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Krieg aus Liebe

Krieg aus Liebe

Die Religion der Liebe bläst wieder zum Sturm und wiederholt das Unheil, das die menschliche Geschichte seit jeher durchzieht.

Zwei gewaltige Kriege in Europa, mit Millionen von Opfern, zeitigten eine sehr kurze Phase des Nachdenkens, im Krieg könne die Lösung nicht liegen. Doch das Säbelrasseln obsiegte auch in der Zukunft. „Kalter Krieg“ wurde die Phase genannt, NATO und Warschauer Pakt beäugten sich argwöhnisch. Kriegsdienstverweigerung galt dem Kölner Kardinal Josef Frings bereits 1950 wieder als „eine verwerfliche Sentimentalität“ (1).

Mühsam nur fand man zueinander. In multi- und bilateralen Verträgen versuchte man Verständigung und Zusammenarbeit. Eine maßlose Propagandamaschinerie wurde angeworfen. Und je nachdem, auf welcher Seite der Blöcke man lebte, wurde gewarnt oder gedroht vor dem Bösen, den Bösen, mit dem Bösen. Irgendwann fand die Propagandasprache ihren Rahmen, von „friedlicher Koexistenz“ und einem „Gleichgewicht der Kräfte“ hörte man dann.

Der Zusammenbruch des östlichen Sozialismus Ende der 1980er-Jahre bescherte Europa jedoch eine erneute politische Instabilität. Aus dieser Erfahrung heraus erstarkte die Friedensbewegung. „Keine Waffenexporte in Kriegsgebiete“ lautete für lange Zeit die politische Vorgabe, die Grünen etwa warben noch unmittelbar vor der letzten Bundestagswahl mit dem Slogan.

Doch von einem Tag — dem 24. Februar 2022 — auf den anderen verschoben sich die Prioritäten. Ein Konflikt, eine „militärische Spezialoperation“, keineswegs neu, ist zum offenen Krieg ausgewachsen. Seitdem purzeln nicht ausschließlich nur pazifistische Tabus. Dafür wird die Kriegstrommel eifrig geschlagen. Neben den Politikern treiben die Medien, und die Kirchen erinnern sich ihrer über die Zeiten hin gepflegten Kriegsrhetorik. Aber wer auf der richtigen Seite steht, dem sind auch ansonsten verpönte oder unerlaubte Mittel gestattet.

Die Propaganda, ein ursprünglich übrigens kirchlicher Begriff und abgeleitet von der im Zuge der Gegenreformation 1622 entstandenen päpstlichen Behörde Sacra congregatio de propaganda fide — „Heilige Kongregation für die Verbreitung des Glaubens“, kommt wieder auf Touren und weiß erneut, was gut und böse ist. Menschen müssen Gläubige werden, sie sind unentwegt zu bekehren. Propaganda, die aus den eigenen Reihen kommt, heißt jedenfalls Aufklärung. Von unzähligen Opfern ist sogleich die Rede, man verkündet, mit Waffenlieferungen könne man weitere Opfer verhindern. Zieht man mit Waffenlieferungen nicht aber eher einen Krieg in die Länge?

Durch die Verteufelung der anderen Seite wird der Weg zum Verhandlungstisch verbarrikadiert, denn wer wollte mit dem Teufel leben? Dieser muss vernichtet werden. Die Spirale der Gewalt wird in Gang gesetzt. Ein Teufelskreis. Ihn aufzubrechen gelingt nur durch unabdingbares Hinterfragen, hier wäre tatsächlich mediale und endlich politische Aufklärungsarbeit zu leisten — Aufklärung verstanden als Instrument der Herrschaftskritik. Einen anderen Weg als den diplomatischen gibt es nicht. Wer immer aus der Geschichte lernen wollte, darf mit dieser Lektion beginnen.

Macht, Macht, Macht

Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Alle paar Jahrhunderte geschehen die „großen Krisen“, werden dynamische historische Prozesse sichtbar, galoppieren die „fahlen Rosse der Apokalypse“ des Stefan Zweig, so etwa im 11. und 12. Jahrhundert, als der „Westen“ sich herausbildet, der sich bald als das „christliche Abendland“ versteht. Nur was dieses Christliche denn recht eigentlich ausmacht, bleibt die bis heute offene Frage.

Überall dabei eine Nervosität, eine Unruhe, Überspanntheit und eine Sensibilität, von der man annimmt, diese gäbe es nur in unserer Gegenwart. Vor allem aber geht es, wiederum nicht neu, um: Macht, Macht, Macht, um Weltmacht schließlich. Immer geht es dabei aber auch um den ganzen Menschen.

Sacerdotium und Regnum, geistliche wie weltliche Gewalt, „Kirche“ und „Staat“ wollen ihn. Die „saubere“ Trennung allerdings bleibt versagt, also der Kirche den „himmlischen“ Teil, das Seelenheil zu überlassen, wie dem Staate den „weltlichen“ Teil, somit den Leib. Dafür wurde allenthalben „Heillosigkeit“ sichtbar.

Im 11. Jahrhundert riefen vor allem mönchische Reformer bald nach „Freiheit für die Kirche“. Der Ruf „libertas ecclesiae“ wird zum ersten revolutionären Ruf im nachantiken Europa. Die klerikale Kirche will sich vom Druck weltlicher Vormacht befreien. Denn baute ein König, ein Fürst, ein adeliger Herr eine Kirche oder stiftete auf seinem Grund ein Kloster, dann beanspruchte er zugleich die Schutzherrschaft über diese, „seine“ Kirche. So setzten ottonische Kaiser „ihre“ Päpste ein, Könige ernannten Frauen und Männer „ihres“ Vertrauens zu Äbtissinnen, Äbten oder Bischöfen.

Die (christliche) Welt nahm kaum Anstoß an solchem Gebaren, lediglich im Mönchtum gärte es, hier witterte man Satan am Werk und mit ihm die Vermischung von „Geist“ und „Fleisch“, Gott und verdorbener, böser Welt. Somit taten sich Abgründe auf. Abgründe von Hass. Doch waren die weltlichen Herrscher nicht ebenso Christen?

Mit Papst Gregor VII. sollte die Vormachtstellung der weltlichen Herrschaft endlich gebrochen werden. Kaiser und Könige hätten den Priestern zu folgen, dem Papst zu allererst — natürlich. Bald erklärt er:

„Das ganze Universum muss der römischen Kirche gehorchen und sie verehren“, auch fügt er die Lüge hinzu: „Dem heiligen Petrus hat der allmächtige Gott alle Fürstentümer und Gewalten des Erdkreises unterworfen“ (2).

Mit dem „Dictatus papae“ von 1075 wollte Gregor VII. vermutlich eine neue Rechtsgrundlage etablieren. Unmissverständlich macht er klar, der Papst ist der Herr der Welt und dekretiert:

„VII. Daß es allein ihm (dem Papst) erlaubt ist, entsprechend den Erfordernissen der Zeit neue Gesetze aufzustellen, neue Gemeinden zu bilden …
IX. Daß alle Fürsten allein des Papstes Füße küssen.
XII. Daß ihm erlaubt ist, Kaiser abzusetzen.
XVIII. Daß sein Urteilsspruch von niemandem widerrufen werden darf und er als einziger die Urteile aller widerrufen kann.
XIX. Daß er von niemandem gerichtet werden darf.
XXII. Daß die römische Kirche niemals in Irrtum verfallen ist und nach dem Zeugnis der Schrift auch in Ewigkeit nicht irren wird“
(3).

Christen gegen Christen

So entbrennt ein europäischer Flächenbrand, denn weltliches Regiment will seine Unterwerfung nicht. Christen also gegen Christen, heilloseste Verhältnisse im Kampf um das Heil. Eine religiös-politische Propaganda nimmt vehement Fahrt auf, der Gegner ist nun immer des Teufels, er wird zum „Todfeind“. Papst Gregor VII. wird dann bald metaphorisch, bald wörtlich sprechen vom „Schwert des göttlichen Wortes“, vom „Schwert des allgemeinen Banns“. Auch verfügt er über das „Schwert apostolischer Rache“, das dann „von der Fußsohle bis zum Scheitel verwunde“ und weiß das biblische Wort auf seiner Seite: „Verflucht sei (…) der sein Schwert aufhält, dass es nicht Blut vergieße!“ (Jeremia 48,10).

Christen gegen Christen, das war das ureigenste Motto der Christenheit und nahm seinen Anfang mit Paulus und seinem Streit mit der Urgemeinde, übte sich doch bereits der Apostel in Hetze, Ausgrenzung und Diffamierung. „Hunde“ nennt er die Vertreter der Urgemeinde, „Verstümmelte“ dazu und „Lügenapostel“. Auch die judenchristliche Urgemeinde ist keineswegs zimperlich, unterstellt dem Paulus Habsucht wie Feigheit, verunglimpft ihn als schlechten Redner, des Anomalen und der Verrücktheit wird er geziehen.

Überhaupt nennen sich Christen untereinander „Schmutz- und Schandflecken“, „Kinder des Fluches“. Sie sind einander „vernunftlose Tiere, die ihrer Natur entsprechend nur dazu geschaffen sind, dass sie gefangen und geschlachtet werden“. Man konzediert sich gegenseitig: „Es ist ihnen widerfahren das wahre Sprichwort: ‚Ein Hund frisst wieder, was er gespien hat‘; und: ‚Die Sau wälzt sich nach der Schwemme wieder im Kot‘“ (2. Petrus 2,12.13.14.22).

Es lohnt somit, Friedrich Nietzsches Ratschlag aufzugreifen:

„Diese Evangelien kann man nicht behutsam genug lesen; sie haben ihre Schwierigkeiten hinter jedem Wort“ (4).

Wie es letztlich überhaupt hilfreich sein mag, sich zu erinnern oder sich nachdrücklich zu verdeutlichen, was vom organisiert-amtlichen Christentum geglaubt werden muss.

Katholischerseits:

„Das von Gott Geoffenbarte, das in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter dem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden; denn aufgrund apostolischen Glaubens gelten unserer Heiligen Mutter, der Kirche, die Bücher des Alten wie des Neuen Testamentes in ihrer Ganzheit mit allen ihrem Teilen als heilig und kanonisch, weil sie unter der Einwirkung des Heiligen Geistes geschrieben (…), Gott zum Urheber haben und als solche der Kirche übergeben sind (…) Da also alles, was die inspirierten Verfasser oder Hagiographen aussagen, als vom Heiligen Geist ausgesagt zu gelten hat, ist von den Büchern der Schrift zu bekennen, daß sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren“ (5).
Evangelischerseits:

„ … und bleibt allein die Heilige Schrift als (…) Richter, Regel und Richtschnur, nach welcher als dem ein(z)igen Probierstein sollen und müssen alle Lehren erkannt und geurteilt werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht seien“ (6).

Bei Martin Luther selbst luzid und ohne Umschweife:

„Vollkommen und ausnahmslos, ganz und alles geglaubt, oder gar nichts geglaubt. Der Heilige Geist läßt sich nicht trennen noch teilen, daß er ein Stück sollte wahrhaftig und das andere falsch lehren oder glauben lassen“ (7).

Das Unwort „Vaterland“

Dieses Grundsätzliche mag sich — trotz aller Kirchenflucht — immer noch im gesellschaftlichen Bewusstsein eingebrannt haben. Kein Argument scheint auch weiters so beliebt und verbreitet, als dass der (christliche) Glaube und somit die Heilige Schrift die einzige, beste und voraussetzungslose Quelle für ethisches Handeln sei.

Darum denkt man auch nicht sogleich an einen Text aus den Augusttagen des Jahres 1915, sondern wähnt sich im aktuellen Tagesgeschehen und inmitten resignierender Analyse, wenn man liest:

„Das ist (…) das Allertraurigste in dieser traurigen Zeit, zu sehen, wie jetzt in ganz Deutschland Vaterlandsliebe, Kriegslust und christlicher Glauben in ein hoffnungsloses Durcheinander geraten.“

Abstriche aber werden trotzdem erforderlich. Die Vaterlandsliebe ist — zumindest in Deutschland — ein immenser Störfaktor der Aktualität, denn seit sich die Farbe Grün in der deutschen Politik etablierte, wird sie den „Menschen, die länger hier schon leben“ ausgetrieben.

„Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland noch nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht“, so lässt sich der Grünen-Politiker Robert Habeck, inzwischen Bundesminister in einer deutschen Regierung, vernehmen. Deshalb sorgte sich eine Bürgerin und fragte vergewissernd: „Sie finden Vaterlandsliebe zum Kotzen. Wenn Sie mit Ihrem Vaterland nichts anfangen können, wie können Sie dann im Interesse Deutschlands politische Arbeit leisten oder einen Amtseid schwören?“

Drei Wochen brauchte ein „sogenanntes“ Team Robert Habeck zu einer Antwort (8), die jedes weitere Kommentieren erübrigt.

Doch mit dem Vaterland und der Vaterlandsliebe hat auch der Krieg in der Ukraine zu tun. Wer ließe sich allein wegen fremder wirtschaftlicher Interessen verheizen? Begriffe sind urplötzlich wieder im Schwange, die doch soeben noch verpönt waren, wie die fürchterlichen M- und N- und Z-Worte.

Zurück in den Sprachgebrauch finden Volk und Vaterland, Helden auch — Woher die nehmen? Tat man doch viel für die Verzwergung des Mannes! — und Kampf. Patriotismus kommt hoch in Kurs — „Impfen ist ein patriotischer Akt“, wird das Staatsvolk belehrt — und obendrein scheint Vaterlandsliebe wieder erlaubt, nein, gewünscht, kulturelle, mithin sogar wieder nationale Identität ebenso.

Der Widerstand in der Ukraine gegen den russischen Angriff lässt alle mühsam soeben installierten Denkverbotsdämme zusammenfallen, erlaubt offenbar, wieder von Dingen zu sprechen, die im märchenhaften Universum der medialen, politischen und kirchlichen Eliten Deutschlands lange Zeit tabu waren.

Der Glaube lebt allein von seinen Gläubigen

Es mag zwar in diesen Tagen der kirchenamtliche — vormals christliche — Glaube für die größere Mehrheit des deutschen Volkes keine wesentliche Rolle mehr spielen, die Kirchenaustritte sind seit Jahren Legion. Zudem hat die neue Angstreligion namens Corona inzwischen die Glaubensuchenden betört, sie erscheint attraktiver.

Der Glaube lebt allerdings immer vom Gläubigen, nicht aber der Gläubige vom Glauben. Ungetrübt dieser Einsicht — „So ist der Mensch!“, befindet und befundet Nietzsche —: Ohne metaphysische Begleitung will der Mensch nicht sein. Vielleicht kann er es nicht. Sinnvolles Leben in einer an sich sinnlosen Welt bedeutet den meisten Menschen wohl ein aussichtsloses Unterfangen. Mögen Literatur, Musik, Kunst überhaupt, Wissenschaft, Spiel und Sport auch geeignete Bausteine, mit schwachen metaphysischen Tröstungen, zu einem sinnstiftenden Leben sein, die menschliche Sehnsucht greift tiefer. Schon Friedrich Schlegel ließ „fromm erleuchtete Geistliche“ in seiner Philosophie der Geschichte in achtzehn Vorlesungen sprechen: „Wenn man den Deutschen keine Religion gibt, so machen sie sich eine.“

Der Schriftsteller Romain Rolland gelangt in seinem Tagebuch der Kriegsjahre 1914-1919 zur Überzeugung: „Der Mensch braucht einen festen Punkt im Wirbel der Dinge“.

Das wittert offensichtlich auch die katholische Kirche und ebenso satteln die evangelischen Kirchen das Glaubenspferd. Krisenzeiten sind immer Glaubenszeiten! Und Not lehrt noch immer Beten, auch auf Umwegen. Wenngleich die Gottesdienste weitgehend leer sind, ist man dennoch nicht ohnmächtig. Der Schatten einer allmächtigen Illusion ist noch immer ein mächtiger Schatten. Kirchensteuern sprudeln, wie die staatlichen Subventionen, deshalb kann man „wertvolle“ Arbeit tun.

Die ehemalige CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer wird dann auch herausstellen, „dass Religion nicht nur einen Platz in der Gesellschaft hat, sondern auch im öffentlichen Raum“, und so wirken die Kirchen in den Medien, wirken vom Kindergarten bis in die Universitäten. Der Religionsunterricht kann ungefilterte Glaubenspropaganda in staatlichen Schulen ausgießen, finanziert auch durch die Steuergelder Konfessionsloser. So wirken sie im Bereich des Sozialen, betreiben hier Imagepflege wie Indoktrination gleichermaßen, kassieren vom Staat wiederum dafür und sind noch immer Kontrollorgan mit eigenem Arbeitsrecht für Hunderttausende Arbeitnehmer.

Doch zunehmend verliert sich die Glaubenspropaganda, zentrale biblische Inhalte sind preisgegeben, das Dogma pulverisiert bis zur Unkenntlichkeit — siehe oben, selbst der Zerstörung der Sprache huldigt man hemmungslos. Ist es also purer Zynismus oder nur lächerliches seelsorgerisches Warnen, wenn man im Sommer 2021 vor einer bayerischen Kirchentür lesen wird:

„Bitte beachten Sie: Das Betreten der Kirche und die Teilnahme am Gottesdienst erfolgen auf eigene Gefahr!“ (9).

Wo ist Gott?, wäre so durch Gläubige nicht zu fragen?

Enttäuscht zeigt sich der WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt von Predigten, „die von der Politik dominiert sind“. Doch er übersieht, diese Kirche und ihre Predigt waren immer politisiert. Wozu bedurfte es sonst etwa eines Friedenswortes im Jahre 2018? Heißt es doch dort:

„Mit dem Leitbild des gerechten Friedens verbindet sich der Auftrag, Krieg und Gewalt zu überwinden.“

Nun aber wird der Ukrainekrieg den zeitgeistlich pazifistischen Kirchen zur Zensur. Man politisiert neuerlich gänzlich unverblümt, so etwa der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm:

„ … legitim ist es, ein angegriffenes Volk unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in seiner Verteidigung zu unterstützen, etwa durch Lieferung entsprechender Waffen.“

Weiter liest sich:

„Das Bewusstsein ist groß, dass eine bloße Berufung auf die Gewaltlosigkeit Jesu jedenfalls dann nicht ausreicht, wenn sie aus einer eigenen sicheren Position heraus anderen gravierende Opfer, vielleicht das Opfer des eigenen Lebens, abverlangen würde“ (10).

Die „Reflexion des Umgangs mit faktischer militärischer Aggression bedarf der Weiterentwicklung“, wird der Landesbischof unterstreichen. Und schon sein Vorgänger im Bischofsamt, der Reichsbischof und preußische Landesbischof Ludwig Müller, formulierte: „Wir müssen ganz neu denken und auch formulieren!“ (11).

Offensichtlich rechnete die bisherige Friedensethik nicht sonderlich reflektiert mit „faktischer militärischer Aggression“. Vielleicht sollte sich die evangelische Zeitgeistkirche wieder ihrer textlichen Grundlage erinnern, dann hätte auch die „Gewaltlosigkeit Jesu“ längst durch „Reflexion“ eine „Weiterentwicklung“ erfahren können.

Natürlich sind unzählige Bibelarbeiten „geleistet“ worden, unzählige theologische Abhandlungen über Matthäus 10, 34 geschrieben und dennoch gilt uneingeschränkt: Vollkommen und ausnahmslos, ganz und alles geglaubt, oder gar nichts geglaubt! Und verliert darüber die Maus auch den Faden, heißt es eben doch: „Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen sei, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“.

Neben aller Politik muss himmlische Belohnung dann aber doch winken:

„Und wer siegt und hält meine Werke bis ans Ende, dem will ich Macht geben über die Völker, und er soll sie weiden mit einem eisernen Stabe, und wie eines Töpfers Gefäße soll er sie zerschmeißen, wie auch ich’s von meinem Vater empfangen habe“ (Offenbarung 2, 26-28).

Der Krieg, das „gegenseitige Abschlachten“ ist dem Neuen Testament jedenfalls bedenkenlos akzeptabel. So weiß die Offenbarung des Johannes dann auch:

„Da erschien ein anderes Pferd (…) Und der, der auf ihm saß, wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten“ (6,4).

Die Kirche und Theologie wollten solche Texte freilich nach dem kriegerischen Schlachten, als die Intellektuellen und geistlichen Aufräumungsarbeiten begannen, immer nur bildlich — „übertragen“ — verstanden wissen. Kirche und Theologie haben ein großen, einen sehr großen Magen, das zugeführte Verdauungsenzym heißt Dialektik.

Christliches in den Weltkriegen I und II

Erster Weltkrieg:

  • „Die Befehle der weltlichen Obrigkeit sind Befehle Gottes“ — Katechismus für das Bistum Rottenburg, 1903.
  • „Es ist kein böser Tag und keine Stunde der Finsternis; es ist ein großer Tag, ein Tag des Gerichts, ein Tag des Herrn“ — Dompropst Joseph Mausbach, Professor der Moraltheologie, 1914.
  • „Ohne Übertreibung kann man diesen Krieg einen religiösen Krieg nennen“ — Fürstbischof Franz Egger von Brixen, 1914.
  • „Nach meiner Überzeugung wird dieser Feldzug in der Kriegsethik für uns das Schulbeispiel eines gerechten Krieges werden“ — Bischof Michael von Faulhaber, 1915.
  • „Kanonen des Krieges (…) Sprachrohre der rufenden Gnade.“
  • „Wenn die Toten dieses Krieges daheimgeblieben wären, etwa aus Verachtung gegen den Militarismus, so ständen wir nicht vor dem Triumph der sittlichen Weltordnung, sondern vor dem Triumph der Moral des Teufels. Dann hätte … die gottesfeindliche Staatsidee aus Frankreich ungestraft durch die Welt fortwuchern können. So aber kämpfen und sterben unsere Soldaten als Hüter und Rächer der göttlichen Weltordnung“ — Bischof Michael von Faulhaber, 1915.

Wollte man da noch Friedrich Nietzsches Einsicht — lange vor dem Ersten Weltkrieg formuliert — widersprechen?:

„Gegen den Priester hat man nicht Gründe, man hat das Zuchthaus.“

Zweiter Weltkrieg:

  • „Die Ziele der Reichsregierung sind schon längst die Ziele unserer katholischen Kirche“ — Weihbischof Wilhelm Burger, 1933.
  • „Der kirchenpolitische Kampf ist vorbei. Der Kampf um die Seele des Volkes beginnt“ — Reichsbischof Ludwig Müller, 1933.
  • „Alle (…) Schwierigkeiten mit der NS-Weltanschauung stellen uns die Frage nach unserer Theologie! Gefordert wird von uns Nationalsozialisten in der Kirche eine neue Theologie! (…) Wir müssen uns theologisch befassen mit dem neuen biologischen und rassewissenschaftlichen, auch dem rasse-seelischen Denken, das dem Nationalsozialismus zugrundliegt! Wir müssen dann auch die Folgerungen ziehen — ohne Furcht! (…) Dazu ist erforderlich, dass wir unser ganzes bisheriges Denken auflockern und infrage stellen. Wir dürfen dabei auch nicht haltmachen vor festen Begriffen und Denkbahnen. Wir müssen ganz neu denken und auch formulieren!“ — Reichsbischof Ludwig Müller, 1935.
  • „Die katholischen Theologen haben immer den gerechten vom ungerechten Krieg unterschieden und es niemals in den Urteilsbereich des einzelnen mit all seinen Kurzsichtigkeiten und Gefühlsstimmungen gelegt, im Kriegsfalle die Erlaubtheit oder das Unerlaubtsein zu erörtern, sondern die letzte Entscheidung der rechtmäßigen Autorität zu überlassen“ — Erzbischof Conrad Gröber, Förderndes Mitglied der SS, 1935.
  • „Es ist eines der Geheimnisse des Krieges, dass er dem Menschenleben eine aufs Höchste gesteigerte Daseinsform gibt … Im Zeichen dieses Opfergeistes wird unser Volk siegen“ — Feldbischof Franz Justus Rarkowski, 1939.
  • „Eurem Opfergeist danken wir es zum größten Teil, dass man nach dem Krieg dem Klerus nicht mehr den Vorwurf machen kann, er sei ‚nicht dabei gewesen“ — Erzbischof Michael von Faulhaber, 1942.
  • „Oder wo weiß man mehr, wie köstlich das Leben ist als im Kriege? … Es muss nicht nur auf den Koppelschlössern der Soldaten, sondern in Herz und Gewissen stehen: Mit Gott! Nur im Namen Gottes kann man dies Opfer legitimieren“ — Landesbischof Hanns Lilje, 1942.

Will man da noch immer Friedrich Nietzsches Gedanken widersprechen?:

„Gegen den Priester hat man nicht Gründe, man hat das Zuchthaus“ (12)?

Kirchliches Erinnern

„Wir wollen uns gemeinsam vor Gott erinnern“, werden die Bischöfe Martin Kruse und Werner Leich den evangelischen Christen in beiden deutschen Staaten 1989, aus Anlass des 50. Jahrestages des Überfalles der Wehrmacht auf Polen, schreiben, doch kirchliches Erinnern hat immer seine sehr eigene Art, das besser mit „Verdrängen und Vergessen“ (13) analysiert wäre.

Denn das Verdrängen und Vergessen lässt die Landesbischöfin Kirsten Fehrs dieser Tage munter formulieren: „Das Leben zu schützen und gleichzeitig zu einem gerechten Frieden zu kommen, wird mit Waffen nicht gelingen, aber ohne Waffen auch nicht (…) Waffen können den Frieden bringen, wenn sie kurzfristig einen Aggressor stoppen und wehrlose Menschen schützen (…) Waffenlieferungen könnten das kleinere Übel sein“ (14).

Und in guter Tradition des Verdrängens und Vergessens wird auch der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck schon wieder einstimmen: „Die Ukraine nimmt ihr Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch. Daher ist es sittlich legitim, dass Deutschland und die NATO auch mit Waffen helfen“ (15).

Will man der Einsicht eines Friedrich Nietzsche somit tatsächlich widersprechen?: „Gegen den Priester hat man nicht Gründe, man hat das Zuchthaus“. Denn versichert dürfen wir sein:

„Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was getan wurde, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“


Quellen und Anmerkungen:

(1) Deschner, Karlheinz: Opus Diaboli, Reinbek, 1988, Seite 83.
(2) Deschner, Karlheinz: Kriminalgeschichte des Christentums, Band 6, Reinbek, 1999, Seite 257.
(3) Ebenda, Seite 254 folgende.
(4) Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist, Paragraf 44.
(5) 2. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung, 1965.
(6) Konkordienformel, Bekenntnisschrift der evangelisch-lutherischen Kirche.
(7) Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe, 1883 und folgende, Band 54, Seite 158.
(8) https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/robert-habeck/fragen-antworten/sie-finden-vaterlandsliebe-zum-kotzen-wenn-sie-mit-ihrem-vaterland-nichts-anfangen-koennen-wie-koennen-sie
(9) Hahne, Peter: Das Maß ist voll, Köln, 2022, Seite 130.
(10) https://www.zeit.de/news/2022-04/25/bedford-strohm-fuer-waffenlieferungen-an-ukraine?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F
(11) Schneider, Thomas Martin: Reichsbischof Ludwig Müller, Göttingen, 1993, Seite 212.
(12) Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist, KSA, Band 6, AC-Gesetz, Seite 254. Zitate sind entnommen: Deschner, Karlheinz: Die Politik der Päpste im 20. Jahrhundert, Band 1, Reinbek, 1991; und: derselbe, Opus Diaboli, Reinbek, 1988; und: Missalla, Heinrich: „Gott mit uns“, Norderstedt 2018; und: Schneider, Thomas Martin: Reichsbischof Ludwig Müller, Göttingen, 1993; und: Missalla, Heinrich: Für Gott, Führer und Vaterland, München, 1999.
(13) Dem Führer gehorsam: Christen an die Front, Oberursel, 2007, Seite 22.
(14) https://www.zeit.de/news/2022-04/15/fehrs-waffenlieferungen-koennten-das-kleinere-uebel-sein
(15) https://www.presseportal.de/pm/amp/55903/5203282


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