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Lesungen aus einem verbotenen Buch

Lesungen aus einem verbotenen Buch

Adolf Hitler und der Erste Weltkrieg. Teil 7.

Auch die siebente Folge aus der Reihe „Lesungen aus einem verbotenen Buch“ erfordert eine Vorbemerkung:

Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ ist natürlich nicht verboten. In einem Buchladen habe ich es allerdings noch nicht stehen sehen und wenn es um die Inhalte des Hitlerschen Manifests geht, erwischen sich wohl die meisten Menschen dabei, verbotene Gedanken zu wälzen. Das hängt auch damit zusammen, dass wir uns gleichzeitig und notwendigerweise in die eigenen Abgründe begeben müssen. Am Ende kämen wir noch auf den unschönen Gedanken, dass Hitler doch tatsächlich auch ein Mensch war. So aber bleibt nur moralische Empörung, die wenig Erkenntnis und viel Bestätigung liefert.

Es ist hier nicht der Platz, um eine gründliche Diskussion zur Verantwortung des Deutschen Kaiserreichs für das Entfachen des Ersten Weltkrieges zu führen. Eine Alleinschuld Deutschlands halte ich trotzdem für unsinnig. Fakt ist, dass sich die öffentliche Meinung im Sommer 1914 so darstellte, dass das Reich in den Krieg gezwungen worden sei, und in dieser Situation sein Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen dürfe. Hierzu möchte ich ein Zitat vorbringen:

„Erst die Sozialisten abschießen, köpfen und unschädlich machen — wenn nötig per Blutbad — und dann Krieg nach außen, aber nicht vorher und nicht a tempo!” (1).

Kaiser Wilhelm II. — in Personalunion Preußischer König — äußerte diese Gedanken in seinem Silvesterbrief an den Fürsten von Bülow. Bernhard von Bülow war damals Reichskanzler und teilte die aggressiven Vorstellungen seines Kaisers, Deutschland die „gebührende Geltung in der Welt“ zu verschaffen (2). Damals heißt in diesem Falle 1905!

Dabei gehörte von Bülow noch nicht einmal zur radikalsten, expansionistischsten Machtgruppe im Deutschen Kaiserreich. Die einflussreichen und extrem gut mit der Wirtschaft vernetzten Alldeutschen gingen in ihrem Bellizismus und Antisemitismus noch viel weiter. Sie hatten auch Einfluss im Habsburgerreich und wurden von Hitler in „Mein Kampf” gewürdigt (i).

Fakt ist: Bereits neun Jahre vor Beginn des großen Weltenbrandes ließen führende deutsche Politiker keinen Zweifel daran, dass sie eine — gern auch gewaltsame — Neuordnung zum Vorteil des Deutschen Kaiserreichs für unabdingbar hielten.

Mit Begeisterung in den Krieg

Hitler zog freiwillig in den Krieg — aber nicht für die in seinen Augen morsche, “slawisierte” Habsburgermonarchie (3), sondern für das Deutsche Kaiserreich, das er seit seiner Kindheit geradezu schwärmerisch verehrte. Vergötterung und Verteufelung führen zum Heiligen Krieg der „Guten“ gegen das „Böse“. Schon im Jahre 1914 war Hitler in seinem ganz eigenen externalisierten Krieg auf den Osten fokussiert:

„Widerwärtig war mir das Rassenkonglomerat, das die Reichshauptstadt (Wien) zeigte, widerwärtig dieses ganze Völkergemisch von Tschechen, Polen, Ungarn, Ruthenen, Serben und Kroaten usw., zwischen allem aber als ewiger Spaltpilz der Menschheit — Juden und wieder Juden” (ii).

Der nach eigener Aussage im Frühjahr 1912 nach München gekommene junge Mann (iii) hielt einen großen Krieg im Nachhinein schon deshalb für erforderlich, weil dem deutschen Volk ansonsten Lebensraum und Nahrungsgrundlage zunehmend fehlen würden:

„Deutschland hat eine jährliche Bevölkerungszunahme von nahezu neunhunderttausend Seelen. Die Schwierigkeit der Ernährung dieser Armee von neuen Staatsbürgern muß von Jahr zu Jahr größer werden und einmal bei einer Katastrophe enden, falls eben nicht Mittel und Wege gefunden werden, noch rechtzeitig der Gefahr dieser Hungerverelendung vorzubeugen” (iv).

Das sah Hitler nach dem Ersten Weltkrieg als Primärproblem — was es in Wirklichkeit nicht war. Bestärkt wurden diese Vorstellungen sicher auch durch die Erfahrungen der beiden letzten Kriegsjahre. Eine umfassende Blockade der Entente führte zu Hungersnöten in Deutschland, die wiederum die Ausbreitung der Spanischen Grippe förderten, welche durch US-amerikanische Soldaten aus deren Heimatland nach Europa eingeschleppt worden war (4). Hitlers Grundannahmen — die von vielen geteilt wurden — führten zum radikalsten und für ihn einzig sinnvollen Lösungsansatz:

„Die Erwerbung von neuem Grund und Boden zur Ansiedelung der überlaufenden Volkszahl besitzt unendlich viel Vorzüge, besonders wenn man nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft ins Auge faßt“ (v).

Unübersehbar propagierte der Kriegsteilnehmer Adolf Hitler einen nächsten Krieg, der keinesfalls auf die Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges beschränkt sein sollte.

Was an diesen Aussagen Hitlers offenkundig wird, ist sein gefährliches Halbwissen, dass die komplexen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, das Finanzsystem, wie auch die konkurrierenden Interessen sowohl innerhalb des Kaiserreichs als auch in der Weimarer Republik nur ungenügend erfassen konnte. Das gilt auch für die Verflechtung fremder Interessen mit den verschiedenen Machtgruppen, welche Deutschlands Politik jener Zeit gestalteten.

Das Deutsche Kaiserreich war im Jahre 1914 zur Expansion verdammt. Es funktionierte nach den gleichen finanzkapitalistischen Prinzipien, die auch in der Gegenwart greifen.

Hitler blendete das aus beziehungsweise erkannte es erst gar nicht. Er zog sich auf ein verklärtes Bild bäuerlich-junkerlicher Verhältnisse zurück, denen die Wirtschaft zu dienen hätte. Er ignorierte die tatsächlichen Machtverhältnisse und lebte auch im Jahre 1923 — vereinfacht ausgedrückt — in einer idealisierten Traumwelt edler Ritter, die sich gegen die Fürsten der Finsternis zu erwehren hätten. Noch mehr gilt das natürlich für jene Zeit, in der er als begeisterter Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg zog.

„Mir selber kamen die damaligen Stunden wie eine Erlösung aus den ärgerlichen Empfindungen der Jugend vor. Ich schäme mich auch heute nicht, es zu sagen, daß ich, überwältigt von stürmischer Begeisterung, in die Knie gesunken war und dem Himmel aus übervollem Herzen dankte, daß er mir das Glück geschenkt, in dieser Zeit leben zu dürfen“ (vi).

Das beste Kanonenfutter für die Strategen des Krieges sind immer die Überzeugungstäter, die Glaubenskrieger gewesen. So wie Hitler tickten in jener Zeit viele, vor allem die am besten Formbaren — junge Menschen:

„Ein Freiheitskampf war angebrochen, wie die Erde noch keinen gewaltigeren bisher gesehen; denn sowie das Verhängnis seinen Lauf auch nur begonnen hatte, dämmerte auch schon den breitesten Massen die Überzeugung auf, daß es sich dieses Mal nicht um Serbiens oder auch Österreichs Schicksal handelte, sondern um Sein oder Nichtsein der deutschen Nation“ (vii).

Am 3. August 1914 wandte sich Adolf Hitler in einem Schreiben an den Bayerischen König Ludwig II., um in ein Bayerisches Regiment eintreten zu dürfen. Dem Antrag wurde umgehend stattgegeben und der junge Österreicher trat wenige Tage später in den Militärdienst des Deutschen Kaiserreiches. Mit dem Königlich Bayerischen 16. Reserve-Infanterie-Regiment (Regiment List) wurde Hitler schließlich im Oktober 1914 in die Erste Flandernschlacht in der Nähe der belgischen Stadt Ypern geworfen (viii).

Wohl in Würdigung der Teilnahme an dieser Schlacht, in der das Regiment List hohe Verluste erlitt, wurde Adolf Hitler bereits am 1. November 1914 zum Gefreiten befördert. Einen Monat später erhielt er für seinen Einsatz zum Schutz des Regimentskommandeurs das Eiserne Kreuz II. Klasse. Wir können annehmen, dass er vor allem deshalb fortan als Meldegänger des Regimentsstabes eingesetzt wurde (5).

Held oder Versager?

Es ist sehr aufschlussreich zu erfahren, wie Historiker regelmäßig in ein Schablonendenken abgleiten, in das sie ihre moralischen Urteile, die sie zuvor über Menschen fällten, einarbeiten. Einerseits soll Hitler ein „Etappenschwein” gewesen sein, andererseits wurde er an der Front verwundet. Außerdem wurden selbstredend negativ geprägte Episoden über ihn verbreitet, die sich direkt an der Front abspielten (6).

Aus dieser gefestigten, einseitigen Perspektive heraus, kann ein Mensch wie Adolf Hitler nur — und wirklich nur — moralisch verkommen sein. Alle Informationen, die man über den betroffenen Menschen gewinnt, werden deshalb zwanghaft in die vorgefasste Schablone gepresst (7). Das mag menschlich und für die eigene Selbstbestätigung angenehm sein, vermittelt allerdings zwangsläufig ein verzerrtes Bild zur analysierten Persönlichkeit (a1).

Beispielhaft sei die Betrachtung von Hitlers Angewohnheit, bei öffentlichen Auftritten kaum eine und oft gar keine Auszeichnungen zu tragen:

„Bescheidenheit ist gewöhnlich eine Zier — sie kann aber auch eine subtile Form der Propaganda sein. Wie niemand sonst in der deutschen Geschichte zeigt dies das Beispiel Adolf Hitler“ (8).

Hätte sich Hitler so, wie der lange Zeit zweite Mann des Dritten Reiches, Herman Göring, mit „Lametta” behangen, hätte man ihm das in genau der gleichen Weise als charakterliche Schwäche, als Eitelkeit oder „böse” Absicht unterstellt. Wie steht es dagegen um die Annahme, dass es sich dabei um ein authentisches Merkmal im Wesen dieses Mannes handelt? Natürlich kann man das auch nutzbringend in eine Agenda einbringen, doch eine solche selbst zu entwickeln, dafür hat Hitler nicht getaugt.

Der ungeliebte, eigenbrötlerische Etappenhengst Adolf Hitler — so das Narrativ der Historiker — wurde im Ersten Weltkrieg mit insgesamt vier Auszeichnungen geehrt. Diesen Widerspruch wird man schon irgendwie erfolgreich für sich auflösen, solange man nur auf der „richtigen” Seite steht.

„Am 17. September 1917 erhielt er das Bayerische Militärverdienstkreuz III. Klasse und am 8. Mai 1918 das Verwundetenabzeichen. Im Frühjahr 1918 erhielt er eine Regimentsauszeichnung für Tapferkeit, am 4. August folgte die Dekorierung mit dem relativ selten vergebenden EK I für besondere Tapferkeit (lediglich 218.000 der 13 Millionen deutschen Soldaten waren EK I-Träger, zumeist Offiziere und Unteroffiziere)” (9).

Aus einem bedenklich schmalen Betrachtungsfenster heraus versuchen also Geschichtsschreiber — und nicht nur die — nachzuweisen, dass Hitler im Ersten Weltkrieg eigentlich ein Feigling und seine Darstellung über sich selbst in „Mein Kampf” verlogen gewesen sei. Nach dem Lesen, sowohl des Buches „Mein Kampf” als auch diverser historischer Aufzeichnungen, ist das für mich nicht nachvollziehbar.

In „Mein Kampf” habe ich nach bestimmten Begriffen gesucht. Begriffen, die ich für geeignet halte, um einzuschätzen, inwieweit er seine Bedeutung als Soldat im Ersten Weltkrieg überhöhte. Sie lauten „Beförder(ung)”, „Gefreit(er)”, „Verwund(et|ung)”, „Auszeich(nung)”.

Hitler wurde am 7. Oktober 1916 am Oberschenkel verwundet und erlitt schließlich kurz vor Kriegsende Verletzungen in Form einer später wieder abklingenden Erblindung, als er am Morgen des 14. Oktober 1918 in einen Senfgasangriff geriet. Es kann angenommen werden, dass diese Gasvergiftung zu einer weiteren Traumatisierung des damals 29-Jährigen führte und seine Persönlichkeit unheilvoll veränderte.

Er hat recht knapp über diese Ereignisse berichtet, ohne sich selbst dabei in irgendeiner Weise zu heroisieren. Von einer Überhöhung der eigenen Person kann somit keine Rede sein. Wir dürfen einmal mehr differenzieren.

Weder war Adolf Hitler im Ersten Weltkrieg ein Held, noch war er ein Versager. Er war schlicht einer von Millionen meist junger Männer, die in einem Krieg, der nicht der ihre war, verblendet und verheizt wurden.

Hitlers Selbstüberhöhung beginnt woanders, dort, wo sie bei ideologisch extrem gespurten Menschen immer beginnt. Er überhöhte die eine Sache und ordnete die Menschen — eingeschlossen sich selbst — dieser Sache unter.

Der heiligen Mission verpflichtet, die Welt, das Volk, die Werte oder was auch immer zu retten, unterwirft sich das Subjekt, opfert sich für sie auf und entwickelt über sie ein fragwürdiges Selbstwertgefühl. Das Idealbild einer geordneten, idealisierten, ja märchenhaften Welt zieht sich durch das gesamte Buch des Adolf Hitler und wenn man so eine Welt missionierend, in eine alternativlose Realität umzusetzen versucht, wird dessen hässliche Seite offenbar: der Hass und die Missachtung aller, einschließlich des eigenen Ichs.

Solche Menschen gibt es zuhauf, doch sollten sie weder Politiker werden, noch zu viel, am besten gar keine Macht in die Hände bekommen. Oder auch: Man sollte sein Schicksal ganz zuletzt in die Hände solcher Menschen legen. Dass dies trotzdem geschah, hat aber nichts mit einer inhärenten Magie des Adolf Hitler zu tun. Diese Magie wurde inszeniert! Das möchte aber erst später vertieft werden.

Die Fragen die sich nun stellen kann, sind die, wann und durch wen Hitler zu einem „echten” Missionar wurde. Im Ersten Weltkrieg scheint er das noch nicht gewesen zu sein. Direkter Vorgesetzter Hitlers im Regiment List war der Regimentsadjutant Fritz Wiedemann. Er berichtete — wohlgemerkt nach dem Untergang des Dritten Reiches — über die Qualitäten des Soldaten Adolf Hitler:

„Die Meldegänger wurden zu kleinen Dienstleistungen herangezogen und begleiteten den Kommandeur oder mich bei regelmäßigen Rundgängen durch die vordere Linie. Von solchen Begleitgängen her erinnere ich mich gut an Hitler als einen ruhigen, etwas unmilitärisch aussehenden Mann, der sich zunächst in nichts von seinen Kameraden unterschied. (…) So ist er mir als ein besonders ruhiger, bescheidener und zuverlässiger Untergebener in Erinnerung geblieben, mit dem ich auch außerdienstlich gern ein paar Worte wechselte …” (10).

Wiedemann hatte sich noch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs als Generalkonsul im US-amerikanischen San Francisco auf die Seite der Briten gestellt und vor Hitler als schizophrener, sich überhebender Persönlichkeit gewarnt (11). Um so glaubwürdiger ist seine differenzierte Darstellung Hitlers im Ersten Weltkrieg (siehe auch weiter unten).

Eine Führerpersönlichkeit?

Aber Hitler ist doch — so könnte man einwerfen —, nachdem er sehr früh zum Gefreiten befördert worden war, nie mehr in einen höheren Dienstgrad in der Kaiserlichen Armee aufgestiegen. Wiedemann, der in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, seinerseits Hitlers Adjutant gewesen war, wurde nach dem Krieg von einem der Ankläger im Wilhelmstraßen-Prozess, Robert Kempner, vernommen und genau dazu befragt:

„Sie sind doch im Kriege (dem Ersten Weltkrieg) der Vorgesetzte Adolf Hitlers gewesen. Können Sie uns sagen, warum er nicht zum Unteroffizier befördert wurde?” (12).

Wiedemann antwortete:

„Weil wir keine entsprechenden Führereigenschaften an ihm entdecken konnten” (13).

Das veranlasste Kempner und seine Getreuen zu einem — ihrer Sicht nach — prächtigen Schenkelklopfer: „Also, weil er keine Führerpersönlichkeit war!”. Was Zynismus ist. Aus den Elitekreisen der Vereinigten Staaten von Amerika heraus wurde seinerzeit jahrzehntelang alles getan, um diesen Führer aufzubauen, zu stärken und zu hofieren. Was war denn nun so lustig an Wiedemanns Antwort? Er selbst sagte später dazu:

„Was ich Kempner geantwortet hatte, traf jedoch zu. Hitler hatte damals nach militärischer Auffassung wirklich nicht das Zeug zum Vorgesetzten. Ich sehe einmal davon ab, daß er nach den Friedensbegriffen eines aktiven Offiziers keine besonders gute Figur machte; seine Haltung war nachlässig und seine Antwort, wenn man ihn fragte, alles andere als militärisch kurz” (14).

Wenn Hitler kein Psychopath war — wofür eine Menge spricht (a2) — dann war er, auch im Sinne von Macht, in keiner Weise eine geborene Führerpersönlichkeit. Seine ideologischen Überzeugungen und seine charakterlichen Voraussetzungen wurden erkannt und ausgenutzt, um sein Ego so weit zu formen, dass er in diese Rolle eines Führers hineinwachsen konnte. Das geschah mit Sicherheit erst, nachdem der Erste Weltkrieg Geschichte geworden war.

Doch war der Erste Weltkrieg ungeheuer prägend für Hitler. Er hatte nach außen sichtbar sein Leben für das Deutsche Kaiserreich eingesetzt, fühlte sich als Teil eines großen Kollektivs verdienstvoller Krieger, die durch die „Feinde des Reiches” um den Erfolg ihrer Weltkriegsmission gebracht wurden. Die „natürlichen” Feinde, die potenziellen Verheerer des Reiches waren Hitler seit seiner Kindheit eingepflanzt worden. Jedoch hatte er bis zum Ende des Weltkrieges diese Feindbilder noch nicht ausgelebt.

Das änderte sich mit der Niederlage des Deutschen Kaiserreichs. Jetzt galt es Schuldige festzumachen und nun konnten die Feindbilder abgerufen werden — zum Beispiel das „des Juden“. Die Weltkriegsniederlage Deutschlands war einer der starken Trigger, um aus dem latenten Judenhass des Adolf Hitler einen von Sendungsbewusstsein geprägten, wie extremen und aktiv gelebten zu machen (ix).

Vor dem Ersten Weltkrieg war Adolf Hitler zwar bereits ideologisch stark beeinflusst, aber sein Wesen und seine Träume waren die eines Künstlers. Nach dem Krieg war dies weitgehend verdrängt durch das Wesen eines Kriegers — aber keinesfalls dem eines Führers! Noch einmal sei Wiedemann ausführlich zitiert — und jeder, der leichthin von einem „Abducken Hitlers in der Etappe“ palavert, versteht nun vielleicht besser, wie sich Hitlers vier Jahre in dieser Hölle gestalteten:

Ein Jahr später lagen wir an der Somme. Unsere Regimentsbefehlsstelle war ein minierter Unterstand in Le Barque, einer vollkommen zerschossenen Ortschaft südlich Papaume … Zum Ausruhen und Schlafen fand sich kaum ein Platz. Die minierten Stollen waren zu eng, um richtige Schlafstellen einzurichten. So hockten also die Melder eng aneinandergelehnt im Gang, meist mit angezogenen Beinen, und schliefen dort todmüde trotz dieser unbequemen Lage. Es war Nacht, und ich wurde durch die Detonation und das Stöhnen der Verwundeten aufgeschreckt. Sechs Meldegänger waren verwundet, alle an der rechten Seite. Unter ihnen war auch mein Meldegänger Hitler. Seine Verletzung erwies sich jedoch als nicht schwer, und als ich mich zu ihm niederbeugte, sagte er: ‚Es ist nicht so schlimm, Herr Oberleutnant, gelt, ich bleibe bei Euch, bleibe beim Regiment!‘ Da lag er nun, der Mann, der so gern Kunstmaler werden wollte (…) und hatte keinen anderen Wunsch als den, beim Regiment bleiben zu dürfen” (15).

Das ist die beklemmende Metamorphose, die der Krieg in den Menschen bewirken kann. Hitler jedenfalls, war nun bereit für „Größeres“ — auch wenn ihm das noch nicht bewusst war. Er, als einer unter vielen anderen — und gleichermaßen für „Größeres Geeigneten“ — musste nur noch “entdeckt” werden.

In „Mein Kampf“ schließt Hitler das Thema Erster Weltkrieg mit den folgenden Worten ab:

„Kaiser Wilhelm II. hatte als erster deutscher Kaiser den Führern des Marxismus die Hand zur Versöhnung gereicht, ohne zu ahnen, daß Schurken keine Ehre besitzen. Während sie die kaiserliche Hand noch in der ihren hielten, suchte die andere schon nach dem Dolche. Mit dem Juden gibt es kein Paktieren, sondern nur das harte Entweder-Oder. Ich aber beschloß, Politiker zu werden” (x).

Die Dolchstoßlegende (16) sowie eine brisante Mischung aus Juden- und Kommunistenhass waren als der Sprengstoff im Kopf des noch zu „entdeckenden“ künftigen „Führers“ platziert. Die nun anstehende Metamorphose zum „Führer“ leitet die vielleicht spannendsten Kapitel der Lebensgeschichte des Adolf Hitler ein und wird in der nächsten Folge dieser Artikelreihe untersucht.

Bitte bleiben Sie schön aufmerksam.


Quellen und Anmerkungen:

(a1) Beispielhaft für eine tendenziöse, moralisch abwertende Darstellung des Menschen Adolf Hitler seien der gern in Wikipedia zitierte Historiker Thomas Weber und sein „Fan“ bei Springer, Sven Felix Kellerhof, genannt (17,18). Unabhängig davon sind die Beiträge dieser Autoren auch informativ und damit wertvoll. Als Analyst ist man jedoch gefordert, das Tendenziöse in den Texten herauszufiltern.
(a2) Man kann Hitler sicher eine Persönlichkeitsstörung zuschreiben, doch charakterisiert diese nicht die eines Psychopathen. Siehe hierzu auch die ersten sechs Artikel zur Reihe „Lesungen aus einem verbotenen Buch“.
(i) Mein Kampf, Erster Band — Eine Abrechnung; Adolf Hitler; Zwei Bände in einem Band; ungekürzte Ausgabe, Zentralverlag der NSDAP, Frz. Eher Nachf., GmbH, München, Auflage 1943 (im Weiteren kurz als AHMK genannt), Seite 102, 133 und weitere.
(ii) AHMK, Seite 135.
(iii) AHMK, Seite 138.
(iv) AHMK, Seite 143 und 144.
(v) AHMK, Seite 151
(vi,vii) AHMK, Seite 177.
(viii) AHMK, Seite 179.
(ix) AHMK, Seite 222 bis 225.
(x) AHMK, Seite 225.
(1) 31. Dezember 1905; Silvesterbrief Wilhelm II. an Bernhard von Bülow; Bülows Memoiren, Band 2, Seite 197, aus: Deutsche Geschichte in Daten, Berlin, 1967; Institut für Geschichte an der DAW, Seite 542, entnommen bei: Aufstieg und Fall eines kaiserlichen Reichskanzlers, Willibald Gutsche, 1973, Berlin, Akademie Verlag, Seite 57.
(2) https://www.dhm.de/lemo/biografie/bernhard-buelow, abgerufen: 16. Januar 2020.
(3) Hitler, 1889 bis 1936; Ian Kershaw, 1998, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart; ISBN 978-3-421-05131-8; im weiteren IKAH; Seite 105 folgende, 120 bis 124.
(4) 01. Februar 2020, Sven Felix Kellerhof, https://www.welt.de/geschichte/article205501205/Spanische-Grippe-Die-schwerste-Seuche-die-jemals-ueber-die-Erde-fegte.html?utm_source=pocket-newtab
(5) IKAH, Seite 130.
(6) 20. Dezember 2016, Dennis Kluge, https://www.welt.de/geschichte/article160460674/Der-britische-Kriegsheld-der-Hitler-am-Leben-liess.html
(7) 08. Juli 2014, Hans Kratzer, https://www.sueddeutsche.de/politik/100-jahre-erster-weltkrieg-hitlers-regiment-1.2069478
(8,18) 16. September 2010, Sven Felix Kellerhof, https://www.welt.de/kultur/article9673138/Adolf-Hitler-war-im-Ersten-Weltkrieg-ein-Feigling.html
(9) https://www.was-war-wann.de/personen/adolf_hitler_im_1_weltkrieg.html, entnommen: 28. Januar 2020.
(10,12 bis 15) Der Mann, der Feldherr werden wollte, 1964, Blick + Bild Verlag; entnommen bei: 18. November 1964 Fritz Wiedemann; https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46176139.html
(11) 17. August 2012, Florian Diekmann, https://www.spiegel.de/panorama/hitlers-vorgesetzter-im-1-weltkrieg-warnte-briten-und-amerikaner-a-850712.html
(16) 18. November 2017, Alexander Gallus, https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2017/03/dolchstosslegende-erster-weltkrieg-nationalsozialismus
(17) https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Weber_(Historiker); abgerufen: 23. Januar 2020.

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