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Klimawandel, was denn sonst?

Klimawandel, was denn sonst?

Nicht jedes Argument wider den „Mainstream“ hat Hand und Fuß.

Mit Erstaunen las ich den Beitrag von Doris Schultz. Darin beklagt die Autorin den Alarmismus um den Klimawandel. Außerdem moniert sie, dass die Andersdenkenden stigmatisiert und begrifflich als Klimaleugner denunziert werden. Ich nehme das Anliegen, populäre Aussagen kritisch zu hinterfragen, sehr ernst. Deshalb habe ich neugierig und gespannt den Beitrag von Schultz gelesen, in der Hoffnung, Neues zu lernen und meinen Wissensstand über die Argumente der Kritiker des Klimawandels zu erweitern. Doch war ich am Ende eines Besseren belehrt. Neu waren mir ihre Argumente keineswegs.

Alle diese Argumente kannte ich aus diversen Diskussionen in den sozialen Netzwerken:

  • dass Rechenfehler und Ungereimtheiten bei den vom IPCC (1), dem Weltklimarat, verwendeten Klimamodellen die Glaubwürdigkeit und Legitimation dieses internationalen Gremiums in Frage stellen;
  • dass namhafte Klimaforscher auf Grund neuer Fakten von Befürwortern zu Gegnern des Klimawandels geworden sind;
  • dass die von Menschenhand gemachte Steigerung der CO2-Konzentration im Vergleich zu jenen erdgeschichtlich nachgewiesenen CO2-Konzentrationen, die es immer beispielsweise vor 300 Millionen Jahren gegeben hätte, winzig und daher vernachlässigbar sei.

Diese und ähnliche Einwände werden seit mehreren Jahrzehnten in der einen oder anderen Version immer wieder vorgebracht. Doch liefert Schultz mit ihrem Beitrag ein für die „Klimaleugner“ typisches Argumentationsmuster, dessen sich nahezu alle anderen auch bedienen. Es lohnt also, sich kritisch damit auseinander zu setzen.

Mir geht es darum, Schultz’ Beitrag einer kritischen Analyse zu unterziehen. Dabei geht es keineswegs um die spezifisch naturwissenschaftlichen Aspekte. Diese können hier ohnehin nicht angemessen und professionell behandelt werden. Eine solche Debatte müsste sinnvollerweise nur unter Klimaexperten, die sich von Berufs wegen in allen Details auskennen, geführt werden. Selbstverständlich können auch Nichtklimaexperten die Expertisen der Klimaforscher kritisch hinterfragen und die bereits als gesichert erscheinenden Erkenntnisse anzweifeln.

Doris Schultz nimmt für sich das Recht in Anspruch, in einen demokratischen Diskurs mit den Klimaforschern eintreten zu wollen. Doch setzt Diskurs einen seriösen Austausch von Argumenten und Erkenntnissen voraus.

Auch Nichtexperten müssten sich also auf ein faires Verfahren einlassen, sich aufeinander beziehen, Fakten zur Kenntnis nehmen, sie nicht selektieren, sondern diese ganzheitlich Zeit und Raum zuordnen.

Mir geht es in erster Linie also darum, ob sich Schultz mit dem sehr komplexen Thema Klimawandel seriös auseinandersetzt. Ferner möchte ich überprüfen, ob ihre Gegenargumente sowohl hinsichtlich des Realitätsbezugs als auch hinsichtlich ihrer logischen Plausibilität einer kritischen Überprüfung Stand halten.

Selektion macht alles möglich

Der physikalische Hintergrund des Klimawandels, folgt man der Argumentation der Klimaforscher, ist die von Menschen hervorgerufene Zunahme der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Diese verhindert, dass die durch Sonneneinstrahlung auf die Erdoberfläche entstandene Wärme die Erdatmosphäre wieder in vollem Umfang verlässt. Dadurch entsteht, wie dies bei Glashäusern der Fall ist, ein Treibhauseffekt, der langfristig zum Anstieg der Erdoberflächenwärme und zum Klimawandel mit dramatischen Folgen für das Leben auf diesem Planeten führen würde, sofern es nicht gelänge, gegenzusteuern und die CO2-Konzentration radikal zu reduzieren.

Dabei ist CO2 nur das wichtigste, jedoch nicht das einzige Treibhausgas. Manche Wissenschaftler halten die Konzentration von Methan, produziert von Rindern, für mindestens genauso klimaschädigend wie Kohlendioxid. Die CO2-Konzentration hat sich seit Beginn der Industrialisierung von 280 ppb (2) auf gegenwärtig 400 ppb und damit auf das höchste Niveau seit 14 Millionen Jahren gesteigert. Um die Zunahme der Durchschnittstemperatur einzudämmen und die gravierenden Folgen der Erderwärmung zu verhindern, muss der Anstieg der durchschnittlichen Temperatur an der Erdoberfläche möglichst unter 2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit gehalten werden.

Dies kann vor allem dadurch erfolgen, dass der Verbrauch von fossilen Energieträgern wie Öl, Gas und Kohle, aber auch Methan rasch abnimmt und bis zum Ende des 21. Jahrhunderts weltweit sogar auf ein Minimum gefahren wird. Diese von der Fachwelt in ihrer überwältigenden Mehrheit geteilte Auffassung ist das Ergebnis einer ganzheitlichen Untersuchung zahlreicher Faktoren und ihrer Wechselwirkungen im hochkomplexen „Klimagebäude“, die Klimaforscher seit mehreren Jahrzehnten arbeitsteilig und diskursiv geführt haben. Trotzdem ist es berechtigt zu fragen, ob das bisherige gesammelte Wissen über den Klimawandel der Weisheit letzter Schluss ist oder ob sich dahinter ein Komplott verbirgt, um die Menschheit für bestimmte Interessen zu instrumentalisieren.

Wie begründen Kritiker des Klimawandels, also auch Schultz, aber ihre Kritik an den bisherigen Erkenntnissen der Klimaforscher? Lässt sie sich wirklich auf einen Diskurs ein und kann sie ihre Sicht der Dinge plausibel begründen? Schultz bestreitet nicht, dass es eine von Menschen gemachte Erderwärmung gibt. Sie stellt jedoch in Frage, ob die Erderwärmung zum Klimawandel und allen negativen Folgen für die Menschheit führt, wie die Klimaforscher voraussagen. Ihrer Meinung nach müsse man zunächst die positiven Effekte der steigenden CO2-Konzentration und Erderwärmung, vor allem in der Landwirtschaft, in Rechnung stellen.

Wie sie in ihrem Beitrag „Die Klimaleugner“ ausführt, seien „Versuche durchgeführt (worden), bei denen verschiedene Nutzpflanzen im Freiland durch Begasungsanlagen unterschiedlichen Konzentrationen an Kohlendioxid ausgesetzt wurden. Dem vorausgegangen waren schon seit längerer Zeit Versuche mit der Einführung von CO2-Mengen in geschlossene Systeme, also in Gewächshäuser. Diese zeigten, dass sich dort eine Düngung mit CO2 sehr positiv auf den Ertrag und die Effizienz der Pflanze auswirkte.“

Dass in der Agrarindustrie der Treibhauseffekt vorteilhaft ist, ist eine Binsenweisheit. Holland entwickelte sich zum Hauptlieferanten von Gemüse für ganz Europa, weil die Agrarindustrie des Landes mit flächendeckenden Glashäusern seit Jahrzehnten genau diesen Treibhauseffekt nutzt. Nicht nur in Holland, sondern überall in der Welt wird mittlerweile diese Technik eingesetzt, um die Märkte zu allen Jahreszeiten mit Gemüse und Obst beliefern zu können.

Warum sollte aber dieser positive Aspekt des Treibhauses, der bei einer ganz isolierten Betrachtung als positiv bewertet werden muss, ein Argument gegen die These der Klimaforscher sein, dass genau derselbe Treibhauseffekt bei einer ganzheitlichen Betrachtung, zum Beispiel durch Klimawandel, schädliche Folgen hat? Und warum sollten wir nicht beides tun, den Treibhauseffekt nutzen, wo dies geboten erscheint, und gleichzeitig auch in unserer Macht Stehendes tun, um Schäden, die daraus erwachsen könnten, zu begrenzen?

Mit dieser Methode der selektiven Bewertung von Einzelfaktoren und gezielter Ausklammerung aller anderen, der eigenen Annahme widersprechenden Sachverhalte kann man mit Leichtigkeit jede noch so unsinnige These beweisen und jeden noch so umfassend wie detailliert belegten Sachverhalt in den Wind schlagen.

Zur Erhärtung ihrer These, dass die Verfechter des Klimawandels mit ihrer „Treibhaustheorie“ einen unbegründeten Alarmismus schüren, führt Schultz ein weiteres Beispiel an, das man sich „auf der Zunge zergehen lassen“ sollte: „Eine andere Referenzgröße, um sich ein Bild davon zu machen, ab wann eine kritische CO2-Konzentration erreicht sein könnte, gibt folgendes Beispiel. Nach der Klassifizierung der Raumluftqualität (Empfehlung der Schule) nach DIN EN 13779 von 2007 bis 2009 wird bei einer absoluten CO2-Konzentration in der Innenraumluft von bis zu 800 ppm (3) dem Raumklima eine hohe Raumluftqualität zugesprochen.

Bei 800 bis 1000 ppm CO2-Konzentration spricht man immerhin von einer mittleren Raumluftqualität. Selbst in einem geschlossenen Raum sind also diese vergleichsweise hoch erscheinenden Konzentrationen aushaltbar. Durch einfaches Lüften kann die CO2-Kozentration umgehend wieder gesenkt werden.“

Mit diesem Beispiel maßt sich Schultz an, die CO2-Konzentration in einem Klassenraum mit der in der hochkomplexen Erdatmosphäre gleichzusetzen. Sie behauptet, dass man sogar eine Konzentration von 800 bis 1000 ppm aushalten und bei weiterer Zunahme einfach das Fenster öffnen könne. Eigentlich ist man über soviel Naivität und von einer Wissenschaftlichkeit um Lichtjahre entfernten Art der Argumentation sprachlos und geneigt, die Beschäftigung damit zu beenden. Hätte die Verfasserin ihre eigene Argumentation ernst genommen, so hätte sie den Leserinnen und Lesern ihres Beitrags wenigstens den Hinweis geben müssen, wo bitteschön in der Erdatmosphäre jenes Fenster sein soll, das man einfach öffnen kann, um die überschüssigen CO2-Mengen in den Weltraum zu blasen.

Der Fantasie der Verfasserin sind zur Infragestellung des Klimaproblems offenbar keine Grenzen gesetzt. Ihrer Auffassung nach müsse die Klimaschutzwissenschaft andere entgegenwirkende Naturereignisse, wie die abnehmende Sonnenaktivität, in Rechnung stellen. Denn der vom Weltklimarat vertretenen Treibhaustheorie „steht die Beobachtung einer Verringerung der Sonnenflecken und einer damit einhergehenden abnehmenden Sonnenaktivität gegenüber.

Dies deutet aber statt auf eine gewaltige sprunghafte Erderwärmung, auf eine merkliche Abkühlung des Erdklimas und gar auf das Heraufdämmern einer kleinen Eiszeit hin“. Warum die Menschheit gegen den Klimawandel nichts unternehmen und darauf warten sollte, dass die kleine Eiszeit kommt, erklärt Schultz nicht. Sie glaubt offensichtlich allen Ernstes durch selektiv aneinander gereihte Einzelaspekte den von Klimaforschern begründeten Klimawandel in Frage stellen zu können.

Um jedoch einer gewissen Seriosität Genüge zu tun, zitiert Schultz auch Physiker, nach denen der Treibhauseffekt „nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik eine solche planetarische Maschine niemals existieren könne“. Was denn nun? Gibt es den Treibhauseffekt, ja oder nein? Und was ist mit dem positiven Effekt des Treibhauses in der Landwirtschaft? Solche Widersprüche in der eigenen Argumentation spielen bei Schultz keine Rolle. Was bei ihrer Ablehnung des Klimawandels offenbar zählt, ist die Anhäufung von möglichst vielen Aspekten und Meinungen, zumal solche von Physikern, so selektiv diese auch hintereinander aufgelistet werden und so widersprüchlich sie auch immer sein mögen.

Opfer gegeneinander ausspielen

Gegen Ende des Beitrags wird immer klarer, dass Schultz zielstrebig auf den Spuren der Urheber der Klimastory wandelt. Deren Urheber wollten angeblich durch bewusstes Aufbauschen des Klimawandels und der Klimaflüchtlinge von den wahren Ursachen der Flüchtlingskrise ablenken. „Wer berichtet,“ schreibt sie, „ebenso häufig von den großen Konzernen wie Nestle, die trotz Dürrekatastrophe in Äthiopien 50.000 Liter Wasser pro Stunde aus dem Boden pumpen, während 42 Millionen Menschen keinen Zugang zu Wasser haben.“ Richtig an dieser Aussage der Verfasserin ist, dass der Westen und dessen Medien nichts tun, um sich über die Fluchtursachen ein umfassendes Bewusstsein zuzulegen und erst Recht nicht die Fluchtursachen zu bekämpfen.

Merkwürdig erscheint allerdings, dass sie indirekt die unbestreitbaren Opfer des Klimawandels in den von Dürre betroffenen Regionen in Afrika oder von den ungewöhnlichen Überschwemmungen in Indien, Bangladesh und anderswo ausspielt gegen die Opfer der Armut erzeugenden EU-Agrarpolitik und der brutalen Ausbeutungsmechanismen internationaler Agrarkonzerne. Schultz tut dies, weil sie hinter der angeblich bevorzugten Berichterstattung über die Opfer des Klimawandels eine gezielte Inszenierung und Manipulation der öffentlichen Meinung vermutet.

„Die Story vom Klimawandel ist eine sehr praktische Erklärung für die Folgen der Ausbeutung von Land und Menschen, da sich hierfür nicht ein Individuum, ein Konzern öffentlich rechtfertigen muss, sondern die Gemeinschaft wird mit dem Vorwurf eigener Gier konfrontiert, als Ganzes verantwortlich gemacht. [...] Die Gewinne aus der Ausbeutung streichen die Konzerne schamlos ein, doch die moralische Verantwortung wird kollektiviert und an die Konsumenten abgetreten.“

Endlich wird Schultz konkreter:

Hinter der „Klimastory“ steckten also die Konzerne, die diese Story erfanden, um von eigenen Verbrechen abzulenken. Kapitalistische Profitmaximierung bietet sich zur moralischen Verurteilung und Vereinfachung der komplexen Sachverhalte offenbar hervorragend an, der sich Populisten aller Richtungen gern und leichtfertig bedienen.

Unbestreitbar ist, dass die kapitalistische Ausbeutung seit ihrer Entstehung mit allen propagandistischen Mitteln verschleiert und als alternativlos verkauft wird.

Dafür aber eine so aufwändige „Story“ zu erfinden, übersteigt bei Weitem meine Fantasie. Dabei ist die angebliche Manipulation, die die Autorin unterstellt, in Wirklichkeit eine willkürliche Konstruktion. Eine bevorzugte Berichterstattung über Klimaflüchtlinge, wie sie behauptet, ist bei bestem Willen nicht erkennbar und spiegelt die Realität in keiner Weise wider. Doch das hält sie nicht davon ab, mit weiteren Konstruktionen wie der folgenden zu argumentieren.

„Ist Ihnen einmal aufgefallen, wann und wie oft Sie in den letzten Jahren die Begriffe Umweltverschmutzung, Umweltbelastung oder Umweltzerstörung gehört haben? Die Häufigkeit ihrer Nennung hat zugunsten eines anderen Begriffs deutlich abgenommen: Es ist der Klimawandel.“

Ich kann diesen Unterschied zwischen diversen Formen der Umweltzerstörung in der Berichterstattung nicht erkennen. Heute gibt es darüber in allen Teilen der Welt einen breiten Konsens. Und an diesbezüglichen Medienberichten fehlt es auch nicht. Niemand leugnet diese Tatsache, nicht einmal die profitgierigen Konzerne.

Ökonomisch gesprochen sind Umweltzerstörungen Folge der Wachstums- und Konsumismusideologie, die in der Praxis nicht nur in kapitalistischen Ländern, sondern auch in der Sowjetunion und China dadurch entstanden sind, dass die Industrie wegen kurzfristiger Nutzenkalküle sämtliche erforderlichen Aufwendungen zur Vermeidung und Reparatur der Umweltschäden externalisiert und diese nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ den künftigen Generationen überlässt.

Deshalb sind auch die eigentlichen Verursacher, seitdem Umweltzerstörungen wahrgenommen werden, stets auch die größten Gegner von Umweltauflagen jeglicher Art. Deshalb sind auch die reaktionärsten Repräsentanten des Kapitalismus in der Welt, allen voran die Neokonservativen in den USA unter George W. Bush und Donald Trump, heute an der Spitze der internationalen Klimaleugner.

Und weil sie alle die alten, von fossilen Energien abhängigen Strukturen mit aller Macht aufrechterhalten wollen und dafür eintreten, dass klimaschädliche Öl-, Gas- und Kohle-Industrien nicht von der Bildfläche verschwinden, halten sie den Klimawandel für eine Erfindung dunkler Mächte.

Daher sind die USA unter Bush jr. dem Klimaabkommen nicht beigetreten, daher ist auch Trump aus dem Pariser Klimaabkommen wieder ausgetreten, nachdem Obama nicht gezögert hatte, den Klimawandel als ein globales Problem anzuerkennen. Damit will ich hier keineswegs sagen, dass die bisherigen Klimaabkommen, das Kyoto-Abkommen, wie seine weiterentwickelte Version, das Pariser Abkommen, wirklich greifen. Nein, das tun sie mitnichten, weil diese Abkommen den Ausstieg aus dem fossilen Energiepfad letztlich den Märkten, überlassen.

Vor diesem Hintergrund der Fülle von unbestreitbaren Fakten darüber, welche Kräfte wirklich einen Klimaschutz hintertreiben, erscheint folgende Behauptung von Schultz mehr als absurd: „Bei der Storyline des Klimaschutzes gewinnen die Konzerne, die mit ihren nunmehr klimafreundlichen oder klimaneutralen Produkten erfreuen und uns darin unterstützen, richtig zu konsumieren. Das heißt aber nichts anderes, als dass Konsumströme einfach gewinnbringend auf neue Felder umgelenkt werden.“

Radikaler Umweltschutz statt Klimaschutz

Ich frage mich ernsthaft, in welcher Welt Doris Schultz eigentlich lebt. Hat sie überhaupt wahrgenommen, welche zivilisatorische Leistung die internationale Umweltbewegung und ihre parlamentarischen Repräsentanten es immer wieder und gegen den großen Widerstand konservativer Parteien nach jahrzehntelangen Versuchen geschafft haben durchzusetzen, dass zum Beispiel regenerative Energietechnologien gefördert oder im Vergleich zu anderen Energieformen nicht so massiv benachteiligt werden. Schultz’ Argument ist nicht nur historisch falsch. Sie stellt auch die absurde Behauptung auf, die gegenwärtigen Nutznießer der Klimaschutzmaßnahmen seien die eigentlichen Urheber der „Klimastory“.

Demnach werden wir alle durch Unternehmen, die Solarzellen, Windräder und andere Ökostrom-Technik herstellen, an der Nase herumgeführt. Diese Unternehmen sind Nutznießer der Energiewende, also müssen sie die „Klimastory“ erfunden haben. So einfach ist die Logik, mit der man glaubt, hinter der Treibhaustheorie einen Komplott aufspüren zu wollen. Dass auch die Konzerne bei jedem Strukturwandel die neu entstandene Lage zur Profiterwirtschaftung nutzen, ist doch im Kapitalismus eine Selbstverständlichkeit.

Schultz hantiert mit weiteren wirklich weltfremden Argumenten, wie beispielsweise, dass die Klimawandelforschung lediglich „auf Prognosen und von Computern simulierten Szenarien beruhten“ und dass die Anhänger der Treibhaustheorie die Frechheit besäßen, die häufig anzutreffenden Wetterphänomene der Gegenwart „vorauseilend als Anzeichen für den sich vollziehenden Klimawandel zu deuten, wodurch sich die ausgegebenen Katastrophentheorien einfach schon mal selbst bestätigen“.

Wie sollten aber sonst die Folgen des Klimawandels, die bei Zunahme der Erderwärmung erst in einem halben Jahrhundert auftreten werden, annähernd ermittelt und eingeschätzt werden als eben durch Prognosen, die auf Modellrechnungen basieren? Man kann bemängeln, dass die Prognosen sich mit der Realität nicht zu 100 Prozent decken, was ja ohnehin eine Tautologie wäre. Mag sein, dass die Weltmeere im Zuge des Klimawandels auf Grund der Prognosenunsicherheit nicht in 50 Jahren um einen Meter ansteigen werden, sondern in 40 oder 60 Jahren.

Ist diese Unsicherheit jedoch ein ernsthafter Grund, Prognosen überhaupt nicht einzusetzen und erst auf die Ereignisse zu warten, um hundertprozentig sicher festzustellen, dass nunmehr alles zu spät ist? Selbstverständlich müssen Prognosen weiter verfeinert werden, um die zu erwartenden Klimafolgen möglichst realitätsnah abbilden zu können. So gesehen wird hier insgesamt gegen eine empirische Forschungsmethode polemisiert, ohne die eine wissenschaftliche Forschung in allen anderen Umweltbereichen und auch in der Medizin nicht möglich wäre.

Genau so absurd ist Schultz’ Kritik, dass die Klimaforscher die gegenwärtigen Wetterphänomene wie das Abschmelzen von Grönlands Gletschern, die häufigen Wetterextreme, die zunehmend zerstörerisch werdenden Hurrikans und Überschwemmungen als Anzeichen des sich anbahnenden Klimawandels deuten. Schultz zur Folge geht es den Klimaforschern nicht darum, die Menschheit vor einer Klimakatastrophe zu warnen, sondern in erster Linie darum, eine „Klimastory“ zu basteln und den Menschen Angst einzujagen. Zur Dekodierung der „Klimastory“ greift sie ein weiteres Mal zum Instrument, unterschiedliche Umweltzerstörungen gegeneinander auszuspielen.

„Es gibt nur allzu viele Möglichkeiten, um sofort, hier und heute mit der Rettung des Planeten zu beginnen. Die weitaus gravierenderen Probleme liegen nicht in einer simulierten und ungefähr vorausberechneten Zukunft, sondern beispielsweise in alten Salzabbaustollen, die als Endlager für Atommüllfässer benutzt werden.
[ ] Akut werden wir nicht von einem erderwärmenden Treibhausgas bedroht, sondern von unseren Altlasten, von unseren Umweltsünden – den bereits begangenen und die immer noch, jenseits unseres abgelenkten Blicks, über den ganzen Globus ausgegossen werden.“

Das eine tun, ohne das andere zu lassen, ist die eigentlich richtige Schlussfolgerung, die der gesunde Menschenverstand bei so vielen unterschiedlichen Umweltsünden nahe legen würde. Schultz benutzt aber die akuten Umweltprobleme, um uns von der Beschäftigung mit dem Klimaschutz abzuraten. Wenn es das Phänomen überhaupt gäbe, würde es seine volle Kraft nicht heute, sondern erst in der Zukunft entfalten. Die Geschichte vom bösen Klimawandel sei, so Schultz, vor allem anderen nur dies: Sand im Getriebe eines jeden wachen Bewusstseins, das bereit wäre, die Ärmel für einen ehrlichen, effektiven und nachhaltigen Schutz unserer Umwelt hochzukrempeln.“

Der Text von Schultz, der die Argumente der Klimaleugner ins rechte Licht setzen will, besteht auf weiten Strecken aus selektiver Hervorhebung von Einzelaspekten, einem gegeneinander Ausspielen von Umweltproblemen und Armutsursachen und der moralischen Instrumentalisierung der Konzernprofite als Urheber der Treibhaustheorie.

Schultz versucht hier und da den Anschein wissenschaftlicher Fundierung zu erwecken, tatsächlich ist ihr Text jedoch von einer unerträglichen Wissenschaftsfeindlichkeit durchzogen.

Abertausende Physiker, Klimaforscher, ganze Wissenschaftsdiziplinen, sämtliche Staaten – fast 200 an der Zahl –, die bisher die Klimaabkommen, wie unvollkommen diese auch sein mögen, unterzeichnet haben, alle global aktiven zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich seit mehreren Jahrzehnten für den Klimaschutz einsetzen, sie alle hätten sich geirrt oder wären durch interessierte Konzerne in die Irre geführt worden. Sie alle würden Sand in die Augen derjenigen streuen, die sich, wie Schultz durch Verhinderung, Verfälschung, und Vertuschung dunkler Mächte nicht blenden lassen und sich stattdessen für einen ehrlichen, einwandfreien und radikalen Umweltschutz einsetzen wollten.

Mir geht es hier in keiner Weise darum, einer Wissenschaftsgläubigkeit das Wort zu reden. Tatsächlich gibt es unzählige, hoch dotierte „wissenschaftliche“ Gutachten, die jahrzehntelang von der Atomindustrie bestellt wurden, um Erkenntnisse der Atomenergie-kritischen Wissenschaftler zu diskreditieren. Wenn es heute aber Wissenschaftler geben sollte, die im Konflikt um den Klimawandel bestelltes „Wissen“ produzieren, dann würden sie eher von einem global sehr mächtigen Industriesektor, allen voran der Öl-, Kohle- und Autoindustrie, in Dienst gesetzt. Denn diese wollen mit aller Macht die auf fossilen Energien basierenden Strukturen aufrechterhalten und torpedieren daher konsequent die dringend erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen.

Schulz bräuchte sich über den Begriff „Klimaleugner“ nicht zu beklagen. Wer so viel Forschungsergebnisse, so viele Fakten, so viele wissenschaftlich nachvollziehbare Prognosen und Szenarien über den Klimawandel und die Zunahme der Wetterextreme mit immer zerstörerischen Auswirkungen für uns alle in Frage stellt, leugnet die Wirklichkeit.

So etwas hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben und das wird es auch in Zukunft geben. Mir erschließen sich die Motive von Schulz und zahlreichen anderen Klimaleugnern nicht. Möglicherweise ist der Kampf gegen jegliche Mainstream-Meinung ein probates Mittel der eigenen Identitätsfindung. Vielleicht gibt es dafür auch andere Erklärungen.

Ich frage mich aber an dieser Stelle, warum Rubikon einen solchen Text, der eher zur Verwirrung als zur Aufklärung beiträgt, überhaupt veröffentlicht hat. Ehrlich gesagt, hat mich gerade diese Frage besonders gereizt, mich mit dem Text von Doris Schultz zu befassen. Denn nicht alles, was Mainstream ist, muss aus Propaganda resultieren oder durch Manipulation entstanden sein. Und nicht alles, was den Mainstream in Frage stellt, kann für sich den Anspruch erheben, aufklären zu können.

Zwar rechtfertigt das Prinzip, der Wahrheit durch Kontroverse näher kommen zu wollen die Publikation von Texten, die andere herausfordern. Dies gälte jedoch, um damit nach vorne zu schauen, nicht aber um in die Vergangenheit zu verfallen. Sollte die Rubikon-Redaktion für sich den Anspruch erheben, als alternatives Medium ernst genommen zu werden und langfristig zu einer Quelle der Aufklärung zu werden, dann sollte sie ihren Autorinnen und Autoren einen Mindeststandard von Wissenschaftlichkeit abverlangen und dazu bei Zweifeln den Rat von einem oder mehreren Beiratsmitgliedern einholen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) IPPC = Intergovernmental Panel on Climat Change, zu deutsch Weltklimarat. Dieser zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen wurde 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) eingerichtet, siehe auch: https://www.bmu.de/themen/klima-energie/klimaschutz/internationale-klimapolitik/ipcc/.
(2) ppb = parts per billion = Teile pro Billion Teile.
(3) ppm = parts per million = teile pro Million Teile.


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