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Kriegsverbrecher auf freiem Fuß

Kriegsverbrecher auf freiem Fuß

Viele westliche Politiker und Militärs gehören lebenslang hinter Gitter. Exklusivabdruck aus „Fassadendemokratie und Tiefer Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter“.

Es sind derart viele Fälle, dass ich hier nicht alle aufführen kann. Exemplarisch habe ich drei Ereignisse aus verschiedenen Jahrzehnten ausgewählt:

  • den illegalen Angriff der europäischen Demokratien Großbritannien und Frankreich auf Ägypten 1956;
  • den Terroranschlag der französischen Demokratie auf das Schiff Rainbow Warrior der Umweltorganisation Greenpeace 1985 sowie
  • den illegalen Angriff von US-Präsident Donald Trump auf Syrien am 7. April 2017.

Weil die Massenmedien weder in den europäischen noch den amerikanischen Demokratien diese Verbrechen offen ansprechen und kritisieren und weil bisher die verantwortlichen Politiker auch nicht von einem Gericht verurteilt wurden, hält sich in der Bevölkerung der angreifenden Staaten hartnäckig der Irrglaube, dass Demokratien nie Kriege beginnen und auch niemals Terror als Instrument der Politik einsetzen würden.

Doch die genannten drei Beispiele belegen eindrücklich:

Demokratien, die dem NATO-Militärbündnis angehören sowie im UNO-Sicherheitsrat über ein Veto-Recht verfügen, durch das sie sich vor Verurteilung schützen können, haben wiederholt andere Länder angegriffen.

Das ist illegal. Denn in der UNO-Charta von 1945 heißt es in Artikel 2 Ziffer 4:

»Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede … Anwendung von Gewalt.«

Die Charta billigt den Einsatz von Gewalt nur dann, wenn ein angegriffener Staat sich verteidigt oder der UN-Sicherheitsrat den Militärschlag genehmigt hat. In allen anderen Fällen verbietet die UNO Kriege. Terroranschläge sind zudem immer verboten.

Der Angriff auf Ägypten 1956

Ägypten ist strategisch ein wichtiges Land, weil der 1869 eröffnete und 160 Kilometer lange Suezkanal für die Versorgung Europas mit Erdöl eine zentrale Rolle spielt. Der Kanal verbindet das Mittelmeer mit dem Roten Meer und erspart den Schiffen vom Persischen Golf nach Europa den Weg um Afrika. Der Kanal wird heute täglich von Tankern passiert, die Erdöl und verflüssigtes Erdgas auf den europäischen Markt bringen.

Für Gamal Abdel Nasser, der Ägypten in den 1950er-Jahren als Präsident regierte, war der Suezkanal ein verhasstes Symbol des europäischen Kolonialismus. Denn die lange und schmale Wasserstraße durch die ägyptische Wüste war von den Franzosen erbaut worden und befand sich danach als private Suezkanal-Gesellschaft im gemeinsamen Besitz von Frankreich und der Kolonialmacht Großbritannien.

Nasser verfolgte im Kalten Krieg eine nationalistische Neutralitätspolitik und pflegte die Zusammenarbeit mit Indien und Jugoslawien, deren Blockfreiheit er bewunderte. Um zu verhindern, dass Ägypten in den Einflussbereich der kommunistischen Sowjetunion geriet, versprachen die Amerikaner und Briten Ägypten 1955 zusammen mit der Weltbank einen Kredit für den Bau des großen Nilstaudammes bei Assuan. Der Staudamm sollte es Nasser erlauben, die Wassermassen des Nils beim jährlichen Hochwasser für die Landwirtschaft zu regulieren und erneuerbaren Strom aus Wasserkraft für die Industrialisierung Ägyptens zu produzieren.

Doch im Juli 1956 änderte der amerikanische Präsident Dwight Eisenhower seine Meinung und erklärte nach Rücksprache mit London und der Weltbank, Ägypten sei nicht kreditwürdig, weil Nasser die Volksrepublik China anerkannt und zudem öffentlich erklärt habe, er wolle Israel vernichten. Nasser war erbost und entschied, dass die Gebühren für den Erdöltransport durch den Suezkanal nun den Bau des geplanten Assuan-Dammes finanzieren mussten. Daher verstaatlichte er am 26. Juli 1956 zum Entsetzen von Frankreich und Großbritannien die Suezkanal-Gesellschaft.

Der britische Premierminister Anthony Eden war schockiert und fürchtete, die Sowjets würden ihren Einflussbereich ausdehnen. Eden hatte im April 1956, kurz vor der Verstaatlichung des Suezkanals, den sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow mit deutlichen Worten gewarnt:

»Was das Öl betrifft, so muss ich Ihnen ganz unverblümt meine Meinung sagen – wir würden dafür kämpfen … Wir könnten ohne Öl nicht leben und … wir haben nicht die Absicht, uns strangulieren zu lassen.«

Nach der Verstaatlichung insistierte auch US-Außenminister John Foster Dulles gegenüber dem britischen und französischen Außenminister, dass »eine Möglichkeit gefunden werden« müsse, »Nasser zu veranlassen, den Kanal wieder auszuspucken« (1).

Großbritannien entschied, mit militärischen Mitteln um den Kanal und den Zugang zum Erdöl des Nahen Ostens zu kämpfen. »Wir sind wahrhaftig in ein schreckliches Dilemma geraten«, notierte der britische Schatzkanzler Harold Macmillan in sein Tagebuch:

»Wenn wir energisch gegen Ägypten vorgehen und deshalb der Kanal geschlossen wird, die Pipelines in der Levante unterbrochen werden, der Persische Golf revolutioniert und die Ölförderung eingestellt wird – dann sind das Vereinigte Königreich und Westeuropa ›erledigt‹.«

Doch »wenn wir eine diplomatische Niederlage erleiden, wenn Nasser ›ungeschoren davonkommt‹ – und die Länder im Nahen Osten sich einigen, das Öl zu verstaatlichen … sind wir ebenso ›erledigt‹. Was sollen wir also tun? Mir scheint klar zu sein, dass unsere einzige Chance darin liegt, energisch vorzugehen und zu hoffen, daß unsere Freunde im Nahen Osten zu uns halten, unsere Feinde besiegt werden und wir das Öl retten können – aber es ist eine ungeheure Entscheidung« (2).

Im Rahmen einer Verschwörung – laut Definition eine geheime Absprache zwischen zwei oder mehr Personen, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen – trafen sich ranghohe Vertreter Großbritanniens, Frankreichs und Israels vom 22. bis 24. Oktober 1956 in einer Villa in Sèvres bei Paris, um die streng geheime »Operation Musketeer« zu planen.

Die britische Delegation wurde von Außenminister Selwyn Lloyd, die französische von Premierminister Guy Mollet und die israelische von Ministerpräsident Ben Gurion geleitet. Die Verschwörer beschlossen, Israel solle Ägypten angreifen und durch die wenig besiedelte Sinai-Halbinsel militärisch auf den Suezkanal vorstoßen. Frankreich und Großbritannien würden danach Nasser ein unannehmbares Ultimatum stellen, wodurch ein Vorwand geschaffen würde, um den Suezkanal militärisch zu besetzen. Ziel der Aktion war es, die Kontrolle über den Suezkanal zu erlangen und, so hoffte Israel, Nasser zu stürzen.

Natürlich war der geplante Krieg illegal, denn er widersprach dem Gewaltverbot der UNO-Charta, aber die Verschwörer kümmerten sich nicht um das Völkerrecht. Am 29. Oktober 1956 griff die israelische Armee planmäßig Ägypten an und besetzte die Sinai-Halbinsel. Damit machte sich Israel des Verbrechens der Aggression schuldig.

Die USA erkannten schnell, dass es sich hierbei um einen illegalen Angriffskrieg handelte und riefen schon am 30. Oktober den Sicherheitsrat zu einer Sondersitzung zusammen. US-Botschafter Henry Lodge forderte den »sofortigen Stopp der militärischen Aktionen von Israel gegen Ägypten«. Auch der Botschafter von Ägypten, Omar Loutfi, verurteilte den Angriff von Israel auf sein Land in den schärfsten Tönen. »Israelische Truppen sind an verschiedenen Orten in das ägyptische Territorium eingedrungen«, dies sei ein »äußerst gefährlicher Akt der Aggression« (3).

Der israelische Botschafter Abba Eban bestritt nicht, dass die israelische Armee Ägypten angegriffen hatte, betonte aber, dies sei ein Akt der Selbstverteidigung gewesen. Der französische UNO-Botschafter stellte sich wie abgesprochen auf die Seite Israels. Der »ägyptische Imperialismus« versuche das Gebiet vom Atlantik bis zum Persischen Golf zu kontrollieren und habe »die Vernichtung Israels« zum Ziel. Entgegen aller rechtlichen Verpflichtungen habe Ägypten zudem einen Kanal beschlagnahmt, der »für das Leben der Nationen sehr wichtig« sei.

Dann brachten Frankreich und Großbritannien wie abgesprochen ihr unannehmbares Ultimatum ein und forderten, die Streitkräfte von Ägypten und Israel müssten sich bis auf eine Distanz von 10 Meilen vom Kanal zurückziehen und britischen und französischen Truppen erlauben, strategische Positionen am Suezkanal zu kontrollieren. Man warte nur zwölf Stunden auf eine Antwort, warnte der britische Botschafter Sir Pierson Dixon, danach würden »britische und französische Truppen in der notwendigen Stärke intervenieren« (4).

Natürlich war dieses Ultimatum für Ägypten unannehmbar. Es diente den europäischen Demokratien Frankreich und Großbritannien als Vorwand, Ägypten anzugreifen. Dies war natürlich illegal, denn sie verfügten nicht über ein Mandat des Sicherheitsrates. Die Verschwörung, die es vor dem Angriff der drei Länder gegeben hatte, blieb damals geheim und wurde erst Jahre später von Historikern aufgedeckt.

»Wir haben alles in unserer Macht Stehende getan, um die Spannungen im Nahen Osten abzubauen«, beteuerte der britische Botschafter Dixon scheinheilig. »Und wenn nun die Spannungen zugenommen haben, dann daher, weil unglücklicherweise weder Israel noch seine arabischen Nachbarn auf unseren Rat und den unserer Freunde gehört haben.«

Botschafter Dixon schloss seine verlogene Rede mit den Worten, dass er »überzeugt sei, dass die Mehrheit der Sicherheitsratsmitglieder mit ihm einig gehen, dass die Taten von Frankreich und Großbritannien im Interesse des Friedens und der Sicherheit sind« (5).

Die USA brachten im UNO-Sicherheitsrat eine Resolution ein, die den Angriff Israels auf Ägypten verurteilte und den sofortigen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus Ägypten forderte. Doch die Veto-Mächte Frankreich und Großbritannien stimmten am 30. Oktober 1956 gegen die Resolution, die daher auch nicht angenommen werden konnte. Der UNO-Sicherheitsrat war völlig blockiert.

Am nächsten Tag, am 31. Oktober, begannen die Briten und Franzosen mit der Bombardierung ägyptischer Flugplätze. Dabei handelte es sich um einen illegalen Angriffskrieg, der die UNO-Charta verletzte. Präsident Nasser, überrascht und erbost über die Angriffe, entschied, den Zufluss von Erdöl nach Europa zu unterbrechen.

Noch am Tag, als die britischen und französischen Bomben auf Ägypten fielen, versenkten ägyptische Kommandoeinheiten Dutzende mit Steinen und Zement gefüllte Schiffe im etwa 300 Meter breiten Suezkanal. Der Kanal war danach für die Schifffahrt blockiert. Weil gleichzeitig syrische Ingenieure auf Anweisung von Nasser die Erdölpipelines durch Syrien sabotierten, kam der Ölfluss aus dem Nahen Osten im November 1956 zum Stillstand, was Westeuropa in größte Sorgen versetzte.

Die von Europa in Richtung Suezkanal ausgelaufenen leeren Erdöltanker kreuzten abwartend im Mittelmeer, während die beladenen Tanker im Roten Meer regungslos im Wasser lagen und warteten. Niemand wusste, wann Nasser die Blockade des Kanals wieder aufheben würde. Und innerhalb der NATO kam es zu heftigem Streit.

Der amerikanische Präsident Eisenhower war erzürnt über das koloniale Abenteuer der Briten, Franzosen und Israelis, weil diese ihre Verschwörung nicht mit Washington abgesprochen hatten, und weigerte sich, Europa mit Erdöllieferungen über den Atlantik zu helfen. Und auch die Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow befahl den Franzosen und Briten ultimativ, ihren Angriffskrieg einzustellen.

Damit war die Niederlage der Europäer besiegelt. Am 6. November stellten Frankreich und Großbritannien das Feuer ein und vor Weihnachten waren alle britischen und französischen Soldaten wieder zu Hause. Die Europäer waren gedemütigt und verloren ihre ehemals dominierende Stellung in der Region.

Nasser triumphierte, weil es ihm gelungen war, seine militärische Niederlage in einen politischen Sieg über zwei europäische Großmächte umzumünzen. Die von Nasser versenkten Schiffe blockierten den Suezkanal noch bis zum Frühling 1957, danach waren alle Schäden behoben und der Kanal wieder normal befahrbar. Die israelischen Truppen zogen sich von der Sinai-Halbinsel zurück. Den Assuan-Staudamm baute Nasser in den folgenden Jahren mit Hilfe von Tausenden sowjetischen Ingenieuren und Architekten. Das Prestigeprojekt wurde 1971 eingeweiht.

Der Terroranschlag auf ein Greenpeace-Schiff 1985

Wenn ein demokratisches Land wie Frankreich einen Terroranschlag im Ausland ausübt, tut es dies im Geheimen und versucht, seine Spuren zu verwischen. Um verdeckte Operationen durchzuführen, nutzen Demokratien in Europa und Nordamerika ihre Geheimdienste und Spezialeinheiten des Militärs, weil diese nur schwach durch das Parlament und die Medien überwacht werden. Viele solcher verdeckten Operationen werden nie aufgedeckt oder bleiben jahrelang geheim.

Der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA ist weltweit berühmt und berüchtigt, weil er 1953 zusammen mit dem britischen Geheimdienst MI6 die demokratisch gewählte Regierung von Premierminister Mohammad Mossadegh im Iran und 1973 auch die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Salvador Allende in Chile stürzte. Beide Operationen waren natürlich illegal.

Der französische Auslandsgeheimdienst ist weit weniger bekannt als die CIA. Er heißt Direction Générale de la Sécurité Extérieure (DGSE) und hat seinen Hauptsitz in Paris. Die Aufgaben des DGSE bestehen aus Spionage und Gegenspionage außerhalb des Staatsgebietes. Für diesen Geheimdienst arbeiten derzeit etwa 3000 zivile Mitarbeiter und 1500 Militärs. Unterstellt ist der DGSE dem französischen Verteidigungsministerium.

Frankreich ist eine Nuklearmacht und hat im Südpazifik wiederholt Atombomben getestet. Dies erregte den Protest von Umweltschützern der Organisation Green­peace. Am bekanntesten und berüchtigtsten für die französischen Nukleartests ist das Mururoa-Atoll. Dort hat Frankreich von 1966 bis 1996 insgesamt 188 Atombomben gezündet, davon 41 in der Atmosphäre und 147 unterirdisch. Erst im Jahr 2000 zogen die Franzosen von Mururoa ab. Das Atoll ist heute ein verseuchtes Sperrgebiet, auf dem viel radioaktiver Abfall lagert.

Um gegen die Atombombentests der Franzosen zu protestieren, fuhr Greenpeace mit dem Schiff Rainbow Warrior in den Südpazifik. Dies erregte weltweit Aufsehen und ärgerte den sozialistischen französischen Präsidenten François Mitterand, weil die Anwesenheit von Greenpeace das Fortführen der Atomtests auf Mururoa verhinderte. Daher griff die französische Demokratie zum Instrument des Terrors und ließ das Schiff mit einer Bombe versenken.

Das Greenpeace-Schiff befand sich im Hafen von Auckland, Neuseeland, als es kurz vor Mitternacht am 10. Juli 1985 durch zwei Sprengladungen versenkt wurde. Der DGSE taufte die Aktion vielsagend »Opération Satanique«, also »teuflische Operation«. Das war ganz klar ein Terroranschlag auf Greenpeace, ausgeführt durch den demokratischen Staat Frankreich.

»Die Wahrheit ist: Frankreich hat diesen Angriff organisiert … Mitterand gab den Befehl«, so der französische Journalist Edwy Plenel von der Zeitung Le Monde. Die Recherchen von Plenel halfen, die zuvor geheime Operation aufzudecken, und zwangen den französischen Verteidigungsminister Charles Hernu zum Rücktritt (6).

Insgesamt waren ein Dutzend DGSE-Agenten in die Operation involviert. Zuerst brachte die Jacht Ouvea den Sprengstoff nach Neuseeland. Zwei DGSE-Agenten, Dominique Prieur und Alain Marfart, die mit falschen Pässen als Schweizer Ehepaar Turenge auf Hochzeitsreise getarnt in Neuseeland eingereist waren, transportierten den Sprengstoff danach von der Jacht in einem Lieferwagen im Dunkeln durch den Hafen und brachten ihn zu einem Schlauchboot mit einer Besatzung von drei Agenten.

DGSE-Agent Gerard Royal steuerte das Schlauchboot zum Greenpeace-Schiff. 500 Meter vom Ziel entfernt glitten die DGSE-Kampfschwimmer Jean-Luc Kister und Jean Cammas ins Wasser und brachten zwei mit Zeitzündern versehene Haftminen unter der Wasserlinie am Stahlrumpf des Schiffes an. Nach der Explosion der zwei Bomben setzten sich die Attentäter umgehend mit dem Schlauchboot ab.

Die erste Bombe detonierte um 23:48 Uhr und brachte das Schiff zum Sinken. Greenpeace-Kapitän und Umweltaktivist Peter Willcox war an Bord und schlief in seinem Bett. Die Detonation weckte ihn, woraufhin die Greenpeace-Besatzung das Schiff verließ. »Das Schiff ist in 45 Sekunden gesunken. Wir hatten Mühe, rechtzeitig vom Schiff zu kommen«, erinnerte sich Willcox später.

Greenpeace-Fotograf Fernando Pereira wollte noch seine Fotoausrüstung und die schon gemachten Bilder retten, wurde jedoch von der zweiten, um 23:51 detonierenden Bombe in seiner Kabine eingeschlossen und ertrank. »Mein Vater wurde umgebracht«, sagt seine Tochter Marelle Pereira, die damals acht Jahre alt war. Auch für Kapitän Peter Willcox war es ganz klar ein Mordanschlag (7).

Natürlich wurde die Explosion im Hafen von Auckland von der Polizei sofort bemerkt. Die als Schweizer Ehepaar Turenge getarnten zwei DGSE-Agenten an Land wurden von der lokalen Polizei verhaftet. Die neuseeländische Polizei fragte in Bern nach, ob die Schweizer Pässe echt seien. Die Schweizer Behörden erklärten, dass es sich um Fälschungen handelte. Die beiden DGSE-Agenten Dominique Prieur und Alain Marfart wurden wegen Totschlags zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt.

Für Historiker wie mich ist die Sprengung des Schiffes Greenpeace Warrior ein brisantes Forschungsfeld. Soll man die beteiligten DGSE-Agenten als Terroristen bezeichnen? Ohne Zweifel war es ja ein Terroranschlag. Viele Jahre war nicht bekannt, wer die Bomben legte, und keiner der beteiligten Bombenleger wollte sprechen. Das Aufklären von Terroranschlägen durch Historiker dauert immer viele Jahre.

Heute wissen wir die Wahrheit. DGSE-Agent Jean-Luc Kister hat im Jahre 2015, genau 30 Jahre nach dem Anschlag, sein Schweigen gebrochen. Gegenüber dem neuseeländischen Fernsehen erklärte er:

»Wir wollten niemanden töten. Der Tod von Fernando Pereira war ein Unfall. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, mich bei Marelle Pereira und ihrer Familie Pereira zu entschuldigen … Ich möchte mich auch bei Greenpeace entschuldigen. Und ich möchte mich bei Neuseeland entschuldigen für diese unfaire verdeckte Operation, die wir in einem friedlichen Land durchführten … Der Befehl kam von ganz oben … Wir waren Soldaten und mussten die Befehle befolgen. Jetzt bin ich pensioniert und muss nur noch meinem Gewissen folgen. Es war falsch. Völlig falsch« (8).

Admiral Pierre Lacoste, der Direktor des DGSE ab 1982, musste nach dem Skandal am 12. September 1985 zurücktreten. Doch Präsident François Mitterrand überstand die Rainbow-Warrior-Affäre. Er war seit 1981 im Amt, ein starker Befürworter der französischen Atomtests, und wurde 1995 von Präsident Jacques Chirac abgelöst. Nie hat Mitterrand zugegeben, dass er den Terroranschlag in Auftrag gegeben hat.

Bleibt die Frage, warum die DGSE-Agenten bereit waren, unbewaffnete Greenpeace-Aktivisten anzugreifen und ihr Boot mit zwei Bomben zu versenken. »Uns hat man gesagt, Greenpeace sei durch den KGB infiltriert gewesen. Das ist die Erklärung, welche man uns gegeben hat«, erinnert sich Jean-Luc Kister. Damit wurde implizit suggeriert, Moskau bekämpfe die Atomtests von Frankreich, was nicht der Wahrheit entsprach.

Natürlich hätte Frankreich das Schiff von Greenpeace auch auf offener See sprengen können. Das wäre für den DGSE am sichersten gewesen, weil dann kaum Spuren zu finden sind. Aber dann wäre die ganze Greenpeace Besatzung gestorben, das wollte man nicht. Daher hat man das Schiff im Hafen gesprengt. Mit der ersten Bombe wollte der DGSE die Menschen vom Schiff treiben, mit der zweiten das Schiff versenken.

Für mich als Historiker ist das Versenken des Greenpeace-Schiffes Rainbow Warrior durch den französischen Geheimdienst ganz klar ein Terroranschlag. Die beteiligten Agenten möchten trotzdem nicht als Terroristen bezeichnet werden und vermeiden das Wort. »War das nicht ein Terroranschlag?«, wurde Jean-Luc Kister gefragt. Worauf er antwortete:

»Für uns war es eine Sabotage-Operation, mehr nicht.« Dass dabei ein unschuldiger Zivilist getötet wurde, bedauert Kister sehr. »Meine Frau war sehr geschockt, dass jemand in dieser Operation getötet wurde, weil sie ja nicht wusste, wo ich war. Und einige Jahre später kam die Scheidung, wie bei vielen anderen auch« (9).

Der illegale Angriff auf Syrien 2017

Als im Januar 2017 mit Donald Trump ein neuer Präsident ins Weiße Haus einzog, fragten sich kritische Beobachter, wie lange es wohl dauern werde, bis die demokratischen USA ein anderes Land bombardieren. Schon am 7. April 2017 war es soweit: Präsident Trump griff als oberster Befehlshaber der US-Armee Syrien an:

Zwei amerikanische Kriegsschiffe im Mittelmeer feuerten 59 Marschflugkörper vom Typ Tomahawk des US-Rüstungskonzerns Raytheon auf den syrischen Militärflughafen al-Schairat ab.

Die amerikanischen Erstschlagwaffen steuerten das vom Weißen Haus definierte Ziel mit einer Geschwindigkeit von 800 Stundenkilometern an und flogen auf nur geringer Höhe von 15 bis 100 Metern über den syrischen Boden, bevor sie einschlugen und explodierten.

Wer noch immer dem Irrglauben anhängt, dass europäische oder amerikanische Demokratien keine souveränen Staaten angreifen, ignoriert die Zeitgeschichte. Schon Trumps Vorgänger, Präsident Barack Obama, hatte im September 2014 damit begonnen, Syrien zu bombardieren. Doch sowohl der Angriff von Obama wie auch jener von Trump auf Syrien sind illegal, weil die USA nicht über ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates verfügen.

Wie zuvor dargelegt und in meinem Buch »Illegale Kriege« an vielen Beispielen explizit dargestellt, billigt die Charta der Vereinten Nationen den Einsatz von Gewalt nur dann, wenn ein angegriffener Staat sich verteidigt oder der UN-Sicherheitsrat den Militärschlag genehmigt hat. Beides war hier nicht der Fall. Syriens Präsident Baschar al-Assad hatte die USA nicht bombardiert, es lag also kein Fall von Selbstverteidigung vor. Und der Sicherheitsrat der UNO hatte weder Präsident Obama noch Präsident Trump ein Mandat erteilt, Syrien zu bombardieren (10).

»Es ist peinlich geworden, ein Amerikaner zu sein«, bedauerte der US-Amerikaner Paul Craig Roberts selbstkritisch im Frühling 2017. »Trump hat Syrien mit US-Streitkräften angegriffen und ist somit früh in seiner Regentschaft zum Kriegsverbrecher geworden«, so die klaren Worte von Roberts. Mit Jahrgang 1939 hat Roberts selbst viel miterlebt und diente unter Präsident Ronald Reagan als Abteilungsleiter für Wirtschaftspolitik im Finanzministerium.

Roberts weiß, dass die UNO-Charta Angriffskriege verbietet. Daher kritisiert er, dass Präsident Bill Clinton 1999 Serbien bombardierte, ohne ein Mandat der UNO zu haben. Dass Präsident George Bush Junior 2003 den Irak angegriffen hat, erneut ohne Mandat der UNO; dass Präsident Barack Obama 2014 Syrien bombardierte; und dass nun auch der neue Präsident Trump das Völkerrecht missachtet. »Unser Land hatte vier kriminelle Präsidenten in Folge«, so das ernüchternde Fazit von Roberts (11).

Weil Russland an der Seite der syrischen Armee gegen die Terrormiliz IS in Syrien kämpft, birgt Trumps Angriff die Gefahr einer direkten Konfrontation der Atommächte USA und Russland. Die von Trump illegal angegriffene Schairat-Basis beherbergte auch Gebäude für russische Soldaten und russisches Militärgerät.

Kurz vor dem Angriff hatte Washington das russische Militär noch informiert, sodass die amerikanischen Tomahawks keine russischen Soldaten töteten. Da in Syrien die russischen Luftabwehrsysteme S-300 und S-400 stationiert sind, bleibt die indirekte Konfrontation der Atommächte dennoch brandgefährlich und erinnert an die Kubakrise 1962.

»Es ist bedrückend, dass den ohnehin zerbrochenen Beziehungen zwischen Russland und den USA weiterer Schaden zugefügt wird«, mahnte der russische Außenminister Sergei Lawrow. Und Präsident Putins Sprecher Dimitri Peskow verurteilte die »Aggression gegen einen souveränen Staat« und den Verstoß gegen die UNO-Charta scharf (12).

Auch Dieter Deiseroth, ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, schätzt den Angriff Trumps auf Syrien als sehr gefährlich ein. Der Angriff sei illegal, betont Deiseroth, und verletze »die territoriale Integrität des UN-Mitgliedsstaates Syrien gravierend«. Gemäß dem im Völkerrecht verankerten Prinzip der Selbstverteidigung hätte Syrien nun das Recht, sich zusammen mit seinen Alliierten Russland und Iran gegen den amerikanischen Angriff zu verteidigen.

»Syrien hatte und hat bei weiteren US-Militäraktionen dieser Art auch künftig ein Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung und dürfte mithin auch seine Verbündeten – also zum Beispiel Russland und den Iran – völlig legal um militärische Unterstützung bitten. Es ginge dann um kollektive Selbstverteidigung dieser Staaten gegen die USA«, so Deiseroth.

Dies sei »eine hochexplosive Situation«, weil eine direkte Konfrontation der Atommächte USA und Russland weitreichende Folgen hätte (13).

Zwei Tage vor dem Angriff auf Syrien hatte die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley mit Verweis auf einen ungeklärten Giftgasangriff von Chan Scheichun vom 4. April 2017 den illegalen militärischen Alleingang angekündigt:

»Wenn die Vereinten Nationen es anhaltend versäumen, ihrer Pflicht zum gemeinsamen Handeln nachzukommen, dann gibt es einen Zeitpunkt im Leben von Staaten, an dem wir gezwungen sind, unsere eigenen Aktionen zu ergreifen«, hatte sie gewarnt (14).

Doch dieses Recht auf Angriffskriege hat keiner der 193 UN-Mitgliedstaaten, auch nicht die amerikanische Demokratie. Wer auch immer hinter dem hinterhältigen Einsatz des Giftgases steckt: Dieses Verbrechen rechtfertigt keinen Völkerrechtsbruch durch die USA und muss aufgeklärt werden. Zu präsent sind noch die Kriegslügen von Präsident George Bush Junior, der 2003 mit Verweis auf ABC-Waffen seinen illegalen Angriffskrieg auf den Irak begründete.

Fazit

Es ist an der Zeit, dass die Bevölkerungen in den Demokratien von Europa und Nordamerika offen über die globale Gewaltspirale diskutieren, in der wir uns gegenwärtig befinden. Natürlich treiben nicht nur Demokratien diese Gewaltspirale an. Aber es scheint mir wichtig, dass auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz offen über den Anteil des Westens an der mit dieser verbundenen Eskalation gesprochen wird.

Die Verbrechen der NATO-Staaten müssen ehrlich analysiert werden, damit daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen werden können. Der illegale Angriff Frankreichs und Großbritanniens auf Ägypten 1956, der illegale Terroranschlag Frankreichs auf das Schiff von Greenpeace 1985 und der illegale Angriff der USA auf Syrien 2017 zeigen mit aller Deutlichkeit, dass auch Demokratien die Gewaltspirale antreiben.

Zu oft sehen wir den Splitter im fremden Auge, aber nicht den Balken im eigenen.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Daniel Yergin: Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht, Fischer 1991, S. 605 und 608
(2) Daniel Yergin: a.a.O, S. 609
(3) UNO-Sicherheitsrat, 30. Oktober 1956
(4) Ebenda
(5) Ebenda
(6) Edwy Plenel. Zitiert in: French Secret Service Agent Who Led Fatal 1985 Bombing of Greenpeace Ship Breaks His Silence. Democracy Now, 8. September 2015
(7) Ebenda
(8) Ebenda
(9) Ebenda
(10) Vergleiche: Daniele Ganser: Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien. Zürich Orell Füssli Verlag 2016
(11) Paul Craig Roberts: A Government of Morons, 15. April 2017, www.paulcraigroberts.org
(12) Diesmal präsentieren sie nicht einmal Fakten. Tages-Anzeiger vom 7. April 2017
(13) Marcus Klöckner: »Der von Trump angeordnete Raketenangriff ist eine schwere völkerrechtswidrige Straftat«. Ein Interview mit Dieter Deiseroth. NachDenkSeiten vom 10. April 2017
(14) Trump im Syrien-Dilemma. Die Welt vom 7. April 2017


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