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Kurzer Prozess

Kurzer Prozess

Österreichs Regierungschef umgibt sich in der Corona-Krise mit guten Beratern, auf deren Urteil er aber pfeift.

Österreich hat etwas, wonach man hierzulande seit über zwei Monaten vergebens Ausschau hält: eine parlamentarische Opposition. Zwar übten sich in den ersten Wochen der Covid19-Krise auch dort alle etablierten Parteien in servilem Gehorsam gegenüber dem Krisenregime der Regierung unter Sebastian Kurz (ÖVP). Spätestens mit dem Auftauchen eines auf den 12. März datierten Sitzungsprotokolls der „Taskforce Corona“ aber kippte die Stimmung. Daraus ging hervor, dass der Bundeskanzler aus Sorge, die Bevölkerung könnte den vermeintlichen Ernst der Lage unterschätzen, seinem Volk eine Paniktherapie verordnete. Laut Aufzeichnung habe dieser „verdeutlicht, dass die Menschen vor einer Ansteckung Angst haben sollen bzw. Angst davor, dass Eltern/Großeltern sterben“.

Als die pikanten Interna Ende April publik wurden, ging ein Aufschrei durch den Wiener Politikbetrieb. „So etwas tut man nicht“, monierte SPÖ-Vizechef Jörg Leichtfried und weiter: „Es ist etwas faul bei der Krisenbekämpfung.“ Beate Meinl-Reisinger, Vorsitzende der liberalen NEOS, wandte sich klar gegen „eine Politik der Angst“ und monierte einen Mangel an Informationen, auf Basis welcher Einschätzungen die Regierung ihre Entscheidung treffe. Die „Schreckensbilder“ von „100.000 Toten“ oder Ansagen wie „jeder wird bald jemanden kennen, der an Corona verstorben ist“ seien noch „gut in Erinnerung“, beklagte Herbert Kickl von der rechtspopulistischen FPÖ und befand:

„Angstmache ist die Software der ‚neuen Normalität‘ der neuen Volkspartei.“

Polit-medizinisch-medialer Komplex

Der Vorgang ist auch deshalb bemerkenswert, weil beim deutschen Nachbarn drei Wochen davor ein vom Inhalt vergleichbares Strategiepapier aus dem Bundesinnenministerium die Runde machte. Das geleakte Dokument empfahl unter anderem, zur Entfaltung der „gewünschten Schockwirkung“ Bilder von um Luft ringenden, qualvoll sterbenden Schwerkranken zu evozieren und Kindern das Gefühl einzuimpfen, sie könnten Schuld daran sein, dass ihre Eltern und Großeltern zu Tode kommen, weil sie sich nicht die Hände gewaschen haben. Die Existenz des Schriftstücks wurde bis heute nicht dementiert, auch nicht, nachdem publizistische Schwergewichte wie Spiegel, Focus und Die Welt darüber berichtet hatten.

Aber was folgte auf den kleinen Sturm im Blätterwald? Nichts! Weder hakten die Medien bei der Regierung nach, noch skandalisierten sie den Fall in angemessener Weise. Vor allem aber interessierte sich auf Seiten der Opposition kein „Schwein“ für die Enthüllungen. Stattdessen hielt man in kollektiver, staatstragender Folgsamkeit die Füße still und betete fromm das amtliche Narrativ vom schlimmen Killervirus nach.

Dieser polit-medizinisch-mediale Komplex wirkt mit ganz wenigen Ausnahmen bis heute fort. Obgleich längst klar ist, dass die Gefährlichkeit von SARS-coV-2 durch die Regierung und ihre Berater weit übertrieben wurde und die sogenannten Fallzahlen seit Wochen am Fallen sind, trauen sich die Damen und Herren Volksvertreter nicht aus der Deckung. Wobei es nun nicht mehr die Angst vorm Virus ist, die sie bei der Stange hält, sondern der Reflex, sich bloß nicht mit bösen „Verschwörungstheoretikern“ gemein zu machen. Das nämlich könnten ihnen Spiegel, Focus und Co. übelnehmen und das wiederum verträgt sich nicht mit der Karriereplanung.

Cocooning statt Lockdown

Wie es anders geht, macht nun ausgerechnet Österreich vor, eben das Land, dem Deutschland in puncto Lockdown, Kontakt- und Ausgangssperren so emsig nachgeeifert hat. Das zeigt sich nicht allein daran, dass die politische Konkurrenz zur ÖVP-Grünen-Regierung inzwischen kräftig an der offiziellen Corona-Erzählung kratzt. Auch der Journalismus entsinnt sich allmählich wieder seines Auftrags, den Mächtigen auf die Finger zu schauen.

Bestes Beispiel ist das, was die linksliberale Wiener Wochenzeitung Falter in ihrer aktuellen Ausgabe berichtet. Unter dem Titel „Was passiert, wenn es eng wird?“ stellt das Magazin eine zentrale Botschaft der Krisenkommunikation in Frage. Diese besagte bisher, dass die Regierenden und ihre wissenschaftlichen Berater bei der Einschätzung der Gefährdungssituation und der zu ergreifenden Gegenmaßnahmen an einem Strang ziehen. Mindestens im Falle Österreichs war und ist dem nicht so, wie vertrauliche Protokolle aus zwei Expertenstäben offenbaren, aus denen die Autorin Barbara Tóth zitiert.

Die Dokumente veranschaulichten, „wie umstritten Kurz’ Corona-Strategie innerhalb der Expertenschaft, die die Regierung berät, war“, schrieb das Blatt. Sie deckten die „sicherheitspolitische Sorglosigkeit auf, die seit Jahren das nationale Krisenmanagement prägt“ und belegten die „daraus folgende Hektik und Improvisation nach der Vollbremsung des öffentlichen Lebens am 16. März“.

Tatsächlich sollen sich die (nicht) zu Rate gezogenen Fachleute sogar ausdrücklich gegen einen Shutdown des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens, samt Kita-, Schul- und Hochschulschließungen ausgesprochen haben. Dagegen setzten sie auf eine Ausweitung von Kontrollen und das sogenannte Cocooning, also die Isolation und Absonderung kranker und gefährdeter in „zentralen Unterbringungen“. Diese Rezepte seien jedoch „gar nicht oder nur wenig berücksichtigt“ worden.

Keine totalitären Maßnahmen

Die fraglichen Unterlagen stammen aus den beiden wichtigsten Krisengremien des Landes. Da ist einmal der wissenschaftliche Beraterstab der „Taskforce Corona“ im Gesundheitsministerium unter Führung des Grünen-Politikers Rudolf Anschober. Darin sitzen Virologen, Epidemiologen, Public-Health-Experten und Mediziner. Das zweite ist der „SKKM Koordinationsstab SARS-CoV-2/Covid-19“ im Innenministerium unter Karl Nehammer (ÖVP). Das Kürzel steht für „Staatliches Krisen- und Katastrophenmanagement“. Der Stab umfasst Vertreter der fünf entscheidenden Ministerien (Inneres, Äußeres, Landesverteidigung, Gesundheit und Kanzleramt), alle Bundesländer, die Einsatzorganisationen und den Österreichischen Rundfunk (ORF).

In der Sitzung der Taskforce vom 28. Februar befand die Runde gemäß Protokoll einhellig, dass ein „striktes Containment nur in totalitären Systemen möglich ist“ und sich „soziale Distanzierung“ bis dato als die „effektivste Maßnahme“ erwiesen habe. Eine Sperre von Institutionen wie der Universität könne „höchstens zwei Wochen durchgehalten werden“. Ähnlich positionierte sich am selben Tag auch das SKKM. „Die Masse der Verdachtsfälle“ solle „dezentral mittels Verkehrsbeschränkung isoliert“ werden, die „Überwachung (Bestreifung)“ durch die Exekutive erfolgen. Wenn das nicht reiche, müsste die Unterbringung in „Quarantäne-Unterkünften“ angedacht werden.

Auch bei den folgenden Treffen Anfang März plädieren die Experten für ein differenziertes Risikomanagement und den Schutz „vulnerabler“ Gruppen. „Die Absage von Veranstaltungen mit jungen Menschen ist gar nicht so wichtig wie der Schutz der älteren Personen“, befand etwa Ivo Steinmetz von der Medizin-Universität Graz. Anschobers wichtigster Beamter im Krisenmanagement, der Mediziner Bernhard Benka, schlug „Telearbeit, Onlinekurse, normale Hygienemaßnahmen“ als Sofortmaßnahmen vor. Und natürlich seien „Altersheime ein spezielles Problemfeld“. Der Falter bilanzierte, gemeinsam hätten die Fachleute „mehr oder weniger für das“ optiert, „was später als schwedischer Weg bekannt wird“, also „kein radikaler Lockdown, sondern kluges Risiko- und Ressourcenmanagement“.

Warnung vor Kollateralschäden

Das alles blieb allerdings unerhört. Am 12. März verkündete die Regierung den rigiden Shutdown, der vier Tage später in Kraft trat und später anderen Staaten, darunter Deutschland, als Vorbild dienen sollte. In den Aufzeichnungen zur entscheidenden Sitzung tauchen auch die schon bekannten Einlassungen zum Konzept „Gehorsam durch Angst“ auf, die Kurz, Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) zugeschrieben werden. Ihren stärksten Ausdruck fand die „Eskalation der Angst“ später in der Einführung der Maskenpflicht in Supermärkten am 30. März, „zu einem Zeitpunkt, als die Corona-Krise im Gesundheitssystem bereits überwunden war“, heißt es im Falter.

Auch in den folgenden Wochen hielten die Krisenstäbe mit ihrer Kritik nicht hinterm Berg. „Wir sollten versuchen, die derzeitige Sprachregelung bald zu ändern und möglichst schnell von der Botschaft ‚ganz gefährliches Virus‘ wegkommen“, bekundete zum Beispiel der Leiter der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, Franz Allerberger, schon am 14. März. Dabei warnte er vor Kollateralschäden, „die weit über Covid-19 hinausgehen“. Ins selbe Horn stieß Günter Weiss, Internist und geschäftsführender Direktor der Medizinischen Universität Innsbruck:

„Wir müssen verhindern, dass aufgrund des Ressourcendrives zu Covid-19 alle anderen Patienten auf der Strecke bleiben oder die ‚vulnerablen‘ Alten unterversorgt sind und dann mehr Menschen durch diese Maßnahmen zu Tode kommen als durch das Virus selbst.“

Wiederholt meldete sich auch der Public-Health-Spezialist Martin Sprenger öffentlich zu Wort. Er hat Anfang Mai aus der „Taskforce“ Reißaus genommen, weil er seine Statements nicht mehr mit dem Gremium identifiziert sehen wollte. In einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung sprach er der Regierung die Fähigkeit zum Weitblick ab. Man hätte Ende März, Anfang April damit beginnen müssen, „die Pandemie nicht mehr nur unter virologischen und medizinischen Aspekten zu betrachten“, bemerkte er. Es wäre angezeigt gewesen, „smart den Weg aus der Pandemie zu beschreiten. So hätten wir im sozialen, psychischen, pädagogischen und ökonomischen Bereich Kollateralschäden verringern können.“

Netanjahus „Smart Mover“

Für Kanzler Kurz laufen Wissenschaftler, die nicht seiner Meinung sind, nur mehr unter „Verharmloser“. Der Falter schreibt von einem „schleichenden Bedeutungsverlust“ der Experten im Krisenmanagement. Zitat:

„Der nationale Krisenstab, an sich das Herzstück des Katastrophenmanagements, verkommt zum Handlanger, mitunter auch für parteipolitische Interessen.“

Den Unterlagen lasse sich ferner entnehmen, wie wenig die politisch Verantwortlichen von freier und kritischer Berichterstattung halten. So wurde den Medien laut Bericht fortlaufend eine Tageslosung vorgegeben, die am 4. März lautete: „Sachliche Berichterstattung: ‚Stabile Lage‘ — Thematische Ablösung durch ‚Flüchtlingsfrage‘“. In jenen Tagen spitzte sich gerade die Lage an der türkisch-griechischen Grenze zu.

Auf eine Falter-Anfrage rechtfertigt das Kanzleramt die Missachtung der eigenen Experten so: „Letztlich muss aber die Politik immer alle Interessen abwägen und dann die Entscheidungen treffen, und diese wurden von der Regierung immer gemeinsam getroffen. Wie der Rückgang der Infektionszahlen im internationalen Vergleich zeigt, hat die Regierung schnell und richtig mit klaren Maßnahmen gehandelt, und diese wurden von der Bevölkerung in einem sehr hohen Maße mitgetragen.“ Der Neos-Abgeordnete Douglas Hoyos will sich damit nicht abspeisen lassen. „Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen, nationale und globale Sicherheitslagen werden nicht breit diskutiert“, gibt ihn das Magazin wieder. Hoyos versucht derzeit mit zahlreichen Anfragen bei der Regierung, mehr Licht in das „Black-Box“-Krisenmanagement zu bringen.

Warum aber hat Kurz den Rat der Experten ignoriert, um seinen Landsleuten statt dessen seine folgenschwere Haudrauftherapie zu verordnen? Auch darauf liefern die Protokolle eine Antwort. Inspiriert wurde der Bundeskanzler demnach durch seinen israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu. Demnach habe ihn eine Telefonkonferenz mit diesem und einer Reihe von EU-Regierungschefs am 9. März „wachgerüttelt“. In der Folge habe sich Kurz zusammen mit Netanjahu und sechs weiteren Premiers als „Smart Movers“ in der Corona-Krise inszeniert.

Musterschüler Israel?

Das wirft Fragen auf: Wieso lassen sich die Europäer von Israel reinreden, wie sie in einer Pandemie vorzugehen haben? Warum kopieren andere EU-Staaten den österreichischen Weg, der von einem Staatsmann empfohlen wurde, in dessen Land die Epidemie bis heute vergleichsweise milde verläuft. Nach amtlichen Zahlen sollen in Israel bislang wenig mehr als 250 Menschen an Covid-19 verstorben sein. Vielleicht gerade deshalb? Passend dazu vermeldete vor einen Monat der Berliner Tagesspiegel, Israel belege in einem Ranking der Analyseagentur Deep Knowledge Group den ersten Rang, was die Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz vor dem Virus angeht. Dahinter folge Deutschland.

Die Deep Knowledge Group, ein Londoner Thinktank, wird allerdings nicht grade als unabhänig und vertrauenswürdig eingeschätzt. Das juckt den Geehrten nicht. „Dank euch und unserer verantwortungsvollen Politik ist der Staat Israel eines der sichersten Länder in der Corona-Epidemie“, triumphierte Netanjahu auf seiner Facebook-Seite. Eine Woche zuvor hatte er das jüdische Pessachfest mit Verwandten gefeiert, die nicht im selben Haushalt leben. Das bescherte ihm zwar schlechte Presse, aber kein schlechtes Gewissen und wohl schon gar nicht Todesangst.

Nach einer Mitte April veröffentlichten israelischen Studie macht sich das neuartige Coronavirus acht Wochen nach dem ersten Auftreten sukzessive aus dem Staub. Dabei sei es nicht entscheidend, ob ein drastischer Lockdown verhängt wird — wie in Italien — oder nur lockere Einschränkungen vorgenommen werden — wie in Schweden.

Aber so etwas läuft sich unter „Verschwörungstheorie“.


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