die darauf abzielt, die öffentliche Infrastruktur im Bund, Ländern und Gemeinden zur Verfügungs- und Bereicherungsmasse von Konzernen zu machen und institutionellen Anlegern staatlich garantierte Renditen auf Kosten der Allgemeinheit zuzuschanzen. Es geht um nichts weniger als die Privatisierung des Gemeinwesens, um den gewaltigsten Angriff auf die öffentliche Daseinsvorsorge nach der Liberalisierung des Telekomunikations- und Energiesektors.

Linkspartei mischt mit

Mitbeteiligt sind bei all dem praktisch alle Parteien. Selbst die von der Partei Die Linke mitregierten Länder Thüringen, Berlin und Brandenburg haben im Bundesrat für den Bund-Länder-Finanzpakt samt Schul- und Autobahnausverkauf votiert. Statt ihres windelweichen Antrags auf Anruf des Vermittlungssauschusses hätte ein klares „Nein“ mehr als nur Symbolcharakter gehabt. Zu viel Aufsehen wollte man aber wohl doch nicht erregen. Im Land Berlin arbeiten die Parteigenossen gerade an Plänen, öffentliche Gesellschaften zu installieren, die auf die Grundstücke der Schulen Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen können, um so die Schuldenbremse auszuhebeln. Das Projekt läuft unter dem Titel „Berlin sanieren – clever finanzieren“. Gerlinde Schermer , SPD-Politikerin in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, fällt etwas anders dazu ein: „Rot-Rot-Grün bereitet hier die Struktur für die spätere Privatisierung der Schulen vor.“

Was bedeutet es, wenn ein Konzern den Schulbetrieb übernimmt? Der Unterricht und die Beschäftigungsbedingungen der Lehrkräfte sind davon nicht berührt und bleiben in staatlicher Zuständigkeit.

Die Investoren verfügen allerdings über das Hausrecht. Sie können außerhalb der geregelten Schulzeiten über die Verwendung der Räumlichkeiten bestimmen, indem sie diese beispielsweise als Tagungsräume vermieten. Selbst die Parkplätze können sie auf eigene Rechnung bewirtschaften. Sie sind zuständig für die Schulausstattung, die Computerpools, den Betrieb der Mensa, die Gebäudereinigung. Sämtliche Serviceleistungen jenseits des Lehrbetriebs lassen sich durch fremde Dienstleister durchführen – wobei die Maßgabe in der Regel der billigste Preis und nicht die höchste Qualität ist.

In Offenbacher Schulen ist all das längst Normalität. Den Betrieb hält die Kommune derweil mit der Aufnahme von Kassenkrediten aufrecht. Bis 2019 sollen die Kosten laut Rechnungshof um 367 Millionen Euro aus dem Ruder gelaufen sein. Wie es nach dem Ende der „Partnerschaft“ mit Hochtief und SKE weitergeht, ist noch nicht ausgemacht. Erst nach einer zweijährigen Übergangszeit soll entschieden werden, wer die Aufgaben auf lange Sicht erledigt. Das wäre im Jahr 2021 und wer weiß? Vielleicht ist das Desaster bis dahin schon wieder Schnee von gestern, und es gilt einmal mehr: Offenbach? Kannste vergessen?


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