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Krieg ohne Ende

Krieg ohne Ende

Für Frieden im Nahen Osten müssen wir unsere Haltung zu Israel ändern.

Die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober 2023 sind in unseren Medien in erschreckender Weise dargestellt und mit Abscheu kommentiert worden, von geköpften Babys war die Rede und anderen Grausamkeiten. Die Folge war eine globale Empörungswelle, die der nachfolgenden Militärintervention Israels in Gaza als Legitimationsgrundlage diente. Der Autor beschreibt auf Basis der zugänglichen Quellen den Ablauf und die Hintergründe dieses Terrorangriffs und kommt mit der israelischen Zeitung Haaretz zu dem Schluss, dass viele dieser grauenhaften Details „entweder frei erfunden (wurden, R.F.), oder aber es fehlen jedwede Beweise. Weder hat es im Kibbuz Beéri eine ermordete Auschwitz-Überlebende gegeben noch geköpfte Babys auf der Wäscheleine oder im Backofen. Auch ist keiner Schwangeren der Bauch aufgeschlitzt worden, wie vor allem israelische Medien nach und nach klarstellten, allen voran Haaretz.“

Es handelte sich hier um sehr wirksame Propaganda-Geschichten, ähnlich jener, die den Kriegseintritt der USA im Krieg um Kuwait 1990 legitimieren sollte. Dort wurden angeblich mehrere Säuglinge von irakischen Soldaten aus Brutkästen gerissen und auf den kalten Steinboden geworfen, wo sie starben. Die Story war frei erfunden, aber wirkte.

Der terroristische Angriff der Hamas auf friedliche israelische Zivilisten hat zu einer Explosion der Gewalt geführt, zu einem Krieg, der „gemessen an der täglichen Todesrate“ zum „bislang tödlichste(n) in diesem Jahrhundert“ geworden ist. „Alle zehn Minuten starb dort in den ersten sechs Monaten ein Kind“, so Lüders. Ist das nur die Verteidigung des Existenzrechts Israels?

Ist, wer das so kritisch wie Michael Lüders ausspricht, gleich ein „Antisemit“? Medien und Politik hierzulande haben einhellig den Schulterschluss mit Israel erklärt, die Unverhältnismäßigkeit der militärischen Gewalt in Gaza war ihnen kein Thema, auch die rechtsextreme Agenda der Regierung Netanjahus war tabu. Stattdessen wurde das Existenzrecht Israels betont, das von Kanzlerin Angela Merkel kurzerhand zu unserer „Staatsräson“ erklärt wurde, was manche Politiker schon zu der Forderung bewegte, die Bundeswehr zur Verteidigung Israels in Marsch zu setzen, wenn es nötig sei. Wer diese „Staatsräson“ auf ihre Konsequenzen kritisch hinterfragt, der steht rasch am Pranger eines „israelbezogenen Antisemitismus“, wie ihn der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, vertritt.

Mit den fragwürdigen Ausweitungen der Definitionen von Antisemitismus beschäftigt sich Lüders ausführlich. So sei die neueste Auslegung von Antisemitismus — die „Berliner Erklärung“ der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE — zurückzuführen auf „durchsetzungsstarke Lobbyisten Israels“, deren Interesse daran bestand, jede Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern unter Antisemitismusverdacht zu stellen.

Wer als Journalist oder Politiker heute noch glaubt, es sei kein Antisemitismus, das brutale Vorgehen der israelischen Regierung im Westjordanland oder Gaza zu verurteilen, oder gar wie Südafrika, Israel wegen seiner massenhaften Tötung von Zivilisten (Genozid) anzuklagen, dem droht von den gut vernetzten Lobbyisten wie der „International Holocaust Remembrance Alliance“ eine öffentliche moralische Vernichtung.

Dementsprechend fiel die mediale Berichterstattung in Deutschland aus: Das Vorgehen Israels im Gaza-Krieg wurde stets aus der Perspektive der israelischen Regierung und des Militärs wahrgenommen und jeder Bericht über Opferzahlen in Gaza aus palästinensischen Quellen gleich mit Fragezeichen versehen. Stets wurde jeder kritischen Kommentierung der militärischen Intervention zuerst die Beschreibung und strikte Verurteilung des Terrors der Hamas vorangeschickt, damit Ursache und Wirkung dem Hörer und Leser stets klar vor Augen geführt wurden. Der terroristische Gewaltakt der Hamas wurde medial zu einer unvergleichlichen Brutalität und Grausamkeit erklärt, zu einer Singularität, die alles Nachfolgende in den Schatten stellen und mit nichts anderem verglichen werden sollte – außer vielleicht noch mit dem Holocaust.

Dem Autor geht es jedoch nicht, wie man mutmaßen könnte, um eine Aufrechnung der Gewalt auf israelischer wie palästinensischer Seite, auch nicht um eine Relativierung des Verbrechens der Hamas, der 846 israelische Zivilisten zum Opfer gefallen sind. Von über 40.000 Toten, darunter 11.000 Kindern auf palästinensischer Seite ist dagegen die Rede. Ihm geht es darum, diese mörderische Gewalt in dem Kontext seiner Vorgeschichte zu beschreiben, die weit zurückreicht bis in das 19. Jahrhundert, dem „Beginn der zionistischen Inbesitznahme Palästinas auf Kosten seiner ursprünglichen Bewohner“, so Lüders. Die geschichtliche Entwicklung dieser jüdischen Besiedlung palästinensischer Gebiete und der gewaltsamen Vertreibung ihrer Bewohner, der „Nakba“, sowie ihre Folgen für die Gegenwart beschreibt und erklärt Michael Lüders in seinem etwa 400 Seiten umfassenden Buch mit profunder Faktenkenntnis und unter Verwertung zahlreicher Quellen, darunter viele von israelischen Historikern und Zeitzeugen.

Wer die auf Quellen israelischer Historiker beruhende Darstellung der Gewaltexzesse und Pogrome durch zionistische Milizen in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts liest, wie deren Dörfer zerstört und ihre Bewohner teilweise in Massenexekutionen hingerichtet wurden, so zum Beispiel das „Massaker von Tantura“, der wird den terroristischen Überfall der Hamas nicht mehr als Singularität begreifen. In der von den Palästinensern sogenannten „Nakba“, der Vertreibung durch jüdische Organisationen „verloren rund 750.000 Palästinenser ihre Heimat“. So zitiert Lüders beispielsweise den israelischen Historiker Benny Morris aus dem Tagebuch eines Kommandeurs der Hagana: Kämpfer der Hagana „betraten das Dorf Safsaf, dessen Einwohner die weiße Fahne aufgezogen hatten. Sie trennten Männer und Frauen, banden 50 bis 60 Bauern die Hände und erschossen sie am Rande eines Massengrabs. Sie vergewaltigten auch viele Frauen …“

Die Dokumente darüber und Erinnerungen von Zeitzeugen werden von der israelischen Regierung und in der Öffentlichkeit nicht gern zur Kenntnis genommen. Die israelische Zeitung Haaretz hatte 2019 eine umfangreiche Dokumentation veröffentlicht „über den staatlichen Versuch, systematisch Beweise für die Vertreibung der Palästinenser 1948 unter Verschluss zu nehmen. Federführend sei dabei ‚Malmab‘, ein hebräisches Akronym für ‚Sicherheitsdirektor des Verteidigungs-Establishments‘, das heißt: die Sicherheitsabteilung des Verteidigungsministeriums“. Dort ist man bestrebt, Dokumente dem öffentlichen Zugang zu entziehen, die ein schlechtes Licht auf die Vergangenheit werfen können.

Michael Lüders beschreibt neben der Nakba die weitere Entwicklung des israelisch-palästinensischen Konflikts, den israelisch-arabischen Krieg 1948/49, die Militärverwaltung bis 1966, die für die in Israel lebenden Palästinenser ein entrechtetes, ghettoähnliches Leben hinter Stacheldraht bedeutete, ferner die Besatzungspolitik nach 1967. Weitere Kapitel widmen sich dem Aufstieg der PLO unter Jassir Arafat, dem „Sechstagekrieg“, den Friedensverhandlungen in Camp David zwischen Israel und Ägypten 1978, der expansiven Siedlerbewegung im besetzten Westjordanland, dem Aufstieg der Hamas und den vergeblichen Bemühungen um Frieden bis heute.

Der innenpolitischen Debatte um das Ausmaß der Solidarität mit den Palästinensern widmet sich der Autor in besonderem Maße. Hier kommt er zu dem Schluss, Deutschlands politische Repräsentanten stünden „… auf der falschen Seite der Geschichte. (…) Wer von der offiziellen regierungsamtlichen Linie abweicht, ist in diesem Land nicht willkommen und läuft Gefahr, sanktioniert oder bestraft zu werden.“

Zahlreiche Verbote propalästinensischer Veranstaltungen und Demonstrationen sogar von kritischen jüdischen Aktivisten bestätigen das.

300 Wissenschaftler und Kulturschaffende aus dem globalen Süden haben in einem offenen Brief an die Bundesregierung ihre Haltung dazu formuliert:

„(…) Die Bundesregierung wie auch die Leitmedien missbrauchen das Gedenken an den Holocaust, und sie verwechseln Kritik an Israel mit Antisemitismus. Gleichzeitig vertreten sie die gegenstandslose Annahme, dass die Deutschen migrantischer Herkunft, allen voran Muslime, grundsätzlich antisemitisch eingestellt seien. Diese Haltung ist gleichbedeutend mit einer Manipulation der deutschen Erinnerungskultur. Sie sucht abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen, und sie fördert Ausländerfeindlichkeit und Islamophobie. (…)“

Diese Stellungnahme wurde in keinem deutschen Leitmedium veröffentlicht.

Mein Fazit: Ein lesenswertes und aufrüttelndes Buch, das ich mir schon viel früher gewünscht hätte und das es verdient, der verklemmten deutschen Debatte um unsere „Staatsräson“ neues Leben einzuhauchen.


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